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Interview-Archiv

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JOHN VANDERSLICE
 
Nomen est omen
John Vanderslice
Jeder von uns hat einen. Manche mögen ihn, manche würden ihn am liebsten ändern. Wir sprechen von Namen. John Vanderslice hat sein neuestes Album sogar "Romanian Names" genannt und so nutzen wir die Gunst der Stunde, ihn etwas genauer darüber zu befragen. Vor seinem Konzert in Berlin lässt er uns des Weiteren aufgeschlossen an seinen Ansichten zum großen Thema "Namen" teilhaben und entpuppt sich zudem als prächtiger Erzähler von Geschichten, die das Leben so schreibt. Und sonst? Ja, wir sind uns ziemlich sicher, dass er ebenfalls ein unverkennbarer Katzenliebhaber ist und einem guten Witz, auch in einer fremden Sprache, nicht abgeneigt ist. Wie das alles zusammenpasst, erfahrt ihr am besten bei der intensiven Lektüre der folgenden Zeilen.
(Wir befinden uns im Berliner Admiralspalast in einem Nebenraum des großen Saals, in dem Kurt Krömer zur selben Zeit gerade einen Witz nach dem anderen reißt und das Publikum deutlich angetan lauthals applaudiert und herzlich lacht. Es sind noch rund sechzig Minuten bis John Vanderslice selbst die Bühne im benachbarten 101 betritt...)

JV: Oh, was ist das? (lauscht aufmerksam der Geräuschkulisse)

GL.de: Das ist Kurt Krömer, ein Berliner Comedian, der gerade alle vom Hocker haut.

JV: Ach jemand hat mir von ihm erzählt und gesagt, dass er großartig ist!

GL.de: Und erfolgreich dazu. Er wird über eine Woche lang hier ein Gastspiel haben.

JV: Wow. Ich wünschte, wir könnten da jetzt rein und uns das ansehen...

GL.de: Wie geht es dir denn? Du bist ja seit gestern in der Stadt und spielst heute dein erstes Konzert der Europa Tour.

JV: Die Nacht war etwas ermüdent, weil meine Frau mir eine eMail geschickt und erzählt hat, dass eine unserer Katzen so ein großes, weißes Gummiband verschluckt hat. Sie ist erst vier Monate alt und noch recht klein. Ich habe es erfahren, als ich sehr müde war und gerade ins Bett gehen wollte. Da habe ich mir natürlich Sorgen um sie gemacht und hatte eine Katzentraum nach dem anderen... Ich bin sogar mitten in der Nacht aufgewacht, habe meine eMails gecheckt und gelesen, dass meine Katze zum Arzt musste, wo sie das Gummiband irgendwie aus ihr rausbekommen haben. Ich glaube, sie musste sich übergeben! Dann haben sie meiner Frau das arme Ding samt Gummiband wieder mit nach Hause gegeben. Du musst wissen, meine Katze ist sehr liebenswert, aber auch ein bisschen verrückt (lacht). Die ganze Sache hat mir dann doch die Nacht über Sorgen bereitet.

GL.de: Du hast in deinem Blog mal Bilder von deinen Katzen veröffentlicht. Welche von den beiden war denn das Sorgenkind?

JV: Ja, das stimmt. Es war die kleine, braune Katze. Ihr Name ist Mia. Sie ist wunderschön, aber auch furchtlos, was ihr Verhalten angeht. Wenn ich nach Hause komme und die Tür aufmache, versucht sie sofort sich nach draußen durch die Tür zu quetschen. Da muss ich sehr aufpassen und ihr den Weg versperren, damit sie nicht entwischt. Sie würde sonst sofort auf die Straße rennen, wenn sie könnte und kennt einfach keine Grenzen. Ich denke, sie hat eine so große Lebenslust, es ist unglaublich. Wenn sie dann doch mal schläft, rollt sie sich zu einem so kompakten Ball zusammen, dass ihr nichts und niemand etwas anhaben kann. Sie schläft dann so tief und fest, dass man sie nicht einen Zentimeter bewegen könnte. Wenn du sie aufheben würdest, wäre sie wie eingefroren (lacht). Wenn sie aber wach ist, dann ist sie das genaue Gegenteil davon, rennt wild herum, klettert an dir rauf und runter, legt sich in deinen Nacken und so weiter...

GL.de: Wie es aussieht, brauchst du dann in Zukunft keinen Schal mehr!

JV: Genau! Ihr Fell ist so weich, das würde gut passen (lacht). Ja, das war meine Katzengeschichte... Ich habe Mia zwar erst seit ein paar Monaten, aber trotzdem hänge ich sehr an ihr. (Pause)

GL.de: Vielen Dank übrigens, dass du dir so spontan Zeit für das Interview genommen hast.

