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27.04.2005
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TEGAN AND SARA

Verkaufte Herzen

Tegan And Sara
Doch, doch, es stimmt schon: Die musizierenden kanadischen Zwillingsschwestern Tegan And Sara haben mit Erscheinen ihrer neuen, dritten CD "So Jealous" ihre Herzen verkauft. Allerdings hat das weniger einen romantischen Hintergrund, sondern eher einen künstlerischen, wie uns Sara, die eher ruhigere der beiden Schwestern erzählt, die an diesem Tag aber enorm gesprächig ist. Alles begann mit dem Cover-Motiv, das einen Haufen ausgeschnittener roter Filzherzen zeigt. "Also, ich und der Designer, der uns auch bei der Website hilft, suchten nach einem Motiv, das ein wenig dreidimensional, greifbar aussehen sollte - jedenfalls nicht flach. Und wir hatten diese verschiedenen Materialien ausprobiert, aus denen wir Formen und Buchstaben ausschnitten, um eine Collage zu machen. Schließlich häuften wir diese Herzen übereinander und scannten das Bild in den Computer ein. Das war zwar eher Zufall aber ich fühlte sofort, dass es das richtige war. Es sah cool aus und obendrein so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Man kann sich auch alles mögliche darunter vorstellen und es passte irgendwie zur Musik. Damit hatten wir also das Cover. Aus dieses Motiv erstellten wir dann ein Backdrop für unsere Live-Shows. Was dann passierte, war, dass die Fans nach der Show zu uns kamen, und uns fragten, ob sie diese Herzen kaufen konnten. Zunächst hatten wir nämlich die Preise der T-Shirts am Merchandise-Tisch auf solche Herzen geschrieben. Als das klar war, beschlossen wir, mehr von diesen Herzen herzustellen und zu verkaufen und den Erlös an wohltätige Organisationen zu spenden. Wir suchten uns Gruppen mit unterstützungswürdigen Anliegen aus, die weniger bekannt sind (eine, Twelve Months, die sich mittels des Verkaufs von Kalendern um bestimmte politische Gefangene in den USA (!) kümmert und eine andere, das Midwinter Harvest Food-Programm, das adäquate Nahrungsmittel für Ureinwohner herstellt) und wir sammelten immerhin 2000 Dollar ein - was nicht schlecht ist, wenn man bedenkt, dass wir die Herzen für 50 Cents anboten. Ich denke, dass dies eine gute Möglichkeit war, ein wenig Öffentlichkeit für solche Gruppen herzustellen und gleichzeitig ein wenig Geld sammeln zu können."

