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LEE BUDDAH
 
Heartbreak Hotel
Lee Buddah
Wenn man Lee Buddah zum Gespräch bittet, ereignet sich das folgende eindrucksvolle Phänomen: Der passionierte Elvis-Fan errichtet ein verbales Graceland. Mit anekdotenschwangeren Koffern zieht die Themenvielfalt ein und überlässt dann doch generös der Philosophie das Gemach mit dem schönsten Ausblick. Routiniert parkt Chauffeur Wortwitz, am Steuer eines pinken Cadillac, in Sekundenschnelle ein. Und exakt im richtigen Moment öffnet Ernst die Tür zum sanft illuminierten Kaminzimmer, dessen Wände golden gerahmte Portraits zieren. Bilder von Lee Buddahs Helden: Joni Mitchell, Nick Drake, Bob Dylan, Beach Boys, Beatles. Und natürlich Elvis. Tatsächlich gehört ein liebevoll drapierter, den King ehrender Altar zum traditionellen Inventar von Lee Buddahs Wohnung - welche sich seit Anfang des Jahres in Berlin-Kreuzberg befindet. Die Elvis-Devotionalien können sich glücklich schätzen: Den HipHop, auf "Halbgescheid" (1998) und "Primat Midi" (2000) noch Dauergast, hat der sympathische Westfale nämlich in seiner alten Heimat Dortmund zurückgelassen. Er durfte nur mal kurz für die Single "Jung, dumm und glücklich" zu Besuch kommen - um bei dieser Gelegenheit festzustellen, dass die Popmusik nun Hausherrin ist. Ihren Einstand als Vollzeitkraft feierte sie vor wenigen Wochen mit der Veröffentlichung von Lee Buddahs "Frühjahrschronik" - jetzt geht es gemeinsam auf Antrittsreise, quer durch die Republik. Der Elvis-Altar wird also einige Zeit ohne seinen Erbauer auskommen müssen. Umgekehrt fällt der temporäre Abschied weniger schmerzlich aus, schließlich ist das verbale Graceland immer dabei. Als Gaesteliste.de das Foyer betritt, thront bereits eine Heldin aus der Kaminzimmer-Galerie im Ohrensessel. Es ist Joni Mitchell. Auf der Armlehne sitzt ihre "Black Crow".
"In search of love and music / My whole life has been / Illumination / Corruption / And diving, diving, diving / Diving down to pick up on every shiny thing / Just like that black crow flying In a blue sky." Lee Buddah hat jene Textstelle, mit der er seine Pressemitteilung zu "Frühjahrschronik" eröffnet, nicht ohne Grund gewählt: "Manchmal gibt es Lieder, bei denen du das Gefühl hast: Das wurde über mich geschrieben. Das bin ich. 'Black Crow' ist eins meiner liebsten Stücke. Es handelt davon, dass Joni Mitchell immer unterwegs ist und das Gefühl hat, auf ihrer Reise stets von einer schwarzen Krähe begleitet zu werden, in der sie sich wiedererkennt. Eine schwarze Krähe am blauen Himmel, die sich runterstürzt, wenn sie etwas Glitzerndes erspäht. Genau so ist das im Leben." Wenn der 31-Jährige über von ihm verehrte Musiker redet, nehmen diese die Gestalt alter Freunde an, die man zwar noch nie persönlich kennengelernt hat, denen man aber bei einem Treffen "Er hat schon viel von Ihnen erzählt. Nur Gutes!" entgegenlächeln würde. Gute Texte seien ganz klar die, in denen man sich wiedererkennt - auch wenn man dabei zu einer schwarzen Krähe mutiert. Wie ist das aber für einen Künstler, wenn etwas in seine