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PAUL SMITH
 
Musik kennt keine Grenzen
Paul Smith
Was bedeutet es, kreativ unabhängig zu sein und sich all den damit verbundenen Herausforderungen ganz alleine zu stellen, wenn man normalerweise Vollzeit-Mitglied einer erfolgreichen Band ist? Diese Jahr wollen es gleich mehrere namhafte Musiker auf einen Streich wissen und so hagelt es innerhalb von nur wenigen Monaten Soloalben und Projekte aus den Bandlagern von Travis, Snow Patrol, Bloc Party, TV On The Radio und nun auch Maximo Park. Paul Smith zeigt sich auf "Margins" von einer deutlich gefühlsbetonteren und intimeren Seite als bei Maximo Park. Unter vier Augen berichtet er unter anderem davon, was es heißt, musikalisch auf eigenen Beinen zu stehen und warum ihm beim Songwriting Klischees mehr als zuwider sind.
GL.de: Die Veröffentlichung deines ersten Solo-Albums "Margins" steht kurz bevor. Wie geht es deiner Pulsfrequenz, schießt sie kontinuierlich in die Höhe?

(lacht) Momentan geht sie gerade wieder etwas nach unten, weil ich nun auch das Artwork fertig gestellt habe. Gleichzeitig dazu habe ich auch an dem Buch gearbeitet, welches ebenfalls mit dem Album herauskommen wird. Darin befinden sich Polaroids der letzten vier oder fünf Jahre, die ich gemacht habe. Das Cover dafür ist gerade fertig geworden und mein Bruder, der ein Grafikdesigner in Glasgow ist, und ich haben zusammen das Layout gestaltet. Ich bin sehr detailverliebt, was das Ganze angeht. Deshalb habe ich alle Songtexte auf Rhodia Notizpapier geschrieben und abfotografiert. Meine Website ist im gleichen Stil gehalten. Ich mag es nicht so sehr, wenn Dinge eingescannt werden, weil man es hinterher meistens deutlich sehen kann. Mein Bruder und ich haben also viele Nächte lang daran gearbeitet und ich hatte am Ende ganz große Augen, weil ich so lange auf den Bildschirm gestarrt habe (lacht). Noch eine Sache, die etwas stressig war, hatte damit zu tun, dass ich keinen Bassisten finden konnte.

GL.de: Warum hat sich die Suche denn so schwierig gestaltet?

David, der auf dem Album Bass spielt, konnte keine vier Wochen am Stück mit mir touren, weil er noch bei Field Music spielt. Ein anderer potentieller Kandidat ist zwischenzeitlich auch abgesprungen und als ich in Berlin war, wurde mir dann glücklicherweise Claire empfohlen und die Lage hat sich, was das angeht, entspannt, worüber ich sehr froh bin. Wir werden das Album in kleinen Clubs vorstellen, was insgesamt auch zu der intimen Atmosphäre der Songs passt. Es würde mir nicht in den Sinn kommen, in solchen großen Hallen wie mit Maximo Park zu spielen. Erstens, wird das Interesse an "Margins" weitaus weniger groß sein und zweitens ist die Chance größer, dass man den Songs in kleineren Clubs mehr Beachtung schenkt. Es gab also schon ein paar Momente, in denen ich ausgeflippt bin, weil ich so viel Arbeit zu erledigen hatte, aber jetzt, wo alles fertig ist, bin ich viel entspannter und auch sehr glücklich mit allem. Vor allem, weil ich weiß, dass ich morgen keine Radio Sessions spielen werde. Ich habe das einmal in Belgien gemacht, weil unser Gitarrist krank war. Sagen wir mal so, ich war nicht gerade gut vorbereitet! Wahrscheinlich haben Maximo Park danach in Belgien auch keine Platten mehr verkauft (lacht). Jedenfalls bin ich umso glücklicher, momentan einfach nur hier zu sitzen und wie eine normale Person über mein Album zu reden, ohne dass ich dabei gefilmt oder fotografiert werde. Ich bin sowieso erstaunt, dass sich so viele Leute für mein Album interessieren.

GL.de: Macht ein Soloprojekt, wie in deinem Fall, nur dann Sinn, wenn es musikalisch ganz bewusst in eine andere Richtung geht?

