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EDWYN COLLINS
 
Blick nach vorn
Edwyn Collins
Inspirierend war Edwyn Collins' Tun eigentlich schon immer: Seine frühen Platten mit den Post-Punk-Pionieren Orange Juice auf dem Postcard-Label brachten Legionen von Indierockern in Schottland auf den richtigen Weg, und Mitte der 90er bewies er als Solist mit "A Girl Like You", seinem Hit für die Ewigkeit, dass man gegen den Strom schwimmen kann und trotzdem globale Erfolge feiern kann. Noch viel beeindruckender ist allerdings, wie sich der schottische Musiker nach zwei schweren Schlaganfällen im Jahre 2005 nicht nur wieder zurück ins Leben, sondern auch wieder zurück ins Studio und auf die Konzertbühne gekämpft hat. "Losing Sleep" heißt seine großartige aktuelle Platte, in der letzten Februarwoche gibt er mit seiner Band außerdem drei Konzerte in Köln, Schorndorf und München.
Fast auf den Tag genau sechs Jahre ist es her, dass Collins in seinem Haus in London zusammengebrochen ist. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte eine Hirnblutung, fünf Tage später erlitt er eine weitere. Die folgende Operation überstand Collins zwar gut, infizierte sich allerdings mit MRSA und verbrachte rund sechs Monate im Krankenhaus. Als er im Herbst 2005 endlich nach Hause durfte, konnte er kaum gehen und sprechen, geschweige denn singen oder eine Gitarre in Händen halten. Doch anstatt aufzugeben, unterzog er sich einem mühsamen Rehabilitationsprogramm - ohne dass ihm irgendjemand garantieren konnte, dass die Strapazen irgendwelche Erfolge zeigen würden. Dass Collins heute wieder Platten aufnehmen und sogar Tourneen absolvieren kann, grenzt deshalb an ein mittleres Wunder, das in der ergreifenden BBC-Dokumentation "Home Again" perfekt eingefangen worden ist.

Trotzdem ist Collins auch heute noch schwer von seiner Krankheit gezeichnet. Als wir mit ihm Anfang Februar hinter den Kulissen von "Harald Schmidt" in Köln-Mülheim verabredet sind, ist seine Band schon lange in den VIP-Raum gestürmt und hat den Kühlschrank geplündert, als Collins durch die Tür tritt. Er geht am Stock und muss vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen. Grace Maxwell, seine Frau und langjährige Managerin, die seinen Genesungsprozess in dem lesenswerten Buch "Falling And Laughing" festgehalten hat, weicht ihm dabei nie von der Seite. Er setzt sich auf die Ledercouch und reicht dem Gaesteliste.de-Vertreter freundlich lächelnd die Hand. Die linke, denn die rechte ist trotz der langjährigen Therapie immer noch zu einer Faust verkrampft. War Collins früher als einer der eloquentesten Gesprächspartner des Musikbusiness bekannt, redet er heute trotz intensiver Sprachtherapie immer noch in kurzen, oft gebrochenen Sätzen, muss des Öfteren lange nach den richtigen Worten suchen oder sich von seiner Frau dabei helfen lassen, einen Gedanken zu vollenden: Die Folgen der Dysphasie, die seine Kommunikationsfähigkeiten stark einschränkt und auch sein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt.

"Losing Sleep", dem ersten Album, das Collins nach seiner Krankheit geschrieben und aufgenommen hat und das letzten Herbst erschien, hört man das alles allerdings nicht an. Im Gegenteil: War "Home Again", das 2007 erschienene, allerdings vor dem Schlaganfall aufgenommene letzte Collins-Album eine zerbrechliche, introspektive Platte, ist "Losing Sleep" ein oft geradezu rasantes, Northern-Soul-geprägtes Meisterwerk, das vor Kraft nur so strotzt und auf dem, mit Ausnahme der letzten beiden Stücke, kein Platz für balladeske Momente ist. "Ich mag jetzt nur noch schnelle und direkte Songs und Songs, die positiv sind", sagt Collins lächelnd. "'What Is My Role', das Stück, das ich mit Ryan (Jarman von The Cribs) zusammen geschrieben habe, handelt von meinem Schlaganfall und davon, wie diese Tragödie Einfluss auf mich genommen hat: 'Sometimes I'm up, sometimes I'm down, sometimes I wonder, what is my role?' Dagegen dreht sich 'It Dawns On Me' nicht um den Schlaganfall. 'A simple life, a simple choice, that dawns on me, reality' - es geht eher darum, nach vorne zu schauen." Collins versucht, dem Geschehenen etwas Positives abzugewinnen. Das bestätigt auch seine Frau. Als Künstler begreife er die Einschränkung durch seine Krankheit als Wegweiser und benutze diese Instruktionen auf kreative Art und Weise.

Der Fähigkeit beraubt, Gitarre zu spielen, arbeitete Collins auf "Losing Sleep" mit einer Reihe hochkarätiger Gäste zusammen. Alex Kapranos und Nick McCarthy von Franz Ferdinand machten ihm im Studio ebenso eine Aufwartung wie Romeo Stodart (The Magic Numbers), Little Barrie, Johnny Marr, der bereits erwähnte Ryan Jarman und Collins' alter Weggefährte aus Postcard-Tagen, Roddy Frame. Dabei waren alle Gitarristen bemüht, Collins Ideen in ihrem Gitarrenspiel zu kanalisieren. Dass er nicht in der Lage war, Gitarre zu spielen, habe die Gäste gewissermaßen mehr mitgenommen als ihn selbst, erinnert sich seine Frau lachend. "Ich kann nur noch die Akkorde, simple Akkorde greifen und jemand anders interpretiert sie dann für mich!", erklärt Collins die Herangehensweise. Also versuchten die Gäste, sich möglichst zurückzunehmen, um so viel wie möglich von Collins Persönlichkeit in ihrer Performance durchscheinen zu lassen.

