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BRETT ANDERSON
 
Versagen hat einen Sinn
Brett Anderson
Seit seinem ersten Soloalbum im Jahr 2007 war Brett Anderson fleißig am Werkeln und schenkte uns rund alle zwölf Monate ein neues Album. Mittlerweile hat er mit "Slow Attack" Album Nummer drei aus dem Hut gezaubert und macht sich bereits über den Nachfolger Gedanken. Im Gespräch mit uns spricht er offen über anstehende musikalische Richtungswechsel oder äußert sich zum Dilemma des vergangenen Musikjahrzehnts. Er verrät aber auch, warum seine Texte im zunehmenden Maße die Tür zum Interpretationsspielraum weiter aufstoßen und weshalb er selbst im kreativen Versagen einen Sinn sieht. Es war eine spannende Philosophiestunde im winterlichen Berlin mit Brett Anderson. Was dabei herausgekommen ist, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
GL.de: Das letzte Mal, als du in Berlin gespielt hast, hast du einen beeindruckenden Abgang von der Bühne hingelegt. Das Bild von dir, wie du in der Passionskirche diese schwere Holztür schwingend aufgetreten hast, ist mir im Gedächtnis geblieben.

B: Habe ich das wirklich getan? Ich muss wohl schlechte Laune gehabt haben! (lacht)

GL.de: Du hast auf jeden Fall sehr energisch gewirkt. Was geht dir in so einem Moment durch den Kopf?

B: Ich weiß nicht genau. Das passiert einfach, wenn man leidenschaftlich dabei ist und mitten in der Show steckt und einen die Aufregung des Abends einholt. Irgendwann erreicht man dieses Level von Wahnsinn und lässt seine Emotionen raus. Darum geht es doch bei Auftritten. Ab einem gewissen Punkt wird es hyperreal. Du fängst an verrückte Sachen zu machen und lässt den Dingen ihren Lauf.

GL.de: Es wirkte umso überraschender, weil das Konzert in einer Kirche stattfand, wo es normalerweise so friedlich und gesittet zugeht und dann trittst du plötzlich gegen die Tür und alle im Raum haben große Augen gemacht.

B: Weißt du, Stille kann manchmal sehr wirkungsvoll sein und eine große Intensität besitzen. Viele Leute glauben, dass nur laute Musik und Aktionen Wirkungskraft besitzen und Leidenschaft ausdrücken, aber das ist nicht unbedingt der Fall. Dynamik in jeglicher Form ist sehr wichtig in der Musik. Momentan versuche ich sehr viel von diesem Wechselspiel der Dynamik auf der Bühne rüber zu bringen. Es gibt sehr leise Passagen, aber dann auch unglaublich laute, die diesen gegenüber stehen. Das ist sehr aufregend für mich. Die sanfteste Art von Musik kann manchmal am intensivsten und heftigsten sein.

GL.de: Du hast einmal gesagt, dass du in der kalten Jahreszeit am kreativsten bist. Ist all der Schnee und die Kälte da draußen gerade ein Paradies zum Kreativsein für dich?

B: Ja, in gewisser Weise ist es das, wenn ich nicht damit beschäftigt wäre, Sachen wie das hier zu machen oder auf Tour bin. Das Touren kann dich schon etwas kaputt machen und es ist eine Zeit, in der ich nicht sehr kreativ bin. Wenn ich jedoch wieder zurück in London bin, dann arbeite ich und die Kälte wirkt sich positiv aus. Der Winter war bisher sehr gut dafür geeignet und ich habe bereits mit der Arbeit an nächsten Album begonnen.

GL.de: Picasso hat einmal gesagt "Good artists copy, great artists steal". Siehst du in dieser Aussage einen Funken Wahrheit oder bist du diesem Ansatz gegenüber abgeneigt, wenn du an deine eigene Arbeit denkst?

B: Jede Kunstform nimmt gewissermaßen Besitz von etwas, was bereits besteht. Es gibt meiner Meinung nach keine ursprüngliche Form von Kunst. Selbst die ersten Künstler auf der Welt haben sich an Gegebenheiten aus der Natur orientiert. Ich kann Picasso da schon zustimmen, in dem was er sagt. Niemand arbeitet in einem reinen Vakuum und kann sich völlig von Einflüssen freimachen. Jeder will wie dieses oder jenes klingen oder fühlt sich von bestimmten Dingen inspiriert. Es kommt letztendlich darauf an, wie sehr man sich diese Einflüsse zu eigen macht und persönlich damit umgeht. Wenn du anfängst Musik zu machen oder allgemein als Künstler wahrgenommen zu werden, sind deine Einflüsse meistens sehr offensichtlich. Mit der Zeit kristallisiert sich aber deine persönliche Note heraus und du kannst immer besser damit umgehen, zu dir selbst zu finden. Manche mögen über mich sagen, dass ich vielleicht nach jemand anderem klinge, aber ich finde, dass ich zu mir gefunden habe und heute mehr denn je nach Brett Anderson klinge, was sich sehr gut anfühlt. Mein neues Album klingt meines Erachtens spezifisch und sehr nach mir, was ich immer erreichen wollte.

