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05.05.2003
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LISA GERMANO

Französische Katzen und flüssige Schweine

Lisa Germano
Man hatte die Hoffnung ja fast schon aufgegeben: Seit dem letzten Album von Lisa Germano, "Slide" sind satte fünf Jahre ins Land gegangen und abgesehen von gelegentlichen Gastauftritten - z.B. als "Orchesterleiterin" des "Eels Orchestra 2000" machte sich die zierliche Querdenkerin in Sachen Songwriting ziemlich rar. Im Grunde genommen existierte sie musikgeschäftlich überhaupt nicht: Die letzten zwei Jahre arbeitete sie z.B. in einer Buchhandlung. Untätig war sie dabei indes nicht: In ihrem Heimstudio bastelte sie in der Freizeit an neuen Songs, die sie mit der Hilfe von diversen Freunden - Johnny Marr, Butch von den Eels, Neil Finn und anderen - im Laufe der Zeit zu dem nun vorliegenden Album "Lullaby For Liquid Pig" verquickte. Wenn man sich dieses Werk betrachtet, ist es - von der unwirklichen, traumähnlichen Grundstimmung über den fragmentarischen, Hörspiel-ähnlichen Charakter, bis hin zum evozierenden und sehr treffenden Artwork die bislang schlüssigste und selbstverständlichste Lisa Germano-Scheibe überhaupt geworden. Grund genug, also, einmal nachzuhören, wie es geht.

Die wichtigste Frage dabei ist sicherlich die Katzensituation im Hause Germano. Wie auf "Excerpts From A Love Circus" auch akustisch dokumentiert, spielen Katzen eine nicht unerhebliche Rolle im Leben der Lisa G. (Wo andere z.B. Fotos ihrer Familie im Portemonnaie haben, stecken bei Lisa Schnappschüsse ihrer Kitties). "Leider ist vor kurzem eine meiner Katzen gestorben", erzählt Lisa, "ich habe mir ein neues Kätzchen gekauft. Es ist sehr süß und stammt aus Frankreich. Ich muss also französisch mit ihm sprechen. Ich wollte nicht, dass meine andere Katze alleine ist, weil ich ja viel auf Tour bin. Es war ganz schön hart, weil Katzen sich schwer tun, sich aneinander zu gewöhnen. Aber jetzt geht's wieder." Das zeigt schon ein wenig, dass man Lisa nicht mit den normalen Begrifflichkeiten des Rock-Business packen kann. Irgendwie hat Lisa ja alles mitgemacht: Angefangen hatte alles als Ziergeigerin bei John Mellencamp und später bei den Simple Minds. Es folgte nach einem unabhängig produzierten Debüt ein unglücklicher Einstieg bei einem Major ("Happiness"), dann eine scheinbar fruchtbare Phase beim Indie-Riesen 4AD - mit immerhin drei Scheiben und nun, auf dem Label, auf dem auch Johnny Marr untergekommen ist, quasi ein Neuanfang. Ein bisschen Business-Talk muß aber doch sein: Wie ist denn die neue Scheibe entstanden? "Ich habe die Sachen auf meinem A-Dat aufgenommen und dann wurden sie in Pro-Tools eingespielt. Diese Files konnte ich dann herumschicken und meine Freunde haben dann ihre Parts dazugespielt. Das war eine neue Sache für mich. Ich lernte eine Menge über die Möglichkeiten, die einem heutzutage so zur Verfügung stehen. Wir haben bei meinem Freund Joey Waronker gearbeitet. Es ist so verscheiden von dem, was ich bislang gemacht habe, weil du Sachen auseinandernehmen und wieder zusammensetzen kannst. Wir können das Zeug durch die Welt schicken. Ich mag, dass man das heutzutage tun kann." Muss man da nicht aufpassen, dass man von der eigentlichen Vision abgelenkt wird? "Nicht auf dieser Scheibe. Ich meine: Ich habe mit vielen Leuten zusammengearbeitet, bei denen sie einfach alles aufheben. Sie lassen dich 15 Tracks einspielen und behalten alles. Das würde mich verwirren. Ich lege Wert darauf, mir nicht allzuviele Möglichkeiten offenzuhalten. Wenn ich etwas nicht mag, dann lösche ich es. Wenn du alles behältst, ist das so, als hättest du ein super unaufgeräumtes Haus. Du findest nichts wieder und kannst dich nicht konzentrieren." Das Ergebnis ist also - bei aller soundtechischen Finesse - eher Lisa pur. Das spiegelt sich auch darin wieder, dass die Stücke alle ineinander übergehen, miteinander verwoben sind, durch kleine Field-Recordings verbunden erscheinen. Das Album funktioniert ergo am besten als Hörspiel am Stück. "Ich denke, das ist immer der Plan, bei all meinen Platten", stimmt Lisa zu, "für mich sind Songs keine losgelösten Stücke. Für mich sind sie immer Teil des Ganzen. Ich kann die Songs z.B. selbst erst nachher als solche erkennen. Wenn ich eine CD mache, müssen alle Stücke zusammenpassen, ansonsten wüsste ich nicht, warum ich sie auf die Scheibe nehmen sollte. Das einzige Album, bei dem ich das nicht so erreicht habe, wie ich es wollte, war das letzte, 'Slide'."