eigenen Songs hineininterpretiert wird? "Es ist schön, wenn sich überhaupt jemand die Mühe macht, sich mit meiner Musik auseinander zu setzen", meint Lee Buddah bescheiden, "auf manche Sachen, die Leute in meinen Liedern hören, wäre ich allerdings selbst nie gekommen. Das ist immer am interessantesten." Hin und wieder weiß er selbst nicht so ganz genau, worum es in seinen Texten eigentlich geht, zumindest nicht sofort: "Manche Songs sind natürlich sehr explizit aus einer Situation heraus geschrieben oder beschreiben ein bestimmtes Ereignis. Es gibt aber auch solche, bei denen ich keine Ahnung habe, wovon sie handeln. Bei 'Drei Wünsche' war das zum Beispiel so. Ich sollte den Song für Benjamin Quabecks Regiedebüt 'Nichts bereuen' schreiben und meine Idee war, einen Refrain zu haben, in dem versteckt die Zahlen 1, 2, 3 und 4 auftauchen - 'Einen für alles und im Zweifel für dich selbst und drei Wünsche frei auf einmal, falls dein Viertel hinter dir zusammen fällt.' Daraus habe ich dann etwas gemacht, was für mich selbst am Anfang gar keinen großen Sinn ergeben hat, sondern für den Protagonisten des Films gedacht war. Aber im Laufe der Zeit kapiert man seine eigenen Sachen besser. Und im Nachhinein habe ich gedacht: Hey, das habe ich ja auch über mich geschrieben. Wenn sich deine Lebenssituation ändert, dann passt ein Lied, das du eigentlich für etwas ganz anderes geschrieben hast, plötzlich auch zu dir, zu deinem Leben." Die Arbeit an seinen Liedern beschreibt Lee Buddah unprätentiös als "Handwerksberuf", entwickelt aber natürlich auch gewisse Vatergefühle für die heranwachsenden Stücke: "Ich bin schon ein Formalist beim Texten und versuche, auf so Sachen wie Metrik und Phonetik Wert zu legen. Nichtsdestotrotz sind Songs aber auch wie kleine Kinder, die man großzieht. Und manche, die wollen einfach nicht groß werden und liegen ein Jahr lang herum, bevor der Text fertig ist. Du hast manchmal einen Refrain, der dir gefällt, weißt aber gar nicht, was das soll und weißt auch nicht, was die Strophe erzählen soll. Dann brauchst du halt Zeit. Es gibt aber auch Texte, die ich auf dem Weg ins Studio geschrieben habe. So kurz vor knapp, damit ich da überhaupt irgendwas hatte. Die 'Frühjahrschronik'-Lieder sind aber alle in Ruhe und mit Bedacht entstanden."
Trotz der Tatsache, dass er dem HipHop nun weitgehend den Rücken gekehrt hat, sieht Lee Buddah selbst einen deutlichen roten Faden zwischen der "Frühjahrschronik" und ihrem Vorgänger "Primat Midi": "Auf 'Primat Midi' waren zwar noch mehr HipHop-beeinflusste Titel, aber der Geist, verschiedene Stilrichtungen miteinander zu kombinieren, ist derselbe. HipHop war für mich Anfang der Neunziger die Initialzündung, selbst Musik zu machen. Aber irgendwann war das für mich ausgereizt. Textlich und musikalisch. Der Schritt in Richtung Popmusik war eine Befreiung für mich." Die Aufnahmen zu seinem dritten Longplayer fanden zwar künstlerisch befreit, aber unter erschwerten Bedingungen statt: "Das Album ist komplettes Homerecording. David Nash, mein Co-Produzent und Engineer, hat sich alle Mühe gegeben, das