JV: Ja, natürlich. Das mache ich gerne und das ist überhaupt kein Problem für mich. Ich bin ein sehr zugänglicher Typ in dieser Richtung. Ich habe ja früher selbst Bands interviewt und weiß wie das ist... Daher mag ich es, wenn Bands offen für Interviews sind und hasse es, wenn sie nicht reden wollen. Du kennst das vielleicht, wenn dir jemand gegenüber sitzt und nur "hmmm, yeaaah..." (verstellt seine Stimme) sagt. Ich habe für ein Magazin namens "TapeOp" geschrieben. Es ist ein sehr kleines Magazin, das sich rund um's Aufnehmen dreht. Ich bin halt sehr an allem interessiert, was damit zu tun hat. Das Magazin ist toll, weil dort auch Leute wie Toningenieure oder Produzenten zu Wort kommen, die sonst kaum die Möglichkeit haben, mit der Presse über ihre Arbeit zu sprechen. Jedenfalls hat mir das immer sehr viel Spaß gemacht. Trotzdem erinnere ich mich noch deutlich daran, wie schwer es einem dabei manche Bands gemacht haben ein Gespräch zu führen... sie gaben andauernd vor, viel zu beschäftigt zu sein. Um das mal festzuhalten, Bands sind niemals so beschäftigt wie sie oftmals tun! (lacht) Ich bin schon mit vielen großen Bands auf Tour gewesen und es stimmt einfach nicht, dass alle permanent etwas zu tun haben. Meistens sitzen sie einfach nur herum, so wie wir es gerade tun...,drücken vielleicht noch ein paar Knöpfe und spielen am Computer herum. Ich denke mir dann immer "Ach kommt schon...!". Also wie gesagt, ich tue das hier wirklich gerne und nehme mir die Zeit.

GL.de: Heute findet das erste Konzert deiner Europa-Tour statt und du wirst in den nächsten Wochen viele verschiedene Orte mit deiner Musik bereisen. Viele Künstler sagen oft, dass die Umgebung, in der sie ihre Songs aufnehmen, einen großen Einfluss auf die Musik hat und diese sozusagen formt. Wie verhält es sich denn damit auf Tour, wenn sich die äußere Umgebung jeden Tag ändert und du versuchst, den ursprünglichen Sound deiner Lieder jeden Abend neu zu reproduzieren? Formt das die Songs ein weiteres Mal?

JV: Ja, ich glaube, dass das sogar notwendig ist. Bei meinen letzten paar Alben war es für gewöhnlich so, dass wir erst in den USA unterwegs waren und dann nach Europa gekommen sind. Sobald ich wieder zu Hause war, habe ich unmittelbar damit angefangen, neue Songs zu schreiben. Es ist unvermeidlich, dass du die gesammelten Erfahrungen und Eindrücke verarbeitest und sie sich dann in der Musik wiederfinden. Wir spielen jedes Mal mit vielen europäischen Bands, wenn wir hier unterwegs sind. Einige wirklich gute Bands! Die Band heute gefällt mir zum Beispiel sehr gut. Es ist so, dass diese auch Veränderungen in dir hervorrufen und Einfluss auf dich haben. Sie sind ja meistens das Einzige, was man in dieser Zeit sieht und hört. Wenn du zu Hause bist, stellt sich so eine Schreibstimmung ein, in der man manchmal nicht einmal das Haus verlassen möchte... Letztes Jahr haben wir rund zweieinhalb Monate in Europa verbracht und all das hälst du irgendwo in dir drinnen fest. Du fängst an, neue Freunde in Europa zu finden. In den verschiedensten Städten gibt es auf einmal Menschen, die du magst und mit denen du in Kontakt bleibst. Jede Erfahrung, die du im Leben machst, wird dich verändern und so ist es auch mit der Musik, wenn du unterwegs bist. Man das auf deine eigene Art und Weise wiederzugeben... deine Songs sind das direkte Ergebnis davon. Ich kann nicht genau sagen, was genau sich in mir verändert, aber ich kann fühlen, dass etwas passiert. Eine andere Sache ist, dass all die Fotos, die ich immer auf Tour mache, nun auch im Artwork wiederzufinden sind und somit meine Erfahrungen, die ich auf Tour sammle, nicht nur musikalisch, sondern auch visuell gesehen Einfluss auf meine Arbeit nehmen. Da ich in den USA aufgewachsen bin, ist es für mich nicht so aufregend, dort zu fotografieren und ich denke mir nicht "Wow, das habe ich noch nie gesehen!" (lacht) und ich muss unbedingt ein Bild davon machen. Allein heute habe ich zwei ganze Filmrollen hier in Berlin verknipst! Das war sehr aufregend.

