Ein modernes Märchen
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Zuerst die Fakten: "Lookaftering" heißt das wundervolle Album, das Vashti Bunyan dieser Tage veröffentlicht und über das Ullrich Maurer an dieser Stelle bereits schrieb: "Ganz auf Vashtis sanfte Gesangsstimme zugeschnitten erinnert diese ruhige Folk-Scheibe eher an eine Sammlung von Schlaf- und Kinderliedern als an den Versuch, eine Legende wiederzubeleben. Schlaf- und Kinderlieder übrigens im besten Sinne, denn ein friedfertigeres, beruhigenderes Werk wird sich so schnell nicht finden lassen." Die Geschichte allerdings, die sich hinter diesem Album verbirgt, begann bereits vor vier Jahrzehnten und liest sich fast wie ein modernes Märchen.
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Vor 40 Jahren wurde die Kunststudentin Vashti Bunyan von Andrew Loog Oldham, seines Zeichens Impresario der Rolling Stones, entdeckt. Zwei Pop-Singles, eine davon immerhin von Mick Jagger und Keith Richards für sie geschrieben, nahm Vashti für Oldhams Immediate-Label auf, doch der Plan, die hübsche Britin als "neue Marianne Faithfull" zu lancieren, scheiterte. 1968 war Vashti so desillusioniert, dass sie Folk-Ikone Donovan von London auf die schottische Insel Skye folgen wollte, wo der sich niederlassen und seine Hippieträume verwirklichen wollte. Das Problem: Weder Vashti noch ihr Lebensgefährte Robert Lewis hatten genug Geld, um ihr Hab und Gut nach Schottland schaffen zu lassen. Also traten die beiden die Reise mit Pferd und Karren (!) an - und brauchten zwei entbehrungsreiche, aber auch abenteuerliche Jahre, bis sie auf Skye ankamen, obwohl Donovan inzwischen wieder das Weite gesucht hatte. Ein Gutes hatte die Reise allerdings dennoch: Vashti hatte über die Erfahrungen der Odyssee eine ganze Reihe neuer Songs geschrieben, die 1970 als ihre bisher einzige LP erschienen. Betitelt "Just Another Diamond Day", ist das niedliche, bisweilen geradezu kindlich-naive Werk heute ein gesuchtes Sammlerstück, das den Kultstatus Vashtis in der English-Folk-Szene begründete, denn mit ihren früheren Pop-Avancen hatte die Platte nicht mehr viel gemein.
"'Diamond Day' war nie als Album gedacht", erzählt uns die liebenswerte Vashti beim Interviewstopp im Münchner Mariandl-Hotel. "Das waren einfach Songs, die ich auf und über die Reise geschrieben habe. Ich habe nie daran gedacht, sie aufzunehmen, bevor ich [Fairport Convention- und Nick Drake-Produzent] Joe Boyd traf. Ich hatte mich von der Musik bereits verabschiedet, denn ich hielt mich für eine Gescheiterte. Auf dem halben Wege meiner Reise überredete mich ein Freund, die bis dahin entstandenen Songs Joe Boyd vorzuspielen, was ich auch tat. Er gab mir dann einen Vorschuss in Form einer Fünf-Pfund-Banknote und spornte mich an, indem er mir versicherte, dass er später ein Album mit mir würde machen wollen. Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich daran geglaubt habe, dass das passieren würde, doch das tat es. Allerdings war mir von Anfang an klar, dass die Platte ungeheuer persönlich gefärbt war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jemand würde kaufen wollen. Damals wusste ich nicht, wie Joe die Dinge sah, aber inzwischen hab ich herausgefunden, dass auch er keinerlei Hoffnung in das Album setzte, eben weil es so persönlich und so unkommerziell war. Als die Platte dann erschien, war es mir sonnenklar, dass sich das niemand würde anhören wollen. Es war ja letzten Endes mein Tagebuch! [lacht]"
Das Album floppte tatsächlich bei seiner Veröffentlichung, und so ließ Vashti 1970 das Musikbusiness vollends hinter sich und kümmerte sich nach der Geburt ihres ersten Sohnes um ihre Familie. Und nicht nur aktiv, sondern auch passiv wandte sie sich von der Musik ab. "Dummerweise habe ich die Musik völlig aus meinem Leben verbannt", gesteht sie. "Das war allerdings keine bewusste Entscheidung. Ich weiß nur, dass ich zuvor so enthusiastisch an die Sache herangegangen war und seit früher Kindheit geradezu von Musik besessen war und unbedingt ein Teil davon sein wollte, dass es nach meinem Scheitern zu weh getan hätte, sich nur noch am Rande damit zu beschäftigen. Deshalb war ich so dumm, mich von der Musik als Ganzes abzuwenden [lacht]. So hab ich jahrelang die wunderbarste Musik verpasst. Jetzt versuche ich, Boden gutzumachen, aber das geht natürlich nur oberflächlich. Um das richtig zu machen, bräuchte ich vermutlich drei Leben."