Was Sara damit natürlich indirekt auch ausdrückt, ist der Umstand, dass sie und ihre Schwester mittlerweile in Kanada zu den Top-Acts gehören - 4000 verkaufte Herzen kann man schließlich nicht wegdiskutieren. Was war denn das Hauptanliegen der neuen Scheibe? Wenn man sich die neuen Tracks anhört, fällt z.B. auf, dass diese mit relativ wenig Text auskommen, der dann auch noch sloganartig wiederholt wird. "Wir wollten auf dieser Scheibe auch 'einfach' sein", führt Sara weiter aus, "wir wollten so etwas wie eine Soundlandschaft mit einem großen Gefühl erschaffen." Ihre Schwester Tegan hatte uns bereits anlässlich der ersten Scheibe, "This Business Of Art", die im Vergleich zu "So Jealous" sehr, sehr wortreich ist, angedeutet, dass sie und ihre Schwester in diese simplere Richtung strebten. "Definitiv", pflichtet Sara bei, "wenn du jung bist, hast du eine Menge zu erzählen. Wenn du älter bist, hast du vielleicht immer noch was zu erzählen, aber dann hast du auch herausgefunden, wie du das auf eine effiziente Art tun kannst, auf einfachere Art. Wenn du Bruce Springsteen nimmst, dann kannst du das nachvollziehen. Er hat in den 70ern begonnen und ist heute auch noch relevant. Vielleicht wird unsere nächste Scheibe ja auch wieder ein wenig wortreicher, es stimmt schon, dass wir dieses Mal sehr wenige Worte verwendet haben - es brauchte halt nicht mehr." Eine weitere Sache, die kennzeichnend für die neue Scheibe ist, ist der Umstand, dass die Scheibe einen recht kohärenten Sound hat - obwohl Tegan und Sara für gewöhnlich recht unterschiedliche Songs schreiben und auch keineswegs zusammen wohnen (sondern an entgegengesetzten Enden Kanadas). "Das liegt zum einen daran, dass wir mit einer festen Band spielen", überlegt Sara, "es ist aber so, dass - als wir uns zum ersten Mal die zugrundeliegenden Demos anhörten, wir schon darüber diskutierten, wie man aus dem Material überhaupt etwas zusammenhängendes hinbekommen könnte. Wir schrieben nämlich nicht bloß unterschiedliche Songs, sondern verwendeten sogar unterschiedliche Instrumente. Ich hatte zum Beispiel nur akustische Gitarre und eine Orgel verwendet. Tegan hatte auch elektrische Gitarren und einen Drumcomputer. Ihre Songs klangen poppig und straight und meine seltsam und psychedelisch - fast wie Peter Gabriel. Mir war überhaupt nicht klar, wie wir das zusammenbringen sollten. Wir konnten ja schließlich nicht wie Outcast zwei vollkommen unterschiedliche Scheiben rausbringen. Wir haben dann also - zusammen mit der Band - daran gearbeitet, das alles zusammenzuführen. Also haben wir meine Songs auf Linie gebracht und Tegans Songs ein wenig aufgemischt. Was aber übrigens nicht heißt, dass wir in Zukunft diese Unterschiedlichkeit nicht vielleicht sogar ein wenig weiter erforschen wollen."

Tegan And Sara
Und wie war die angesprochene Band involviert? Wenn schon ausgearbeitete Demos vorlagen, gab es doch nicht mehr so viel zu tun, oder? "Nun, wir haben alle immer auf dem Laufenden gehalten", meint Sara, "es ist interessant, denn als wir anfingen zu üben, stellte es sich heraus, dass Rob, unser Drummer, der ein wenig störrisch ist, nicht das spielte, was wir uns vorgestellt hatten. Der spielte alles ziemlich straight - viel zu wenig dynamisch. Ich bat ihn dann, die Demos mit nach Hause zu nehmen und dazu zu spielen. Da hat er sich zunächst gesträubt und fand das auch frustrierend, denn es ist ja nicht das selbe wie mit der Band zu spielen. Aber indem er das so besser analysieren konnte, waren die Ergebnisse im Studio - besonders bei Songs wie 'I know, I Know, I Know', 'Fix You Up', oder 'Where Did The Good Go' genau richtig. Das waren nämlich die Stücke gewesen, die vorher problematisch waren." Das hört sich ja so an, als sei die Scheibe mehr im Patchwork-Verfahren aufgenommen worden, was ein bisschen der spontanen Punk-Attitüde der Mädels entspricht. "Nun wir mögen schon rauhe Tracks", erklärt Sara, "und wir versuchen auch immer zu verwenden, was wir zusammen einspielen, Manchmal klappt das auch. Dann muss man aber Overdubs machen. Und dann haben wir schließlich auch so viele Spuren wie möglich eingespielt, um dann wieder eine gewisse Auswahl zu haben. Schließlich kam noch Matt Sharp von Weezer und den Rentals dazu und spielte ein paar coole Keyboard-Tracks ein. Das fanden wir wieder inspirierend und dann ging es wieder weiter. Es war ein Prozess, der sich über drei Monate hinzog. Und ja. Es war ein Patchwork-Prozess, das ließ sich nicht verhindern." Was war denn daran das Schwierigste? "Ich finde immer das Mischen am Schwierigsten, weil man alles, was man hat, miteinander in Einklang bringen muss. Und manchmal muss man erst im Mix festlegen, in welche Richtung ein Song überhaupt gehen soll. Du hörst dir ein Stück 60 Mal am Tag an und weißt nachher gar nicht mehr, wo dir der Kopf steht. Und dennoch musst du irgendwann entscheiden, wie etwas sein soll. Das ist nervenzerfetzend. Es ist, wie ein Finish auf ein Gemälde aufzutragen. Es ist ein Glück, dass wir da Produzenten haben. Die sind so etwas wie Schnittmeister für uns. Sie können uns immer Hilfestellung und Hinweise geben, auf Dinge, die uns durchgehen - eine Betonung hier, eine Harmonie da - oder sie können uns sagen, welche Mikros wir verwenden sollten oder so etwas. Es war zwar verrückt, weil dann manchmal so viele verschiedene Meinungen da sind - zu viele Köche, du weißt schon - aber dann mussten Tegan und ich halt entscheiden, was gemacht wird."