GL.de: Zwei Bilder davon sind ja bereits auf deinem Blog zu sehen...

JV: Das stimmt! Eines ist vom Fernsehturm und das andere vom Berliner Dom. Du bist wahrscheinlich damit aufgewachsen, diese Gebäude ständig zu sehen. Für mich ist das wirklich spannend und ein Erlebnis. Ich sehe diese Dinge und denke "Oh mein Gott, wie toll!" (lacht). Und du gehst aus dem Haus und siehst den Fernsehturm wahrscheinlich jeden Tag. Architektonisch gesehen haben wir nichts vergleichbares in den USA. Deswegen ist es so eindrucksvoll für mich... fast schon ein wenig exotisch! (lacht) Wenn du nach Amerika fährst und zum Beispiel den Grand Canyon das erste Mal siehst, wirst du ausflippen während ich mir denke "Ja, habe ich schon gesehen... bin schon dort gewesen!" (lacht).

GL.de: Dein neues Album "Romanian Names" wirkt klanglich gesehen sehr persönlich und strahlt eine intime Atmosphäre aus, was meiner Meinung nach viel mit der Art deines Gesangs zu tun hat. Wie viel Zeit widmest du denn bei den Aufnahmen dem Gesang im Vergleich zu der Instrumentierung?

JV: Ich würde sagen, ich verbringe ungefähr genauso viel Zeit damit, am Gesang zu arbeiten wie mit dem ganzen Rest, der darüber hinaus noch aufgenommen werden muss. Es kostet so viel Zeit... Ich habe in meinem Keller ein Aufnahmegerät. Die ganzen Instrumente nehme ich natürlich im Studio auf, aber den Gesang kann ich auch bei mir zu Hause aufnehmen. Das tue ich dann auf diesem besagten Bandgerät, das wirklich riesig ist... und schwer! Das Ding wiegt um die tausend Kilogramm und man kann es nicht einfach umherschieben. Dafür klingt es unglaublich und es ermöglicht mir den Gesang wieder und wieder aufzunehmen. Außerdem kann ich damit tolle Harmonien erzeugen und habe ein paar Tricks gelernt. So kann ich zum Beispiel die Geschwindigkeit ankurbeln oder drosseln und den Gesang schneller oder langsamer werden lassen... Wenn ich ihn dann wieder mit normaler Geschwindigkeit laufen lasse, klingt er fast schon befremdlich und seltsam. Ich bin nun an dem Punkt angekommen, wo ich anfange, den Gesang wie ein weiteres Instrument zu behandeln und als ebenso wichtig erachte wie das, was ich eigentlich mit den Texten selbst aussagen möchte. Kurz bevor wir auf Tour aufgebrochen sind, habe ich mir noch einmal ein paar ältere Sachen von "Emerald City" von mir angehört und es wirkt fast so, als ob dort im Vergleich zu den neuen Stücken kaum Gesang vorhanden ist. Es gibt vielleicht eine ganz normale Gesangslinie und das war's. Das ist so komisch! Die nächste Platte wird vielleicht noch einmal ganz anders werden, was das angeht. Bei "Romanian Names" kann ich sagen, dass der Gesang mindestens genauso wichtig war wie alles andere, was in den Songs zu hören ist. Momentan könnte ich mir vorstellen, beim nächsten Album etwas zu machen, was in die Richtung von David Bowies Musik in den späten Siebzigern geht. Ähnlich wie "Low" und "Heroes". Das sind unglaubliche Alben... wirklich unglaubliche Alben! Der Gesang klingt so wunderbar. Sowas in der Art würde ich sehr gerne machen. Unbedingt sogar!

GL.de: Hast du bereits während der Arbeit an deinen vorherigen Alben damit angefangen, mit deinen Gesang zu experimentieren oder war die Erfahrung bei "Romanian Names" völlig neu für dich?

JV: Ich habe schon vorher an vereinzelten Stellen damit begonnen, mehr am Gesang zu arbeiten, aber eben nicht in dem Maße wie bei "Romanian Names". Vielleicht bei der einen oder anderen Überleitung oder einem Refrain in einem bestimmten Song, aber der Rest des Albums war dann ganz normal. Ich habe dann für mich beschlossen, dass ich gerne ein Album machen würde, das fast schon eine extreme Übereinanderschichtung von verschiedenen Stimmen beinhaltet. So viel, dass es am Ende völlig anders klingt. Ich bin sehr froh, dass ich das nun gemacht habe, aber es hat auch unglaublich viel Zeit in Anspruch genommen.