Ich denke, jeder hat seine ganz eigenen Motive, wenn er sich als Solokünstler versuchen will. Ich kann nicht beurteilen, ob es nur dann wirklich Sinn macht, wenn man mit etwas völlig Anderem daherkommt. Es gibt da kein richtig oder falsch meiner Ansicht nach. Ich kann nur von mir ausgehen und sagen, dass es sich für mich zunächst gar nicht wie ein Soloalbum angefühlt hat. Ich habe einfach Songs aufgenommen. Es hätten auch nur Demos sein können, aber nach fünf oder sechs Liedern habe ich festgestellt, dass sie etwas Eigenständiges darstellen und mein Gitarrenspiel ebenfalls ganz ok war. Es klang alles sehr nach mir und ich hatte vorher noch nie das Bedürfnis, diese Ideen dann auch mit der Öffentlichkeit zu teilen. Mein Drummer Andy, der das Album auch produziert hat, hat eine sehr lockere Spieltechnik und mein Gitarrenspiel auf den entstandenen Songs war ebenfalls sehr ungebunden. Ich habe diese Ideen dann Freunden von mir vorgespielt und sie haben mir geraten, diese doch einmal zu veröffentlichen. So hat sich das über ein paar Jahre hingezogen und entwickelt. Ich habe die einzelnen Songs immer gerne innerhalb eines Tages fertig gestellt, was meine Freunde manchmal in den Wahnsinn getrieben hat (lacht). "Strange Friction" ist zum Beispiel sehr schnell entstanden und daher wohl auch ein wenig naiv. Es wirkt spielerisch gesehen vielleicht nicht so professionell, aber viele Leute, die es gehört haben, mochten es. Auch die Art und Weise der Aufnahmen waren anders als bei Maximo Park, denn wir haben mit Doppelungen der Gesangsspur gearbeitet, was ich innerhalb der Band nie befürwortet habe, weil ich die Direktheit des Gesangs immer bevorzugt habe. Auf "Margins" habe ich es aber zugelassen, weil es zu den Songs passte und wir haben noch viele andere Sachen ausprobiert. Am Ende war das Album fertig, ohne dass ich zu viel darüber nachgedacht hätte wie es letztendlich klingen sollte.

GL.de: Wie hat denn der Rest der Band auf die Songs reagiert?

Manche dieser Songs habe ich dem Rest der Band vorgespielt und sie fanden, dass sie vielleicht nicht unbedingt für Maximo Park geeignet wären. Danach war ich ungefähr einen Tag lang deprimiert, aber habe auch festgestellt, dass die anderen damit Recht hatten. Als Band haben wir auf unseren ersten drei Alben sehr schnelle, lebhafte Musik mit einer bestimmten Stimmung gemacht, die definitiv ein gemeinsames Resultat von uns fünf Bandmitgliedern und all unseren Persönlichkeiten war. Die Songs, die nun auf "Margins" gelandet sind, sind jedoch sehr gegensätzlich und unglaublich eng mit meiner Persönlichkeit verbunden, so dass ich mir gut vorstellen kann, dass der Rest der Band sich nicht so wohl mit ihnen gefühlt hätte. Außerdem mag ich ruhige Musik sehr gerne und finde es schön, wenn man die Texte auch wirklich ohne Probleme verstehen und dadurch eine Geschichte entdecken kann. Die Dinge über die ich in den neuen Songs schreibe, sind thematisch gesehen nicht Millionen Kilometer von denen in Maximo Park entfernt, aber trotzdem gibt es einige Zeilen und viele Details, mit denen sich die Band vielleicht nicht unbedingt identifiziert hätte, was auch völlig ok ist. Es hat einfach Sinn gemacht, es unter meinem Namen herauszubringen. Alles andere wäre nicht sehr ehrlich gewesen, weil die Songs so unverkennbar meine persönliche Handschrift tragen. Ob das nun gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, aber so ist es nun einmal.

GL.de: Wie wichtig ist dir deine kreative Unabhängigkeit, wo du dich doch seit einiger Zeit sehr erfolgreich im Kollektiv mit dem Rest von Maximo Park verwirklichst?

