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THE POSIES
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Mehr Licht!
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Sieben Jahre liegt ihre letzte LP-Veröffentlichung zurück. Dennoch hatten die früheren Power Pop-Götter The Posies nur rund drei Wochen zur Verfügung, um ihr Comeback-Werk - das dieser Tage erscheinende Album "Every Kind Of Light" - zu schreiben, aufzunehmen und abzumischen. Zwischen Aufnahmen als Sessionmen für R.E.M. oder William Shatner, fast zeitgleich mit der Arbeit an ihren letzten Solowerken und nur wenige Wochen, bevor sie zusammen mit den ebenfalls reformierten Big Star ins Studio gingen, schnappten sich die beiden kreativen Köpfe der Band aus Seattle, Jon Auer und Ken Stringfellow, ihre neue Rhythmusgruppe, um in 22 Tagen ein Dutzend Songs aus dem Nichts zu zaubern. So entstanden die neuen Stücke erstmals als - zudem ungemein abwechslungsreiche - Gemeinschaftskompositionen der beiden Sänger und Gitarristen zusammen mit Bassist Matt Harris von Oranger und dem auch bei Preston School Of Industry aktiven Darius Minwalla am Schlagzeug: "It's Great To Be Here Again!" überrascht mit Mercury Rev'scher Theatralik, auf die Strophen der großartigen Single "Conversations" haben R.E.M. abgefärbt, "Love Comes" ist Jackson Browne für die Neuzeit, und "I Finally Found A Jungle I Like" ist Power-Pop aus der Garage. Viel Neues also, das allerdings dafür sorgt, dass "Every Kind Of Light" nicht nur die wohl gewagteste, sondern auch eine der besten Posies-Platten bisher geworden ist. Passend dazu nahm sich Ken Stringfellow Zeit, mit der deutschen Presse zu plaudern. Nachdem er tags zuvor selbst gestandene Kollegen aus der Punk-Fanzine-Branche in Grund und Boden geredet hatte, lud der Mann mit dem Hang zum Monolog Gaesteliste.de zum Backstage-Plausch vor dem Konzert von R.E.M. auf dem Bonner Museumsplatz ein.
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Kein Tag wie jeder andere übrigens, denn just an diesem Datum wurde das erste Posies-Werk des neuen Jahrtausends in den USA an die Plattenläden ausgeliefert. Doch während Stringfellow den Veröffentlichungstag seines zweiten Alleingangs "Touched" wohl nie vergessen wird - es erschien am ominösen 11. September 2001 -, ist für ihn dieser 28. Juni 2005 kein historisches Datum, wie er lachend erklärt. "Na ja, wenn ich heute die Zeit hätte, in einen Plattenladen zu gehen, und sähe sie dort im Regal stehen, fände ich das schon aufregend! Allerdings ist es immer ein ungutes Gefühl, wenn die Platte draußen ist und die Leute die Chance haben, das Album ausgiebig zu beleuchten und schlechte Dinge darüber zu sagen. Dennoch bin ich mir natürlich völlig darüber im Klaren, dass sich die Welt genauso weiter drehen wird wie am Tag, bevor das Album erschienen ist, weil es eigentlich absolut keinen Unterschied macht, ob nun eine CD mehr in den Regalen steht oder nicht."