John Vanderslice
GL.de: Ein guter Song lebt oft von der authentischen Ausführung des Künstlers. Wie schaffst du es denn, deinen Songs so viel Glaubhaftigkeit einzuhauchen?

JV: Nun, ich... (Pause) Das ist eine großartige Frage. (Denkt nach) Weißt du, wenn ich einen Song schreibe, versuche ich ein paar Demos davon aufzunehmen und... (bricht ab, weil nebenan im Saal bei Kurt Krömer tosender Applaus einsetzt) Oh, was hat er denn gerade erzählt? Kannst du mir das sagen?

GL.de: Den genauen Wortlaut habe ich leider nicht verstanden...

JV: Es ist seine Stimme oder? Die ist so lustig, stimmt's? (lacht) Ach, ich wünschte, ich könnte ihn mir mal ansehen... (Pause) Aber was deine Frage angeht, also wenn ich eine Idee habe, dann nehme ich ein Demo auf und versuche, den Song dann erst einmal zu vergessen. Ich lasse ihn, wenn möglich, für zwei oder drei Wochen liegen und höre ihn mir nicht an. Wenn es dann an die richtigen Aufnahmen geht, stelle ich mich vor das Mikrofon und versuche das Stück in einem Take hinzubekommen und mich ganz der im Song erzählten Geschichte hinzugeben. Ich glaube, man merkt als Hörer schnell, wann es zu gestellt klingt. Ich habe das wirklich oft ausprobiert und Songs teilweise mehrmals aufgenommen. Das funktioniert nicht so gut. Für mich muss der Gesang frisch klingen. So als ob du es einmal komplett gesungen hast. Ich sehe oft Bands im Studio, die dreißig oder vierzig Takes für einen Song brauchen und das funktioniert einfach nicht. Du wirst sogar bei jedem Mal schlechter und schlechter und kannst keine Unmittelbarkeit mehr herstellen und vor allem übermitteln, wenn du bei jedem Take müder und müder wirst. Es ist das gleich mit Live Shows. Wir haben jetzt fünf Tage lang kein Konzert gespielt und manchmal sind gerade das die besten Abende, weil es sich wieder etwas neu anfühlt und du gewisse Dinge nicht mehr direkt vor deinen Augen hast und ständig Verbindungen dazu herstellst. Das kann manchmal sehr hilfreich sein.

GL.de: Deine Musik weckt den Anschein, dass du auch privat eher eine nachdenkliche Person bist, die den Dingen gerne auf den Grund geht. Ist das wahr?

JV: Ja, das stimmt. Ich denke, ich neige dazu vieles zu analysieren und mir oft Gedanken um bestimmte Sachen zu machen... vielleicht sogar etwas zu oft. Das wirkt für andere Menschen manchmal etwas verwirrend, weil ich vor Entscheidungen zum Beispiel sehr viel abwäge und genau nachdenke. Es ist schon so, dass es teilweise schwierig für mich ist, meinen Kopf frei zu machen. Heute sind wir durch die Stadt gelaufen und ich hatte gleich eine Menge für mich wichtig erscheinende Fragen zu allen möglichen Sachen, denen ich begegnet bin. Ich würde sagen, dass ich besessen bin, wenn es um's Schreiben oder Aufnehmen geht. Ich bin sehr an der Fertigkeit und der Kunst rund um den ganzen Aufnahmeprozess interessiert. Das kleinste Detail oder die minimalste Veränderung können so große Effekte auf das Ergebnis haben. Du brauchst zum Beispiel nur ein oder zwei Wörter in einem Satz ändern und es entsteht eine völlig neue Bedeutung. Wenn du erst einmal realisiert hast, was solche kleinen Veränderungen alles bewirken können, dann fängst du an dir mehr und mehr Gedanken um das alles zu machen. Man muss nur aufpassen, dass man aus diesem Zustand auch wieder heraus kommt und nicht komplett darin versinkt. Es gibt sehr talentierte Leute, die ununterbrochen arbeiten und gar nicht mehr rausgehen oder ähnliches, weil sie so viel nachdenken und nicht damit aufhören können. Es gibt Unmengen von Wegen, die sie unbedingt beschreiten wollen.

GL.de: Man kann anhand deiner Texte auf jeden Fall feststellen, dass du dir gerne Gedanken um die Dinge machst, über die du singst. Auf eine Art und Weise sind sie sehr nahbar, aber dennoch so formuliert, dass sie nicht planlos erscheinen. Sehr oft liest man, dass Hörer zum Beispiel deine Wortwahl sehr mögen.

