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01.10.2004
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LOCAS IN LOVE

Die grenzenlos dichtenden Bären

Locas In Love
Für Gaesteliste.de-Leser sind die Locas In Love natürlich bereits so etwas wie alte Bekannte. Bereits des Öfteren berichteten wir über die junge Band mit Sitz in Köln, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, amerikanisch angehauchte Gitarren-Musik mit deutschen Inhalten zu kombinieren, und die ihre Fähigkeiten auf Konzerten mit u.a. Friends Of Dean Martinez, The Singles, The Jayhawks, Tillman Rossmy oder Nikki Sudden unter Beweis stellte - die aber dann doch ziemlich lange für die erste Scheibe brauchte. Für alle anderen dürfte die offizielle Debüt-CD "What Matters Is The Poem" deshalb der erste Kontakt mit den verrückten Liebenden sein (diverse Singles und EPs jetzt mal generös außer Acht lassend). Warum eigentlich wählt eine Band, die ganz überwiegend in Deutsch singt, ausgerechnet einen englischen CD-Titel, um sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren? Das möchten uns Björn Sonnenberg, Stefanie Schrank und Jan Niklas Jansen (Drummer Maurizio Arca kam erst kürzlich hinzu und rundete letztlich das Line-Up ab) bitte einmal erklären.

Das beste Argument hat Björn, der auch die Songs schreibt und der, wie die anderen, von dieser Frage eher überrascht ist: "Was ist denn mit U2s 'Achtung Baby'?", fragt er zurück. Was natürlich unfair ist, denn zu dem Zeitpunkt, zu dem U2 diese Scheibe herausbrachten, waren sie ja bereits internationale Superstars. Werden denn potentielle Käufer angesichts einer Debüt-CD mit englischem Titel, die dann ausschließlich deutsche Texte enthält, nicht eher in die Irre geführt und verwirrt? "Was ist denn verwirrend?", fragt Björn, "ich sehe die Irre nicht so. Wenn du Tocotronics 'This Boy Is Tocotronic' in die Hand nimmst, fühlst du dich dann in die Irre geleitet? Ist das was Schlechtes?" - "Also, ich habe das noch nie als Grenze gesehen", wirft Niklas ein, "oder als Sache die mich verwirrt. Ich fand es auch immer gut, wenn englische Bands spanische Namen haben." - "Vielleicht interessiert es uns auch gar nicht so sehr, dass wir zuzuordnen sind wie andere Bands", überlegt Björn, "ich könnte mir auch vorstellen, dass diese Scheibe in allen anderen Ländern der Welt und in allen anderen Sprachen herauskommt und genauso funktioniert." - "Ich glaube es ist auch so, dass wir uns von amerikanischen und englischen Bands musikalisch beeinflusst sehen", sagt Niklas. "Wir haben uns für den Titel entschieden, der ja auch der Titel eines Songs war, weil es so umfassend war", erklärt Steffi, "für uns war das in dem Moment der perfekte Titel für die CD." Der besagte Track ist ein kleiner, als Bonustrack enthaltener Rausschmeißer, der in etwas über einer Minute die inhaltliche Essenz der Scheibe beinhaltet, bei dem der Text "alles wieder" gibt, was die Band ausmacht, wie Niklas erklärt. Okay - das sollte den Titel zumindest hinreichend rechtfertigen.

