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AIR
 
Optimismus, oui!
Air
In Krisenzeiten heißt es immer schön den Kopf oben zu behalten und auszuharren. Das französische Duo Air hat dank seiner erfolgreichen Karriere zwar gegenwärtig keinerlei Grund, die Stirn in Falten zu legen oder gar zu verzweifeln, aber auch im besagten Notfall würden sie anstehenden Hindernissen mit viel Optimismus entgegen treten. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung und beim sommerlichen Dialog mit Jean-Benoît Dunckel berichtet dieser uns ganz bescheiden von Einsichten, die man mit der Zeit gewinnt, und spricht über die Wichtigkeit, sich von seinen Gefühlen lenken zu lassen. Mit ihrem neuen Album "Love 2" und dem Liebes-Motiv knüpfen sie darüber hinaus an eine Thematik an, die für sie nicht nur unerschöpflich scheint, sondern seither ein treuer Wegbegleiter ist.
GL.de: Wie ich sehe, bist du gut für deinen Berlin Aufenthalt vorbereitet (Jean-Benoît Dunckel hat einen Berlin Reiseführer neben sich liegen).

JB: Ja, das ist wahr. Leider werde ich aber keine Zeit haben, viel von der Stadt zu sehen. Ich bin jetzt seit zwei Tagen hier, aber ich kenne die Stadt durch vorherige Besuche ziemlich gut. Ich bin das erste Mal mit sechzehn Jahren Anfang der 80er hergekommen. Es war 1984, wenn ich mich richtig erinnere.

GL.de: Und seitdem kommst du öfter her und bist der Stadt verfallen?

JB: Ja, das bin ich wohl. Das erste Mal als ich hier war, stand ja noch die Mauer und ich habe auch diese Zeit kennengelernt. Hast du den Mauerfall bewusst miterlebt?

GL.de: Das habe ich. Ich war zwar noch etwas klein, aber habe schon mitbekommen, was da vor sich geht und wie die Stimmung im Osten Berlins war.

JB: Wow. Das stelle ich mir aufregend vor. Gerade damals habe ich gedacht, dass es unglaublich sein muss, all das als junger Mensch mitzuerleben und an diesem besonderen Ereignis teilzuhaben.

GL.de: Als Kind hat man natürlich keine genaue Vorstellung davon gehabt, welches Ausmaß der Mauerfall gehabt hat bzw. war man in diesem jungen Alter und bis zu dem Zeitpunkt nicht wirklich in seinem kindlichen Leben eingeschränkt oder es hat einen großen Unterschied gemacht. Ganz anders sah die Situation dagegen für Jugendliche und Erwachsene im Ostteil der Stadt aus.

JB: Ja, ich kann das nur erahnen. Aber es ist gut, dass du eine Erinnerung an diesen Moment hast.

GL.de: Sollen wir die Uhr mal einen ganzen Sprung nach vorne drehen und über das neue Album "Love 2" sprechen?

JB: Oh warum...? (lacht herzlich)

GL.de: Ich dachte, deswegen sitzen wir hier zusammen, aber wir können das auch gerne etwas aufschieben...

JB: Nein, das kann nicht sein. Deswegen bin ich hier? Das Album ist doch nur eines von vielen...(lacht laut)

GL.de: Die Musik von Air wird ja im Allgemeinen gerne und oft im Zusammenhang mit dem Wort "Liebe" zitiert oder sogar mit ihm assoziiert. Nun habt ihr euer neues Album "Love 2" genannt und das erste Mal explizit dieses Wort im Titel verwendet...

JB: Hmm, das ist richtig. Der Titel selbst ist für uns aber gar nicht von Bedeutung. Er soll eigentlich nur ein Resultat davon sein, wie Wörter auf deinen Verstand wirken können. Wenn du zum Beispiel "Love 2" hörst, fängst du insgeheim an, dir selbst eine Frage zu stellen. Warum gerade "Love 2"? Warum die Zahl als Zusatz? Dieser Vorgang kann zum Teil ganz unbewusst ablaufen und es können dadurch mehrere Ideen enstehen. "Love 2" kann vielleicht wachrufen, dass die Liebe manchmal eben auch mit Zahlen verbunden sein kann und es im Leben mehr als nur eine Liebe gibt. Sie kann von dir selbst ausgehen oder von Menschen, die dich umgeben. Es gibt sie praktisch überall. Dadurch wird die Vorstellung zerstört, dass es nur eine Form von Liebe im Leben gibt. Ich mag diesen Aspekt.

