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CHRIS BROKAW
 
Music for films
Chris Brokaw
Wie sein Kumpel Warren Ellis (Dirty Three, Nick Cave And The Bad Seeds) hat auch der amerikanische Multiinstrumentalist Chris Brokaw eine heimliche Vorliebe für die Soundtracks zu Michael Hanekes Streifen - weil sie nur sehr wenig und manchmal praktisch gar keine Musik enthalten. Dennoch hat Brokaw bereits zu einigen Filmen die Musik beigesteuert. Im Jahre 2005 arbeitete er mit der Filmemacherin Leslie McCleave für "Road" zusammen, und passend zur Veröffentlichung des Werks auf DVD veröffentlicht das Oberhausener Connaisseur-Label Jellyfant Brokaws beim Brooklyn International Film Festival preisgekrönten Soundtrack in einer wirklich schönen Vinyl-only-Edition, die auf 300 Exemplare begrenzt ist. Gaesteliste.de hatte unlängst die Gelegenheit, mit Brokaw - einst Gründungsmitglied von Codeine und Come, heute vor allem Solokünstler und gemeinsam mit Hugo Race und Chris Eckman als Dirtmusic unterwegs, wenn er nicht mit seinen vielen Sideprojects beschäftigt ist - über seine Soundtracks zu sprechen.
Gaesteliste.de: Für die Uneingeweihten: Was erwartet uns auf dem "Road"-Soundtrack?

Chris: Eine spaßige Achterbahnfahrt durch die Niederungen scheiternder Beziehungen, nuklearer Verseuchung und übernatürlicher Geheimnisse! Die Musik selbst ist komplett instrumental. Einiges davon klingt wie "Rockmusik"(mit kompletter Band), der Rest ist weniger füllig instrumentiert, mit Glocken, Melodica, Banjo sowie akustischen und elektrischen Gitarren. Es gibt einen "Theme Song" (in verschiedenen Versionen) und einige Versuche mit "regionaler Musik", darunter die "Cape Breton"-Version des Themas, die unter anderem meinen Versuch darstellt, eine Hurdy-Gurdy mit einer mit dem Bogen gestrichenen Gitarre zu simulieren).

Gaesteliste.de: Wenn du generell an Filmmusik denkst, welche fällt dir zuerst ein?

Chris: Diese hier! Ich bin kein großer Filmmusikkenner, ich besitze eigentlich nur Bernard Herrmanns Score zu einem Sci-Fi-Film sowie einige CDs von Alexander Hacke und Mick Harvey. Ich habe auch mal Neil Youngs Musik zu "Dead Man" besessen, sie dann aber wieder verkauft. Ich fand die Musik im Film wunderbar, aber nicht abseits davon. Das war eine wertvolle Lektion: Filmmusik muss nicht zwangsläufig auch "alleine" funktionieren.

Gaesteliste.de: Instrumentalmusik ist beileibe kein Neuland für dich. Ist die Soundtrackarbeit nur eine weitere Facette dessen, oder wo siehst du die Unterschiede?

Chris: Bei den vier Filmen, die ich vertont habe (Roddy Bogawas "I Was Born, But", 2004, und "Taken By Storm", 2011, Leslie McCleaves "Road", 2005, und Lana Z. Caplans "Sospira", 2011), habe ich die Musik speziell dafür geschrieben. Ich habe mir keine Gedanken gemacht, ob sie auch abseits des Streifens unterhaltsam sein würde. In allen Fällen habe ich erst anschließend entschieden, dass daraus auch eine unterhaltsame CD/Platte werden könnte. Die Soundtrackarbeit hat mir einen sehr befreienden "sense of function" gegeben - nicht im Sinne von Distanziertheit, sondern insofern, dass ich der Vision eines anderen dienen und dabei eine ganze Reihe verschiedener Positionen einnehmen kann. In gewisser Weise fühlt sich das ähnlich an wie meine Arbeit für andere Musiker und Tänzer. Letztendlich drücke ich der Sache meinen Stempel auf, aber in erster Linie geht es darum, die Arbeit eines anderen zu unterstützen.

Gaesteliste.de: Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, dass du dich bei deiner Arbeit auf eine Vielzahl recht unterschiedlicher Projekte konzentrierst und dabei bisweilen unerwartete Richtungen einschlägst (deine Banjo-LP oder das Farina/Brokaw-Blues-Album zum Beispiel)...

Chris: Das kommt davon, dass ich mich für viele verschiedene Formen von Musik und Performances interessiere und weil ich festgestellt habe, dass es machbar ist, alle möglichen Arten von Platten zu kreieren. Für mich gibt es dennoch einen roten Faden. Für mich ist das weder schizophren noch Genre-Hopping. Ich mag es, verschiedene Formen von Musik zu hören und zu spielen, und ich nehme einfach an, dass es anderen Menschen ähnlich geht. Mir ist bewusst, dass nicht jeder alles mögen wird, was ich mache. Ich weiß auch, dass ich damit dazu beitrage, dass mein potenzielles Publikum zersplittert, und ich bin mir noch nicht im Klaren, wie ich damit umgehen soll.

Gaesteliste.de: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Leslie McCleave für "Road"?