zu verbergen. Wir haben nur abends und nachts aufgenommen, weil tagsüber zuviel Lärm war. Und im Sommer mussten wir auf der Dachterrasse schlafen, weil es in der Wohnung so heiß war. Das Ganze ging, mit Unterbrechungen, über drei Jahre." Die fertige Platte zeichnet die Spuren der erloschenen Liebe von Julia und Andy nach, für Lee Buddah ist sie "der Soundtrack zu einem Film, den es nicht gibt, den man aber vielleicht trotzdem kennt." Denn: "Die Situation nach einer in die Brüche gegangenen Beziehung kennen ja die meisten Menschen. Es sei denn, sie haben ihre Sandkastenliebe geheiratet und sind immer glücklich gewesen. Die Songs auf 'Frühjahrschronik' erstrecken sich über einen gewissen Zeitrahmen nach dem Verlust einer Liebe und blicken auf die gemeinsame Zeit zurück." Nach einem möglichen Teaser zum Film "Frühjahrschronik" gefragt, philosophiert er: "Am Ende des Tunnels ist ein Licht. Man kann es nur nicht sehen." Als tatsächliche Filmmusik seien die neuen Stücke jedoch nicht geeignet, zu eindeutig sei das, was sie beschreiben und erzählen, zu stark ihr Eigenleben. Dass der neue Longplayer ein Konzeptalbum geworden ist, war nicht geplant: "Das hat sich so ergeben. Ich habe viele Lieder gesammelt und die, die am schlüssigsten und besten waren, sind jetzt auf dem Album drauf. Ich habe aber erst beim Kompilieren der Stücke festgestellt, dass sie alle zum selben Thema gehören und noch einmal einen anderen Sinn ergeben und sich eine Metaebene des gesamten Albums auftut, wenn man sie in eine bestimmte Anordnung bringt. Das war aber eigentlich nichts, was ich angestrebt hätte. Sondern ein Konzeptalbum per Zufall." Ein gutes Konzeptalbum muss, laut Lee Buddah, nicht mehr bieten, als gute Musik. Und vor allem müsse es auch funktionieren, ohne dass man das Konzept dahinter versteht. "Ich liebe 'The Lamb Lies Down On Broadway' von Genesis. Ein Konzeptalbum erster Kajüte. Aber ich habe keine Ahnung, worum es da geht. Die Texte kapiere ich überhaupt nicht, obwohl ich zig mal versucht habe, den Begleittext von Peter Gabriel zu verstehen. Für mich liest sich das alles nur wie aufgeblasener Mumpitz. Trotzdem berühren mich die Musik und die Texte sehr. Das sind tolle Songs, die etwas in mir auslösen."

Das einstige Glück von Julia und Andy wurzelte in jugendlicher Unbefangenheit. Lee Buddah versucht zu erklären, warum man diese mit der Zeit verliert: "Je mehr zwischenmenschliche Erfahrungen du im Leben sammelst, desto voreingenommener wirst du. Man möchte Unangenehmes nicht wiederholen. Oder glaubt genauer zu wissen, was gut für einen ist." Die wichtigste Voraussetzung, um glücklich zu sein, beschreibt er mit der Bereitschaft, Glück überhaupt als solches zu erkennen und es auch zuzulassen. In "Landflucht" wird die altbekannte Floskel "Liebe macht blind" in "Fernweh macht blind" verwandelt. Bedeutet das, dass Liebe Fernweh ist? "Liebe bedeutet für jeden etwas anderes. Der eine liebt die Begierde und jagt dem Zustand des Verliebtseins nach. Der andere liebt eher das Begehrte und die Sicherheit und Geborgenheit, die ihm ein anderer Mensch gibt."