Doch nicht nur die Songs auf "Losing Sleep" zeichnen sich durchweg durch hohes Tempo aus, auch die Aufnahmen gingen schnell über die Bühne. "Diese Platte aufzunehmen war relativ einfach, weil die Herangehensweise so geradlinig war", sagt Collins ohne Ironie. Das schnelle Arbeiten war allerdings schon immer ein Faible des inzwischen knapp 52-Jährigen. Maxwell erzählt, dass er gemeinsam mit seinem langjährigen Produzenten Sebastian Lewsley eine ganz eigene Philosophie entwickelt habe, um Momentum aufzubauen und eine Verbindung zum Hörer herzustellen. Das Credo dabei: Nicht zu viel herumtricksen! "Ja, Momentum ist sehr wichtig", bestätigt Collins. "Halte alles so einfach und direkt wie möglich, komm einfach schnellstmöglich auf den Punkt!"

Da liegt die Vermutung nahe, dass Collins nach seiner Krankheit so schnell wie möglich wieder live spielen wollte, weil das immer noch die direkteste Form des Kontaktes ist. "Ja, aber bei der ersten Show nach meinem Schlaganfall im Dingwalls (London) war ich wirklich nervös", erinnert sich Collins an sein Live-Comeback im Jahre 2007. "Ich spielte 'Falling And Laughing' als ersten Song, und ich war aufgewühlt und verängstigt. Als Nächstes kam 'Poor Old Soul', und ich war immer noch nervös. Als dann aber als drittes Lied 'What Presence?' auf dem Programm stand, war ich nur noch glücklich." Die erste Tournee sei noch etwas schwierig gewesen, weil Collins seinen eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht werden konnte, erinnert sich Maxwell. Allerdings habe er seit 1997 kaum noch live gespielt und sein Hauptaugenmerk auf den Aufbau seines mit Oldschool-Technik vollgestopften Studios in London gerichtet. Sie ist sich sicher, dass erst die Krankheit ihn wieder auf den Geschmack gebracht hat und er habe heute eine andere Einstellung zu Live-Auftritten hat, weil "...ich fast gestorben bin", vollendet dieses Mal Collins den Satz seiner Frau und lacht herzhaft.

Bevor er sich wieder an die Musik wagte, trainierte er seine Fähigkeiten, indem er, der einst als Illustrator tätig gewesen war, die Tiere in seinem Garten zeichnete - mit links anstatt wie früher mit rechts. "Grace sagte immer: 'Zeichne Vögel!' Dabei zeichne ich gerne alles Mögliche!", erinnert sich Collins. Die Vogel-Illustrationen zieren nun auch das Cover von "Losing Sleep". Auf die Idee dazu kam er allerdings erst über Umwege. Beim Londoner Kaufhaus Liberty hörte man von Collins' Zeichnungen und bat ihn, das Design benutzen zu dürfen, um damit Stoff zu bedrucken. Als dann ein Entwurf für das Cover auf den Tisch flatterte, der Collins überhaupt nicht zusagte, war es Schlagzeuger Paul Cook, der das Stoff-Design im Studio sah und sagte: "Ein besseres Cover werdet ihr wohl kaum finden, ihr solltet fragen, ob ihr das für die Platte benutzen dürft!"

Doch auch wenn "Losing Sleep" in jeglicher Hinsicht das beeindruckende Ergebnis eines erstaunlichen Gesundungsprozesses ist - ein Eigenleben haben Collins' künstlerische Aktivitäten noch nicht wieder entwickelt. "Sie sind immer noch in erster Linie mit meiner Gesundung verknüpft, vor allem mit meinem Sprachvermögen und meinem Sprachgefühl", gesteht Collins. Die Musik ist weiterhin sein größter Ansporn, weiter an sich zu arbeiten und eines Tages womöglich sogar wieder selbst Gitarre spielen zu können. Maxwell erinnert sich an ein Gespräch mit einem befreundeten schottischen Journalisten, der Collins fragte: "Wenn du dich bis zu einem gewissen Grad wieder von deiner Krankheit erholt hättest, aber dennoch nie wieder Musik hättest machen können, wäre das für dich okay gewesen?" Collins sagte nur: "Nein!"

"Kennst du Frankie Miller?", fragt er zum Schluss unseres Interviews. Den schottischen Singer/Songwriter ereilte 1994 das gleiche Schicksal wie Collins. "Er hat sich nie mehr so erholt, dass er auftreten könnte. Er ist glücklich und froh darüber, dass er noch lebt, ich dagegen bin nicht glücklich. Ich muss es schaffen, dass es mir wieder besser geht!"

[Ein ausführlicher Bericht zu Collins' Auftritt bei "Harald Schmidt" sowie seinem Konzert im Kölner Stadtgarten folgt in Kürze an dieser Stelle.]

Weitere Infos:
www.edwyncollins.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Edwyn Collins
Aktueller Tonträger:
Losing Sleep
(Heavenly/Cooperative Music/Universal)
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