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11.03.2005
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KETTCAR

Spannende Zeiten

Kettcar
Kettcar sind zweifelsohne ein Phänomen - und sie sind da, wo sie schlicht hingehören: Überall. Das war in der Woche der Veröffentlichung der zweiten Platte "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen" sogar den ARD Tagesthemen einen Bericht wert. Aber warum auch nicht - die Musik von Marcus Wiebusch, Lars Wiebusch, Reimer Bustorff, Erik Langer und Frank Tirado Rosales vergoldet jede Sekunde, sei es im TV, im Club oder schlicht in den eigenen vier Wänden. "Ja, wir haben einen Lauf, wie man so schön sagt. Es läuft sogar unfassbar gut. Die Medien lieben uns, die Leute lieben uns, wir verkaufen für Independent-Verhältnisse sehr viele Platten - es läuft einfach sehr gut." Das waren die Worte von Marcus Wiebusch, als wir ihn zur ersten Platte, "Du und wieviel von deinen Freunden", befragten - und diese Aussage gilt heutzutage mehr denn je. Grund genug, da nochmal bei der Band nachzufragen.

"Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen" ist eine Platte geworden, die vor allem die Erwartungen der Band selbst komplett erfüllt hat, wie Reimer uns bestätigt: "Man hat ja da auch so eigene Ansprüche, dass es vor allem rund wird. Bevor wir ins Studio gegangen sind, sind wir für neun Tage aufs Land gefahren und haben die Stücke vorproduziert, und da war das alles halt noch ein bisschen kantig und dann hofft man natürlich, dass das noch rund wird, und das wurde es dann letztendlich auch." Erik fügt hinzu: "Es hat aber auch schon einen großen Unterschied im Vergleich zur ersten Platte gegeben - alleine schon aus dem Grund, dass wir als Band viel mehr zusammengewachsen sind und viel mehr Vertrauen ineinander haben, natürlich auch musikalisch; es wurde innerhalb der Band viel mehr kommuniziert - das war schon eine große Veränderung." - "Es haben sich alle auch viel mehr eingebracht - das war bei der ersten Platte natürlich noch nicht möglich, weil ja die ersten Songs bereits entstanden sind bevor Kettcar überhaupt gegründet wurde - und ich finde, das hört man auch. Im Gegensatz zum ersten Album ist das alles schon vielschichtiger geworden." Dieser Eindruck wird durch den Einsatz von echtem Klavier und Streichern verstärkt, allerdings wirkt dies alles nicht überladen, sondern einfach so, wie es der einzelne Song gefordert und letztendlich auch bekommen hat. Das erste Album ist bekanntlich unter recht schwierigen Umständen entstanden (lange Entstehungszeit, hohe Kosten durch Eigenfinanzierung, Gründung des Labels Grand Hotel van Cleef, etc.), der Erfolg aber bewies, dass die Band alles richtig gemacht hatte. Hatte man bei der zweiten Platte als, ähem, Konsensband also fast Narrenfreiheit? Reimer: "Hm, schwierig... Also, dass wir so alle Freiheiten haben, das war uns schon immer bewusst, diesen Weg haben wir ja auch gewählt. Diese Labelgründung kam ja dann auch so zustande, dass uns niemand haben wollte. Aber uns ist natürlich schon immer bewusst, dass da niemand ist, der uns gängelt oder uns sagt, wo es langgeht. Ein gewisser Erfolgsdruck war schon da, ganz sicherlich. Den hat man dann natürlich, und man weiß ja, dass da draußen so viele Leute sind, die das erste Album super fanden und natürlich will man da anknüpfen. Aber das ist natürlich auch wieder so ein eigener Anspruch, den man an sich selbst hat." - "Wir überlegen ja auch nicht wirklich so 'Oh, das können wir nicht machen, das verstehen die Leute nicht, das finden die bestimmt nicht gut.' - wir haben uns ja auch schon beim ersten Album ein paar Sachen getraut, gerade so in Richtung Pop, und auf dem neuen Album gibt es auch einige Sachen, bei denen wir uns so ein bisschen zum Fenster hinauslehnen - jedenfalls für unsere Begriffe. Also z.B. so Beach Boys-Choräle, oder auch diesen kleinen Kinder-Chor, den wir uns zusammengestellt haben - sicher hat es das alles schon gegeben, aber das sind so Sachen, wo wir so ein wenig unser Terrain verlassen und es für uns selbst auch ein wenig spannender werden lässt."