GL.de: Das Liebes-Motiv begleitet euch schon lange und taucht in eurer bisherigen musikalischen Karriere doch immer wieder auf. Ist es ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass es irgendwo in stärkerer oder schwächerer Form vorhanden ist und ihr darauf zurückgreifen könnt?

JB: Ja, das ist es. "Liebe" ist so ein bedeutungsvolles und starkes Wort (verwechselt "word" mit "world", korrigiert und entschuldigt sich und lacht über seinen Fehler). Naja, die Welt ist ja auch stark! Auf dem Album gibt es einen Song namens "Love" und wenn du "Love, Love, Love" singst, dann haben diese Worte einen starken Klang. Wir wollten das Album jedoch nicht nur so nennen und ihm noch etwas hinzufügen. Es hätte sonst zu kitschig geklungen.

GL.de: Du hast eben von dem Wort "Liebe" im üblichen Sinne gesprochen. Steht es für Air vielleicht aber auch für mehr als nur das?

JB: Dem kann ich klar zustimmen. Das tut es auf jeden Fall. Wenn ich das Wort "Liebe" verwende, dann meine ich damit nicht nur Liebe auf einer sexuellen Ebene. Es kann im Prinzip für alles Mögliche stehen. Liebe ist so eine Art magische Energie, die sich zwischen verschiedenen Dingen abspielt. Vielleicht ist es die Energie, die Blumen wachsen lässt. Vielleicht ist es die Energie, die man überall auf der Welt spüren kann und wir haben dem Ganzen einfach nur einen Namen gegeben und der ist Liebe.

GL.de: Wenn man an etwas lange Zeit festhält, kommt meist irgendwann einmal der Punkt, an dem man loslassen muss oder eventuell sogar gegen gewisse Umstände rebellieren möchte, damit man sich etwas Neuem zuwenden kann. Gab es schon einmal so einen Moment, an dem ihr euch von eurer sehr gefühlsbetonten Art von Musik loslösen wolltet und die Liebe darin nur eine Nebenrolle spielen sollte?

JB: Diesen Moment gab es wirklich, und zwar, als wir an "The Virgin Suicides" gearbeitet haben. Dabei ging es viel um die Faszination für den Tod und es gab so eine Art religiöse Atmosphäre. Fast schon wie bei Kirchenmusik. Es gab zum Beispiel Orgeln im Hintergrund und das erzeugte eine sehr dunkle Stimmung. Bei der ganzen Sache ging es nicht wirklich um die Liebe als solche, obwohl es zum Beispiel den Song "Playground Love" auf dem Album gibt. Der Rest des Albums dreht sich dagegen um Dinge, die eng mit dem Tod verbunden sind, wie letztendlich auch der in den Songs thematisierte Selbstmord. Die Schwingungen auf dieser Platte waren also von völlig anderen Dingen geprägt und beeinflusst. Wenn du ein Künstler bist, dann hat die Musik nur den Sinn, dass du dich mit ihrer Hilfe selbst ausdrücken kannst. Nehmen wir einmal an, dass du die Freundinnen von Musikern kennenlernst, dann würden sie dir wahrscheinlich alle erzählen, dass ihre (Ex-)Partner nicht unbedingt übermäßig viel reden oder es mitunter sehr ermüdend sein kann, wenn sie es doch tun. Wir lassen da lieber die Musik für sich sprechen (lacht). Sie mischt sich immer ein, wenn es um Beziehungen geht und stört diese in gewisser Weise.

GL.de: Musikalisch habt ihr euch also bereits mit beiden Extremen auseinandergesetzt, der Liebe und dem Tod. Und wie sieht das dazwischen aus?