JV: Das freut mich natürlich. Ich halte prinzipiell sehr viel von meinen Hörern und ihrer Meinung zu meiner Musik, egal wie sie ausfällt. Ich denke mir immer, dass der Hörer genau heraushören wird, ob ich mich genug angestrengt habe und er definitiv einen Unterschied feststellen kann, wenn ich etwas müde geworden bin an dem einen oder anderen Song zu arbeiten. Da bin ich auch ein wenig paranoid, was das alles angeht. Ich bin immer der Meinung, dass ein Song vielleicht noch nicht fertig ist oder ich es besser machen könnte usw.

GL.de: Oft stellt man sich als Hörer ja die Frage, wie der Künstler auf diesen oder jenen Songnamen oder Albumnamen gekommen ist. Hast du dir jedoch schon einmal Gedanken um die Herkunft deines eigenen Namens gemacht?

JV: Du meinst John Vanderslice? Das ist interessant, denn die meisten Leute gehen davon aus, dass es gar nicht mein richtiger Name ist! (lacht) Ich kann nicht mal sagen, warum das so ist. Er kommt aus dem Niederländischen, aber wurde amerikanisiert, so dass er vielleicht so klingt, als ob ihn sich jemand ausgedacht hätte. In Amerika werde ich öfters darauf angesprochen. Fast jede Woche kommt jemand auf mich zu und fragt mich, wie ich auf den Namen gekommen bin! (lacht) Das ist echt seltsam, denn wieso sollte ich mir denn so einen komischen Namen ausdenken? Ich könnte mir auch vorstellen, dass es etwas mit den Kanälen in den Niederlanden zu tun hat. Wie aus dem Englischen "Sluice Gate" (dt. Schleusentor). Gibt es denn im Deutschen etwas, das so ähnlich klingt? Beide Sprachen sind ja verwandt.

GL.de: Spontan würde mir kein deutsches Äquivalent zu "Vanderslice" einfallen. Vielleicht gab es mal ein Wort, das nun aber nicht mehr so gebraucht wird.

JV: Als ich klein war, hat meine Mutter mir immer folgende Geschichte erzählt, die aber überhaupt nicht stimmt! (lacht) Also, ich war so fünf oder sechs Jahre alt und sie hat behauptet, dass es im fünfzehnten Jahrhundert in den Niederlanden dieses Baby gab, das vor der Tür eines Hauses ausgesetzt worden war, welches sich neben einem Fluss befand. Die Familie, die dort wohnte, hat das Waisenkind bei sich aufgenommen und hat es einfach "Van der Sluice" oder so etwas in der Art genannt. Und ich habe das auch noch geglaubt! (lacht) Das hat sich irgendwie süß angehört und ich habe bestimmt zehn Jahre diese Geschichte für die Wahrheit gehalten. Dann dämmerte es mir, dass da etwas nicht stimmen konnte... Dabei hat es sich immer gut angefühlt zu glauben, dass der Name vielleicht etwas mit so einer schönen Geschichte zu tun haben könnte. Jemand nimmt ein Baby bei sich auf, hat Mitleid, gibt ihm viel Liebe und aus einem Desaster wird doch noch etwas Gutes und alles ist mit einem Gefühl von Sicherheit verbunden. Etwas anderes, was ich interessant an der Herkunft meines Namen finde, ist die Tatsache, dass über sechzig Prozent des Landes in den Niederlanden unter dem Meeresspiegel liegt. Die Menschen haben einfach so viel aus dem Nichts heraus geschaffen und haben dieses großartige Kanalsystem gebaut. Der Gedanke, dass mein Name etwas mit dem Bau oder der Art das Wasser zu kontrollieren zu tun hat, finde ich ganz schön. Also die Tatsache, dass aus dem Nichts plötzlich etwas geschaffen wurde. Das hat immerhin etwas mit Kreativität zu tun, wenn auch auf einem ganz anderen Gebiet.

GL.de: Wenn du so oft auf deinen Namen angesprochen wirst und viele Leute denken, dass er eine Erfindung ist, hast du jemals in Erwägung gezogen dir einen richtigen Künstlernamen zuzulegen?