Es ist mir schon sehr wichtig. Kreativ unabhängig zu sein, ist wunderbar, aber ich möchte auch die Erfahrung innerhalb einer Band wie Maximo Park nicht missen, wenn ich ehrlich bin. Ich finde es sehr schön, beide Wege zu gehen, wenn möglich. Ich will meinen Kuchen und ich will ihn auch essen! (lacht) Es ist ein tolles Gefühl, die Stärke zu spüren, die man als Teil einer Band versprüht. Maximo Park sind von einem kleinen Indie-Label zu einer Band heran gewachsen, deren Musik weltweit von Menschen gehört wird. Das ist doch Wahnsinn. Wie ist das überhaupt passiert?!? Ich habe keine Ahnung! (lacht) Hoffentlich hat es etwas damit zu tun, dass wir gute Songs schreiben und hart arbeiten. Man muss aber auch sehr viel Glück haben und ich bin sehr froh, dass wir etwas davon abbekommen haben. Ansonsten würde sich wahrscheinlich auch niemand für meine Soloplatte interessieren, wenn ich nicht der Sänger von Maximo Park wäre. Seien wir doch einmal ehrlich, ansonsten wäre ich doch nur ein beliebiger Singer/Songwriter, der ein Album veröffentlicht und gehört werden will. Ich bin durch die Band natürlich in einer guten Position, auch abseits davon musikalisch auf offene Ohren zu stoßen. Ich würde die Erfahrung in einer Band zu spielen niemals aufgeben wollen, das steht fest. Letztendlich könnte genau das aber auch dazu führen, dass man als Musiker sehr durchschaubar wird und sich stets in Sicherheit wiegt. Das macht mir doch Sorgen.

GL.de: Apropos Sorgen, neben all den Glücksgefühlen, die beim musikalischen Alleingang entstehen, kam es während all der Zeit dennoch vor, dass sich auch einmal Ängste bei dir eingeschlichen haben?

Ja, absolut. "Margins" bringt mich dazu, dass ich mich etwas vor dem ängstige, was auf mich zukommt, weil ich musikalisch plötzlich auf eigenen Beinen stehe. Alle Auswirkungen, die auf mich zukommen, schlagen auf mich allein ein und werden von niemand anderem aufgefangen. Bei den Live Shows werde ich mit einer neuen Band zusammen spielen und das vor einem relativ großen Publikum und nicht als Niemand in einem Pub um die Ecke. Der Gedanke daran ist schon etwas erschreckend (lacht). Ich werde dastehen, Gitarre spielen und gleichzeitig singen, was nicht so einfach ist. Es geht aber darum, dass man sich selbst ab und zu herausfordert und nicht versteckt. Am Ende läuft alles darauf hinaus, dass man ein kreatives Ziel verfolgt, auch wenn man vielleicht ein paar Zweifel hat. Unabhängig zu sein, bedeutet mir daher sehr viel, weil ich dadurch auch zu mir selbst finde. Auf gewisse Art und Weise ist es aber auch eine Erklärung an die Aussenwelt, dass ich eben nicht nur dieser Typ aus der Indie-Band bin, sondern verschiedene Songs schreiben kann und generell unterschiedliche Sachen mag.

Hoffentlich wird es Leute dazu bringen ihre Meinungen über Maximo Park etwas breiter zu fächern und uns nicht einfach abzustempeln, weil sie alle paar Jahre einmal eine Single im Radio hören ohne das ganze Album zu kennen. "Margins" wird hoffentlich dazu beitragen, dass einige von ihnen bemerken, dass es ein recht romantisches Album ist, das auf sehr intime Weise Beziehungen diskutiert. Ich weiß nicht, wie viele Menschen "Margins" ihre Aufmerksamkeit schenken werden, weil die Radios es wohl eher nicht spielen werden, weil es nicht "Pop" genug ist oder es in einem Schlafzimmer aufgenommen wurde. Manchmal macht es mich wahnsinnig, wenn ich zu viel über solche Dinge nachdenke... genauso wie die Tatsache, dass ich eben den Faden verloren habe und wahrscheinlich schon wieder am Thema vorbei rede (lacht).

GL.de: Muss man deiner Meinung nach generell ein genauer Beobachter sein, um gute Songtexte verfassen zu können? Immerhin scheinst du deine Umwelt sehr genau wahrzunehmen und die für dich wichtigen Details heraus zu picken, die du dann in Songs verarbeitest.

