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ANDREW BIRD
 
Schmerz ist eine wichtige Erfahrung
Andrew Bird
Als Künstler trägt man nicht selten seine Gefühlswelt nach außen und lässt andere daran teilhaben, was einem selbst gerade im Kopf umhergeht und was das Herz beschäftigt. Der aus Chicago stammende Andrew Bird ist da keine Ausnahme, auch wenn das Ergebnis für ihn in vielerlei Hinsicht nicht immer ein reales Abbild seiner Identität darstellt. Im Gespräch mit Gaesteliste.de versucht er zu erklären, was beim Songwriting alles in ihm vorgeht und kommt dem eigenen Ich etwas auf die Spur. Er mag sich auf der Bühne seines zum Markenzeichen gewordenen Pfeifens, seiner Gitarre und vor allem seines außergewöhnlichen Talents an der Geige bedienen, bevor er aber an diesen Punkt gelangt, spielt sich schon im Vorfeld so einiges ab, was sich lohnt genauer betrachtet zu werden.
Gaesteliste.de: Du scheinst oft mit der feststehenden Darstellung von Musik zu spielen, sei es durch Improvisationen auf der Bühne oder durch variationsreiche Aufnahmen deiner Songs. Ist Musik dein persönlicher Spielplatz, auf dem du bestimmte Strukturen erschaffen oder zerstören kannst?

Bird: Ja, so fühlt es sich ungefähr für mich an. Songs sind einem gewissen Zyklus unterworfen und steigen oder fallen in deiner Gunst. Manchmal muss man sie einfach durcheinanderbringen, um sie am Leben zu erhalten. Das gilt sowohl für mich als auch für das Publikum. Sobald ich anfange etwas zu ändern, um es interessanter zu gestalten, überträgt sich das auch auf die Zuschauer. Ich glaube an mein Publikum, ihre Intelligenz und ihr Wahrnehmungsvermögen und denke, dass sie das alles spüren können. Egal, ob du etwas automatisch machst oder distinktiv vorgehst.

Gaesteliste.de: Wie sehr verändert sich deine eigene Einstellung diesem Prozess gegenüber, wenn du an die Arbeit im Studio oder an Live-Auftritte denkst?

Bird: Ich mag die Studioarbeit nicht so sehr, aber die Bühne schon. Es ist anstrengend, aber gleichzeitig viel realer. Eben eine wirkliche Lebenskultur. Das Geschehen auf der Bühne ist in vielerlei Hinsicht bereichernder. Im Studio fühlt es sich manchmal nicht ehrlich genug an, während man auf der Bühne in Extreme gehen kann, je nachdem wie die eigenen Absichten aussehen.

Gaesteliste.de: Du spielst schon seit deiner frühesten Kindheit Violine und hast vieles gelernt. Hat dir das Instrument selbst etwas wichtiges beigebracht, was sich nicht unbedingt auf die Musik bezieht?

Bird: Ich spiele die Violine seit ich vier Jahre alt bin. Es ist eine liebevolle und gleichzeitig hasserfüllte Beziehung, die ich zu diesem Instrument habe. Du entwickelst zum Beispiel eine bestimmte Technik während des Spielens und sobald du einen Fehler machst, stürzt alles auf dich herab. Das ist ein schmerzhafter Moment. Ich habe oft physische und emotionale Schmerzen ertragen, seit ich mit der Violine in Berührung gekommen bin. Es gab eine Zeit, in der ich sie sogar weglegen musste. Ich habe sie zwar noch vereinzelt gespielt, aber sie war kein Teil meiner wirklichen Identität mehr. Jetzt hingegen macht alles einen Sinn. Mein Pfeifen, das die Violine begleitet, hat das eigentliche Spielen fast in den Hintergrund gedrängt und im selben Atemzug einfacher gemacht. Ich frage mich manchmal, wie man feststellen soll, ob etwas gut oder schlecht ist, wenn es einen nicht zunächst verletzt. Das ist etwas, was ich gelernt habe.

Gaesteliste.de: Im "Measure For Measure"-Blog der New York Times beschreibst du sehr lebhaft und anschaulich den Prozess des Songwritings aus deiner Perspektive. Ist das Schreiben über Musik eine ebenso große Herausforderung wie das eigentliche Schreiben eines Songs?

