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LINA MALY
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Vertrauen lernen
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Mit der deutschsprachigen Popmusik ist das ja so eine Sache. Schon alleine deswegen, weil sich eine ganze Riege junger Eleven darauf verständigt zu haben scheint, das Genre nach festen Regeln und Themen paritätisch zu besetzen, ohne auch nur den Versuch zu machen, eine wirklich eigene Identität einzubringen oder gar musikalisch etwas zu wagen. Das Ergebnis ist dann eine Art Brei aus Betroffenheitslyrik, intellektueller Verquastheit und der Suche nach den kleinsten musikalischen Nennern. Schön, dass es andererseits auch Künstlerinnen wie Lina Maly gibt, die instinktiv vieles sehr viel richtiger und offener angehen, als ihre Kolleg(inn)en auf der Suche nach Formeln, an denen man sich entlanghangeln könnte. Lina gelang jedenfalls mit ihrem Debütalbum "Nur zu Besuch" - durchaus auch mit der Hilfe gleichgesinnter, etablierter Kollegen wie z.B. Björn Sonnenberg oder Sebastian Madsen - der überzeugendste und eigenständigste Versuch des Jahres, mit einer eigenen Identität aus allen Schemata auszubrechen und im Prinzip das deutschsprachige Singer-/Songwriter-Album des Jahres vorzulegen. Das übrigens im zarten Alter von gerade mal 18 Jahren (was ihr aber gar nicht so wichtig ist). Das liegt unter anderem auch daran, dass sie sich in ihren Betrachtungen auch für andere Leute als sich selbst interessiert, während sich ihre Kolleg(inn)en oft gerne nur auf den eigenen Bauchnabel konzentrieren.
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"Das heißt ja nicht, dass sie nicht so denken wie ich", springt Lina den Gescholtenen bei, "sie verpacken es nur nicht in ihrer Musik." Aber darum geht es doch gerade. Ist das Kümmern um Andere dabei ein bewusster Prozess für Lina? "Klar ist das Schreiben immer ein bewusster Prozess", überlegt sie, "aber es ist nicht so, dass ich mich daran setze und denke, dass ich irgendetwas weltveränderndes schreiben muss, sondern es kommt einfach raus und passiert, wie es passiert. Es ist also nicht so geplant gewesen." Was ist denn dann zumindest das auslösende Moment für ein Lina-Lied? "Je nachdem", meint Lina, "allgemein finde ich so etwas wie 'Inspiration' schwer zu betiteln. Ich glaube auch nicht so richtig daran, dass es so etwas gibt. Du lernst permanent und erlebst permanent irgendwelche Prozesse - egal ob es innere oder solche von außerhalb sind. Du bist ein lernendes Wesen und nimmst immer mehr auf und deswegen ist quasi dein ganzes Leben eine einzige Inspiration." Das mag so sein - aber man möchte ja nicht alles, was man erlebt, auch in Liedern verarbeiten. "Das stimmt", pflichtet Lina bei, "am häufigsten sind es vielleicht Gespräche, die ich als Inspiration nutze - wenn man es denn so nennen will. Natürlich gibt es auch Filme, Bücher oder Theaterstücke - aber am häufigsten sind es Gespräche. Ich habe auch das Gefühl, ich kann da am meisten draus ziehen, weil das am Tiefsten in mir eindringt."