Na, ein bisschen - und dem Albumtitel zum Trotz - stellt Stringfellow das Licht seiner alten neuen Band da schon unter den Scheffel. Schließlich weist die Platte außer dem blinden musikalischen Verständnis zwischen den beiden Frontmännern nur wenige Anknüpfungspunkte mit den vorangegangenen fünf Studioalben auf, die die Kultband in den Jahren 1988 bis 1998 eingespielt hat. Deshalb erklärte uns Stringfellow zunächst einmal, wie wir uns den Ablauf der Aufnahmen vorzustellen haben, die ob seines hektischen Terminplans übrigens bereits im Februar 2004 begannen. "Wie ich, glaube ich, schon beim letzten Mal erzählt habe - an einem Sonntagabend habe ich den letzten Mix für mein Soloalbum fertig gestellt, und Montag früh kamen dann die Jungs, und wir legten sofort mit der Posies-Platte los. Wir dachten, dass wir den ersten Tag vermutlich komplett damit verbringen würden, die Instrumente aufzubauen und die Mikros an den richtigen Stellen zu installieren und so weiter. Allerdings waren wir so wild darauf anzufangen und alle unglaublich glücklich, dort zu sein, dass wir noch am gleichen Abend anfingen, an einer Songidee Jons zu arbeiten. Das war 'Conversations', und um 1.00 Uhr in der Früh hatten wir die Musik für den Song komplett aufgenommen. Das war natürlich ein großer Ansporn, und wir haben einfach weitergemacht. Dieses Stück im Speziellen hat uns die Türen zu so viel Neuem geöffnet: Wir schrieben den Song zu viert, und wirklich jeder brachte Ideen ein, wir schrieben ihn spontan, ohne groß zu überlegen, live im Studio, ohne großartig etwas zu überarbeiten, und trotzdem war das Resultat sehr gut. Dazu kamen kleine Dinge wie die Tatsache, dass ein Teil der Leadgitarren bei diesem Stück von mir stammt. Wie du weißt, war ich früher kein wirklich guter Gitarrist, aber ich habe hart an mir gearbeitet und bin jetzt in der Lage, viel ausgefeiltere Sachen zu spielen. Mein Leadpart, der zweimal im Song auftaucht, war eine spontane Eingebung, die ich während des Live-Takes hatte, ohne genau zu wissen, wie er eigentlich in den Song passt. Wenn wir den Song nun live bringen, spiele ich nicht das Gleiche wie auf der Platte, denn bei der Aufnahme waren wir so konzentriert, dass das wohl einige zusätzliche Türen in meinem Gehirn geöffnet hat. Jetzt bin ich wieder in der Normalität angekommen."
Von wegen Normalität! Auf dem neuen Album findet sich kaum ein Stück, das wirklich nach den "alten" Posies klingt, die Mitte der 90er Klassiker wie "Dream All Day", "Solar Sister" oder "Please Return It" abgeliefert haben. Konnte man früher trotz des unter jedem einzelnen Song zu findenden Credits "Auer / Stringfellow" davon ausgehen, dass - wie einst bei Lennon / McCartney - der Sänger auch der zumeist alleinige Autor des Songs war, verschwimmen die Grenzen bei "Every Kind Of Light" zusehends. "Ich denke, es gibt nur einen einzigen Song, der schon auf eine unserer früheren Platten gepasst hätte, und das ist 'I Guess You're Right', zu dem ich die Musik und den Text geschrieben habe. Ansonsten stammen Text und Musik selten von ein und derselben Person. Weil unsere früheren Aufnahmen so lange zurücklagen, haben wir versucht, gleich alles völlig anders anzugehen. Wenn also ein Song eine unerwartete Wendung nahm und sich zum Beispiel in einen Blues [wie bei "Could He Treat You Better?"] verwandelte, haben wir ihn nicht verworfen, sondern gesagt: 'Hey, das ist cool, lass uns etwas daraus machen.'" Keine Überraschung dagegen ist, dass fast alle Songs Klavier bzw. Keyboard-Parts haben. Schließlich hat sich Stringfellow in den letzten Jahren immer mehr von der Gitarre abgewandt und auch einen Großteil seiner Solosongs auf dem Klavier geschrieben. "Ich habe ja auch schon auf unseren früheren Platten, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, alle Keyboards gespielt, deshalb ist es ziemlich witzig, dass es ausgerechnet Jon war, der 'Love Comes' auf dem Klavier geschrieben hat. Deshalb spielt er beim Live-Take auf der Platte Keyboards und ich Leadgitarre. Unsere Rollen sind also völlig vertauscht. Als wir den Song dann für die Konzerte geprobt haben, stellte sich allerdings heraus, dass ich nicht in der Lage war, Leadgitarre zu spielen und gleichzeitig zu singen, deshalb sind unsere Rollen dort wieder anders verteilt." Erstmals werden The Posies bei ihren Liveshows also auch ein Keyboard dabei haben. Aber keine Angst, bei den alten Songs setzt sich Stringfellow nur ganz selten ans Piano - die Band wird sich größtenteils an die Originalarrangements halten. "Ich denke, es gibt viele Leute, die uns noch nie live gesehen haben, und denen ist es vermutlich lieber, wenn wir nicht zu sehr an den Arrangements der alten Songs drehen. Das ist wohl humaner, als bei den alten Sachen zu sehr zu Elton-John'en."