Bird: Nein, das würde ich nicht sagen. Das Schreiben über Musik ist ein recht dubioses Unterfangen. Es ist sehr intentionale Handlung, während das Machen von Musik eher einen unwillkührlichen Charakter besitzt. Du kannst mich ungefähr genauso für den Inhalt meiner Songs beschuldigen wie für die Träume, die ich habe. Es sind beides Dinge, die unbeabsichtigt geschehen. Ich habe in meinem Leben viel über Musik nachgedacht, aber vorher noch nie darüber geschrieben. Trotzdem war es nicht so schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Ich könnte tagelang über Musik reden. Ich schreibe nicht sonderlich viel, aber wenn ich es tue, dann gehe ich sehr gewissenhaft vor.

Gaesteliste.de: Der Blog trägt den Untertitel "How To Write A Song And Other Mysteries". Was ist das größte Geheimnis für dich, wenn es darum geht ein Stück Musik zu schreiben?

Bird: Ich glaube, das größte Geheimnis ist der gesamte kreative Prozess selbst, der damit verknüpft ist. Wo kommen die Ideen her, etc? Das ist immer noch geheimnisvoll und so soll auch sein. Es ist fast schon beängstigend, wie eigenwillig das alles ist. Manche Leute denken, das ist etwas Schlechtes, aber das ist es nicht. Mir gefällt der Gedanke, dass es zumindest für mich so zufällig erscheint. Mir kann ganz beiläufig irgendein Wort einfallen, das ich gelesen habe und auf einmal beschäftigt es mich so sehr und spukt in meinem Kopf herum. Ich kann das ebenso wenig erklären wie die Tatsache, dass ich Musik schreibe. Es ist eine Herausforderung für mich zum Beispiel dieses Wort dann auch in einem Song zu verarbeiten, so dass es einen Sinn ergibt. All das benötigt Zeit und Raum und eine gewisse persönliche Note. Dabei muss es nicht unbedingt zu direkt wirken. Wenn ich ein Liebeslied schreiben will, geht das auch ohne die offensichtlichen Merkmale. Es kann auch unterschwellig dargestellt werden. Die Energie zwischen zwei Menschen an einem etwas abstrakteren Beispiel vielleicht. Ich muss zugeben, dass ich nicht sehr direkt bin, aber das heißt nicht, dass es nicht persönlich ist. Ich würde mich wie ein Dummkopf fühlen, wenn ich jeden Tag auf der Bühne über eine reale Beziehung singen müsste. Ich drücke es lieber in anderer Form aus.

Gaesteliste.de: Weil du Angst hast, zu viel von dir zu preiszugeben?

Bird: Vielleicht ist es das. Ich gebe ab und an schon einige Dinge von mir preis, aber dann fühle ich mich oft unwohl und bringe mich selbst in Verlegenheit. Jedes Mal, wenn ich beim Schreiben eines Songs so fühle, nehme ich es aber als ein gutes Zeichen, diese Idee nicht wieder herauszustreichen, sondern sie zu behalten. Das ist für mich die ehrlichste Art Musik zu machen.

Gaesteliste.de: Du hast dich einmal als Instrumentalist beschrieben, der singt. Siehst du dich in erster Linie als Instrumentalist und dann als Sänger?

Bird: Letztenendes ist Singen nur eine andere Art und Weise, Töne zu erzeugen. So fängt alles an. Jeden Tag habe ich viele Ideen in meinem Kopf, aber das sind alles Klänge und Strukturen. Das Letzte, was mir einfällt, sind Wörter, obwohl sie wichtig sind. Ich kann einen Song einfach nicht als Instrumentalstück stehenlassen. Ich bin viel zu ungeduldig dafür. "Natural Disaster", zum Beispiel, war zuerst ein Instrumentalstück, aber erst als ich Wörter hinzugefügt habe, hat der Song an Bedeutung gewonnen und so geht es mir mit vielen Ideen.

Weitere Infos:
www.andrewbird.net
www.myspace.com/andrewbird
www.lastfm.de/music/Andrew+Bird
Interview: -Annett Bonkowski-
Foto: -Pressefreigabe-
Andrew Bird
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