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Gibt es außer der Musik für Lina auch andere kreative Ausdrucksmöglichkeiten? "Ich habe immer schon sehr viel gemalt und gezeichnet", verrät sie, "und ich habe auch vor, später Malerei und freie Kunst zu studieren. Kreativität ist schon so meine größte Stärke - was anderes kann ich eigentlich nicht." Das hat aber schöner selten jemand so ausgedrückt. "Damit meine ich, dass ich zum Beispiel mathematisch nicht so begabt bin - das kann ich alles nicht - dafür habe ich halt meine Kreativität... und ich bin auch froh, dass meine Eltern das so früh gefördert haben. Geschrieben habe ich aber zunächst nur für mich alleine - aber nicht bewusst Songs." Und wie kam es dann zur Musik als Mittel der Wahl? "Ich wurde sozusagen entdeckt", meint Lina, "ich hatte seit ich klein war, Klavierunterricht und war auf einer Schule, die besonders viel Wert auf Musik gelegt hat und war immer umgeben von Musik. Dass es professionell wurde, lag an meiner Gesangslehrerin, die mich weiter empfohlen hatte und das war dann ein ganz schneller Prozess. Die hat mir ein Management vorgestellt und wir haben dann Sachen aufgenommen und an Plattenfirmen geschickt und die waren dann auch gleich begeistert." Und wie entstehen dabei schließlich die Songs? "Das ist ziemlich unterschiedlich", räumt Lina ein, "manchmal schreibe ich Sachen im Team - zum Beispiel mit einem Produzenten und einem anderen Musiker - und dann sitzen wir zusammen in einem Raum und manchmal entsteht was und manchmal nicht. Manchmal passiert es aber auch, dass ich zu Hause sitze, Klavier spiele und dazu eine schöne Melodie singe, zu der ich dann einen Text schreibe. Es gibt da eigentlich kein Rezept. Die Arrangements entstehen dann in Absprache mit uns durch die Produzenten - auch als Teil des Teamworks." Und selber gibt es keine Ambitionen in Richtung Produktion? "Na klar bin ich auch an den technischen Aspekten interessiert", meint Lina, "ich mache es halt nicht. Ich werde mir demnächst aber auch mal ein paar Programme anschauen und mal etwas ausprobieren - aber im Moment kann ich es halt noch nicht."
Worum geht es denn hauptsächlich beim Songwriting? "Ich suche auf jeden Fall immer nach Ehrlichkeit", erklärt Lina, "für mich ist Ehrlichkeit das Wichtigste, weil sich so für mich entscheidet, ob ich dem Künstler das abnehme, was er ausdrückt. Wenn irgendetwas auf jemanden zugeschustert ist, dann spüre ich das irgendwie. Das spüren ja die meisten. Das heißt: Alles was ich singe, meine ich auch so, wie ich es singe." Und musikalisch? "Ich bin in allen möglichen Genres unterwegs", räumt Lina ein, "ich höre Rockmusik, schlageresquen Pop wie Dagobert, aber auch Singer-Songwriter oder Klassik - alles, was mich irgendwie berührt. Ich mag sehr gerne Reibung, die irgendetwas in mir auslöst. Ich weiß nicht genau, woran es liegt. Man spürt ja zum Beispiel den Unterschied zwischen Moll und Dur. Das ist eine unterschiedliche Emotion, die dadurch ausgelöst wird - und ich finde es sehr interessant, damit zu spielen und da etwas Passendes oder etwas Kontrapunktierendes zu finden." Das heißt also, dass Gegensätze sich anziehen? "Manchmal - aber manchmal auch gar nicht. Manchmal braucht ein trauriges Lied auch traurige Akkorde." Gilt das mit den Gegensätzen auch für die Texte? Versetzt sich Lina zum Beispiel auch mal in andere Charaktere beim Singen? "Voll", bestätigt sie, "und ganz. Zum Beispiel geht es bei 'Nur in Gedanken' um schüchterne, introvertierte Personen, die sich nicht trauen, obwohl sie es eigentlich wollen. Ich kenne viele - vor allen Dingen weibliche - Freunde, die sich - um mal ein plakatives Beispiel zu nehmen - im Unterricht nicht getraut haben, sich zu melden. Ich wäre dann am liebsten immer gleich hingegangen und hätte sie an den Schultern gerüttelt, damit sie sich melden. Hier habe ich mich dann in eine solche Rolle hineinversetzt - was ganz witzig ist, weil dann viele denken, das sei alles autobiographisch. Dabei reizt es natürlich, aus der Sichtweise von anderen Personen zu schreiben." Dabei vermischt sich das andererseits auch, oder? "Ja, in dem Song 'Ich will, dass du dabei bist' geht es um eine Freundin von mir, die zu Hause rausgeflogen ist und mit der ich dann eine Wohnung gesucht habe. Da habe ich zwar die ganze Lage beschrieben, aber mit meinen Emotionen ausgedrückt... das ist dann gleichzeitig autobiographisch, obwohl es eigentlich gar nicht um meine Situation geht."