GL.de: Muss man sich als Künstler von der Idee verabschieden, dass man nicht umhin kommt, sich irgendwann einmal zu wiederholen? Ist es ein utopischer Gedanke gegen diese Vorstellung anzukämpfen oder nicht?

B: Es ist schon sehr schwer, sich im Laufe seines Schaffens nicht zu wiederholen. Wenn ich an die Vergangenheit denke, dann habe ich mich einige Male wiederholt und habe mich, was diesen Aspekt angeht, schuldig gemacht. Das ist mir heute noch viel bewusster als damals. Die goldene Regel lautet, dass man sich inspirieren lassen, aber sich nicht wiederholen sollte und genau das versuche ich heute umzusetzen, wenn ich Musik schreibe.

GL.de: Und wie kämpfst du dagegen an, Originalität zu bewahren, statt dich zu wiederholen?

B: Ich habe jetzt drei Soloalben gemacht, die alle recht verschieden waren und es funktioniert mit der Zeit immer besser, dass ich dahin komme, wo ich hin möchte. Die nächste Platte wird sich wieder sehr von den anderen unterscheiden und das ist auch so von mir beabsichtigt. Das Schöne ist, dass man als Solokünstler viel mehr Spielraum für solche Veränderungen hat.

GL.de: Du hast eben einen Richtungswechsel mit dem geplanten vierten Soloalbum angesprochen. Inwiefern wird es sich von deinem bisherigen Material unterscheiden?

B: Es wird ein komplettes Rock Album werden! Kein Vergleich zu "Slow Attack" zum Beispiel, da Schlagzeug, Bass und E-Gitarre dominieren werden. Es wird aber nicht wie Suede klingen, sondern eher nach einer interessanten, komplexen Avantgarde-Rock Platte.

GL.de: Wie kommt es, dass du dich nach den ersten drei Soloalben nun eher dazu hingezogen fühlst, ein Rock Album zu machen?

B: Ich kann dir nicht genau sagen, warum die Zeit jetzt reif dafür ist. Die letzten Alben waren sehr intensiv und ruhig. Nun verspüre ich die Lust, intensive und laute Musik zu machen. Das ist wie eine Art Kreislauf, nehme ich an. Du fängst mit etwas an, bewegst dich dann in eine andere Richtung und kommst irgendwann wieder darauf zurück, weil eine gewisse Zeit vergangen ist. Du entwickelst dich weiter, aber vergisst nicht, was du bisher gemacht hast. Ich kann nur sagen, dass ich lange keine Rock Platte mehr gemacht habe und es sich einfach richtig anfühlt, diesem Drang nun nachzugehen es noch einmal zu probieren.

GL.de: Wird heutzutage in der Musik mehr reproduziert anstatt produziert?

B: Definitiv! Ich glaube schon, dass der überwiegende Teil einen reproduzierenden Charakter besitzt, egal ob Musik oder Kunst im Allgemeinen. Es ist seltsam, denn ich habe das Gefühl, dass gerade das letzte Jahrzehnt musikalisch nicht wirklich heraussticht oder als etwas Besonderes definiert werden kann. Es hat eher den Anschein, als ob es eine bloße Weiterführung der 90er war und auf keinen eigenständigen Füßen stand. Die interessantesten Sachen basierten auf Rockmusik mit viel Gitarren. Es gab kein Genre, das im letzten Jahrzehnt zum Leben erweckt wurde, was sehr schade ist. Mir tun die Leute fast schon leid, die mit dieser Musik aufgewachsen sind. Zumindest in musikalischer Hinsicht gab es nichts, was einen großen Beitrag geleistet hat.

GL.de: Ist es reizvoll für dich, mit Songmaterial zu arbeiten, was nicht aus deiner Feder stammt oder mit anderen Künstlern zu kollaborieren?