Die Geschichte, wie es vor fünf Jahren zum allseits umjubelten Reissue von "Just Another Diamond Day" kam, ist nicht zuletzt auf Vashtis Website sehr gut dokumentiert. Die Frage allerdings, ob es für sie schwierig war, sich an neue Aufnahmen, zuerst als Gast von Piano Magic, Devendra Banhart oder Animal Collective und nun mit ihrer eigenen neuen Platte, heranzutrauen, blieb bisher unbeantwortet. War es schwer, nach über 30-jähriger Pause Glen Johnsons Einladung zu folgen, ein Stück auf dem 2003er Piano-Magic-Album "Writers Without Homes" zu singen? "Ja! Glen war der Erste, der mich einlud, und ohne ihn hätte ich es wohl nicht geschafft. Ich brauchte jemanden, der mich darum bat. Er gab mir diesen wundervollen Song zu singen, und zurück im Studio zu sein, entpuppte sich als wundervolle Erfahrung. Ich war sehr nervös, denn ich hatte ja all die Jahre nicht gesungen. Ich war mir gar nicht sicher, ob überhaupt ein Ton herauskommen würde, wenn ich meinen Mund aufmache. Deshalb war ich ziemlich eingeschüchtert, als ich dort vor dem Mikro stand. Als ich die Aufnahme dann hörte, war ich völlig erleichtert, und es war ein wundervoller Tag. Es war, als würde sich mein ganzes Leben wieder öffnen."
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Rund zwei Jahre später erscheint nun tatsächlich "Lookaftering", der "Nachfolger" zu "Just Another Diamond Day". Auch wenn sie dieses Mal 35 Jahre Zeit hatte, Inspirationen für die Texte zu sammeln, fiel ihr das Songschreiben nicht unbedingt leichter. Schließlich waren die Themen auf "Diamond Day" viel spezifischer, der Rahmen klarer abgesteckt. "Ja, das stimmt. Die erste Platte ist voll von Geschichten, die ich damals auf der Reise mitbekommen habe. Für die neue wendete ich mich meinem Schreibstil der Zeit vor 'Diamond Day' zu. Ich habe mich nach innen statt nach außen gewandt. Das war nicht einfach, aber die Tatsache, dass das Reissue von 'Diamond Day' eine solch positive Resonanz gefunden hatte, gab mir das Gefühl, verstanden zu werden, und so konnte ich die Courage aufbringen, mich mehr den Dingen zuzuwenden, die mir am Herzen liegen. Ich war selbst überrascht, welche Dinge es waren, die beim Schreiben aus mir herauskamen."