Tegan And Sara
Was hat es denn mit den Keyboards auf sich, die einen ziemlichen 80s Touch verbreiten? "Nun, ich hatte ja vorher mit dieser Orgel herumgespielt, die zwar diesen coolen Vintage-Sound hatte, die wir aber bei den Aufnahmen nicht verwenden konnten, weil sie nicht richtig gestimmt war. Matt Sharp hat dann bestimmte Keyboards, die er gerne verwendet, und das waren dann halt so 80er Jahre Dinger. Wir haben aber gar nicht nach einem 80s Sound gesucht. Ganz im Gegenteil, das wollten wir gar nicht. Bei einigen Songs wie 'I Know, I Know, I Know' stellten sie sich dann doch als essentiell heraus. Es war aber zunächst mal eine impulsive Entscheidung überhaupt mit Keyboards zu arbeiten, die sich dann aber als richtig herausstellte. Wir haben aber zu keiner Zeit darüber großartig nachgedacht. Wir wissen ja, wer wir sind und mussten uns da gar nicht fragen, ob wir etwa plötzlich zu einer Retro-80s Band geworden sind." Was ist denn Saras Meinung nach die größte Errungenschaft der neuen Scheibe - besonders im Vergleich zu den anderen? "Nun ich denke, dass dies eine starke Scheibe für uns war", überlegt sie, "wir haben uns dieses Mal ziemlich selbstsicher gefühlt, als wir ins Studio gingen. Es ist lustig: Wenn du mich gefragt hättest, welches generell unsere größte Errungenschaft sei, dann hätte ich geantwortet, dass es diese Scheibe ist! Wir spielen nun offiziell seit sechs Jahren professionell Musik - mit allem was dazu gehört. Wir sind nun an einem Punkt angekommen - unabhängig von unserem kommerziellen Erfolg, der Presse und ähnlichem - an dem wir uns richtig wohl fühlen. Wir können und wollen die Musik machen, die wir selber mögen und machen möchten, und die auch unsere Fans mögen. Wir sind glücklich, dass die Leute, mit denen wir seit wir 18 sind zusammen sind, die neue Scheibe mögen. Und das ist es, was uns wichtig ist - dass wir uns glücklich mit dem fühlen, was wir machen." Bleibt denn da noch ein musikalischer Traum, der realisiert werden müßte? "Weißt du, wir setzen uns immer Ziele, wenn wir eine neue Scheibe machen", meint Sara, "uns ist schon klar, dass wir sehr viel Glück haben, das tun zu können, was wir möchten. Wir verkaufen ein paar Scheiben und können davon ziemlich gut leben. Ich denke jedenfalls nie an das Geld, bei dem was ich tue. [Es gibt einen Song namens "We Didn't Do It For The Money".] Deswegen würde ich sagen, dass mein Traum wäre, in meinem Leben zumindest noch zehn Scheiben machen zu können. Das wäre ein schönes Ziel."

Weitere Infos:
www.teganandsara.com
teganandsara.net
www.teganandsara.org
tee_and_ess.tripod.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Tegan And Sara
Aktueller Tonträger:
So Jealous
(Sanctuary/Rough Trade)
 

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