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HAMISH HAWK
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"Meine Songs müssen aufblühen"
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Zu Beginn der Laufbahn des schottischen Songwriters Hamish Hawk war es sein Kollege, Kenny "King Creosote" Anderson, der sein erstes Album "Aznavour" produzierte. Das nächste, von Gordon MacLean produzierte Werk "From Zero To One" erschien unter dem Namen Hamish Hawk & The New Outfit. Hier spielten auch bereits der Gitarrist Andrew Pearson und der Bassist Alex Duthie mit, die zusammen mit Drummer/Keyboarder Stefan Maurice bis heute Hamishs feste Band bilden. Diese beiden Alben gehören - wie eine Handvoll EPs - heute nicht mehr zum offiziellen Katalog Hamishs. Mit den Alben "Heavy Elevator" von 2021 und "Angel Numbers" stellte er sich nämlich zusammen mit seiner Band als Songwriter mit Rock- und Glam-Appeal neu auf. Mit dem nun vorliegenden Album "A Firmer Hand" betrat Hamish Hawk inhaltliches Neuland und beschäftigte sich mit den Männern, die einen Einfluss auf sein Leben hatten und haben.
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Kann es sein, dass Hamish das neue Album absichtlich eine Spur düsterer angelegt hat als den Vorgänger "Angel Numbers"? "Sicherlich", bestätigt er, "meine Band und ich sind uns sehr bewusst darüber, dass dritte Alben sowieso dazu tendieren, düsterer zu sein. Das ist das Gleiche mit dritten Romanen. Es scheint da einen gewissen Wechsel in der Perspektive zu geben. Das erste Werk ist ein Statement, das zweite eine Weiterentwicklung dessen - vielleicht mit einer Ahnung davon, in welche Richtung es in der Zukunft gehen könnte. Das dritte Werk entwickelt sich dann fast schon auf natürliche Weise zu einem Vorstoß in unbekannte Gefilde. Es ist dabei gar nicht so, dass wir mit der Absicht begonnen haben, etwas ganz anderes zu machen. Mit 'Angel Numbers' waren wir dem Genre Chamber-Pop am nächsten gekommen - mit all den Streichern und Bläsern und Pedal Steels und solchen Sachen. Es ging uns dann im wesentlichen darum, größer zu werden als mit 'Heavy Elevator'. Unser einziges Anliegen bei dem neuen Album war, es zu einem zusammenhängenden Band-Album zu machen. Das bedeutete, dass jeder Song mit der Band alleine live zu reproduzieren sein sollte. Düsterer sollten die Songs eigentlich gar nicht notwendigerweise sein - das passierte aber, als ich die Texte schrieb." Hamish verwendet in seinen Texten ja ziemlich viele spezifische Details und Namen, die führ ihn sicherlich eine bestimmte Bedeutung haben, über deren Relevanz der Hörer indes nur mutmaßen kann. Wie soll denn der Hörer Hamishs Texte verarbeiten? "Das ist eine gute Frage", seufzt er, "ich bin schon sehr spezifisch bezüglich der Details, die ich verwende. Ich betrachte mich nämlich als Sammler. Ohne mich selbst loben zu wollen, betrachte ich mich als einen sehr guten Beobachter. Ich nehme dann kleine Details - speziell wenn es darum geht, wie Menschen sich darstellen - und verwende diese Details auch um eine bestimmte Idee oder ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln, indem ich sie sehr stark vergrößere. Darüber, wie andere Menschen dann damit umgehen sollen, mache ich mir dann aber nicht allzu viele Gedanken. Ich mag farbenfrohe Songs, die dich in verschiedene Richtungen führen und eine Art Collage darstellen. Ich mag es nicht, auf einem einzelnen, spezifischen Punkt herumzureiten. Ich mag es frei zu assoziieren. Je weniger ich also darüber nachdenke, wie andere damit umgehen sollen, desto besser ist es für mich."
Kleine Details sind ja auch sowieso ein guter Startpunkt, von dem aus sich größere Zusammenhänge erfassen lassen. Anders herum funktioniert es ja auch gar nicht. "Ganz genau", bestätigt Hamish, "es ist erstaunlich, wenn man etwa versucht, einen Song mit der Absicht anzugehen, über eine große Erkenntnis oder eine philosophische Frage zu schreiben, wie schnell solche Anliegen dann sogar oft richtig banal und langweilig werden. Wenn man indes mit einem scheinbar unbedeutenden Detail beginnt, ist es genauso erstaunlich, wie unglaublich sich dann diese Welt ausdehnen kann - das finde ich sehr spannend." Geht es Hamish denn nicht überhaupt darum, seine Songs größer als das Leben zu machen? "Das ist schwer auszudrücken", zögert er, "ich sollte nicht lügen und behaupten, dass jeder Song sich exakt so zugetragen hat. Was ich in meinen Songs sage, ist für mich dann schon sehr wahr. Ich versuche mir gegenüber so authentisch wie möglich zu sein - aber größer als das Leben sind meine Songs schon. Ich komme von der Jarvis-Cocker-Schule, in der es darum geht, ein banales Kitchen-Sink-Thema in etwas zu verwandeln, über das auch ein Scott Walker singen könnte. Das macht er ja bis heute so und das ist etwas, was ich sehr bewundere. Unbedeutende Details des alltäglichen Lebens zu nehmen und sie gehen einen farbenfrohen Hintergrund zu stellen, der sie dann in einem ganz anderen Licht erstrahlen lässt."