Ich denke schon, dass man diese Eigenschaft haben muss, wenn man gute Texte schreiben will. Mir fällt es auch bei anderen Künstlern auf und ich bin manchmal fasziniert davon, welche Dinge sie sich heraus picken, um darüber zu singen. Manche von ihnen wäre mir nie im Leben eingefallen, aber obwohl ich sie nicht unbedingt selbst erlebt habe, sprechen sie mich trotzdem an, was mir sehr gefällt. Mark Kozelek, einer meiner Lieblingssänger, ist jemand, der sich diese Eigenschaft ganz sicher zu Nutzen macht. Seine Songs sind oft sehr melancholisch und handeln von Beziehungen, aber greifen auch unscheinbare Dinge auf, wie ein Kleid, dessen Stoff in der Sommerluft in Bewegung gesetzt wird und schon erinnerst du dich, dass du zum Beispiel in deiner Kindheit ähnliche Sachen wahrgenommen hast. Man kann sich automatisch in seine Person hinein versetzen. Auf "Margins" gibt es diese Stelle, bei der ich einen Scott Walker-Magneten am Kühlschrank erwähne. Es werden vielleicht nicht viele Leute so einen am Kühlschrank haben, aber vielleicht versetzt sie dieses doch sehr häusliche Detail in eine Zeit zurück, in der sie vielleicht ähnliche Sachen in der Küche oder an den Wänden hatten.

Selbst wenn nicht, werden sie hoffentlich erkennen, dass der Song etwas Reales aufgreift, dass mir zumindest für einen Moment lang wichtig erschien. Der Rest des Songs darf hingegen durchaus etwas universaler sein, denn ich will meine Texte schließlich nicht wie Tagebucheinträge wirken lassen. Sie sollen gefühlsbetont, aber dennoch sprachlich so gestaltet sein, dass es unverkennbar meine Worte sind, die sich ab und zu reimen. Künstler wie Leonard Cohen, Joni Mitchell oder Bill Callahan haben genau diese Gabe und können kleinste Momente mit ihren Worten so treffend beschreiben, dass sie im Hörer etwas auslösen und sich dieser genau in die beschriebene Situation hinein versetzen kann. Gute Songwriter können aus den kleinsten Details Songs machen und mit ihren eigenen Worten Momente lebendig erscheinen lassen. Wenn man Glück hat, entsteht dadurch etwas ganz Eigenes.

GL.de: "Margins" ist, sowohl was die Instrumentierung als auch die Produktion angeht, eher simpel gehalten und ermöglicht dem Hörer dadurch, auch verstärkt auf die Texte zu achten. Gleichzeitig scheinst du mit der Intention dem Album einen etwas ungeschliffenen Charakter zu geben, aber auch gegen so ziemlich alles zu streben, was Popmusik heutzutage ausmacht, wo es oft genug doch nur noch darum geht alles noch glatter und perfekter zu machen.

Ja, leider ist das meistens der Fall. Ich habe den ganzen Prozess als sehr natürlich empfunden und habe nicht bewusst diesen Weg gewählt. Erst als die Songs fertig waren und ich die Veröffentlichung mit meinem Management besprochen habe und sie vorschlugen, doch ein paar Songs neu aufzunehmen, wurde mir klar, dass sie als Business-Leute natürlich ein Produkt von dir wollen, das sich auch verkauft. Das ist nun einmal eine Tatsache. Ich bin natürlich nicht so blind und verschließe die Augen davor, dass mein Album letztendlich Hörer und Käufer finden soll, denn natürlich würde ich gerne ein zweites Album machen, aber wenn ich persönlich Musik höre, dann ist das vorrangig eine Kunstform für mich. Popmusik ist Kunst für mich, die etwas in Menschen bewirken und sie eventuell verwandeln kann. Ich denke genau daran, wenn ich selbst Musik mache. Ich könnte die Songs so polieren, dass mehr Leute Gefallen an ihnen finden und sie kaufen, aber das würde den Kern der Songs völlig zunichte machen. Sie sind schließlich ein direkter Ausdruck dessen, was mich bewegt.

GL.de: Bist du durch "Margins" viel mehr zum Klangtüftler geworden?

In gewisser Weise stimm das, obwohl ich wahrscheinlich auch sehr von My Bloody Valentine beeinflusst, deren Album "Loveless" mich begleitet hat, als ich erwachsen wurde. Ich dachte mir damals "Wie machen die das nur? Wie bekommen sie diesen Klang hin?" Bei meinen neuen Songs habe ich zusammen mit Freunden einfach experimentiert, was Klänge angeht. Wir wussten manchmal auch nicht genau, wo sie eigentlich her kamen, aber genau das war der Punkt. Es wäre auch unmöglich gewesen, sie ein zweites Mal entstehen zu lassen. Die am Ende entstandene, verträumt klingende Atmosphäre ist nun zu einem prägenden Merkmal des Albums geworden. Es ist keine traditionelle Singer/Songwriter-Platte geworden und obwohl eine komplette Band die Songs eingespielt hat, wirken sie nicht aggressiv. Selbst wenn ich sehr hohe Töne wie in "The Crush And The Shatter" anschlage (imitiert sich selbst und versucht im Scherz krampfhaft einen hohen Ton zu treffen), dann wird das durch den Hall und den restlichen Sound ausbalanciert und funktioniert am Ende. Ich war selbst überrascht, denn ich hatte zunächst angenommen, dass die Songs alle viel zu unterschiedlich klingen würden. Daher wollte ich auch mit der gewählten Abfolge der Songs den Hörer bestmöglich durch das Album führen.