Und von den Posies als Liveband dürfte man in den kommenden sechs Monaten so einiges hören, denn mindestens bis Ende des Jahres wollen sich die vielbeschäftigten Musiker voll auf The Posies und die gemeinsamen Liveaktivitäten konzentrieren. Erste Auftritte in Deutschland - natürlich präsentiert von Gaesteliste.de - gibt es im August. "Das wirklich Aufregende im Moment ist die Aussicht, wieder auf Tour zu gehen", bestätigt Stringfellow. "Das mag sich seltsam anhören, schließlich war ich gerade fast zwei Jahre mit R.E.M. unterwegs und habe auch noch meine Solosachen nebenher gemacht, aber es ist wahr. Ich bin richtig wild darauf. Bevor ich wieder mit R.E.M. auf Tour ging, haben wir im Mai einen Monat lang in Seattle geprobt. Schließlich mussten wir all die Songs, die wir im Studio innerhalb kürzester Zeit geschrieben und aufgenommen haben, erst einmal live spielen lernen. Für viele davon hatten wir im Studio ja nur einen Tag Zeit, und wir hatten sie danach nie wieder gespielt. Gerade bei den neuen Sachen hatten wir das Gefühl, dass sie uns einiges Kopfzerbrechen bereiten könnten, aber letzten Endes stellte sich diese Sorge als unbegründet heraus. Wir mussten uns einfach nur klar werden, welche der Schichten, die wir aufeinander getürmt hatten, die wichtigsten waren." Neben den 12 Songs des neuen Albums studierte die Band dabei allerdings auch weitere 41 alte Songs aus allen fünf vorangegangenen Alben ein. "Wir haben wie irre sechs Tage die Woche, vier bis sieben Stunden pro Tag, geprobt. Jon und ich haben eine Liste mit Songs gemacht, die wir persönlich gerne singen würden, aber letztlich konnten wir uns alle vier mit der Auswahl anfreunden. Einige der alten Songs stellten sich allerdings als zu kompliziert heraus, weil irgendwann einfach die Grenzen deiner Aufnahmefähigkeit erreicht sind. Es gibt einige Stücke mit wirklich verrückten Bassfiguren, wie zum Beispiel 'Mrs. Green'. Wir haben's versucht, aber irgendwann sagte Matt: 'Wenn wir noch 50 andere Songs lernen wollen, sind das zu viele neue Informationen, die auf mich einstürzen. Lasst uns realistisch bleiben.' Dann sind wir zu einfacheren Songs zurückgekehrt, damit wir zumindest noch eine lange Liste an Songs und somit viel Auswahl haben. Es kann aber gut sein, dass wir während der Tournee noch weitere Songs lernen."