Bei unserem letzten Gespräch erzählte uns Lisa von der Idee, mal ein Pop-Album machen zu wollen. Was ist denn aus diesem Plan geworden? "Ja, das will ich immer", erinnert sie sich, "es kommt aber einfach nicht raus. Ich denke, es wäre wirklich lustig. Aber wenn ich mich hinsetze und den Drang zum Schreiben habe, entsteht immer ein anderes Feeling, was das verhindert. Es macht aber Spaß bei anderen Leuten mitzuspielen, die Pop-Musik machen können. Ich liebe alle mögliche Musik." Das "flüssige Schwein" im Titel des Albums ist eine Metapher für den Alkohol. Wie entstand denn das Thema für dieses Album. "Ich schreibe ja dauernd", erklärt Lisa, "irgendwann macht dann etwas Sinn für mich. Ich versuche gar nicht erst nicht ein Thema zu finden. Irgendwann wurde mit dann klar, dass es bei dem was sich dann entwickelte darum ging, etwas zu brauchen. Ich setzte das dann mit dem Alkohol gleich - eine Substanz, mit der du dich von deinem Leben entfernen kannst. Es können viele Dinge sein. Einige Songs klingen, als ginge es um dieses Thema - aber in Wahrheit sind sie über eine bestimmte Person. So oder ähnlich entstehen alle meine Alben." Woher kam denn die Allegorie vom "flüssigen Schwein"? "Das ist mir so eingefallen, als ich mich über mich selbst lustig machte. Manchmal kann man dann nämlich mit gewissen Situationen besser umgehen. Man kann Sachen besser verstehen, weil man sie praktisch aus der Distanz betrachtet. Mit der Zeit kam mir das Ganze dann wie ein Wiegenlied vor. Wie eines, bei dem man nicht einschlafen kann - was irgendwie witzig ist. Es ist nicht ein lustiger Witz, sondern eher ein ironischer." Manchmal erinnern die Songs ja nicht direkt an ein Wiegenlied, sondern eher an diese Stimmung zwischen Wachen und Träumen, oder? "Hm? Ja, doch, das kann ich so nachvollziehen", stimmt Lisa zu, "du liegst da herum und denkst all diese Gedanken, wegen derer du nicht einschlafen kannst, weil sie dich bedrücken. Du kannst aber auch nicht aufstehen, weil du zu müde bist. Das scheint schon so zu sein." Auf der Scheibe gibt es ein Stück namens "It's Party Time" - dieses ist eines der wenigen überhaupt existierenden Stücke, das zugleich traurig und fröhlich ist. Wie sieht Lisa denn die Sache, dass ihre Musik überwiegend melancholischen Charakters zu sein scheint? "Ich denke schon, dass meine Musik traurig ist", stimmt sie zu, "sie ist aber nicht depressiv. Manchmal brauchst du einfach traurige Musik. Oft bist du bestimmt nicht in der Stimmung, dir meine Scheiben anzuhören. Meine Scheiben funktionieren meiner Meinung nach eh nur dann, wenn du sie dir für dich alleine anhörst und dann auch etwas über dich fühlst. Wenn du das nicht brauchst, dann werden dir auch meine Scheiben nicht gefallen. Ich denke aber, dass wir oft traurige Musik brauchen, damit wir uns besser fühlen. Ich weiß, dass ich es brauche. Als z.B. meine Katze starb, hörte ich mir einige Songs von 'Hounds Of Love' von Kate Bush an. Da sind einige so schöne, traurige Lieder drauf, dass ich heulen muss, wenn ich nur dran denke. Es hilft einem aber wirklich, sich besser zu fühlen. Meine Songs - wie 'Party Time' - mögen also traurig sein, wenn du aber mit ihnen fühlst, bist du nachher glücklich." Ist Lisa Germano auch eine von diesen Songwriterinnen, die dann am besten sind, wenn sie traurig sind? "Nun ich fühle meistens dann den Drang Songs zu schreiben, wenn ich traurig bin. Nein - eigentlich ist es nicht Traurigkeit, es ist eine Art Sehnen mich mitzuteilen, meine Gefühle zu teilen. Ich werde aber immer dann mit den Songs fertig, wenn ich mich wieder glücklich fühle. Die Ideen kommen aber nur, wenn ich traurig bin." Was hört sich Lisa denn gerne an? Auch eher traurige Musik? "Nein, ich mag alle Art von Musik. Es hängt von meiner Stimmung ab." Wie sieht's denn mit absichtlich lustiger Musik aus? Ist das nicht nervig? "Oh, da muss ich dir zustimmen. Ich hasse Musik, die auf schlaue Art witzig sein möchte. 'They Might Be Giants' ist z.B. so ein Fall."