JB: Vielleicht werden wir das in Zukunft noch herausfinden. Schau dir mal Prince an. Alle seine Songs handeln von Mädchen, Liebe, Sex, Verführung... die ganze Zeit singt er nur darüber... Frauen etc... immerzu dieses eine Thema (lacht). Das ist in meinen Augen eigentlich ein gutes Konzept. Vor allem deswegen, weil es so unglaublich viel dazu zu sagen gibt. Findest du nicht?

GL.de: Das Thema wird sich wohl nie erschöpfen und immer präsent in der Musik bleiben, das ist wahr. Wenn man es gut und interessant verpackt, dann gibt es thematisch gesehen eine Menge Stoff, der sich lohnt vertont zu werden. Würdest du sagen, dass es eine Stärke eurer Musik ist, dass ihr eben das seit langer Zeit erfolgreich tun könnt?

JB: Ich bin eigentlich in gar nichts gut... (Pause)

GL.de: Ach was, da gibt es aber genug Gegenbeweise...

JB: (lacht laut) Ok, außer vielleicht, wenn ich spielen kann... aber um das zu können, muss ich in guter Form sein! (lacht erneut)

GL.de: Und wenn du es mal nicht bist?

JB: Dann wird es ein Desaster und es ist schwierig dem etwas entgegen zu setzen. Es ist ja kein Geheimnis, dass es in der Musikbranche auch viel Konkurrenz gibt. Musik ist praktisch überall gegenwärtig. Die Welt braucht dich nicht unbedingt. Da draußen gibt es bereits genügend sehr talentierte und fähige Musiker oder Bands...

GL.de: Aber du würdest doch nicht Musik machen, wenn du nicht der Meinung wärst, dass es da nicht die eine oder andere kleine Facette gibt, die du der ganzen Musikwelt hinzufügen und um die du sie bereichern könntest, oder?

JB: Das ist eine gute Frage (Pause). Ich tue das alles in erster Linie für mich selbst, denn es ist das Einzige, was ich gut kann. Als ich jünger war, hatte ich die Wahl, ob ich Musiker werden wollte oder nicht. Ich habe zwar immer Musik nebenbei gemacht, aber ich hätte genauso gut Lehrer werden können, aber dann habe ich mich entschieden den anderen Weg einzuschlagen. Jetzt bin ich in einer Position, in der ich gar nichts anderes mehr machen könnte. Ich bin viel zu weit ab von der gewerblichen Welt und würde es keinen Tag in einer Firma aushalten. Niemals. Dafür ist es nun zu spät. Nach zehn Jahren als Musiker und Teil einer Band geht das gar nicht mehr. Ich werde für den Rest meines Lebens Musiker sein. Was ich sagen will ist, dass wir schließlich nur Musik für uns selber machen können, weil wir gar keine andere Wahl haben. Wir lieben es Musik zu machen und Songs zu schreiben. Die Songs müssen einfach aus uns raus und helfen uns dabei, dass wir uns besser fühlen. Das ist sehr eigennützig. Wir sprechen sozusagen über uns selbst und teilen unser Leben mit anderen. Ich finde das gut so.

GL.de: Auch wenn du sagst, dass ihr die Musik in erster Linie für euch selbst macht, erreicht ihr trotzdem eine Vielzahl von Menschen auf der ganzen Welt damit und macht sie somit außerhalb eures kreativen Raumes für Andere zugänglich...

JB: Da hast du natürlich Recht. Diese Tatsache beeinflusst auf eine bestimmte Art und Weise auch, wie wir über Musik denken. Die Frage, wie die Leute auf diesen oder jenen Song reagieren werden, steckt jedes Mal in unseren Köpfen, aber es ist nicht unsere oberste Priorität, uns damit auseinanderzusetzen. Für uns ist es viel wichtiger, ein bestimmtes Gefühl mit der Musik zu transportieren. Wir müssen in dieser Hinsicht immer einen Kompromiss zwischen beiden Dingen schließen. Wenn dann Leute überall auf der Welt unsere Musik hören und sie mögen, dann ist das großartig. Genau das macht den Erfolg von Air eigentlich aus. Nämlich die Tatsache, dass wir an so vielen verschiedenen Orten auf der Welt Zuhörer haben. Natürlich sind wir nicht überall in den Charts, aber es ist schön zu wissen, dass man Air zum Beispiel in China, Australien oder Russland kennt.