Chris: Sie hat mich Anfang 2005 für die Musik engagiert. Zu diesem Zeitpunkt war der Film praktisch fertig. Sie war eine fantasievolle und unermüdliche Arbeitgeberin, die sehr spezifische Ideen hatte, was sie für diese oder jene Szene haben wollte. Das war das komplette Gegenteil der Arbeitsweise, die ich von der Zusammenarbeit mit Roddy bei "I Was Born, But" kannte. Dort hatte ich mir den Film angeschaut, Musik aufgenommen und sie Roddy gegeben, versehen mit Vorschlägen, wo er sie einsetzen könnte (Er hat sie alle ignoriert!). Beide Herangehensweisen haben mir sehr viel Spaß gemacht. "Road" war viel schwieriger und die größere Herausforderung, aber deshalb nicht weniger erfreulich und lohnend.

Gaesteliste.de: Wie näherst du dich der Filmarbeit. Wenn du eine Szene unterlegen sollst, schaust du zuerst auf die allgemeine Stimmung oder suchst du nach Details, die als Aufhänger für deine Musik dienen könnten?

Chris: Das Ganze läuft bei mir in der Regel sehr intuitiv und schnell ab. Das läuft geradezu automatisch. Mir ist das immer sehr leichtgefallen und es hat mir viel Freude gemacht. Die Filmemacher, die bisher an mich herangetreten sind, taten dies, weil sie meine anderen Arbeiten schätzten, deshalb hatte ich bisher nur selten das Gefühl, mich außerhalb meines Terrains bewegen zu müssen. Die Ausnahme war meine aktuellste Arbeit für "Taken By Storm", Roddys Doku über den britischen Albumcover-Künstler Storm Thorgerson. Dafür habe ich einige "fake british rock songs" aufgenommen. Genre-imitierende Musik zu kreieren hat etwas Unwohlsein in mir ausgelöst, wenngleich es keine Unmöglichkeit darstellte. Ich kann es, irgendwie zumindest, aber es interessiert mich nicht besonders und es ist vermutlich nicht unbedingt eine meiner Stärken. Wenn mir beispielsweise gesagt würde, ich solle "psychedelische Musik" machen, würde ich lieber meine eigene Version davon abliefern als eine Imitation dessen, was im Allgemeinen darunter verstanden wird.

Gaesteliste.de: Ist das Schreiben von Filmmusik für dich experimenteller im Vergleich zu deinen sonstigen Arbeiten, mehr Trial and Error?

Chris: Trial and Error bezieht sich zumeist auf die Simplifizierung. Eine einzige Note oder ein einziger Ton kann in einem Film sehr effektiv sein. Oft muss ich mich zügeln, um bestimmte Dinge nicht auszustaffieren. Der Feinschliff ist in erster Linie Subtraktion. Ein Unterschied ist auch, dass ich bei der Filmmusikarbeit nie denke: "Wie kann ich das wohl live spielen?" Bei meiner eigenen Musik kommt mir dieser Gedanke dagegen oft.

Gaesteliste.de: Welcher Regisseur wäre dein Traumpartner für ein Projekt?

Chris: Mir gefällt, wie Guy Ritchie und Jim Jarmusch Musik in ihren Filmen verwenden. Ich weiß allerdings nicht, ob ich in der Lage wäre, ihnen das zu geben, wonach sie suchen, deshalb ist die Frage schwer zu beantworten. Mein Traumprojekt wäre es, einen Horrorfilm zu vertonen, idealerweise einen ohne Blut oder Gewalt. Ich würde auch gerne mit Michael Haneke zusammenarbeiten. Ich verfolge die Filmszene nicht wirklich, aber seine Werke interessieren mich immer. Werner Herzog wäre auch cool, aber wie ich höre, foltert er seine Komponisten regelrecht. Ich würde auch gerne etwas vertonen, das unter Wasser spielt. Ich liebe den Ozean, wenngleich ich ihn auch Furcht einflößend finde, und es wäre bestimmt spaßig, das zu erforschen. Ich würde auch gerne an Filmen arbeiten, bei denen das Zusammenspiel von akustischer und elektronischer Instrumentierung wichtiger ist, ebenso wie an welchen, bei denen "gefundene Klänge" aus der Außenwelt eine Rolle spielen. Ich habe mir kürzlich ein vernünftiges mobiles Aufnahmegerät zugelegt und hoffe, dass ich zukünftig mehr mit "outside sounds" arbeiten kann - sowohl in städtischem wie auch ländlichem Umfeld.

Gaesteliste.de: Stehen weitere Filmarbeiten an?

Chris: Ich bin fast fertig damit, eine neue Kollektion von Gedichten und Prosa aus der Feder von Holly Anderson zu vertonen, was ein riesiges Projekt für mich war und sehr spannend. Wir hoffen, dass es noch dieses Jahr erscheint. "Taken By Storm" hatte im März bei SXSW Premiere und wurde kürzlich auch in Los Angeles gezeigt. Das MOMA in New York hat Roddy um eine Retrospektive seiner Arbeiten gebeten, und ich werde vermutlich eingebunden sein, indem ich die Live-Begleitung zu mindestens einem der Filme beisteuern werde. Wir hatten einmal eine Aufführung von "I Was Born, But" in Chicago, bei der ich zum Film elektrische Gitarre gespielt und das kontrapunktiert habe, was ich bereits beim Soundtrack gemacht hatte. Roddy und mir hat das sehr gut gefallen. Außerdem ist Lana Z. Caplans Film "Sospira" diesen Monat bei PBS online...

Weitere Infos:
www.chrisbrokaw.com
jellyfant.wordpress.com/artists/chris-brokaw/
www.roadthemovie.com
worldcompass.org/content/sospira-sigh-longing
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Chris Brokaw
Aktueller Tonträger:
Road - Original Score
(Jellyfant Schallplatten)
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