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10.09.2004
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SLUT

Kein Pluralis Majestatis

Slut
Wenn man sich in der Vergangenheit ein Konzert von Slut aus Ingolstadt angesehen hatte, würde man im Leben nicht darauf kommen, dass die Band mit dem neuen Album die Parole ausgeben würde, "All We Need Is Silence". Leise ist die Platte beileibe nicht, eher das Gegenteil ist der Fall, doch die Forderung nach weniger Krach in der Welt ist vielmehr als inhaltliches denn als musikalisches Konzept zu verstehen. Doch bevor es um die grundlegenden Dinge der neuen Veröffentlichung und ihrer Entstehung geht, musste zunächst eine wichtige Frage geklärt werden...

...denn im Gästebuch der Band-Website machte das Gerücht die Runde, dass "All We Need Is Silence" die letzte Platte von Slut sein würde. Matthias Neuburger, Schlagzeuger der Band, hat dazu folgendes zu sagen: "Ich glaube, man kann das nicht so für bare Münze nehmen. Es ist so, dass sich das bezogen hat auf die Tatsache, dass wir in einer Entwicklung mit dieser Platte in musikalischer Art an einen Schlusspunkt angekommen sind. Was schon bei der letzten Platte angedeutet wurde, ist jetzt so weit getrieben worden, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, da noch weiterzumachen. Man müsste sich jetzt wieder neu definieren und erfinden. Was uns aber auch schon bisweilen gelungen ist. Es gibt also kein Gespräch von Auflösung und so!" Was auf dem Vorgänger "Nothing Will Go Wrong" angedeutet wurde, war die schon recht deutliche Reduzierung des Instrumentariums und Brimboriums. Auf der neuen Platte wurde dieser Kurs rigoros fortgesetzt, die Keyboards sind vollkommen verschwunden, rudimentärer ist es ausgefallen. "Wir hätten es nicht auf der letzten Platte so machen können, wie wir's jetzt gemacht haben. Ich glaube, ein bisschen trifft dieser Satz zu, dass das die Platte ist, die wir schon sehr lange machen wollten", ergänzt Chris Neuburger, Sänger und Gitarrist. "Beim letzten Mal ging das nicht, weil wir uns erst einmal freischwimmen mussten von dieser 'Lookbook'-Geschichte und nun waren die Türen dafür offen. In dieser Radikalität konnten wir das nur jetzt machen. Dass einfach sich selber zuzutrauen, das wäre beim letzten Mal auch noch nicht gegangen. Wir haben uns einmal zusammengesetzt und beschlossen, dass es einfach anders wird. Es ging eigentlich um die weitere musikalische Vorgehensweise und dabei wurde eben beschlossen, dass, wenn man noch einmal eine Platte machen sollte, dann muss die viel ehrlicher und direkter sein als die vorhergehenden. Und eben auch reduzierter. Dass man einige Instrumente ganz außen vor gelassen hat, die bis dato immer dabei waren. Da kam eben schnell die Sprache auch auf den Inhalt und der hat sich dann eigentlich erschlossen mit gewissen Textzeilen, die dann so die Eckpunkte gebildet haben und in diesem Kosmos hat sich dann alles bewegt."

Slut
Jedem Instrument wurde also ein wichtigere Rolle zuteil, die Verantwortung ist gewachsen. So auch im Falle des Gesangs, der diesmal deutlicher in den Vordergrund tritt - und auch eine Parallele zu einem Stück der ersten Slut-Platte aufweist, nämlich der "Schrei"-Part bei "Wasted" und "Cosmopolite" erinnert an (das immer noch live gespielte) "Cloudy Day" von der ersten Platte "For Exercise And Amusement". Chris: "An damals hat man sich da gar nicht erinnern müssen, um das tun zu können oder tun zu dürfen. Es ging gar nicht anders. Bei dem Lied 'Wasted' stand die Musik fest und relativ schnell auch der Text. Das war beides so furchtbar heftig, also auch für uns zum anhören, dass wir uns gedacht haben, dass muss jetzt sein. Es war mir ein Bedürfnis, um das rund zu machen. Dadurch wird es natürlich dann noch dramatischer und die Tragweite macht mir weiter zu schaffen. Ich kann mir das Lied kaum mehr anhören, weil's so brutal ist. So wie's jetzt ist, stimmt's. Beim zweiten Lied mit Geschrei, 'Cosmopolite', ist es so, dass der Sänger sich am Anfang etwas zurückhalt, aber auch schon recht triftige Sachen zum Vortrag bringt und am Schluss nimmt er einen kleinen Anlauf und dann kommt das noch mal, dann aber in seiner ganzen Breite daher. Ich glaube nicht, dass wir uns gedacht haben: So, wir haben das auf dem ersten Album gemacht, jetzt machen wir's einfach noch mal, sondern der Boden für solche Sachen war jetzt geebnet. Das wär auf der letzten nicht gegangen, es hätte sogar aufgesetzt wirken können."