Air
GL.de: Der Titel eurer Single "Do The Joy" klingt schon fast nach einer Aufforderung an den Hörer, das Leben und die Freude mit offenen Armen zu begrüßen. Ist das so?

JB: Ja, genau so ist es. Wenn du an das Leben denkst, ist es doch im Grunde genommen so, dass du geboren wirst, dein Leben lebst und älter wirst und am Ende schließlich stirbst. Zwischen dem Anfangs- und Endpunkt gibt es Probleme, die jeder zu bewältigen und bestimmte Sachen, die man zu ertragen hat. Du musst lernen, diese Dinge zu akzeptieren und solltest daher die schönen Momente und freudigen Ereignisse umso mehr schätzen und jeden Tag versuchen diese in dir wach zu rufen. Mit "Do The Joy" meinen wir, dass jeder selbst zum Teil dafür verantwortlich ist, sein eigenes Glück zu schmieden. Das ist keine leichte Aufgabe und kostet Anstrengung, aber zahlt sich am Ende aus. Man sollte, wenn möglich, die positiven Seiten des Lebens sehen und sich nicht unnötig Sorgen machen. Wenn jemand zum Beispiel seine Miete nicht bezahlen kann, dann ist das zwar ein Problem und kann einem Angst machen, aber dieser Zustand wird sich wieder ändern und es wird sich eine Lösung dafür finden, da bin ich mir sicher. Nur weil man sich eine Erkältung einfängt, ist das kein Grund, am Boden zerstört zu sein, aber manche Leute reagieren, als ob es das Ende der Welt wäre. Selbst wenn du mal ein wenig schlecht drauf und deprimiert bist, ist das doch nichts Schlimmes. Es bedeutet nur, dass sich etwas in dir verändert und du noch nicht weißt, wie du damit umzugehen hast. Wenn dein Geist sich ändert, dann kann das auch gut für dich sein. Wir sollten alle daran arbeiten öfter glücklich zu sein und freudige Momente als Chance wahrzunehmen, damit wir längerfristig etwas davon haben.

GL.de: Das klingt nach einer sehr optimistisch geprägten Lebenseinstellung. Wie sieht denn deine musikalische Definition von Glück aus?

JB: Ich kann gar nicht anders, ich muss immer optimistisch denken. Musikalisch glücklich bin ich, wenn ein Song mir in jeglicher Weise Vergnügen bereitet und ich zugleich Spaß an der Sache habe. Diese Lust zu verspüren, macht mich glücklich. Es gibt so viele Dinge, bei denen ich ähnlich empfinde... manchmal reicht es einfach ein Buch zu lesen, Musik zu hören oder Gefallen an einem bestimmten Essen zu finden. Es können ganz kleine, alltägliche Dinge sein, die imstande sind, dieses Genussgefühl zu wecken. Zum Beispiel bereitet es mir Vergnügen, einfach umherzulaufen und einen Hauch von Luft an meinen Füßen zu spüren. Das ist ein tolles Gefühl, wirklich. Ich trage ja auch Sandalen (zeigt auf seine Schuhe und lacht)!

GL.de: Wenn du sagst, dass durch all diese, zum Teil kleinen, Dinge eben diese positiven Gefühle ausgelöst werden, wie verarbeitest du sie dann in der Musik und gibst sie wieder?

JB: Das geschieht viel durch einfache Resonanz. Wenn wir im Studio sind und spielen, passiert es, dass wir plötzlich positive Empfindungen dabei verspüren. Dann versuchen wir genau an diesem Gefühl festzuhalten. Wir beobachten bei diesem Prozess unsere ganz eigenen Sinneseindrücke, wenn wir Akkorde spielen und wenn es sich gut anfühlt, dann machen wir genau da weiter.

GL.de: Passiert das in jedem Fall sozusagen als Momentaufnahme oder geht ihr manchmal auch ins Studio und versucht dort einmal empfundene Gefühle wieder aufleben zu lassen, die vielleicht schon etwas zurückliegen?