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Das ist ja auch für den Zuhörer dann unterhaltsamer - weil es ja auch theatralischer ist. "Absolut", pflichtet Hamish bei, "'theatralisch' ist auch das Wort, mit dem ich mich gerne beschreiben lassen wollte." Ist das vielleicht auch Hamishs liebste Tugend als Songwriter. "Tugend?", fragt er, "das ist ja wirklich eine gute Frage. Ich denke, dass ich insbesondere Originalität und originäre Ideen zu schätzen weiß. Es können einfach auch Ideen sein, die man in Songs so noch nicht gehört hatte. Ich kann dir ein Beispiel geben - auch wenn es obskur erscheint. Kennst du den Songwriter Rodriguez - den Typen aus dem Film 'Searching For Sugarman'? Der ist nicht mein Idol, aber der hat einen Song namens 'Rich Folks Hoax', der eine Textzeile enthält, die heißt: 'Talking 'bout the rich folks - they tell the same jokes and they park in basic places'. Als ich das zum ersten Mal hörte, habe ich lange darüber nachgedacht, dass ich so etwas noch nie zuvor in einem Song gehört hatte - denn er hätte ja alle möglichen anderen Dinge über das Thema sagen können. Wenn es also um songwriterische Tugenden geht, dann würde ich gar nicht weiter suchen: Ich schätze originäre Gedanken, die musikalisch dargeboten werden." Ist das der Grund, warum Hamish Hawk seinen Kollegen Stephin Merrit so sehr schätzt - wie er in einem Interview ein Mal aussagte? "Ja natürlich", lacht Hamish, "er hat ja auch diese Gabe, seine Gedanken so in Reime zu fassen, dass ich mich unweigerlich frage, wie man so etwas perfekter machen sollte. Er macht das - meiner Meinung nach - besser als jeder andere."
Kommen wir zur Musik: Was war denn dieses Mal das Ziel - außer der Tatsache, dass sich alles mit der Band live umsetzen lassen sollte? Es gibt dann ja doch so einige Glam- und Kaputnik-Blues-Vibes auf dem Album. "Sowohl 'Heavy Elevator' wie auch 'Angel Numbers' enthielten Songs, die ich auf meiner Bettkante mit der akustischen Gitarre in der Hand geschrieben hatte", berichtet Hamish, "die hatten dann schon eine Singer/Songwriter-Basis. Andere Songs wurden von meinem Gitarristen Andrew Pearson geschrieben und wieder andere von meinem Drummer Stefan Maurice. Auf diesem Album wurde die Musik von Andrew und Stefan separat - aber ohne akustische Gitarren - geschrieben. Ich habe keine akustischen Demos gemacht, sondern ihnen meine fragmentierten lyrischen Entwürfe und eine generelle Struktur übergeben und sie haben das dann ausgearbeitet. Andrew tendiert dabei in Richtung düsterer 'krautiger' Akkorde der späten 70s und frühen 80s und Stefan ist ja auch ein Pianist - und deswegen gibt es mehr Klavier und Keyboards auf der neuen Scheibe. Es gab dann eine Fusion aus kantigeren, raueren Gitarren und moll-lastigen Piano-Figuren - und das wiederum drängte mich mit meinen Texten dann wieder an einen düsteren Ort. Als dann der erste Song 'Machiavelli's Room' fertig war, wurde deutlich, dass die anderen Songs des Albums auch in dieser Weise entstehen müssten. Indem wir dann - unabhängig voneinander - alle in dieser Richtung arbeiteten, entstand der Sound des neuen Albums. Ich bin auch glücklich über deine Anmerkung, dass da Glam-Elemente durchschimmern, denn ich finde es faszinierend, dass das erkennbar ist." All das mal eingedenk: Was zeichnet dann einen guten Song aus? "Das ist so schwierig zusammenzufassen", zögert Hamish, "ein guter Song muss mich handwerklich beeindrucken. Es gibt verschiedenste Arten von Songs und Bands, die ich mag. Ich habe das Wort zwar satt, möchte es aber dennoch verwenden: Es gibt da eine gewisse 'Raffinesse', nach der ich in der Musik suche. Versteh mich nicht falsch - es gibt auch weniger anspruchsvolle Songs, die ich mag - aber ich suche nach einer bestimmten Feinsinnigkeit im Handwerk, wobei es am Ende um das Herz des Songs geht und die Art und Weise, wie du dich dabei fühlst. Es mag ja nur eine grundlegende Sache sein, aber ich