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WILD RIVERS
 
Geöffnete Taschen
Wild Rivers
"Never Better" heißt das dritte Album des aus Khalid Yassein, Devon Glover und Andrew Oliver bestehenden kanadischen Trios Wild Rivers eigentlich nur deshalb, weil der Opener und Titeltrack diesen Namen hat. In dem Song selbst geht es um eine Beziehung, die sich vielleicht nicht ganz richtig anfühlt, die man aber trotzdem weiterführen möchte, weil man nur die positive Seite der Sache sieht. Das jedenfalls erklärte uns Khalid Yassein in Vertretung seiner über den ganzen nordamerikanischen Kontinent verteilten Bandkollegen. Doch ist dieser Titel zudem eine treffende Beschreibung des aktuellen Seinszustandes der Band. Denn nachdem Wild Rivers mit dem Vorgänger-Album "Sidelines", das mitten in der Pandemie produziert wurde, eine neue Gefolgschaft online gewinnen konnten, bei der anschließenden Tour mehr denn je zu einer Band zusammenwuchsen und sich zudem über viele neue Fans freuen konnten, geht es dem Trio heutzutage tatsächlich besser als je zuvor.
Der neue Longplayer ist stilistisch noch ein Mal vielseitiger als die Vorgängeralben. Waren diese grundsätzlich noch Folk-Pop orientiert, so gibt es auf dem neuen Album neben Pop-Sounds auch Rock-Gitarren oder Soul-Elemente zu hören. Hat das auch damit zu tun, dass sich Wild Rivers heutzutage als "richtige" Band betrachten? "Sicherlich", meint Khalid, "wir haben jetzt einen Bassisten und einen Drummer, die wahnsinnig gute Musiker sind und wir nun wollten einfach Sachen machen, die Spaß beim Spielen und Singen machen - auch für die Fans. Das war unser Kompass. Wir waren zuvor einfach zu vorsichtig - immer so intim und traurig. Das waren kleine Gefühle und dieses Mal wollten wir größere Gefühle haben." Und das drückte sich dann auch musikalisch aus, indem Wild Rivers neben einigen "Cry in your Bedroom-Songs" (wie Khalid sie nennt) auch Pop-und Rock Elemente und Up-Tempo-Songs enthalten. "Tatsächlich war es für uns eine Herausforderung, solcherlei Songs zu schreiben", erklärt Khalid, "einfach weil es schwer ist, einen 'Happy Song' zu schreiben, der originell, authentisch und optimistisch ist. Die Musik, die wir selber gerne mögen ist nämlich oft traurige Herzschmerz-Musik." Ja, und dann gibt es ja auch noch das Problem, dass sich 'Happy Songs' allzuoft in Illusionen und Eskapismen verlieren. Dann war es vermutlich wichtig, hier mit einer gewissen emotionalen Balance an das Thema heranzugehen, oder? "Das ist eine sehr genaue Beobachtung", meint Khalid, "ich würde sogar sagen, dass selbst fröhliche Songs von einem traurigen Gefühl herrühren können. Das ist das Drama des Lebens und die Bandbreite von Emotionen. 'Anyways I Love You' ist etwa ein Liebeslied mit der Aussage: 'Trotz aller Probleme, die wir haben, liebe ich dich dennoch'. In 'Everywhere I Go' geht es um den Tod eines Familienmitgliedes und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten - aber dem positiven Gedanken, dass man jemanden in seinen Erinnerungen mit sich nehmen kann. Um diese Balance geht es - auch musikalisch: Wir wollten die größten Momente neben die kleinsten setzen - es geht eben immer um beide Seiten der Medaille."