Spannend waren sicherlich auch die ersten Berichte in Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - viele weitere Artikel folgten, und von Kettcar war fast überall die Rede. Erik: "Ich glaube, es ist schon etwas Besonderes, weil das ja ein ganz anderer Kulturkreis ist - ich sage jetzt aber nicht Hochkultur oder so etwas... Aber da sind wir auch wieder beim Wort 'spannend' - dass die überhaupt auf uns aufmerksam geworden sind und dass es auch in 'diesen' Kreisen Leute gibt, die etwas damit anfangen können, das ist schon irgendwie cool, eben weil es nicht unbedingt unsere Szene ist. Es ist zwar jetzt nicht so besonders, dass wir das anstreben und uns das überglücklich macht..." - "Ach, wir freuen uns da schon ein Loch in den Bauch, wenn wir da z.B. in der Süddeutschen sind!" Aber so einen Gedanken nach dem Motto "Wir müssen jetzt etwas Tolles abliefern, sonst hagelt es Kritik aus den Feuilletons!" gibt es dann doch nicht, oder?!? Reimer: "Ich glaube, das könnten wir auch gar nicht! So etwas bewusst anzustreben, da gehört ja dann richtig Gehirn zu..." - "So reflektiert sind wir dann auch nicht..." - "Stimmt, ich glaube, da sind wir sogar zu doof für - wir wüssten gar nicht, wie wir das anstellen sollten... Ich glaube, so etwas ist richtig schwer - es ist einfach, in die Bravo zu kommen mit irgendwas, aber sich zum Ziel zu machen 'Ich will die Feuilletons haben!', das stelle ich mir richtig schwer vor." "Diesen" Medien dürfte auch vor allem die Tatsache gefallen haben, dass Text und Musik eine Einheit bilden, dass alles rund klingt und auch noch in den Texten viele interessante Dinge passieren. Reimer: "Da liegt auch einfach Erfahrung zugrunde - Marcus schreibt deutsche Texte und Musik seit er 16 ist, das ist einfach auch ein bisschen Handwerk, auch wenn es sich eher banal anhört. Dann hat man Erfahrung und bestimmte Kniffe drauf, und dann kann man bestimmte Probleme einfach lösen. Aber natürlich funktioniert das nicht immer - ich habe zuhause viele unfertige Stücke, bei denen ich einfach nicht weiterkomme. Entweder lasse ich es dann sein, weil ich einfach keinen Bock mehr habe, daran weiterzuarbeiten, oder ich gebe es auch an andere ab. Es ist auch immer eine Gratwanderung, zu wissen, ob etwas peinlich ist oder nicht - das wissen wir ja auch, dass in der deutschen Sprache man gewisse Sachen formulieren kann und dann hat man gleich einen Klos im Hals, und es gibt einfach auch Sachen, die gehen uns nicht über die Lippen - da merkt man halt selbst, dass man das nicht machen kann und man lässt es. Oder man formuliert es so um, dass es passt." - "Marcus hat z.B. auch noch im Studio einige Texte geschrieben - die zweite Strophe von 'Einer' gab es z.B. noch gar nicht, und da hat er sich wirklich die Zähne dran ausgebissen, solche Plattitüden dort hineinzubringen. Er hatte da u.a. ursprünglich solche Sachen wie 'Fix & Foxi - Tschüssikowski'. Er hatte da auch so ein Ziel verfolgt, er wollte auch, dass es scheiße klingt, aber so etwas ging dann einfach nicht. Das war nicht cool-scheiße, sondern einfach total daneben..."