B: Ich bin nicht allzu sehr an Kollaborationen interessiert, um ehrlich zu sein. Das ist mir oft etwas suspekt. Ich kann dir nicht einmal genau sagen, warum das so ist. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich bei Kollaborationen von Künstlern immer daran denken muss, dass Managements dahinter stecken, die das alles einfädeln und das der wahre Grund für die Zusammenarbeit ist, statt einem wirklichen musikalischen Interesse. Was Songmaterial von anderen angeht, bin ich da aufgeschlossener, was man ja auch an der Zusammenarbeit mit Leo Abrahams sieht, der an "Slow Attack" mitgewirkt hat. Er gibt mir Material und ich verändere Sachen daran oder ich schreibe einen neuen Teil, der dazu passt. Ich folge beim Schreiben keinem wirklichen Prinzip. Das kann ganz unterschiedlich vonstatten gehen. Ich kann mit jemanden wie Leo zusammenarbeiten oder ganz alleine am Piano sitzen und den Ideen freien Lauf lassen.

GL.de: Die Idee, zum Beispiel Holzbläser auf "Slow Attack" zu verwenden, stammte von Leo Abrahams. Wie gut kannst du dich auf solche Experimente im Allgemeinen einlassen? Musst du erst überzeugt werden oder bist du in dieser Hinsicht ganz offen für Neues?

B: Ich habe vorher kaum mit Holzbläsern gearbeitet, aber fand die Idee für die Songs sehr passend und konnte mir das sehr gut vorstellen. Letztendlich haben die Holzbläser dem Ganzen einen sehr spezifischen Charakter gegeben, nach dem ich gesucht habe und der mir gut gefällt. Leo wollte viel improvisieren, was die Songs selbst angeht und ich habe ihm vertraut und gesagt, dass wir es einfach versuchen sollen. Das Wichtigste ist, dass du der Person, mit der du arbeitest, vertraust. Wenn du das nicht tust, dann sind alle Ideen einfach nur beliebige Vorschläge von irgendjemanden. Wenn du aber jemanden vertraust und an dessen Ideen glaubst, dann kannst du dich auch besser darauf einlassen und probierst viel mehr aus. Sobald ich jemanden vertraue, komme ich auch viel mehr aus mir heraus.

GL.de: Und wenn es nicht funktioniert hätte, wie wärst du damit umgegangen?

B: Ich hätte wahrscheinlich kein weiteres Album mit Leo zusammen gemacht. So einfach ist das. Wenn es nicht funktioniert, dann sollte man es lassen.

GL.de: Es gibt wahrscheinlich kein Rezept, sich als Musiker selbst treu zu bleiben. Gab es in all der Zeit, in der du Musik machst, dennoch etwas, an das du dich halten konntest?

B: Das ist wahr, es gibt kein Rezept, um sich selbst treu zu bleiben. Ich habe einfach immer auf meinen Instinkt gehört und bin diesem gefolgt. Das ist das Einzige, auf das ich wirklich vertraue. Du musst bestimmte Entscheidungen von deinen Gefühlen abhängig machen. Oftmals kann man nicht theoretisch denken, sondern muss sich den Dingen hingeben und dann sehen, ob sie für einen Sinn machen oder nicht. Wenn ich Gänsehaut bekomme, dann weiß ich meistens, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

GL.de: Nicht selten werden Künstler, die sich nicht ständig neu erfinden, als langweilig abgestempelt. Muss man sich ständig wandeln, um interessant zu bleiben? Warum reicht es nicht aus, eine bestimmte Sache gut zu machen?

B: Da bin ich anderer Meinung. Ich weiß nicht, ob das für die Musikszene in Berlin prägend ist, aber ich finde nicht, dass man sich ständig wandeln muss oder dem Druck von außen unterliegt, permanent neue Wege zu beschreiten, wenn nicht unbedingt nötig. Persönlich gesehen, mag ich Veränderungen sehr und schätze sie, aber Fakt ist, dass die Rock Musik nicht nach diesem Schema funktioniert. Im Gegenteil, denn sie ist sehr konventionell, wenn nicht sogar konservativ. Wie viele Künstler werden allein in diesem Genre dafür belohnt, dass sie sich andauernd wiederholen und in ihrer Spur bleiben, weil es erfolgreich ist. Es gibt mindestens fünfzig verschiedene Bands, die ich auf der Stelle nennen könnte, die immer wieder das Gleiche machen und genau dafür hochgelobt werden. Ich will keiner von diesen Künstlern sein, die so leben. Ich wünschte, die Musikindustrie wäre weniger konservativ, was das angeht, aber das ist sie leider nicht.