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Ein Song fällt sowohl inhaltlich wie auch musikalisch aus dem Rahmen - und zwar "Hin zum Tal", den Lina in der Art eines Volksliedes als einen hypothetischen Lebensrückblick im hohen Alter konzipierte. (So in etwa wie das Paul McCartney bei "When I'm Sixty Four" von den Beatles machte.) Wie entstand denn dieser? "Da war ich bei einem Produzenten, der in diesem Kurort in Sachsen-Anhalt lebt. Mir ist dann aufgefallen, dass dort nur Senioren waren - was ziemlich absurd schien. Da habe ich auch alte, händchenhaltende Pärchen gesehen und da habe ich mir dann vorgestellt, wie ich gerne meine letzten Stunden verbringen möchte und so ist der Text entstanden… 'Bergauf bergab humpeln wir ins fremde Tal' ist dabei ja keine hochphilosophische Aussage - aber es einfach und ehrlich und kindlich und gut." Ein bisschen philosophisch ist es aber dann doch, oder? "Klar - aber in dem Moment, in dem man es schreibt, geht es nicht um etwas hochphilosophisches, sondern das auszudrücken, was man in dem Moment spürt und sich selbst zu therapieren, wenn du so willst. Darum, ob das Ganze philosophisch oder gesellschaftskritisch wie 'Schön genug' ist, geht es - zumindest mir - dabei gar nicht. Mir wird auch oft gesagt: 'Wow - Du bist ja noch so jung, wie kannst du denn schon so weise Themen behandeln?' Dann denke ich mir oft, dass ich das gar nicht so weise finde. Nicht, dass ich mich als dumm betiteln würde - aber ich finde es traurig, dass die Menschen unsere Generation so unterschätzt. Ich betrachte mich mit 19 Jahren jedenfalls durchaus als erwachsen." Und da kann man sich ja auch mal ein paar Gedanken machen. Was ist für Lina eigentlich die größte Herausforderung beim Liedermachen? "Für mich ist die größte Herausforderung, mir selbst zu vertrauen und mich selbst nicht zu sehr zu kritisieren. Das ist - glaube ich - auch einer der Gründe, warum viele Angst davor haben, kreativ zu sein; sich nämlich selbst eventuell nicht zu genügen. Dabei ist das doch Quatsch: Wenn etwas aus dir heraus kommt, dann ist es echt und es ist gut. Du musst nur alles sammeln und behalten und dir selbst vertrauen. Ob es dann gut oder schlecht ist, kannst du später ja immer noch entscheiden. Die größte Herausforderung für mich ist also zu merken, dass es gar nicht um gut oder schlecht geht, sondern um ehrlich oder falsch." Und was ist das Schönste am Musikantenleben? "Dass du immer wieder die Chance hast. neue Leute kennen zu lernen. Ich treffe mich auch oft mit anderen Autoren - und da höre ich immer wieder neue Geschichten. Und somit hast du auch immer wieder Lust, etwas Neues zu schreiben und findest immer wieder neue Themen, die dich beschäftigen können. Man wächst so auch total schnell und wirst bereichert durch den ganzen Prozess. Man wird auch gezwungen, nachzudenken - und das tut dir manchmal auch ganz gut, weil man ja auch zuweilen vor den eigenen Problemen wegläuft. Und so wird man dazu gebracht, sich mit sich selbst zu beschäftigen." Musik ist also auch eine Art Therapie? "Voll und ganz", pflichtet Lina bei, "manchmal auch unbewusst. Wenn ich z.B. am Klavier sitze und es kommen nur getragene Moll-Akkorde dabei heraus, dann merke ich ja, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Und dann singe ich irgendwas uns spüre, dass ich das, was ich singe, auch fühle - und das ist ein ganz interessanter therapeutischer Effekt." Und der lässt sich dann - im fertigen Songs - durchaus auch auf den Hörer übertragen. Wie gut das funktioniert, lässt sich zum Beispiel bei einem Lina Maly-Konzert beobachten, wo die Zuhörer dann ganze Passagen der Songs lautstark mitsingen. Insofern fungiert Lina Maly - Philosophie hin, Ehrlichkeit her - tatsächlich als eine Art Sprachrohr ihrer Generation. Auch wenn sie selbst das vielleicht gar nicht so weise findet.
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Weitere Infos:
lina-maly.de
www.facebook.com/LinaMalyMusik
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Ullrich Maurer-
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Aktueller Tonträger: Nur zu Besuch (Warner Music)
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