JB: Nein, wir arbeiten in dieser Hinsicht immer spontan im Studio und versuchen nicht krampfhaft, Vergangenes wiederherzustellen. Wir suchen nicht explizit nach Dingen, die nicht mehr greifbar für uns sind oder denken zu viel darüber nach. Wir verbringen ja eine Menge Zeit im Studio, wenn wir ein neues Album aufnehmen. Da vergeht eine Stunde nach der anderen, ein Tag reiht sich an den nächsten und du arbeitest dich von Song zu Song weiter... Es gibt nur vierzehn Songs auf "Love 2", aber was du nicht hörst, sind eben diese vielen, vielen Tage im Studio, die eigentlich dahinter stecken. Letztendlich sind die vierzehn Songs nur das Resultat all der Melodien, die es geschafft haben in der ganzen Zeit zu überleben.

GL.de: Du hast vorhin bereits erwähnt, dass ihr euch als Band auch Gedanken darum macht, wie eure Musik vom Hörer wahrgenommen wird. Hast du denn als Produzent von Musik eine bestimmte Erwartungshaltung gegenüber deinem Rezipienten?

JB: Ich habe jetzt keine spezielle Forderung an die Hörer selbst. Das Einzige, was ich mir wünschen würde ist, dass sie sich Zeit nehmen, wenn sie unsere Musik hören und sich einfach darauf einlassen. In der heutigen Zeit nimmt sich doch kaum jemand die nötige Ruhe, um eine Platte bewusst zu hören. Die meisten Menschen sind viel zu beschäftigt dafür und die wirkliche Rezeption von Musik findet kaum noch statt. Fast jeder, der Musik hört, macht doch zur selben Zeit mindestens noch ein paar andere Sachen, gerade wenn man sich zu Hause aufhält. Du hörst vielleicht Musik während du nebenbei am Computer arbeitest. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich mich einfach mal auf die Couch gelegt habe, um Musik zu hören, ohne von etwas Anderem abgelenkt zu werden. Es wäre schön, wenn das jeder so machen würde, aber ich weiß natürlich, dass es oftmals zu viel verlangt ist, weil alle immerzu so sehr beschäftigt sind. Da ist schon ein gewisser Aufwand nötig.

GL.de: Wo würdest du euer neues Album "Love 2" innerhalb eures bisherigen Schaffens eingliedern?

JB: Das ist eine gute Frage...(Pause). Ich glaube, das kann ich in diesem Moment noch nicht sagen. Es fühlt sich einfach noch zu neu an. Ich muss noch abwarten, wie die Leute da draußen darauf reagieren werden und wie das alles später auf der Bühne wirken wird, wenn wir mit dem neuen Material touren. Ich weiß zur Zeit nur, dass alles neu wirkt, aber es gefällt mir, denn ich mag die neuen Songs. Es ist alles sehr intensiv und gefühlsbetont. Ich habe das auch schon an einigen Reaktion von verschiedenen Personen gesehen, dass die auf "Love 2" enthaltene Emotionalität eine besondere Wirkung besitzt. Natürlich weiß ich nicht, ob das bei allen Hörern so funktionieren wird, aber die neuen Songs haben etwas, was sich nicht unbedingt definieren lässt.

GL.de: Warum denkst du, dass der Zeitfaktor etwas Essenzielles ist, wenn es darum geht Emotionen auf sich wirken zu lassen oder richtig einzuschätzen?

JB: Ich weiß nicht so genau, aber ich persönlich brauche eine bestimmte Zeit, wenn ich wirklich sehen will, wie hervorgerufene Emotionen sich ihren Weg bahnen und dabei vielleicht sogar verschiedene Stationen durchlaufen. Nehmen wir doch zum Beispiel unser Album "Pocket Symphony". Das ist, vage ausgedrückt, etwas Asiatisch angehaucht, hat einen kontemplativen Charakter und wirkt sehr langsam und auch ein bisschen kühl. Das neue Album ist dagegen wie eine Flamme, die lodert. In der Zeitspanne, die zwischen den beiden Alben liegt, kannst du eine konkrete Wandlung der Emotionen feststellen.