Chris spricht dabei von "der Stimme" und redet nicht wie eigentlich der Großteil der Musiker vom "Gesang": "Die Stimme ist diesmal viel näher, sie singt viel Ehrlicheres als in der Vergangenheit, und alleine schon deswegen spielt sie diesmal eine wichtigere Rolle." Wenn man dies als "die Stimme" bezeichnet, ist das eher eine Art Alter Ego, wo man sich bestimmte Dinge hinzudichtet oder andere Sachen ausblendet? Chris: "Nein, das geht nicht - ich kann Privates und Berufliches null trennen! Es ist nur anders. Wenn ich jetzt hier z.B. im Interview etwas erzähle, dann klingt das anders, das ist in einer anderen Sprache, wesentlich ausformulierter und wahrscheinlich auch zusammenhängender und logischer, und das, was auf der Platte stattfindet, ist schon genau das Gleiche, bloß auf eine andere Ebene transponiert, die halt der Musik dienlich ist, deswegen auch die englische Sprachwahl, damit man halt eine gewisse Abstraktions-Ebene erreicht und dann auch noch so - wie es auf der neuen Platte ist - recht expressionistische Textfetzen anstelle von Kurzgeschichten oder so etwas bringen kann. Es ist nicht mehr so wie früher, so prosaisch, sondern eher im episch, lyrischen Bereich anzusiedeln, wenn man das mit Literatur vergleichen wollte. Aber das bin schon ganz, ganz ich, und immer, wenn ich das Wort 'wir' wähle statt 'ich' in den Texten, dann meine ich das auch so - kein Pluralis Majestatis! Das ist schon etwas, wo ich nicht nur an mich denke und den anderen aufoktroyiere, sondern ich glaube es recht gut verstehen zu können, mit einer Stimme für fünf Leute sprechen zu können. Darauf haben wir auch abgezielt, dass die Stimme eine größere und wichtigere Rolle spielt - alles richtet sich diesmal auf die Stimme, man erwartet sehr viel von ihr, und deswegen muss sie auch anders singen und andere Inhalt abliefern."

Slut
Für den Slut-Neuling dürfte die neue Platte eher ein Schock darstellen - ist sie doch recht hart und sie kann unter gewissen Umständen auch ziemlich runterziehen. Chris: "Ich finde es auf der einen Seite zwar furchtbar belastend und schwerwiegend, aber es ist nichts resignativ in der klassischen Art und Weise, dass man das Handtuch wirft. Es ist eigentlich eine Positionierung unserer selbst. Ich weiß gar nicht, ob es für die Öffentlichkeit so geeignet ist... [lacht]" Zurückziehen geht nicht mehr, und vor allem würde dann die Welt vielleicht auch nicht über Zeilen wie "If I had the decision I would kill all musicians / we need to set the record straight" stolpern - gibt's eine offene Rechnung zu begleichen? Matthias: "Nein, das nicht... [lacht] Es ist grundsätzlich so, dass alle diese Aussagen, die auf der Platte gemacht werden, weniger Aufrufe zu irgendwelchen Kreuzzügen sind, sondern vielmehr Zustandsbeschreibungen sind. Und zwar beschreiben sie unseren Zustand, uns alle fünf als Persönlichkeiten, wie wir gewisse Dinge betrachten. Bei dieser Zeile ist es so, vor allem in Bezug auf das Wort 'Musiker', dass wir in gewisser Hinsicht, was diesen ganzen Kosmos des Musikmachens und das, was damit einhergeht - TV, Festivals, große Familie, etc. -, dass wir da immer ein Stück weit außen vor waren - zwar unbewusst, aber das ist uns aufgefallen, dass es eigentlich von Anfang an so war, dass wir uns da nie so richtig einfügen konnten und uns auch nie so 100%ig wohl gefühlt haben. Insofern ist dieser Satz auch so zu verstehen, also nicht als aggressiver Aufruf, Musiker zu ermorden, sondern vielmehr als Eingeständnis. Oder eben als reine Zustandsbeschreibung, dass es uns so ergeht." - Chris: "Vielleicht ist das besser verständlich nicht nur in dem Kontext Musik und das, was damit verbunden ist, sondern allgemeiner formuliert ist der Satz 'We're strangers in a stranger's land' die Zustandsbeschreinung Nummer eins auf der Platte, dass man sich immer auf feindlichem Terrain wähnt, egal was man macht." Wenigstens fühlen sich Slut auf der Bühne sehr wohl und werden "All We Need Is Silence" ab Oktober live präsentieren - und garantiert nicht leise.

Weitere Infos:
www.slut-music.com
www.slut-fanclub.de
www.slut.de.tf
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
Slut
Aktueller Tonträger:
All We Need Is Silence
(Virgin/EMI)
 

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