In der Vergangenheit hat Vashti des Öfteren davon gesprochen, dass sie Angst habe, mit einer neuen Platte den Mythos der ersten zu zerstören. Wann genau fiel die Entscheidung, es dennoch zu wagen? "Ungefähr vor einem Jahr", antwortet Vashti. "Die Idee schwirrte mir schon länger im Kopf herum, und ich hatte verschiedene Herangehensweisen versucht, hatte mit verschiedenen Musikern zusammengearbeitet und auch ein paar Songs alleine aufgenommen, aber erst als ich die Leute bei Fat Cat Records traf, entschloss ich mich endgültig dazu. Sie waren so unglaublich enthusiastisch und haben so sehr an mich geglaubt, dass sie noch nicht einmal darum baten, die Songs zu hören, bevor sie fertig waren. Trotzdem zahlten sie fortwährend für die Studiozeit und die Musiker - ohne zu wissen, was sie am Ende dafür bekommen würden. Kann man mehr Vertrauen entgegengebracht bekommen? Das war ein großer Ansporn für mich." In gewisser Weise war das sogar eine Parallele zur ersten Platte, als ihr Joe Boyd ja auch einen kleinen Vorschuss zahlte für eine Platte, die erst viel später aufgenommen werden sollte! "Das ist mir noch nie in den Sinn gekommen", lacht Vashti, "du hast allerdings recht!"
Die Macher von Fat Cat Records sind natürlich längst nicht die einzigen Vashti-Fans. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe Coverversionen, zuletzt spielten Damon & Naomi "Winter Is Blue" bei ihren Konzerten. Vashti freut sich zwar sehr über die Neuinterpretationen, unternimmt allerdings keine Anstrengungen, sich Aufnahmen davon zu beschaffen. "Was ich gehört habe, ist die Version von 'I'd Like To Walk Around In Your Mind', die Lush in den frühen 90ern gemacht haben. Als ich davon hörte, war ich völlig aus dem Häuschen. Mir wollte es einfach nicht in den Kopf, dass jemand zu dieser Zeit einen meiner alten Songs aufnehmen wollte. Unlängst haben ja dann noch Idlewild 'Winter Is Blue' gecovert."
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Die wichtigste Bezugsperson auf der neuen Platte, auf der Joanna Newsom, Adem, Adam Pierce (Mice Parade) oder der bereits erwähnte Devendra Banhart mit Gastauftritten glänzen, war allerdings Co-Produzent Max Richter, der wie Vashti in Edinburgh ansässig ist. "Viele der Songs schreib ich mit Hilfe eines Computerprogramms, bevor ich Max traf. Auf diese Weise konnte ich ihm Demos geben, um ihm zu zeigen, was ich mir vorstellte. Zwei Songs hat er komplett selbst arrangiert und instrumentiert, bei einigen weiteren fügte er Keyboard-Parts hinzu. Bei weiteren Songs fügten wir eine ganze Menge hinzu, entschieden uns aber letzten Endes, alles wieder zu verwerfen. Die Songs wuchsen mit- und nebeneinander. Anstatt uns ein Stück vorzunehmen und es fertig zu stellen, arbeiteten wir an allen parallel. Dadurch stellte sich von ganz alleine heraus, was wo hingehörte. Die Reihenfolge der Platte funktioniert ja nach einem ähnlichen Rezept: Es fängt sanft an, baut sich langsam auf und fällt am Ende ab. Letzten Endes ergab sich alles von alleine, wir hatten keine großen Pläne für das Album. Wir hörten ES uns an und ließen ES entscheiden, in welche Richtung es gehen sollte."
Die Frage nach den weiteren Plänen eines Musikers am Ende eines Interviews ist zumeist etwas plump, bei einer Künstlerin, die zwischen ihren beiden Alben 35 Jahre verstreichen ließ, sei sie dennoch erlaubt. "Was ich im Moment wirklich gerne machen würde, ist, mich an einem 20-minütigen Stück zu versuchen, anstatt wie bisher anderthalb-minütigen Songs zu schreiben", verrät Vashti. "Durch den Arrangement-Prozess und die Zusammenarbeit mit Max ist mir klar geworden, dass ich ein richtiges Musikstück schreiben könnte. Ich kann zwar keine Noten lesen, aber ich hab es im Kopf, und ich würde gerne etwas damit anfangen." Mit ein bisschen Glück müssen wir also nicht wieder drei Jahrzehnte auf Neues von Vashti Bunyan warten - und diese Nachricht ist ähnlich schön wie "Lookaftering".
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Weitere Infos:
www.anotherday.co.uk
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Interview: -Simon Mahler- Foto: -Jason Evans-
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Aktueller Tonträger: Lookaftering (FatCat/Pias/Rough Trade)
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