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Nicht zurückgeschreckt ist die Band dagegen davor, in den Texten auf "Every Kind Of Light" Stellung zum kulturellen Verfall in ihrem Heimatland zu beziehen - auch das ist eine Premiere. Anfangs war Auer zwar etwas skeptisch, doch er ließ sich schnell von Stringfellow überzeugen, der ja schon auf seinem letzten Solowerk "Soft Commands" im vergangenen Jahr ungewohnt deutliche Worte gefunden hatte. "Jons Angst lag in erster Linie in der Glaubwürdigkeit begründet. Er war sich nicht sicher, ob wir wirklich genug Einblick in diese Dinge haben oder ob wir nur von etwas reden würden, von dem wir keine Ahnung haben. Celebrities wird ja oft vorgeworfen, dass sie lediglich ihre Popularität ausnutzen, wenn sie über dies oder das sprechen, statt froh zu sein, dass sie sich wie mündige Bürger verhalten und die Dinge beim Namen nennen. Wenn ich also bestimmte Themen anspreche, dann nicht, weil ich glaube, mehr zu wissen als andere, sondern nur, weil ich mich für einen mündigen Bürger halte, der - zum Zeitpunkt der Aufnahmen - im Jahre 2004 lebte. Wir widmen uns ja auch nicht speziellen Details, wir sprechen einfach nur von unserem Leben im Jahre 2004 und den Dingen, die uns bewegen: Liebe, Leben, Tod und - Krieg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Amerikaner gibt, die sich derzeit nicht mit diesen Themen beschäftigen, insofern sind die Texte nicht mehr als eine Reflektion der Zeiten, in denen wir leben, und der Ängste, die uns verbinden. Das ist wohl auch der Grund, warum Jon letzten Endes kein Veto eingelegt hat. Zunächst gab es einige weitaus gewagtere Aussagen in einigen meiner Texte. Sie waren zynischer oder zumindest kontroverser, und Jon sagte zu mir: 'Das bist nicht du!' Ich kam zu dem Schluss, dass er Recht hatte. Einiges war zu extrem, und ich änderte die Passagen. Wenn ich jetzt darüber rückblickend nachdenke, merke ich, dass das den Songs geholfen hat."
Das neu gewonnene Gemeinschaftsgefühl, das sich bei den Aufnahmen breit gemacht hat, setzt sich nun übrigens auch auf der geschäftlichen Seite fort. Erstmals überhaupt werden die vier Musiker der aktuellen Besetzung der Band alle Einnahmen gerecht aufteilen. Die Erkenntnis, dass dies der einzig richtige Weg ist, liegt in den Fehlern begründet, die Auer und Stringfellow in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit gemacht haben. "Für die Art von Commitment, das wir momentan eingehen, ist das der einzig gangbare Weg. Wenn wir jetzt zum Beispiel auf Tour gehen, ist das für uns alle mit dem gleichen Risiko verbunden. Als wir mit der Band anfingen, war das ganz anders. Wir haben ja zunächst unser Debüt zu zweit aufgenommen, und erst als die Platte draußen war, wurden wir zu einer Liveband. Das Problem dabei war, dass wir erst zwei Jahre später unsere erste Platte zu viert gemacht haben und zwischendurch außer ein paar Trips die Westküste runter keine Möglichkeit hatten, durch Konzerte Geld zu verdienen. Während dieser Zeit verkaufte sich unsere erste Platte allerdings unglaublich gut. Für zwei Teenager wie Jon und mich ist da ein hübsches Sümmchen zusammengekommen. Allerdings waren wir der Meinung, dass uns - da wir die Platte zu zweit geschrieben, produziert und eingespielt hatten - auch die gesamten Einnahmen zustehen würden. Das ist eigentlich nur fair, trotzdem war es natürlich eine unbefriedigende Situation für unseren damaligen Bassisten Rick Roberts und unseren Drummer Mike Musburger. Es wurde auch später nicht besser. Die Drittbesetzung unserer Rhythmusgruppe bekam zum Beispiel auf Tour einen wöchentlichen Lohn, während sich Jon und ich die echten Einnahmen teilten. Die Feilscherei um die Finanzen ist immer hässlich, egal, ob es um wenig oder viel Geld geht. Wenn wir nun alles gerecht teilen, sollte sich eigentlich jeder gut und eingebunden fühlen. Ob das wirklich repräsentiert, wie die einzelnen Songs entstanden sind, ist dabei unwichtig. Das ist eh nur eine Abstraktion. Jetzt sind wir eine Einheit mit vier Teilen." Eigentlich geht es sogar noch darüber hinaus, denn anno 2005 sind The Posies definitiv mehr als nur die Summer ihrer einzelnen Teile. "It's Great To Be Here Again!" heißt der Opener, des neuen Albums und auch wir können nur sagen: Schön, die Posies endlich wiederzuhaben!
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Weitere Infos:
www.theposies.net
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Bootsy Holler-
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Aktueller Tonträger: Every Kind Of Light (Rykodisc/Rough Trade)
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