JV: Oh, das habe ich! Als ich jünger war, wollte ich meinen Namen unbedingt ändern, weil die anderen Kinder sich darüber lustig gemacht haben. Ich habe ihn manchmal sogar gehasst und wurde sogar wegen meines Namens verhauen! Ich bin im Süden aufgewachsen und die Gegend war etwas schwierig. Als Kind war es sogar peinlich, mit so einem Namen rumzulaufen. Es war eben etwas, das mich doch von den anderen Kindern unterschieden hat. Jeder Achtjährige fühlt sich ausgegrenzt und schämt sich dessen, was ihn von den anderen unterscheidet. Wenn man dann älter wird, ändert sich das meistens und man versucht das Beste daraus zu machen. Ich war zum Beispiel nicht sehr gut im Sportunterricht, weil ich so klein und schwach war. Dafür habe ich oft Prügel von den anderen Kindern einstecken müssen. Später, als ich älter war, bin ich dann auf's College gegangen und es war auf einmal total egal, ob ich gut im Sport war oder nicht. Ich war auf dem College und die anderen Kinder, die nun ebenfalls erwachsen waren, haben sich weiter geprügelt und wer weiß, was noch aus ihnen geworden ist...(lacht). Was die Musik angeht, gibt es auch solche Fälle. Ich sehe manchmal Bands im Studio, die dieses gewisse Etwas haben, irgendeine Besonderheit, die sie von den anderen unterscheidet. Das hat dann etwas Cooles an sich. Das kann ein Sänger mit einer ganz eigenwilligen Stimme sein oder was auch immer. Diese Besonderheit muss man einfach ausnutzen! Man sollte sich ihr annehmen und ihr entgegentreten und sich nicht von ihr abwenden oder sie verleugnen. Sie kann unter Umständen das Beste sein, was du hast. Einzigartig zu sein, ist gerade heutzutage sehr wichtig. Es gibt Billionen von Menschen auf der Erde, da ist es doch gut, wenn man etwas heraussticht.

GL.de: Und wie steht es mit Spitznamen? Hast du einen?

JV: Viele nennen mich "JV". Meine Freunde tun das fast alle. "John" ist so ein geläufiger Name, dass häufig ein Spitzname her muss. Meinen habe ich seit ich klein war. Ich habe einen älteren Bruder, der Ray Vanderslice heißt und ihn haben sie immer "Ravy" genannt. Als ich ungefähr zwölf war, haben mich all seine Freunde "JV" genannt. Das kam ganz natürlich und außerdem war es kurz.

GL.de: Vor kurzem bist du mir in einem amerikanischen Artikel auch als "V-Slice" begegnet...

JV: Oh! Es gibt in der Tat Leute, die mich so nennen (lacht). Vielleicht waren sie aber auch einfach ein bisschen zu faul meinen vollen Namen zu schreiben...

GL.de: Kennst du dieses Gefühl, wenn man einen Namen oder ein ganz normales Wort liest und man sofort den Klang davon mag, vielleicht sogar etwas Schönes damit assoziiert?

JV: Ja, das kenne ich gut. Mir geht das mit dem Namen "Isabelle" so. Meine Frau heißt Isabelle und gestern hat sich mir jemand mit dem gleichen Namen vorgestellt. Da dachte ich sofort "Hey, so heißt meine Frau!" und das hat sehr positive Assoziationen geweckt. Meine Katze, die ich vorhin erwähnt habe, heißt ja "Mia" und in San Francisco gibt es eine Bäckerei, die sich auch so nennt. Die ist wirklich gut. Jedenfalls kleben sie auf alles, was sie verkaufen, egal ob Scone oder Muffin, diese Sticker mit dem Namen "Mia". Es kann also passieren, dass ich durch die Straßen von San Francisco spaziere und mir jemand mit einem Kuchen samt Sticker entgegen kommt und dann muss ich gleich an meine wunderbare Katze zu Hause denken (lächelt). Ich könnte bestimmt noch Millionen von Beispielen anbringen...

GL.de: Um noch beim Thema Namen zu bleiben, gibt es Song- oder Bandnamen, die du besonders gut findest, bei denen dir aber leider schon jemand zuvor gekommen ist?

JV: Oh ja... oh ja (nickt). Ich denke da vor allem an Albumtitel. Ganz vorne dabei ist "OK Computer" - dieser Name ist UNGLAUBLICH! (mit aufgeregter Stimme) Ich denke ständig darüber nach, wie großartig dieser Titel doch ist. Ich bin ein riesiger Radiohead-Fan und wenn ich diesen Albumtitel lese, dann werde ich echt neidisch, weil er einfach so gut ist und sie ihn sich zuerst ausgedacht haben. Lass mich kurz nachdenken, da gibt es noch mehr Titel, die mir sehr gefallen... (Pause)... Als Bandname fällt mir da Dirty Projectors ein. Den mag ich wirklich sehr. Ich tendiere dazu, Namen oder Titel zu mögen, die ziemlich spezifisch oder ungewöhnlich sind. Namen, die vielleicht sogar eine visuelle Komponente beinhalten. Die Dirty Projectors haben das. Wollen sie damit ausdrücken, dass etwas besser aussieht, wenn es auf die Wand projeziert wird und dabei dreckig wirkt oder ist damit einfach ein Statement oder eine Komponente der Kunst gemeint, die mit dem "dreckigen Projektor" gemeint ist? Es gibt nicht so viele Bandnamen, die das draufhaben. Ich glaube, bei Albumtiteln ist es noch schwieriger, sich etwas Gutes auszudenken. Songtitel sind da schon einfacher. Du kannst dabei gewinnen oder verlieren, weil es so viele Songs gibt, die auf ein Album passen. Auf Albumtiteln, hingegen, liegt ein viel größeres Gewicht.