GL.de: Viele Künstler verstecken sich heutzutage immer öfter hinter der Studio-Technik. Gibt es für dich als Musiker gewisse Regeln, die du versuchst einzuhalten oder stehst du allen Dingen offen gegenüber?

Ich halte keine Regeln mehr ein. Ich würde gerne ein weiteres Soloalbum machen, was elektronischer und viel lauter ist, aber trotzdem bestimmte Gefühle vermittelt. Eine kalt klingende Platte, die nicht unbedingt mein Stil ist, aber in der ich mich austoben kann. Es gibt so vieles da draußen, was mich musikalisch anspricht und für das ich noch nicht einmal einen Namen habe. Minimal Techno ist sehr faszinierend und ich frage mich, was passieren würde, wenn man die menschliche Stimme als Element hinzufügen könnte und was das bewirken würde. Depeche Mode haben in den 80ern solch einen kühl klingenden Sound so mit stimmlichen Harmonien verbunden, dass etwas Neues dabei entstanden ist. Ich mag es, viele verschiedene Instrumente in die Songs einfließen zu lassen, aber bei "Margins" habe ich einfach das genommen, was gerade da war und das war vorrangig meine Gitarre. Man kann Technologien sehr zu seinem Vorteil nutzen, wenn man sich geschickt anstellt. Disko-Musik ist oftmals sehr oberflächlich, aber genau das ist auch der Punkt. Es geht eben nur darum, eine gute Zeit zu haben und sonst nichts. Und dann gibt es Künstler wie Arthur Russell, der zu meinen Lieblingskünstlern gehört, der viele verschiedene Stile miteinander kombiniert hat.

Er hat in den 70ern unter anderem mit Philip Glass oder David Byrne und bekannten Leuten aus der New Yorker Szene zusammengearbeitet. Seine Disko-Songs waren aber so vielschichtig und seine Texte so tiefsinnig im Vergleich zu anderen Songs aus diesem Genre. Er hat Akustik-Gitarren, Trompeten und Celli in die Lieder mit eingebaut und sie überraschend und mit großem Effekt eingesetzt. Er war selbst ein großer Cellist und hat House Music mit erschaffen, bevor es überhaupt einen Namen dafür gab. Künstler wie Arthur Russell beweisen, dass alles möglich ist, wenn man nur will. Daher würde ich mich niemals vor irgendetwas verschließen wollen. Man kann heutzutage eine ganze Platte nur aus einem Loop und ein paar Klicks erschaffen, denen man eine verzerrte Stimme hinzufügt. Das gute an Musik ist, dass es keine Limits gibt und man alles ausprobieren kann.

GL.de: Genau das wird der erschaffenen Musik aber auch oft genug zum Verhängnis, oder?

Da stimme ich dir zu. Das Problem liegt nur darin, wenn Menschen der Meinung sind, dass sie bedeutungsvolle Musik mit ein paar Effekten erzeugen können, die für jeden zugänglich sind und damit die Seele des Songs spürbar verformen. So etwas wie Auto-Tuning beim Gesang ist doch schrecklich. Entweder man kann singen oder man kann es eben nicht. Arthur Russell war auch kein perfekter Sänger, aber er hat daraus eine Tugend gemacht und man hat seiner Stimme angehört, dass sie etwas besingt, was ihm viel bedeutet. Das ist auch genau das, was ich versuche mit meinen Songs zu erreichen. Ich halte mich nicht für einen besonders guten Sänger (lacht), aber ich versuche, die in den Songs geweckten Emotionen stimmlich zum Ausdruck zu bringen. Mir liegt viel daran, die emotionalen Töne zu treffen, auch wenn einmal der eigentliche Ton nicht getroffen wird. Das wäre natürlich ein Bonus! (lacht) Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Menschen versuchen, sich einfach auf ihre Weise auszudrücken anstatt sich in Klischees zu verlieren, seien es melodische, instrumentale oder lyrische Klischees.