Da sind wir wieder an dem Punkt angelangt, dass Kunst und Musik oft das Einzige ist, das hilft mit solch widersprüchlichen Situationen umzugehen. "Ja, das würde ich auch sagen", meint Khalid, "ich bin nicht der Beste darin, über bestimmte Dinge zu sprechen. Ich bin auch nicht der Beste darin, über komplizierte Situationen in einem internen Monolog klar zu denken. Musik und besonders die Texte waren stets meine Art, solche Situationen zu verarbeiten. Ich setze mich dann hin, spiele etwas und singe etwas dazu, das eigentlich nur Kauderwelsch ist - aber manchmal auch Sinn macht. So viel im Leben kann nicht mit der Englischen Sprache erklärt werden. Ich weiß ja nicht, wie das mit der deutschen Sprache ist..."
Was Khalid wohl sagen will, ist das vieles eben nicht mit Worten erklärt werden kann. Heißt das dann nicht unter dem Strich, dass sich Text und Musik gegenseitig beeinflussen? "Ja, das würde ich doch sagen", bestätigt Khalid, "manchmal spielen wir auch damit und versuchen, fröhliche Musik zu machen, wenn die Texte traurig sind und umgekehrt. Für mich bestimmt die Musik auf physische Weise die Texte. Manchmal geht es mir darum, wie sich Wörter in meinem Mund anfühlen und versuche dann, nachher auf logische Weise Sinn daraus zu machen. Das ist mein Prozess. Was sich gut singen lässt, fühlt sich auch gut an und es klingt gut - das spielt alles zusammen. Man kommt so auf Querverbindungen, auf die man mit logischen Mitteln gar nicht kommen könnte." Das heißt vermutlich, dass auch für die Wild Rivers die Musik ein Eigenleben entwickelt, oder? "Absolut", meint Khalid, "ich bin manchmal sogar richtig frustriert, dass die Musik für mich so eine führende Kraft ist. Wenn ich Texte schreibe - auch für andere Leute -, dann ist die einzige Methode, mit der mir das gelingt, mich ans Klavier zu setzen, zu singen und durch die Musik meinen Weg durch den Song zu finden. Das fühlt sich dann an, als würde ich mich durch einen Dschungel kämpfen - anstatt mich mit den tiefgründigen Texten auf dem Papier zu beschäftigen." Welche Art von Kontrolle gibt es denn bei einem solchen Prozess? "Hm", zögert Khalid, "das ist ja fast so wie eine Meditation für mich. Man muss seinem Geist freien Lauf lassen. Ich muss alleine - und wirklich physisch vom Klang inspiriert sein. Das Paradoxe dabei ist, dass die einzige Möglichkeit, das zu kontrollieren ist, die Kontrolle abzugeben. Das ist ziemlich schwierig, weil es eine eigene Kunstform ist, deinen Geist wandern zu lassen, wo immer er hinwandern möchte."

Mal abgesehen davon, dass er das ja gar nicht kontrollieren kann: Wonach sucht Khalid denn? "Nach vielen Dingen", überlegt er, "ich suche nach etwas nicht Greifbarem, an das ich aber glauben kann. Wenn zum Beispiel jemand mit Songideen aus der Band auf mich zukommt, dann sind die Songs, die ich wirklich mag die, von denen ich sagen kann: 'Ich glaube, was du sagst'. Es geht dabei auch um Originalität. Nicht etwas, was es noch nie gegeben hat, sondern eine Geschichte, die ich glauben kann. Manchmal geht es auch nur um amüsante Formulierungen, die im Kopf bleiben. Wir haben zum Beispiel den Begriff 'Phad Thai' in einem unserer Songs. Ich liebe so etwas: Dinge, die einfach ungewöhnlich sind und auf die man aufmerksam wird. 'Was war das denn?' Da geht es um das Gekräuselte, die Imperfektion, das Menschliche und die Schönheit und die Kraft der Natur. Die Zeile geht so: 'We drank wine and ordered Pad Thai and I didn't even want it' - das ist eine wahre Begebenheit, die ich so noch nie in einem Songkontext gehört habe - und nach so etwas suche ich." Das sind ja dann die spezifischen Details, die den Song dann ja überhaupt erst glaubwürdig machen, richtig? "Total", bestätigt Khalid, "es geht um diese greifbaren Details, die dir im Gedächtnis bleiben. Das sind die Dinge, die greifbar sind und die man sehen kann. Wir nennen das bandintern 'malen'. Wenn du dir beispielsweise ein Landschaftsbild vorstellst, dann wollen wir, dass die kleinen Details wie zum Beispiel die Baumrinde erkennen kannst. Das ist es, was es authentisch macht und das macht es tiefgründiger und vielleicht auch poetischer." Es sind dann ja auch die kleinen Details über die man als Songwriter auf größere Zusammenhänge und Ideen kommen kann. "Ja, ich finde sogar, dass mir gar keine großen Ideen einfallen", räumt Khalid ein, "ich stoße auf größere Ideen oder Themen erst durch kleine Kommentare, die mehr bedeuten, als man im ersten Augenblick glaubt."
Wild Rivers
Was ist denn dann die größte Herausforderung beim Schreiben von Songs? "Ich denke jedenfalls nicht über die Konkurrenz nach - weil ich denke, dass unsere Stimme als Band recht einzigartig ist. Aber ich beklage manchmal, wie viele Songs es da draußen gibt. Denn wenn man dann selber Musik macht, dann möchte man vermeiden das Gleiche wie andere zu machen. Oft genug gibt es schließlich Songs, denen man anhören kann, von wem oder was diese Songs inspiriert sind, weil sie so vertraut klingen. Ich bin lange genug im Geschäft um sagen zu können, dass das der Sache dann ein wenig die Magie nimmt. Also überlege ich mir immer, wenn ich Musik alleine oder mir anderen mache, was sich wirklich authentisch und einzigartig anfühlt. Als Songwriter ist für mich des Weiteren die Herausforderung, mir zu überlegen, worüber ich überhaupt schreiben will. Ich weiß, dass viele Songwriter mit einem Titel anfangen oder mit einem klaren Konzept - so etwas war aber noch nie meine Stärke. Ich stolpere eher immer in etwas hinein und mogele mich dann durch, bis ich etwas Interessantes gefunden habe. Ich wünschte mir ja manchmal, dass ich sagen könnte: 'Ich schreibe jetzt mal eine Song namens 'Flowers'' - aber so funktioniert das bei mir nicht." Was ist denn das, worüber Khalid in einen Song hineinstolpert? "Für gewöhnlich eine Melodie und ein Wort, über das ich nachdenken kann. Wenn ich jemand im Zug etwas interessantes sagen höre, dann schreibe ich es mir zum Beispiel auf. Es können dann die kleinste Kern sein, aus dem sich etwas entwickelt - im Gegensatz zu einem Konzept oder einer großen Idee. Ich überlege mir dann, was das bedeuten könnte und was damit passieren könnte. Ich versetze mich dann immer an das Ende eines Refrains - aber zu dem Zeitpunkt habe ich noch gar keinen Refrain. Da gibt es dann nur einen freien Raum - und daher resultiert dann meine Frustration als Songwriter."