GL.de: Zerbrichst du dir viel den Kopf darüber, wie du zum Beispiel dem Inhalt eines Songs namentlich gerecht werden kannst?

JV: Das ist mal so, mal so. Manchmal muss der Name eine Verbindung zum Inhalt eines Songs haben, manchmal brauchst du eine Abwechslung davon und etwas völlig anderes. Wenn der Song selbst zum Beispiel relativ simpel ist, dann kann es passieren, dass du dir sagst, es muss ein komplizierterer Name her, damit du der ganzen Sache etwas entgegensetzen und die Menschen damit verwirren kannst. Die Mountain Goats machen das häufig. Sie haben einen Titel, der aus heiterem Himmel kommt und dazu gehört ein Song, der fast schon simpel erscheint... oder umgekehrt! Der Text ist kompliziert und schleierhaft, aber dafür ist der Songtitel viel zugänglicher. Ich habe ein Songarchiv von rund 400-500 Songtiteln, einige davon sind mir von anderen Künstlern "geschenkt" worden. Wenn dann jemand kommt und etwas mit einem Namen veröffentlicht, den ich ursprünglich auf meiner Liste hatte, dann streiche ich das gleich durch und werde ihn nicht mehr verwenden.

GL.de: Sehr interessant das zu hören! Jetzt machen deine zum Teil aussergewöhnlichen Songnamen noch viel mehr Sinn...

JV: Das ist doch ein großartiges Konzept oder? Manchmal fällt dir einfach nicht das Richtige ein und du musst die Namensliste zu Rat ziehen. Es kommt auch vor, dass dir dann ein Name ins Auge springt, der wirklich so gar nichts mit dem Song zu tun hat, für den du ihn verwenden möchtest, aber du nimmst ihn trotzdem und scherst dich nicht darum, ob er passt, weil er so cool ist! (lacht) Andere Male bist du dir von Beginn an ganz sicher, dass es nur der eine und kein anderer Titel sein kann. So läuft das eben.

GL.de: Was denkst du, sagt ein Name über eine Person aus?

JV: Hmm, es ist schon so, dass es Namen gibt, bei denen man bereits eine bestimmte Prophezeiung ableiten kann. Mir fällt da auch ein Beispiel ein. Das Baseball Team der New York Yankees wäre da eins. Die haben für das gesamte Team jährlich eine Gehaltsliste, die ungefähr $120,000,000 umfasst und es sind gerade mal zwanzig Leute darauf. Der Typ, der für die Finanzen des Teams zuständig ist, heißt jedenfalls Brian Cashman! (lacht) Stell dir vor, du bist gerade ein Jahr alt und heißt Brian Cashman und ein paar Jahre später hast du eine Position inne, bei der du mit so viel Geld zu tun hast. Das ist doch verrückt! Ich glaube schon, dass es vielleicht so eine Art Vorhersehung ist, was die Namensgebung betrifft. Oder nimm Bankräuber, deren Namen etwas mit Verbrechen etc zu tun haben. Das ist natürlich nicht immer der Fall, aber es trifft schon häufig zu, dass beides zusammen passt. Ich persönlich mag es, wenn Menschen ungewöhnliche Namen haben. Ich stelle dann eine Vermutung auf, die gar nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. Meine Erwartungshaltung liegt bei solchen Namen ziemlich hoch. Eltern, die ihren Kindern super intellektuelle oder einfach nur ausgeflippte Namen geben usw.

GL.de: Findest du, dass ein guter Name ebenso viele Türen öffnen kann wie zum Beispiel gutes Aussehen?

JV: Das kann durchaus der Fall sein und würde mich gar nicht überraschen. Meine Frau ist Lehrerin und ich treffe daher oft Kinder und ihre Eltern. Das ist sehr interessant, weil manche von diesen Kindern so sonderbare Namen haben. Ein Kind in der Schule heißt Jones mit Vornamen und das ist überhaupt nicht gewöhnlich in den USA. Das habe ich vorher noch nie in dieser Form irgendwo gehört. Die Eltern sind ziemlich cool und ich denke mir "Wow, kein Kind, das ich kenne, heißt Jones" und in der ganzen Umgebung wird es vermutlich kein anderes geben, das so heißt. Das hat schon etwas. So lange die Namen nichts wirklich Dummes an sich haben, finde ich das gut.