Locas In Love
Kommen wir mal zu den Texten. Hier fällt auf, dass Björn - zumindest großteils - auf typische, naheliegende, griffige Reime verzichtet. "Also das könnte ich ganz leicht widerlegen", meint Björn. Ja, mit einem Gegenbeispiel - es hieß aber "großteils"! "Also wenn dich das interessiert: Ich habe bei vielen Begriffen, die sich nicht reimen, das Gefühl, dass sie etwas ähnliches tun", erläutert Björn, "es geht ja bei Reimen darum, dass man Sprache in einen bestimmten Rhythmus zwingt, der leichter einzuhalten ist, indem man dem ganzen die Reimstruktur überstülpt. Ich glaube nun daran, dass ich - an den Stellen, an denen ich den Reim verlasse - ich aber immer noch im Rhythmus meiner Sprache bleibe. Es interessiert mich nicht so sehr, Vierzeiler in Form von Geburtstagsgrüßen zu schreiben. Es gibt ja auch andere Möglichkeiten eine Sprache zu finden, die in sich viel Bewegung und Energie und Rhythmus hat. Ich glaube sogar, dass sich Worte, die sich formal nicht reimen, in der Bedeutung dann doch wieder reimen - indem man sie auf eine bestimmte Weise phrasiert. Nimm z.B. die Zeile 'ich bin krank geworden - vielleicht muss ich sterben' aus 'In My Life' - das ist kein wirklicher Reim, aber fast einer. So etwas meine ich." Björn zögert und fügt dann grinsend hinzu: "Ich glaube, ich schreibe einfach so gut, dass ich's nicht nötig habe, überall zu reimen." Alle lachen herzlich und wir gehen mal davon aus, dass das nicht ganz ernst gemeint ist. (Wir reden ja hier nicht mir Travis, Ocean Color Scene oder Embrace) "Es bietet sich halt nicht immer an", kehrt Björn auf seriöse Art zum Thema zurück, "manchmal ist es nämlich einfach so, dass die Texte einfach so aus der Hand herauslaufen." Wenn die Texte also so fließen, gibt's dann auch schon Musik dazu? "In meinem Kopf ja", meint Björn, "während ich einen Text schreibe, dann singt sich das auch gleich dazu... Ich muss aber dazu sagen, dass es für mich - und die anderen wahrscheinlich auch - schwer ist zu sagen, dass ich etwas so und so geschrieben habe, um dann folgenden Effekt zu erzielen. Bei diesen Fragen geht es immer um Grenzen - Metrum, Rhythmus oder Sprache. Ich habe aber bei der Band, so wir jetzt sind, das Gefühl, noch keine Grenzen zu haben. D.h.: Wir sind noch weit davon entfernt, an unsere Grenzen zu stoßen. Wir sind noch nicht am Ende unserer Leistungsfähigkeit und unserer Entwicklung, sondern wir befinden uns in einer Ausprobierphase, in der man nach verschiedenen Möglichkeiten sucht, aber immer noch das Gefühl hat, dass alles möglich ist." Gut, lassen wir das also mal: Die neue Scheibe klingt so gut, dass man kaum glauben mag, dass diese in zig Studios - von denen die meisten bloß Wohnzimmer waren - eingespielt wurde. Besonders, wenn man die Tradition der Band kennt, auch gerne mal mit verstimmten Gitarren zu spielen. "Siehst du, das war ein weiteres Experiment", sagt Björn. "Der Punkt war schon, dass wir sehr genau wussten, wie die Stücke klingen sollten", beschreibt Niklas, "und dass wir wussten, wie wir die Stücke spielen wollten und sie teilweise auch schon mal aufgenommen hatten, so dass wir auch wussten, wie die Stücke zusammen klingen sollten. Und was wichtig ist, dass das Schlagzeug, was den Sound ja sehr bestimmt, komplett an einem Ort, im Propeller-Studio am Eigelstein aufgenommen wurde. Beim Rest war es dann eben so, dass wir es da aufnahmen, wo sich das gerade anbot." Was heißt denn "schon mal aufgenommen"? "Wir haben einige der Tracks schon mal in einem klassischen 'Star-Search' Studio eingespielt", verrät Niklas, "wo auch tatsächlich diese Leute herumliefen - Juliette oder wie die alle heißen. Da haben wir aber sehr schnell gemerkt, dass diese Sachen in jeder Hinsicht falsch klangen." Was ja nicht weiter verwunderlich ist, da sich amerikanische Schrammelmusik und Dieter Bohlen Ästhetik ja eher beißen. Welchen Einfluss am Sound hat denn der neue Bass? "Der neue Bass?", meint Bassistin Steffi verwundert. "Ich habe zwar ziemlich viele verschiedene Bässe gespielt, weil ich meinen schönen halbakustischen Bass nicht mehr spielen kann, da ich ihn erstens schonen will und zweitens der Hals verdreht ist. Ich glaube aber nicht, dass einen großen Anteil am Sound hat." Das ist vielleicht ein Missverständnis. Was gemeint war, ist dass das Bass-Spiel auf der Scheibe sehr viel organischer und lebhafter klingt, als früher im Live-Kontext, wo eben häufig mit dem besagten, spröde klingenden "Trabant-Bass" hantiert wurde. Dies fällt insbesondere bei lebhafteren Stücken, wie zum Beispiel dem Surf-Instrumental "Lemmy Caution" auf. Warum steht das denn eigentlich nicht am Anfang der Scheibe? "Das hat uns der Kollege Wohlfeld auch gefragt. Habt ihr euch abgesprochen?", meint Björn, "der Grund ist ganz einfach. Ich wollte einen 'Hit', der als typisches Locas-Stück auch so eine Schnittmenge der anderen Stücke bildet - 'In My Life' - am Anfang des ersten Albums der Band steht, damit man nicht einen falschen Eindruck erhält und die Scheibe vielleicht gar für eine Surf-Scheibe hält oder umgekehrt nicht von einem Surf-Song fälschlich verprellt wird. Es geht um Erwartungshaltungen." - "Und 'Lemmy Caution' ist ja auch am Anfang der zweiten LP-Seite", wirft Steffi ein. "Und 'In My Life' bildet mit 'Out Hearts In The Real World' - was ja übrigens beides englische Titel sind - einen schönen Rahmen für das Album", setzt Niklas nach.