Kettcar
Eine andere Angelegenheit, um die sich die Band - zumindest teilweise - kümmern muss, ist das Label Grand Hotel van Cleef, auf dem neben Kettcar auch noch andere großartige Bands wie Tomte, Marr, Bernd Begemann und Olli Schulz veröffenlicht werden. Reimer: "Es ist natürlich weniger Zeit übrig als es vorher war. Wenn man den ganzen Tag Stress und Nervkram zu erledigen hatte, und sich dann abends noch hinsetzen soll, etwas musikalisches zu machen, das fällt oft auch einfach flach, weil man einfach keinen Bock mehr hat - da will man einfach nur noch seine Ruhe haben. Aber man muss es lernen, Marcus hat es besser und schneller hingekriegt als ich, aber bei mir wird es inzwischen auch schon besser. Man muss ja auch wirklich loslassen - jetzt ist Feierabend, jetzt denke ich nicht mehr darüber nach, aber das schafft man nicht einfach mal eben so. Da schwirren einem immer wieder Dinge im Kopf herum, die man morgen unbedingt noch machen muss... Marcus hat das sehr, sehr gut hingekriegt, wahrscheinlich auch aus dem Grund, weil er ja inzwischen Nachwuchs hat und sich eben auch um seine Familie kümmert..." Eine Erfahrung, die die Band sicherlich auch teilweise machen musste, ist, dass trotz offensichtlicher Unterschiede einige Medien versucht haben bzw. versuchen werden, Kettcar mit in die Deutschpop-Hype-Schublade zu stecken. Reimer: "Ich glaube, es gibt viele Leute, die wissen gar nicht, dass wir ein erstes Album haben, und die denken dann 'Och, jetzt kommen die auch noch und machen auch noch so'n Quatsch!' Ach, wir wissen es selber besser, und ich glaube, dass wir uns musikalisch und textlich genug abgrenzen von Silbermond, Juli und wie sie alle heißen, halt Bands, die es gibt, weil Wir sind Helden erfolgreich sind. Das sehe ich zumindest so, und da steckt auch immer ein Konzept dahinter - eine Frau vorne, dahinter drei Typen... Das ist schon merkwürdig. Aber das sollen die ruhig machen, damit habe ich kein Problem..." - "Ich habe den Eindruck, dass sich das mit uns auch gar nicht großartig überschneidet - vor allem bei den Konzerten, da gibt es glaube ich nur eine ganz verschwindend kleine Schnittmenge, die sowohl bei uns als auch bei den anderen genannten Bands zu sehen ist. Und ehrlich gesagt kann ich die Bands auch gar nicht auseinander halten und beschäftige mich nicht damit, das geht ziemlich an mir vorbei. Ich wäre nicht beleidigt, wenn die das über uns auch sagen würden, kein Thema. Das ist irgendwie schon eine andere Welt. Wenn wir in den gleichen Topf geworfen werden, dann eigentlich auch nur von den Medien..." - "Ja, aber auch wahrscheinlich nur von denen, die eher weniger Ahnung haben. Wenn du da z.B. in diesem Bahn-Magazin stehst, kann das sehr schnell passieren. Auch sehr toll war dort neulich der Tocotronic-Artikel, wo Nirvana mit drei 'r' und 'w' geschrieben wurde...herzlichen Glückwunsch! Wenn man schon so einen Artikel dort schreibt, dann doch bitte richtig..." Mit der Hoffnung, keine Fehler in diesen Artikel eingebaut zu haben, wollen wir noch abschließend das Album "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen" allen Menschen herzlich empfehlen.

Weitere Infos:
www.kettcar.net
www.indigo.de/unser_programm/2822/
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
Kettcar
Aktueller Tonträger:
Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen
(Grand Hotel van Cleef/Indigo)
 

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