GL.de: Was bleibt dir denn länger im Gedächtnis, Gesichter oder Namen?

JV: Ich habe, soweit ich das beurteilen kann, ein sehr gutes Gedächtnis. Wenn ich wählen müsste, würde ich aber Gesichter sagen. Dasselbe gilt auch für Orte, an denen ich mal gewesen bin. Damit verblüffe ich meine Band jedes Mal wieder. Gestern bin ich mit den Jungs in der Nähe des Alexanderplatzes umher gelaufen, weil ich vor einem Jahr in einem netten Café war, das ich unbedingt wieder besuchen wollte. Wir liefen also durch die Gegend und meine Bandmitglieder haben wirklich gedacht, dass ich keine Ahnung hätte, wo ich langgehe. Tief in mir drinnen, hatte ich natürlich kleine Zweifel, aber dann habe ich ein mir bekanntes Deli Schild gesehen und wusste sofort, dass das Café genau dahinter liegen musste... und so war es dann auch! (lacht) Ich bin sehr visuell veranlagt, was das angeht. Ich versuche immer sehr aufmerksam zu sein, egal wohin ich gehe oder wo ich mich gerade befinde. Meine restliche Band tickt da eben ganz anders. Die Jungs hatten keine rechte Vorstellung davon, wo wir überhaupt waren. So ist das eben manchmal. Dafür sind sie weitaus bessere Musiker als ich es bin! (lacht)

GL.de: Gehörst du der Sorte von Mensch an, die für alles Mögliche einen Namen hat? Haustiere, Pflanzen oder besonders wertvolle Gegenstände - es gibt ja Leute, die vor nichts Halt machen.

JV: Das ist toll! (lacht) Ich persönlich mache das nicht unbedingt, aber finde das teilweise ganz schlau. Obwohl ich nur für wenige Dinge wirkliche Bezeichnungen habe, bin ich ganz vorne dabei, wenn es darum geht mir ständig wechselnde Namen für ein und denselben Gegenstand auszudenken. Meine Katzen sind erst zwei Monate bei mir, aber sie haben vermutlich schon hundert unterschiedliche Namen! Meine Frau macht sich da nichts draus und achtet wahrscheinlich auch gar nicht mehr darauf wie oft ich mit einem neuen Namen ankomme (lacht). Ich bin also eher von Namensvariationen besessen, wenn man das so sagen kann. Manchmal kommt nach ein paar Änderungen etwas ganz Neues dabei heraus, das ganz anders klingt. Je nachdem, wie oft Änderungen vorgenommen wurden und wie sehr es sich reimen lässt. Wir alle haben doch Spaß an der Sprache an sich und es muss eben ab und an raus. Wenn es sich um Personen oder Gegenstände handelt für die man Zuneigung oder sogar Liebe empfindet, dann fällt es einem gleich noch viel einfacher. Ich weiß nicht, warum Menschen das überhaupt machen, aber es ist irgendwie schön. Okay, wenn du mitbekommst, wie jemand anfängt seine Katze mit fünfzig verschiedenen Namen oder noch mehr anzureden (räuspert sich), dann ist das schon verrückt (lacht). Dieser jemand steckt dann echt in der Klemme... Oh mein Gott!

GL.de: Und auf Tour, wenn du zu all diesen Orten reist, die die ausgefallensten Namen in einer fremden Sprache haben und du weißt gleich, dass du sie dir nicht merken kannst. Da wäre es doch praktisch, sich gleich selbst einen auszudenken, den man dann intern dafür verwenden und sich auch merken kann.

JV: Oh, das ist eine großartige Idee! Das sollten wir machen. Wir müssen in der Band etwas erfinderischer werden, da wäre das doch eine super Gelegenheit dafür. Übrigens danke für deine Fragen, die waren sehr schön. Es war angenehm hier zu sitzen.

GL.de: Danke, dass du dir so viel Zeit für das Gespräch genommen hast. Ich glaube, nun wird es langsam Zeit für dich, auf die Bühne zu gehen oder?

JV: Oh, du hast recht! (Blick auf die Uhr) Lass uns mal rübergehen... Huch! (Noch fünfzehn Minuten bis zum Auftritt.)

Weitere Infos:
www.johnvanderslice.com
www.myspace.com/johnvanderslice
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
John Vanderslice
Aktueller Tonträger:
Romanian Names
(Dead Oceans/Cargo)
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