GL.de: Air nehmen sich also lieber Zeit und halten sich fern von unmittelbaren Reaktionen?

JB: Ja, schon. Menschen, die unmittelbar reagieren, finden sich oft in einem verlorenen Zustand wieder, auch wenn das Gefühl für einen kurzen Moment vielleicht ganz wunderbar ist. Vielen Musikern geht es genauso, weil wir nunmal sehr oft schnell auf bestimmte Schwingungen eingehen müssen. In der Rock Musik ist das überhaupt nicht ungewöhnlich, weil das Tempo meistens sehr hoch ist und allein dadurch solche Situationen entstehen, in denen man schnell reagieren muss. Daher mag ich unseren Song "Love" so sehr. Er strahlt eine gewisse Ruhe und Eleganz aus und hinterlässt dabei ein sanftes, zärtliches Gefühl...(lächelt).

GL.de: Nun ist es nicht sehr lange her, seitdem ihr "Pocket Symphony" veröffentlicht habt. Gerade einmal zwei Jahre später kommt nun der Nachfolger "Love 2". Wie wichtig ist euch ein bestimmter Veröffentlichungsrhythmus, um als Künstler produktiv sein zu können?

JB: Das ist uns sehr wichtig. Wir arbeiten eigentlich rund um die Uhr! (lacht) Wir können nur schwer damit aufhören. Ein bisschen Urlaub muss auch sein, aber von uns aus könnte der Arbeitsprozess niemals enden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass wir uns jemals zum Beispiel für ein Jahr hinsetzen und gar keine Musik machen. Das klingt unmöglich... Ich weiß, dass es viele Bands gibt, die sich mehr Zeit lassen, aber für uns ist das unvorstellbar. Schau dir bloß die Beatles an, die haben ein Album nach dem anderen aufgenommen (lacht).

GL.de: Und nun wollt ihr es ihnen am liebsten nachtun...

JB: (lacht) Sehr gerne! Die Beatles sind Genies. Aber auch David Bowie oder die Rolling Stones... Ich bin der Meinung dass der Genie-Begriff auch damit zusammenhängt, dass eben solche Künstler neben ihres unbestrittenen musikalischen Talents, auch eine eine Vielzahl von Musik geschrieben und veröffentlicht haben.

GL.de: Quantität bedeutet ja bekanntlich nicht unbedingt gleich Qualität, gerade im musikalischen Bereich. Manche Bands schaffen es nur eine handvoll wirklich gute Songs zu schreiben, gelten aber trotzdem als Genies auf ihrem Gebiet.

JB: Das ist wahr, man muss Quantität und Qualität schon voneinander abgrenzen. Wir haben ja mittlerweile auch viel Musik veröffentlicht, aber ich bin mir auch bewusst, dass einige Stücke einfach nicht gut sind.

GL.de: Und an welche Songs denkst du da insbesondere? Bei so viel Selbstkritik muss genauer nachgefragt werden...

JB: (lacht) Mir ist gerade der Songtitel entfallen...

GL.de: Damit kommst du nicht durch.

JB: Aber wenn ich es sage, wird es ja publik gemacht... Oh nein. Na gut, also da wäre zum Beispiel der Song "Universal Traveler" vom Album "Talkie Walkie". Der ist nicht gut. Langweilig. Oder "Radio #1", der ist auf "10 000 Hz Legend". Der ist Mist (lacht).

GL.de: Aber du fandest ihn mal gut, sonst wäre er doch nicht auf das Album gekommen oder?

JB: Hmm, ich mochte damals einzelne Parts, aber den Titel als Ganzes nicht so sehr.

GL.de: Vielleicht magst du ihn jetzt noch weniger, weil du dich musikalisch weiterentwickelt hast.

JB: Ja, das stimmt. Ach, er ist einfach Mist! (lacht) Wir haben da irgendwas verpasst. Er hätte schon ganz gut werden können, aber dieses Etwas ist wohl an uns vorbeigegangen. Weißt du, was das Problem von Air ist?

GL.de: Ich weiß es nicht, aber ich bin gespannt, es zu erfahren...