GL.de: Was bei "Slow Attack" auffällt, ist, dass die Texte einen viel narrativeren Charakter haben, als auf vorherigen Veröffentlichungen. Basiert das auf einem eher spontanen Schreibstil, der sich während des Entstehungsprozesses der Songs herausgebildet hat oder hast du schon in der Vergangenheit Texte geschrieben, die dieser Macharbeit ähnelten, diese aber vielleicht bewusst zurückgehalten?

B: Ich habe in der Tat schon in der Vergangenheit auf ähnliche Art und Weise Songtexte geschrieben. Sie waren nicht unbedingt abstrakt, sondern nur nicht so stark narrativ wie man es von mir kennt. Manchmal verlieren Texte an Wirkungskraft, wenn sie zu direkt und deutlich geschrieben sind. Dann geht die in ihnen enthaltende Magie verloren. Das Beste kann unter Umständen eine kleine Skizze sein, die höchstens eine Vermutung zulässt, was die Interpretation angeht. Es reicht aus, wenn nur ein kleiner Hinweis vorhanden ist, der dir nicht ganz eindeutig sagt, was du ihm entnehmen kannst. Wenn etwas zu offensichtlich ist, dann kann das schädlich sein. Ich glaube aus diesem Grund wollte ich auf "Slow Attack" eher Texte verwenden, die nicht zu deutlich sind und Interpretationsspielraum lassen. Momentan kann ich mich auf diese Weise am besten ausdrücken.

GL.de: Gab es so etwas wie eine Gewöhnungsphase, was diese Art zu Schreiben angeht oder war es keine besondere Herausforderung für dich?

B: Es hat sich mehr oder weniger einfach ergeben. Das Wichtigste ist, dass man an einer Idee festhält und nicht versucht, wie wild alles auszuprobieren. Es ist schon hilfreich, wenn man sich, wie in diesem Fall, einem Schreibstil zuwendet und schaut, wohin einen das führt. Alles andere würde dazu führen, dass man einer undefinierbaren Masse gegenüber steht, die es einem nicht ermöglicht den gefassten Gedanken bis zum Ende erfolgreich zu begleiten und zu einem Ergebnis zu kommen.

GL.de: In deinem letzten Album sind auch das erste Mal keine Songtexte im Booklet enthalten. Hat das auch etwas damit zu tun, dass deine Texte nicht mehr so fassbar sind wie zuvor?

B: Ja, genau aus diesem Grund habe ich sie dieses Mal weggelassen. Ich wollte nicht, dass die Texte im Vergleich zur Musik dominieren und visuell präsent sind. Sie sollten vielmehr ein weiteres Instrument in der Musik darstellen und auch so wahrgenommen werden.

GL.de: Denkst du, dass gedruckte Texte in jedem Fall auch automatisch einen anderen Eindruck beim Hörer hinterlassen, als wenn sie beispielsweise nur gesungen werden?

B: Ja, das ist exakt der Fall bei gedruckten Texten. Sie haben sofort eine ganz andere Form von Autorität und damit auch eine unmittelbarere Wirkung als das gesungene Wort, das vielleicht denselben Inhalt hat. Ich benutze Wörter ab und an eher als Klänge anstatt als wirkliche Wörter. Sobald du anfängst die Intonation zu variieren, ergeben sich dabei völlig unterschiedliche Bilder.

GL.de: Du hast gerade ein Buch mit deinen Songtexten namens "The Words Of Brett Anderson" veröffentlicht. Hast du dabei auch in Erwägung gezogen in diesem Rahmen Texte zu veröffentlichen, die bisher nicht für einen Song verwendet wurden?

B: Nicht wirklich. Ich verwende eigentlich so gut wie alle Texte, die ich schreibe, auch für Songs und habe keinen Vorrat an Textmaterial, den ich extra aufhebe oder zurückhalte, um ihn vielleicht in anderer Form zu veröffentlichen. Ich habe angefangen, mehr und mehr Poesie zu schreiben, was sehr aufregend ist, weil es eine ganz andere Art von Disziplin erfordert. Es ist interessant zu sehen, wie Worte funktionieren, wenn man sie eigenständig betrachtet und nicht mit Musik in Verbindung bringt. Ich weiß nicht, ob meine Gedichte gut sind oder nicht. Ich habe sie noch niemanden gezeigt, aber es bereitet mir viel Freude mich damit zu beschäftigten.

