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18.03.2003
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THROWING MUSES

Planlos gut

Throwing Muses
"Derzeit bin ich vor allem eine Mom und mache eine Menge Dinge, die Mütter für gewöhnlich tun. Unser vierter Sohn ist kürzlich zur Welt gekommen. Deshalb bin ich momentan vor allen in der Baby-Welt unterwegs. Nächste Woche gehen die Proben für die Muses-Tournee los und dann werde ich versuchen, mich daran zu erinnern, wie mein altes Leben ausgesehen hat", scherzt Kristin Hersh beim Gespräch mit Gaesteliste.de. Knapp sieben Jahre nach "Limbo", dem bislang letzten Album ihrer legendären Band, zieht Kristin also in den nächsten Wochen und Monaten erstmals nicht mehr als Solistin, sondern wieder mit ihren Mitstreitern Bernard Georges (Bass) und David Narcizo (Schlagzeug) durch die Lande. Pünktlich zum zwanzigjährigen Bandjubiläum übrigens.

"Ich bin wirklich glücklich, wieder mit den Muses spielen zu können. Die Jungs sind meine allerbesten Freunde und ich habe den Sound der Band unglaublich vermisst. Ich bin sehr, sehr schüchtern, deshalb hat es mir wirklich gefehlt, mich beim Spielen auf andere Musiker verlassen zu können. Ich bin wirklich nicht für eine Solokarriere gemacht, die wurde mir einfach aufgezwungen. Nun wieder mit den Muses zu spielen, ist wie nach Hause zu kommen." Das Trio geht aber nicht nur gemeinsam auf Tournee, sondern hat im Schnelldurchgang auch ein neues, selbstbetiteltes Album eingespielt. Auf dem präsentieren sich die Muses rau, emotional und rockig-ungehobelt wie zuletzt bei ihren Frühwerken in den 80ern. Kein Wunder, entstand das Album doch an gerade einmal drei Wochenenden, fast ohne jegliche Overdubs. Fast zeitgleich entstand auch eine schöne Kristin-Hersh-Soloplatte, "The Grotto", ihr klanglich spartanischstes Werk seit ihrem ersten Alleingang "Hips And Makers" vor sieben Jahren. Doch so gelungen diese Platte auch ist, das Statement auf der Muses-Website macht klar, wo für Kristin die Prioritäten liegen. Dort steht nämlich: "There IS a new Throwing Muses record! And as a special bonus... a brand-spankin'-new KH record too!"

Das "wichtigere" Album heißt einfach "Throwing Muses", ein Titel, den die drei nicht mangels Ideen gewählt haben, sondern weil sich alle Beteiligten klar sind, dass dies - einmal mehr - die endgültig letzte gemeinsame Platte sein könnte. Kristin gefiel einfach der Gedanke, dass sich so der Kreis schließen würde. Schließlich hatte das Debüt der Band 1986 auch keinen Titel außer dem Bandnamen. Doch selbst wenn das neue Album die (plattentechnische) Abschiedsvorstellung der drei Amerikaner sein wollte, eines ist sicher: Die unglaublich treuen Fans werden die Band auf die ein oder andere Weise am Leben erhalten. Um ihrem Publikum etwas zurückzugeben, gibt es auf der offiziellen Bandwebsite nicht nur die Möglichkeit, als Fanclubmitglied jeden Monat exklusive Songs herunterzuladen, im Online-Shop kann man zusätzlich ausgewählte autorisierte Bootlegs von Muses- und Kristin-Shows erstehen. "Wenn uns früher klar geworden wäre, dass wir uns mehr auf unsere Fans und nicht auf das Musikbusiness verlassen können, hätten wir etwas ähnliches vermutlich schon eher in Angriff genommen, aber früher hatten wir einfach nicht die Mittel dazu. Zu sehen, wie groß unserer Fanlager immer noch ist, obwohl wir seit mehr als sechs Jahren keine Platte gemacht haben, ist ziemlich umwerfend. Das ist der krasse Gegensatz zum Musikbusiness, das schnelllebig und oberflächlich ist und uns nie wirklich unterstützt hat", sinniert Kristin. Und auf den Hinweis, dass sie trotzdem seit fast 20 Jahren beim englischen Kultlabel 4AD unter Vertrag steht, ergänzt sie lachend: "4AD und ihre Freunde in Europa sind großartig, aber in den Staaten waren wir jahrelang bei Warner Bros. und die Dinge waren ganz, na ja, anders! Ich will nicht zuviel darüber lästern, schließlich haben sie uns Geld gegeben, um unsere Platten zu machen - alleine das ist schon großartig -, aber letztendlich sind sie nur eine Maschine, die nicht mit Underground-Musikern kommunizieren kann."