Arbeiten Devon Glover und Andrew Oliver eigentlich auf ähnliche Weise? "Das müsstest du sie eigentlich selber fragen. Ich kann dir nur sagen, dass zum Beispiel die Songs von Devon ähnlich angelegt sind wie meine. 'The Dance' handelt zum Beispiel von der Phase am Ende einer Beziehung; wenn man sich an bestimmten Momenten festklammert und einem schon bewusst ist, dass es nicht von Dauer sein wird. Das manifestiert sich dann in einer einfachen Lösung, indem man einfach noch ein bisschen weiter tanzt, um an diesem Moment festzuhalten. Das ist auch ein gutes Beispiel für den Prozess, etwas an einem kleinen Detail festzumachen, um zu einem größeren Bild zu gelangen. So interpretiere ich zumindest diesen Song. Den Song haben wir auch live eingespielt - in einem Apartment in Joshua Tree. Ich denke, dass auch hier die Musik den Inhalt bestimmt mit ihrem sanften Schwingen. Devons 'Backfire' handelt von dem einen, mit dem es nicht gepasst hat. Du magst jemanden, aber das Timing passt nie so richtig. Man denkt sich dann, dass man zu lange gewartet hat, dass man etwas gesagt haben sollte und das man dann dann mit dem Ergebnis irgendwie zurechtkommen muss. Das ist ein Beispiel für das, was ich eben sagte. Devon kam mit dem Song zu uns und war sich unsicher, ob er funktionieren könnte. Ich bestätigte sie dann aber, indem ich sagte: Ich glaube jedes Wort, was du singst - alles ist alles ganz toll. Wir bestätigen uns so innerhalb der Band, unterstützen uns aber auch, indem wir uns Ratschläge geben - beispielsweise: 'Sing das ein bisschen natürlicher'. Der einzige Kompass, den wir haben ist das Gefühl und die Menschlichkeit. Wenn das stimmt, dann ist das für uns überzeugend."

Da sich Wild Rivers musikalisch keinem bestimmten Genre verschrieben haben, sei die Frage erlaubt, wie sie sich dann auf das, was sie gerade machen, einigen können? "Ehrlich gesagt sprechen wir über so etwas kaum in der Band", berichtet Khalid, "wir mögen alle möglichen Arten von Musik und wir folgen dem, was wir mögen. Unsere Musik ist ja auch eher Song-orientiert und nicht Produktionsbestimmt. Es geht ja um unsere Geschichten, weil wir die Autoren sind. Das erlaubt uns gewisse Freiheiten, das Genre betreffend, weil wir über unsere Erlebnisse singen - und das ist schon ein guter Leitfaden für die Songs. Ich weiß auch nie, was wir als nächstes machen. Wenn wir ins Studio gehen, dann folgen wir unseren Instinkten und versuchen Spaß zu haben. Wir mögen auch immer die Leute, mit denen wir auf Tour gehen. Wir sind zum Beispiel mit den Chicks - ehemals Dixie Chicks - getourt und fanden das dann so inspirierend, dass wir gleich wieder Musik machen wollten, weil alle so viel Spaß hatten. Wir versuchen immer, so viele Taschen zu öffnen, wie wir können."
Weitere Infos:
www.wildriversmusic.com
www.facebook.com/wildriversband
www.instagram.com/wildriversmusic
www.youtube.com/@WildRiversMusic/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Weird Candy-
Wild Rivers
Aktueller Tonträger:
Never Better
(Nettwerk/Bertus)
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