Als großer Musiknerd hat Lee Buddah viel Freude daran, popkulturelle Anspielungen in seinen Songs zu platzieren. Bewusst oder intuitiv? "Das ist unterschiedlich. Ein Lied wie 'Julia' ist ja musikalisch aus diversen Beatles-Liedern zusammengebastelt und spielt auch textlich mit Beatles-Motiven. Die meisten Sachen entstehen aber eher intuitiv. Ich finde es langweilig, sich bewusst an Stilistiken abzuarbeiten. Viele Musiker beginnen irgendwann, die Musik anderer Bands zu dechiffrieren und als Teil ihrer eigenen musikalischen Sprache zu benutzen. Dann unterhält man sich während des Arbeitsprozesses an einem Lied so: 'Wir brauchen eher einen Paul McCartney-Bass und außerdem fehlt da noch ne Andy Summers-Gitarre. Ein Elvis-Echo wär' gut für den Gesang, aber das ist mir alles noch zuviel U2, mach mal kleiner!'" Über die Frage nach den Alben, ohne die "Frühjahrschronik" nicht möglich gewesen wäre, muss der Wahlberliner nicht lange nachdenken: "Bob Dylans 'Blood On The Tracks' und 'Hejira' von Joni Mitchell haben mich textlich sehr beeindruckt. Die Art der Ansprache, der Tonfall und die Kunst, Dinge sehr persönlich und vertraulich zu sagen, ohne dabei peinlich zu werden. Nick Drake hat mir sehr geholfen, selbst zu singen. Von den Beatles habe ich gelernt, dass du musikalisch alles machen kannst, was du nur willst." Schmunzelnd verrät er auch, welche in seiner Sammlung befindliche Platte man wohl nie dort vermuten würde: "Das Beste" von Wolfgang Petry. Findet er äußerst amüsant. An sein erstes als Zuhörer erlebtes Konzert erinnert sich Lee Buddah auch noch: "BAP auf dem Ostermarsch des Jahres 1983 in Dortmund. Ich saß während des gesamten Konzertes bei meinem Vater auf den Schultern. Das hat mich damals ziemlich beeindruckt." Und welche Musik beeindruckt ihn gerade im Moment? "G. Love & Special Sauce höre ich zur Zeit sehr viel. Ich werde auch mit Kontrabass und Schlagzeug auf Tour gehen - da muss ich mir jetzt noch mal anhören, wie man das als Trio richtig gut macht. Ben Folds höre ich sowieso fast immer, allein schon, damit ich endlich mal mehr Klavier übe. Ansonsten läuft bei mir die neue Gorillaz-Platte rauf und runter, die finde ich super."

Lee Buddah
Parallel zu den Tourvorbereitungen arbeitet Lee Buddah gemeinsam mit Regisseur Benjamin Quabeck an einem Hörspiel, das im Oktober auf Radio EinsLive ausgestrahlt wird. Jenes Medium begeistert ihn seit frühester Kindheit: "Ich habe damals hauptsächlich 'Drei ???' und 'TKKG' gehört. Und immer wieder 'Emil und die Detektive' von Erich Kästner. Mein Cousin und ich haben dann auch Sampling gemacht, mit einem Doppeltapedeck. Wir haben Ausschnitte aus den 'Drei ???' oder 'TKKG' genommen und neu zusammengesetzt. Das Highlight war, als Klößchen sich dann 'am Haschisch gütlich getan' hat. Das haben wir durch raffinierte Schnitt-Technik hinbekommen." Mit einigen Raffinessen darf man auch auf der anstehenden - von Gaesteliste.de präsentierten - Tour rechnen. Den Koffer, den andere noch in Berlin haben, bringt Lee Buddah mit. Prall gefüllt mit großartigen neuen und alten Songs, unerwarteten Coverversionen und mindestens einem Zentner Leidenschaft. Natürlich hat er auch sein verbales Graceland dabei. Ein Besuch seiner Konzerte sei ausdrücklich empfohlen und zwar auch dann, wenn man die Frage "Are You Lonesome Tonight?" verneinen kann. Tja, aber: was wäre, wenn. Was wäre, wenn es - während der Elvis-Altar in Berlin-Kreuzberg auf die Rückkehr seines Erbauers wartet - bei einem Auftritt plötzlich hieße: "The King has entered the building!"? Wie würde Lee Buddah dem auferstandenen Elvis für all das, was er ihm bedeutet und gegeben hat, bloß danken? "Ich würde ihm einen Bananenpudding kochen."
Weitere Infos:
www.leebuddah.de
Interview: -Ina Simone Mautz-
Fotos: -Pressefreigaben-
Lee Buddah
Aktueller Tonträger:
Frühjahrschronik
(The A-Label/Rough Trade)
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