Wie sah es denn mit den Kollaborationen aus? "Ich hatte ja schon Scheiben ganz alleine gemacht und wollte dieses Mal den Gedanken einen Schritt weiter tragen", erzählt Lisa, "deswegen war es für mich klar, als das Zeug auf Pro-Tools war, dass ich andere mit einbeziehen wollte. Ich wollte dann mal sehen, was passiert. Es war ein 'work in progress', das genau dann fertig war, als mir das Geld ausging." Einige Passagen auf der Scheibe klingen ein wenig so, wie Sachen, die die Eels zuweilen machen. Ist das Zufall? "Oh nein, ich bekomme immer zu hören, dass E.'s und meine Musik sich ähneln", bestätigt Lisa, "das ist wohl auch der Grund, warum wir dann begannen zusammen zu arbeiten. Wir betrachten die Dinge wohl auf eine ähnliche Weise. Ich habe auf dem neuen Eels Album, 'Shootenanny' auch ein wenig Geige gespielt." Was ein gutes Stichwort ist, denn auf der neuen Scheibe spielt die Geige - eigentlich Lisas ursprüngliches Hauptinstrument - keine große Rolle mehr. Warum eigentlich nicht. "Weil ich die Geige eigentlich nicht besonders mag", sagt sie und muss selber dabei lachen. Moment mal - wie kann denn das angehen bei einer Künstlerin, die in manchem Karteikästen doch mal zunächst als Geigerin weggeheftet wird? "Nun gelegentlich verwende ich sie ja", räumt Lisa ein, "aber ich bin sie schon ganz schön leid! Ich mag es aber, die Violine so zu verwenden, dass sie nicht wie eine Violine klingt."

Lisa Germano
Lisa Germano als Künstlerin und Musikerin mag zwar zerbrechlich, kontemplativ und sprituell berührend erscheinen - als soziale Komponente der Leistungsgesellschaft steht sie jedoch mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen. Bei unserem ersten Gespräch vor sieben Jahren bestand sie z.B. darauf, die Getränkeflaschen und das Kaffeeservice, die sich im Raum angesammelt hatten, selbst einzusammeln und in die Küche zu tragen, weil sie jahrelang als Kellnerin gearbeitet hatte. Jetzt arbeitete sie zwischen den Projekten in einem Buchladen. Hat sie sich das so ausgesucht? "Nein, das war eher ein Zufall", erklärt sie diesen Umstand, "ich mochte diesen Buchladen und ich wusste, dass wenn ich einen Job annehmen wollte, dann nur da. Ich erwog gerade, mich vorzustellen, um etwa Sachen in Geschenkpapier einzupacken, als mich jemand ansprach und fragte ob ich Lisa sei - was mir normalerweise nicht passiert. Es stellte sich heraus, dass es der Manager des Ladens war, der ein Fan meiner Musik ist und der mir den Job verschaffte." Sind wir denn jetzt wenigstens wieder bei einem regelmäßigen Veröffentlichungsrhythmus angelangt? "Weißt du was seltsam ist? Ich denke gar nicht in Begriffen wie 'Veröffentlichungsrhythmus'", führt Lisa aus, "es ist für mich auch nicht so was wie eine Karriere. Ich tue halt, was ich tue. Ich weiß nicht, ob ich je wieder eine Scheibe herausbringen werde. Ich habe keine Ahnung, was als nächstes passiert." Was für eine Funktion hat denn Musik im Leben der Lisa Germano? "Nun das wichtigste für mich ist zu 'fühlen'. Musik hilft mir dabei, die Stimmung zu verstärken, in der ich mich gerade befinde. Wenn ich zornig bin, höre ich Nirvana. Wenn ich Pasta koche, höre ich mir Opernmusik an. Es ist mir wirklich wichtig, mich von der Welt lösen zu können, in der ich mich gerade befinde. Und Musik hilft mir dabei." Was dabei herauskommt, kann man dann sehen, wenn man sich das Cover der neuen Scheibe anschaut...

Weitere Infos:
www.lisagermano.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Lisa Germano
Aktueller Tonträger:
Lullaby For Liquid Pig
(iMusic/Pias/Zomba)
 

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