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AMY MILLAN
 
Honigsongs
Amy Millan
Wer in letzter Zeit ein offenes Ohr für Strömungen und Tendenzen musikalischer Natur hatte, die nicht von der britischen Musikpresse gemacht werden, dem müsste aufgefallen sein, dass momentan gerade aus Kanada die spannendsten Musikacts kommen. Es sind Künstler wie die die New Pornographers, Arcade Fire, Feist, Jason Collett, Broken Social Scene, Metric, Stars und nicht zu vergessen die Wainwrights, die wieder Lust auf den Besuch von Live-Konzerten machen oder in die Plattenläden locken, um spannende neue Musik zu entdecken. Einer der Gründe, warum die musikalische Welt in Kanada momentan so gesund ist, liegt an einem ordentlichen Maß inzestuöser Verbindungen: Die kanadischen Musiker kennen sich nicht nur alle, sondern arbeiten auch hemmungslos miteinander zusammen.
Kein Wunder also, dass die Dame, um die es hier geht - Amy Millan - zu gleich zwei dieser Bands (Broken Social Scene und Stars) gehört und wenn sich die Gelegenheit ergibt, auch noch bei Jason Collett mitsingt. Jetzt legt sie mit "Honey From The Tombs" ein überzeugendes Solo-Debüt vor - irgendwo zwischen Bluegrass, Folk-Pop und, ähem, Noise-Rock -, das sie über einen Zeitraum von drei Jahren, quasi "nebenher" einspielte. "Ja, das stimmt, ich war ja sehr beschäftigt", erklärt Amy, "um es mal so auszudrücken: Wenn ich talentiert genug wäre und nicht so eine Trinkerin, dann wäre ich vermutlich in einer Symphonie. Ich liebe alle Arten von Musik. Der Grund, warum ich meine Solo-Scheibe gemacht habe, war der, dass ich in der Methode, aus drei Akkorden einen einfachen Song zu machen, eine neue Herausforderung sah." Nicht, dass Amys Songs tatsächlich aus nur drei Akkorden bestünden. Aber sie sind von einer anderen Art als jenes Material, das sie z.B. für Stars schrieb. Was ist das wesentliche an Amys eigenen Songs? "Nun, ich habe eine Freundin, die eine Schriftstellerin ist und an einem Roman arbeitet. Wenn ich mir so anschaue, was sie da schreibt, dann kann ich aber doch erkennen, dass längst nicht alles erfunden ist und ihre Charaktere durchaus auf realen Personen beruhen, Man kann sich ja schließlich nicht alles ausdenken. So ähnlich ist das mit meinen Songs auch. Diese sind auf gewisse Weise persönlich. Sie handeln auch von real existierenden Personen, aber ich nehme mir natürlich künstlerische Freiheiten heraus. Man muss seine Absichten verschleiern und darf dabei nicht zu persönlich werden, weil es sonst nicht mehr zugänglich ist. Andererseits muss man konkret werden, damit man sich etwas vorstellen kann." Wie ist das denn zu verstehen? "Nimm z.B. mein Stück 'Ruby II': Ich war noch nie in North Dakota - es hörte sich nur gut an, also sang ich darüber. Das ist es, was ich meine." Warum heißt dieser Song eigentlich "Ruby II"? "Nun, weil es einen Song von Kenny Rogers namens 'Ruby, Don't Take Your Love To Town' gibt, weil es um einen ähnlichen Charakter geht und weil ich nicht so tun wollte, als habe ich noch nie davon gehört. Es ist quasi meine Hommage an diesen Song."