Da ist es umso verwunderlicher, dass die Muses-Scheibe überhaupt erscheint. Immerhin hatte Kristin und Co. die Band einzig und allein aus finanziellen Gründen an den Nagel gehängt. Was ist denn jetzt anders als 1997, dem Jahr des vorläufigen Endes der Band? "Wir haben uns nie aufgelöst, es war allerdings wirklich einfach so, dass wir weder das Geld für eine weitere Platte, noch für eine weitere Tour hatten. Ab und zu haben wir in verschiedenen Städten One-Off-Konzerte gespielt, die wir lange im Voraus über unsere Website angekündigt haben. Zu den Shows sind sogar Leute aus Schweden und Neuseeland angereist. Das war großartig, das einzige Problem war: Wenn wir auf die Setlist geschaut haben, waren die Songs von Konzert zu Konzert älter. Da haben wir uns gesagt: 'Wir sind eine funktionierende Band, wir spielen besser zusammen als je zuvor, wir sollten wirklich eine weitere gemeinsame Platte machen!' Anstatt also darauf zu warten, dass wir im Lotto gewinnen oder dass ein reicher Fan von uns stirbt und uns in seinem Testament bedenkt, haben wir einfach den Vorschuss für meine nächste Solo-Platte benutzt, um ein Studio zu mieten. Eigentlich ist es also eine Soloplatte mit den Throwing Muses als Backingband. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob das legal war, was wir da gemacht haben", grinst Kristin. Der Aufwand hat sich gelohnt. Das sieht auch Kristin selbst so: "Ich bin sooo zufrieden mit der Platte! Es war sehr befreiend, ein Album völlig ohne Proben zu machen, das völlig unproduziert ist und genau den Sound wiedergibt, den die Band in dem Raum hatte, in dem die Aufnahmen stattfanden. Genau das macht eine quintessentielle Throwing-Muses-Platte aus. Wenn ich an die Band denke, habe ich nicht die Alben im Kopf, sondern unsere Konzerte. Und genau so klingt diese Platte. Sie ist unglaublich direkt, weil wir die Songs erst bei den Aufnahmen gelernt haben und nicht das sonst oft auftretende Problem hatten, dass wir die Songs schon zu oft gespielt hatten oder zu viele produktionstechnische Ideen hatten, die weit über das hinausgehen, worum es in den Songs eigentlich geht."

Throwing Muses
Ziemlich überraschen dürfte viele auch die Tatsache, dass Kristins Halbschwester Tanya Donelly - zwölf Jahre nach ihrem Ausstieg bei den Muses - auf dem neuen Album wieder bei einigen Songs zu hören ist. "Es ist einfach so, dass die neuen Songs ja wie die frühen Muses klingen und deshalb passt ihre Stimme einfach hervorragend dazu. Wir hatten zunächst gar nicht daran gedacht, sie einzuladen, aber wir sehen uns sehr oft und irgendwann erzählte ich ihr, dass die Songs wie unsere alten Sachen klingen und sie sich die neuen Aufnahmen unbedingt anhören sollte. Darauf sagte sie, dass sie vorbeikommen und ein paar Gesangsspuren beisteuern würde! 'Backing Vocals' sind für mich zumeist nicht mehr als ein paar 'Ahhhhhs', die man ganz in den Hintergrund mischt, aber Tanya steuerte diese großartigen Gesangsparts bei, die sich perfekt um meine legten, so dass ich jetzt manchmal kaum sagen kann, wer von uns beiden was singt! Wir hätten beide auch nicht gedacht, wie nahe uns das Ganze gehen würde. Wir waren bei den Aufnahmen beide den Tränen nahe, weil wir uns seit Jahren nicht mehr so zusammen hatten singen hören. Wir haben zwar live zusammen gespielt, aber da gibt es ja immer Probleme mit der Akustik!" Ob die zwei auch in Zukunft weiter zusammenarbeiten, wird sich zeigen. Konkret geplant ist nichts, Kristin möchte es aber auch nicht ausschließen. "Ich mache keine Pläne mehr", erklärt sie und fügt laut lachend hinzu: "Das bringt eh nichts!"

Weitere Infos:
www.throwingmusic.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Throwing Muses
Aktueller Tonträger:
Throwing Muses
(4AD/Beggars Banquet/Zomba)
 

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