suche nach Sachen, die mich bewegen. Wenn ich meine eigenen Songs schreibe, dann müssen diese aufblühen. Sobald ich sozusagen ein Samenkorn in meinem Kopf habe, muss dieses wachsen und gedeihen. Und es muss in unerwartete Bereiche vordringen, um mein Interesse zu wecken. Ich habe es oft versucht und ich finde es dabei sehr schwierig, einfache Songs zu schreiben, weil es einfach sehr schwierig ist zu vermeiden, unabsichtlich in irgendwelche generischen Bereiche abzudriften. Stephin Merritt ist dabei wieder ein gutes Beispiel, weil es ihm gelingt, sowohl komplizierte und außergewöhnliche Songs zu schreiben, wie auch kleine Lieder, die aber dein Leben verändern werden. Er ist in dieser Hinsicht ein leuchtendes Beispiel. In der Zukunft würde ich gerne versuchen, meine Songs auf das absolut notwendige einzudampfen."
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Ein gutes Beispiel für diesen Ansatz dürfte der aktuelle Song "Christopher Street" auf der neuen Scheibe sein, denn dabei handelt es sich um eine charmante, kleine Piano-Ballade. Wie kam dieser atypische Song zustande? "Vor einiger Zeit hat Stefan Maurice einige Songs für mich auf dem Piano geschrieben, die wir als 'Laziest River' veröffentlicht haben", erinnert sich Hamish, "ich mag diese Songsammlung immer noch sehr und erinnere mich gerne an die Aufnahmen zurück. Ich mag Piano-Balladen sehr - obwohl ich nicht so viele Gelegenheiten habe, sie zu singen. Ab und zu schickt mir Stefan immer mal wieder Piano-Stücke. Dieses mochte ich nun sehr und dachte zunächst daran, es als instrumentale Einleitung zu verwenden. Dann fand ich aber über die Musik zu dem Text von 'Christopher Street', der von Marsha P. Johnson inspiriert war." Marsha P. Johnson war 1969 als Drag-Queen und Aktivist eine zentrale Figur der Stonewall-Unruhen in der New Yorker Christopher Street. "Ja - es geht in dem Song um das Leben und den Tod von Marsha P. Johnson - und ich war von der Idee berührt, diesen Song in der Mitte der Scheibe zu platzieren. Der Song wurde zu einer Art Organisationsanker. Denn meine Alben offenbaren sich mir erst, während ich sie schreibe. Zu Beginn habe ich immer ein paar Songs, wobei ich mich selbst frage, worum es darin eigentlich geht. Mit 'Christopher Street' habe ich dann dieses Mal erst das Thema der Scheibe für mich gefunden."
Nach eigener Aussage hatte Hamish Hawk auf seinen früheren Veröffentlichungen eher ein Faible für Frauen, die er als Muse für seine Songs betrachtete. Es war dann aber bereits eine Textzeile des Songs "Bakerloo, Unbecoming" von seinem Album "Heavy Elevator", die den Grundstein für das neue Album "A Firmer Hand" legte - denn dort hieß es: "Essentially it comes down again - to the limitless mysteries of other men" - und auf diese Mysterien kam Hamish dann auf dem neuen Werk zurück, nachdem er sich zuvor schwer getan hatte, dieses Thema anzusprechen. Der Titel des Albums "A Firmer Hand" ist eine Textzeile aus dem Song "Big City Tattoos" und es war Andrew Pearson, Hamishs Gitarrist und Songwriting-Partner, der ihm empfahl, das Album mit "festerer Hand" in eine Richtung zu lenken, in der er dann bislang vermiedene Themen ansprechen sollte und sich mit dem Thema "Männer" dann auch bislang ausgespartes Terrain begeben sollte. Wenn Hamish Hawk nun also sagt, dass er aufgrund dieser Entscheidung eine gewisse Nervosität nicht verleugnen könne, ist das zugleich ein sicheres Zeichen für ihn, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
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Weitere Infos:
hamishhawk.com
hamishhawk.bandcamp.com www.facebook.com/hamishhawk www.instagram.com/hamishhawk www.youtube.com/@hamishhawkofficial/videos
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Ullrich Maurer-
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Aktueller Tonträger: A Firmer Hand (So Recordings/Rough Trade)
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