JB: Air hatten schon immer ein Problem mit dem Tempo. Manchmal wählen wir einfach das falsche Tempo für unsere Songs aus. Dabei ist genau das eines der wichtigsten Dinge in der Musik! Dann stehen wir da und fragen uns, warum funktioniert der Song nicht so, wie er sollte? Warum? (Haut sich das Szenario nachstellend auf die Knie)

GL.de: Jetzt, wo diese Erkenntnis da ist, wird es da in Zukunft schneller zur Problemlösung kommen?

JB: Das hoffe ich! Mit der Zeit wird es aber immer schwieriger Songs zu schreiben...

GL.de: Auf "Love 2" befinden sich unter anderem so einige Wortspiele und Reime und das bei all der Seriösität, die eure Texte sonst ausstrahlen. Schon allein die Songtitel lauten da zum Beispiel "Be A Bee", "Sing Sang Sung" oder "Eat My Beat".

JB: Ja, das ist wahr. Vielleicht wollten wir damit einfach ein wenig Druck von den Texten nehmen. Jetzt wo du es sagst, mir fällt gerade auf, dass es oft dieser "1,2,3"-Rhythmus ist, gerade bei deinen genannten Beispielen. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass wir Franzosen sind und Englisch nicht unsere Muttersprache ist. Wir geben den Songs damit einen netten Nebeneffekt.

GL.de: Ihr habt jetzt euer eigenes Studio "Atlas". Wie hat sich die Arbeit dort für euch gestaltet, vor allem, da ihr alles selbst geschrieben und produziert habt?

JB: Wir haben uns unsere Zeit viel besser einteilen können als vorher. Es ist einfach so, dass du viel mehr Zeit an den Songs arbeiten kannst, wenn du dein eigenes Studio hast. Du musst nicht darüber nachdenken, dass du Miete für die Räumlichkeiten zahlen musst oder ähnliches. Das ist schon mal eine große Hilfe. Die Songs sind über die gesamte Zeit, die wir dort verbracht haben, teilweise gestorben und dann wieder zum Leben erweckt worden. Wenn ein Song nicht so funktioniert hat, wie wir wollten, dann haben wir ihn beiseite gelegt und schlafen lassen bis es an der Zeit war ihn wieder zu wecken. Ich denke, dass das sehr gut für einen Song sein kann. Das ist so ähnlich als hätte man eine Pflanze, die man pflegt. Du stutzt sie zurück und dann kommt auf einmal neues Leben in sie und sie wächst weiter.

GL.de: Ihr scheint als Band neben euren Standards für eure eigene Musik auch in Stilfragen für die visuelle Komponente wie Videos, Live Shows oder das Artwork ein sicheres Händchen und klare Vorstellungen zu haben. Entstehen die Ideen für die visuelle Umsetzung eurer Musik bereits beim Schreiben und zerbrecht ihr euch den Kopf darüber?

JB: Nein! (Antwortet sehr schnell und lacht) All das hängt wieder sehr viel mit dem Gefühl als solchem zusammen und muss sich natürlich zusammenfügen. Wenn du ein Auto siehst, dann assoziierst du sofort Metall damit und jedes Auto wirkt da ähnlich. Was die Musik angeht, so ist das Gefühl, das du mit ihr verbindest, auch immer an einen bestimmten Geist und die Umgebung selbst geknüpft. Da spielen verschiedene Assoziationen eine wichtige Rolle und kommen zusammen. Man muss sich einfach auf dieses Gefühl einlassen, das in einem geweckt wird, wenn man die Musik hört und das dann visuell umsetzen und ausdrücken. Unsere Musik ist der Klang unserer Seelen und unseres jeweiligen Grundgefühls. Daher ist die visuelle Seite nur ein weiterer Ausdruck davon. Wir machen uns nicht allzu viele Gedanken um diese ganze Sache, sondern bringen nur das zum Vorschein, was bereits vorhanden ist. Visualität ist nicht so wichtig für uns.

Weitere Infos:
www.aircheology.com
www.myspace.com/intairnet
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
Air
Aktueller Tonträger:
Love 2
(Virgin/EMI)
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