Locas In Love
Gutes Stichwort: "Our Hearts In The Real World" ist ein eher untypisches Locas-Stück. Es ist sehr lang, hat nur eine vergleichsweise flache Struktur, bietet aber viel Raum, Atmosphäre und ein wenig Krach. Was hat es denn damit auf sich? "Ist das wirklich untypisch?", fragt Björn erkennbar rhetorisch. "Es ist ja so, dass wir unsere Konzerte gerne mal mit langen Stücken oder Krachorgien wie z.B. Lou Reeds 'Waves Of Fear' aufhören", erläutert Niklas, "an sich haben wir immer schon ein großes Vergnügen daran gehabt, die Dinge in einem großen Gewitter enden zu lassen." Hat sich Björn denn im Studio - wie auf der Bühne - dabei auf dem Boden gewälzt? "Natürlich", meint Björn, "ich habe die Scheibe großteils im Liegen eingespielt. Nein, mal ernsthaft: Ich habe das Stück - jedenfalls den Teil mit Text - mal Nachts in drei Minuten eingespielt. Als wir dann das Stück zum ersten Mal gespielt haben, hat sich von ganz alleine dieser Krach-Mittelteil ergeben, weil eben allen klar war, dass es nicht anders gespielt werden kann. Es ist ja in einer Band manchmal so, dass so etwas im Raum ist und man das spürt. Na ja, wir haben eben alle Vergnügen an Geräuschen..." - "Das bedeutet, dass wir hier keinen Rocksong machen wollten, sondern eher so was wie My Bloody Valentine", führt Niklas aus, "es geht nicht darum, dem Hörer eine Ohrfeige zu verpassen, sondern eben darum, aus Krach die Schönheit von Geräuschen herauszuschälen." Warum schaut der Eisbär auf dem Cover so böse drein? "Der guckt nicht böse!", meint Steffi, die bei den Locas für die bildliche Kunst zuständig ist, empathisch, "wir sind alle irgendwie Bärenfans und dann war irgendwann klar, dass ein Bär auf's Cover sollte. Ich habe ein Bärenbuch geschenkt bekommen, in dem ich gelesen habe, dass die Bären zum Beispiel gar kein Mienenspiel haben, wenn die jemanden angreifen. Man kann das also nicht am Gesichtsausdruck erkennen. Der Bär auf dem Cover will auch gar nicht soviel sagen - vielleicht das, was jeder von ihm hören will? Es geht ja auch um Form und Farbe bei dem Cover. Ich wollte ein Cover malen, das mir selber gefallen würde. Oft ist es nämlich so, dass ich in eine CD mal reinhöre, weil mir das Cover gefällt und oft ist es ja dann auch so, dass sie gut ist." Okay: Nun ist also endlich die erste, echte Locas In Love-Scheibe da, mit der man sich positionieren kann. Wie geht es denn nun weiter? "Was die Positionierung betrifft, ist es uns wichtig, nicht mit deutschen Bands verglichen zu werden", meint Niklas, "weil das für uns für die Entwicklung der Musik keine Rolle spielt. Wir haben jetzt eine Mail bekommen, wo die Platte mit Pavement, Sonic Youth oder den frühen Cure verglichen wird. Da haben wir viel eher das Gefühl, dass es Sinn macht." - "Wir haben ja auch bestimmt mit 20 verschiedenen amerikanischen Bands gespielt", ergänzt Björn, "es ist auch geplant, eine englische Version dieser Scheibe aufzunehmen... Wir spielen auch mit dem Gedanken, eine instrumentelle Surf-Musik Scheibe aufzunehmen - vielleicht eine EP, weil das eine ganz andere Art von Songwriting bedeutet, weil es ja keine Texte gibt, sondern du mit musikalischen Themen arbeiten musst. Wie gesagt, anders als in anderen Bands, in denen ich vorher war - wie z.B. Unser kleiner Dackel - ist die Entwicklung bei den Locas noch lange nicht zu Ende. Wir haben im Moment das Gefühl, dass wir jede Band sein können, die wir wollen." Da man ohne große Anstrengung eh kein besseres Schlusswort kreieren könnte, lassen wir das mal so im Raume stehen und empfehlen jedem, der das noch nicht getan hat, die Locas auf der nächsten Tour ihres Vertrauens einmal auszuchecken.

Weitere Infos:
www.locasinlove.de
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe / Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
What Matters Is The Poem
(Hobby DeLuxe/Indigo)
 

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