GL.de: An welche Klischees denkst du dabei?

So etwas wie dicke Gitarrensoli finde ich zum Beispiel ganz furchtbar. Es gibt haufenweise solcher Klischees, die immer wieder von Menschen verarbeitet und dann irgendwann als üblich im Mainstream angesehen werden. Außerdem geht es dabei nur darum, Geld zu machen. Gerade als Rockstar funktioniert das seit Ewigkeiten wunderbar. Nehmen wir zum Beispiel Bon Jovi. Er sieht sich selbst als Rockstar und als Mann des Volkes und knurrt und brummt deswegen so auf all seinen Platten. Dann macht er auf seiner Liste ein Kreuz bei "draufgängerisch" und "Bruce Springsteen" und geht zum nächsten Klischee über, das er abarbeiten kann. "Ist das Solo mitfühlend genug, dass es im Radio gespielt werden wird?" - Angekreuzt. "Werde ich mein drittes Haus davon bezahlen können?" - Angekreuzt. Für mich bedeutet Musik, dass ich auf emotionaler Ebene Kreuze setzen kann und keine, die allein auf den kommerziellen Aspekt abzielen oder mich als diesen oder jenen Künstler in der Öffentlichkeit darstellen. Ich denke, wenn man seinen eigenen Weg geht, dann wird man am Ende auch dafür belohnt. Glücklicherweise sehen das auch andere Menschen da draußen so.

GL.de: Die Songs auf "Margins" sind über einen längeren Zeitraum entstanden und haben sich, laut deiner Aussage, erst nach und nach zu einem Ganzen zusammengefügt. War es durch diese Grundlange möglich, ein klanglich stimmiges Konzept all die Zeit über aufrecht zu erhalten? Schließlich sind die Songs nicht normal an einem Stück im Studio entstanden.

Das ist richtig. Ich glaube schon, dass es möglich ist. Wenn man normalerweise ins Studio geht, dann hat man einen zeitlichen Rahmen, den man einhalten muss. Das kann etwas beängstigend sein, denn man kann sich nie sicher sein, ob man die klanglichen Vorstellungen und Emotionen, die in den Songs stecken, in dieser Zeit in angemessener Weise zum Ausdruck bringen kann oder nicht. Obwohl es einige Zeit gedauert hat, bis die Songideen für mein Soloalbum fertig waren und ich neben Maximo Park kontinuierlich Songs geschrieben habe, gingen die Aufnahmen dann recht schnell vonstatten. Wir haben gerade einmal zwei Wochen gebraucht, um alles aufzunehmen. Ich habe in dieser Zeit mit den Songs gelebt und habe mich beim Hören der Aufnahmen erneut in sie verliebt, ohne dass ich mich an den kleinen Fehlern oder ihrer Unvollkommenheit gestört habe. Ich wollte die Songs genau so behalten wie sie waren. Manchmal wusste ich bei den Demos genau, dass ich nur eine Gitarre dafür brauche oder ein Bass hinzukommen sollte und die Songs fertig sein würden.

GL.de: Das Grundgerüst stand also schon viel länger und wurde nur noch etwas ergänzt?

Ja, genau. Die Originalaufnahmen der Gitarre und der Vocals waren zu diesem Zeitpunkt schon vier Jahre alt. Mein Selbstvertrauen wurde dadurch angekurbelt, dass ich genau wusste, wie ich meine Ideen umsetzen wollte. Diese Sicherheit hat mir sehr geholfen. Auch die Tatsache, dass ich mich beim Singen trotz dieser geschaffenen Intimität sehr wohlgefühlt habe. Dadurch, dass es von den ersten Songideen hin bis zu den Aufnahmen ein langer Prozess war, habe ich mich überhaupt nicht unter Druck gesetzt gefühlt. Ich habe einfach ein paar Lücken geschlossen, die sich in all den Jahren aufgetan haben und das Album ist genau so geworden, wie es sein sollte. Die Tatsache, dass auch andere Musiker involviert waren, hat den Blickwinkel noch ein Stück weiter geöffnet und ich bin nicht zu ausschweifend geworden. Es gab gerade so viel Raum, dass ich genügend von mir preisgeben konnte, ohne allein in einem Raum in Newcastle zu sitzen und eigenbrötlerisch Songs aufzunehmen. Ich hoffe, dass das Ergebnis vielleicht dem ein oder anderen da draussen gefällt.

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Interview: -Annett Bonkowski-
Foto: -Pressefreigaben-
Paul Smith
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