Das Artwork zeigt ein Foto von Amy, das sie durchgestylt und stilvoll hingegossen auf einer Chaiselounge zeigt. Was hat es damit auf sich? "Also ich wollte irgendwie schon ein stilisiertes Bild auf dem Cover haben", meint sie, "unter anderem, weil ich bei meiner CD an ein Vinyl-Album denke. Ich werde es auch als Vinyl-Scheibe rausbringen. Das Foto sollte stilvoll und zeitlos aussehen - so etwas hätte es vor 30 Jahren oder eben heute geben können." Okay - kommen wir mal zu dem musikalischen Teil. Wie ist Amy auf die Idee gekommen, Bluegrass und kontemporäres Songwriting zu vermischen? "Nun, es geht darum, was gesungen wird", erläutert sie, "es ist im Prinzip dieser einsame Blues, der mit Musik kombiniert wird, zu der du am liebsten tanzen möchtest. Und dafür eignen sich Bluegrass und Country am besten. Für mich ist das die geeignete Möglichkeit, meine Traurigkeit zu zelebrieren. Trink dir einen und tanze zum Banjo - sterben musst du sowieso irgendwann. Und dann noch was: Songs, zu denen man mitsingen kann, haben mehr Soul als andere. 'Will The Circe Be Unbroken' ist zum Beispiel ein solches Stück: Offensichtlich ein fröhliches Stück Musik und doch geht es um eine sterbende Mutter. Diese Widersprüchlichkeit, die sich vor allem in der Country Musik findet, liebe ich eben." Auf der Scheibe befindet sich ein Song namens "Heart Hearted (Ode To Thoreau)" - letzterer ein Philosoph. "Ja - der Song erklärt sich von selbst. Es geht um eine Person, die diese Tendenz hat, sich zur Natur hingezogen fühlt. Ich selber hatte mal diese Phase, in der ich mir im Wald eine Hütte bauen wollte, um dort zu leben. Ich bin ein Fan dieser Idee der Hinwendung zur Natur, die Thoreau predigt. Ich mag die Idee, Blumen oder Bäume lieben zu können. Wenn man in der Natur lebt, wird man förmlich aufgesaugt und sieht jeden Tag etwas Neues. Man braucht dann kein Gedächtnis mehr. Die Erinnerungen können zwar schön sein, es geht aber eigentlich darum, zu vergessen." Man braucht kein Gedächtnis mehr? Und was ist dann mit der Zukunft? "Das ist ja das Schöne an der Natur: In der Natur gibt es keine Vergangenheit und keine Zukunft. Man 'ist' einfach nur, man existiert im Einklang mit sich selbst und der Natur im Moment." Und das letzte Stück auf der Scheibe, "Pour Me Up Another": Ist das tatsächlich ein Trinklied? Vermutlich ja eher nicht, oder? "Nein, den Song habe ich für meine Großmutter geschrieben. Sie gehörte einer Generation an, die viel durchgemacht hat. Viele ihrer Freunde sind in den Krieg gezogen und es war eine ziemlich deprimierende Zeit. Der Krieg hat ja eine ziemlich destruktive Auswirkung auf die Beziehungen von Leuten gehabt. Es waren Zeiten, in denen es viele Affären gab, viel Alkohol, natürlich viel Trauer - es waren ziemlich chaotische Zeiten. Meine Großmutter hatte es sehr schwer. Sie war eine Alkoholikerin und sie starb ohne dass ich einmal eine richtige Unterhaltung mit ihr hatte. Ich hatte sie fast aus meinem Gedächtnis verbannt und durch diesen Song habe ich sie wieder gefunden. Ich habe ihn als letzten auf die CD genommen, weil er das Ende der Nacht darstellt. Wenn alles vorbei ist, dann trinke noch einen und gehe dann zu Bett."
Amy Millan
Wohin wird Amys Weg sie in der Zukunft führen? "Ich habe schon eine Menge neue Songs geschrieben", erzählt sie, "ich habe zwar bei Stars auch schon immer geschrieben, aber alleine Songs zu erschaffen, ist doch etwas anderes. Ich brauche nur mal ein wenig Ruhe, um ein neues, großes Album aufnehmen zu können." Mit "Honey From The Tombs" hat Amy Millan ein Debüt hingelegt, das eine erfahrene und umsichtige Songwriterin zeigt, die im Stande ist, mit den Genres zu jonglieren und diese zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen, um zeitlose, klassische Songs zu kreieren. Darauf weist auch der Titel des Albums hin: Die alten Ägypter verwendeten reinen Honig - der nicht verdirbt - als Grabbeigabe, um damit die Seelen der Verstorbenen zu konservieren. Heutzutage nimmt man eben Songs dafür.
Weitere Infos:
www.amymillan.com
de.wikipedia.org/wiki/Stars
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Amy Millan
Aktueller Tonträger:
Honey From The Tombs
(Arts & Crafts/Rough Trade)
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