Brett Anderson
GL.de: Vor einiger Zeit hast du in einem Interview den Materialismus als Teufel bezeichnet. Ist das ein Grund dafür, warum die Musik zu deiner Leidenschaft geworden ist - eben weil man Musik nicht besitzen kann?

B: Ja, vielleicht mache ich aus diesem Grund Musik. Ich habe noch nie konkret darüber nachgedacht, aber da ist etwas dran. Musik ist ein lohnenswertes Streben, das viel mit Integrität zu tun und dem etwas Ehrenvolles anhaftet. Musik ist in ständiger Bewegung und Materialismus ist eine sinnlose Sucht.

GL.de: Als Musiker lernt man dennoch beide Seiten kennen und kann sich nicht völlig vom Materialismus freimachen, wenn man seine Kunst verbreiten möchte.

B: Das ist wahr. Ich will mich auch gar nicht davon distanzieren. Natürlich lebe ich auch ein materialistisches Leben und kann nicht so tun, als ob ich nur von Brot und Wasser leben würde und sonst nichts bräuchte. Ich bin mir dessen schon bewusst, aber versuche die ganze Sache trotzdem kritisch zu betrachten und damit auch mir als Person kritisch gegenüber zu stehen. Wir alle leben in einer materialistischen Gesellschaft und ich bin genau so ein Teil davon. Es ist wichtig, sich dennoch vor Augen zu halten, was wirklich von Bedeutung im Leben ist. Ich kenne genügend Leute um mich herum, die irgendeine bizarre Form von Selbstzufriedenheit daraus ziehen, dass sie sich andauernd ein neues Paar Schuhe oder ähnliche Dinge kaufen...

GL.de: Jetzt sind wir fast am Ende angekommen und ich würde noch gerne auf Michael Landy zu sprechen kommen. Er hat in London gerade seine neue Ausstellung "Art Bin" eröffnet, in der er berühmte und unbekannte Kunstwerke zusammen in einem Glaswürfel wirft, was ein Monument kreativen Versagens darstellen soll - im Prinzip eine Visualisierung von Ideen, die einzeln mitunter wertlos erscheinen, aber im Gesamtbild eine neue Perspektive ermöglichen. Gibt es überhaupt ein wirkliches kreatives Versagen?

B: Zuallererst, muss ich sagen, dass ich Michael Landy liebe. Er ist ein wunderbarer Künstler! Ich bin ein großer Fan seiner Arbeit, vor allem seiner Ausstellung "Scrapheap Services", die in der Londoner Tate Gallery zu sehen ist. Die solltest du dir unbedingt ansehen! Entschuldige, was war deine Ausgangsfrage? (lacht)

GL.de: Ich wollte von dir wissen, ob kreatives Versagen wirklich existiert.

B: Das ist eine interessante Frage... dem eigentlichen Sinn nach existiert es nicht wirklich, oder? Jede Form von kreativem Schaffen ist doch bereits ein Erfolg an sich. Natürlich kann man bestimmte Standards nehmen und das Ergebnis daran messen, aber darum geht es nicht wirklich. Wenn ich zum Beispiel an mich denke, wenn ich einen Song schreibe, dann kann es passieren, dass ich ihn entsetzlich finde. Später komme ich aber vielleicht darauf zurück, entnehme eine Zeile daraus und mache daraus einen neuen Song. Damit ist alles ein Lernprozess und auch etwas Negatives kann sich am Ende produktiv auf das Ergebnis auswirken. Ich kann dir in dieser Hinsicht Recht geben, denn kreatives Versagen scheint nicht zu existieren.

GL.de: Selbst wenn man mal von der Musik weggeht, ist es doch so, dass das Leben einem genügend Beispiele liefert, in dem Enttäuschungen oder Fehltritte sich manchmal eben doch als hilfreich erweisen.

B: Absolut. Da stimme ich mit dir über ein. Das ist ein interessantes Konzept, wenn man es sich so vor Augen hält. Musikalisch gesehen oder auch im richtigen Leben beziehen wir uns doch auf Dinge, die manchmal zunächst keinen Sinn ergeben haben, aber nach einer gewissen Zeit nützlich sein können und uns weiterbringen. Genau das ist es, was die Schönheit der Kunst ausmacht. All die negativen Sachen, die dir im Leben oft den Weg kreuzen, kannst du am Ende dazu benutzen etwas Neues zu erschaffen und etwas Positives entsteht.

Weitere Infos:
www.brettanderson.co.uk
www.myspace.com/brettandersonofficial
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Hella Wittenberg-
Brett Anderson
Aktueller Tonträger:
Slow Attack
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