Der etwas andere Sound ist womöglich auch auf eine neue Herangehensweise bei den Aufnahmen zurückzuführen. "Wir haben dieses Mal etwas gemacht, was etwas teurer war", verrät Bernd. "Wir haben uns für jedes Lied einen Tag Zeit genommen. Normalerweise spielt man, um Geld zu sparen, an zwei Tagen alle Schlagzeuge ein, an einem Vormittag alle Bässe und so weiter. Das haben wir die letzten Male gemacht und es ist auch sehr praktisch, das so zu tun, aber wir haben festgestellt, dass es künstlerisch mehr bringt, sich einen Tag lang - und in einem Fall sogar zwei Tage - nur auf ein Lied zu konzentrieren. Unser Bassist Ben Schadow, der die Platte produziert und zu rund 70% auch arrangiert hat, sagte immer: 'Ich befrage das Lied.' Dabei kommen dann Lieder wie 'Wahrscheinlich bin ich verloren' heraus. Der Titel klingt ja ein bisschen dunkel, und es geht darum, dass jemand sehenden Auges in die Katastrophe einer neuen Liebe läuft, aber das Lied hat einen wirklich beschwingten Klang und ich finde, die Musik drückt die Ambivalenz des Textes wunderbar aus. Da ein Hackbrett einzusetzen, ist toll!"
Es sind aber nicht exotische Instrumente, die den besonderen Charme der Platte ausmachen, sondern eher ein leicht verändertes Selbstverständnis der Musiker. Hatte man bisher oft das Gefühl, dass die Befreiung Bernds Begleitung war, sind dieses Mal die Band und ihre Performance der Star, Bernd hält sich oft hörbar zurück. Das Ergebnis ist das, was er als "reicheres Klangerlebnis", als "einen feineren Klangkörper" beschreibt. Ein Beispiel dafür hat er auch parat: "Nimm mal das zweite Lied der neuen Platte, 'Weil wir weg sind'. Das ist eigentlich ein typisches Rock-Thema und auch ein extrem rockiger Song, eingespielt wurde er aber mit einer einzigen 50-Euro-Wandergitarre, wie sie jedes Pferdeposter sammelnde Mädchen in seinem Jugendzimmer hat. Das sind die kleinen Sachen, die uns als Musiker fordern: Lass uns mal keine Overdubs machen, sondern es allein durch die Performance hinkriegen, dass es rockt."
Klanglich ähnlich wirkungsvoll ist auch "Beschädigt". Als Bernd das Lied vorab solo live spielte, war es ob seines düsteren Themas ein echter Runterbringer, auf Platte steht zwar auch das Gitarrenspiel im Mittelpunkt, aber das dezent eingesetzte weitere Instrumentarium nimmt dem Text (ein wenig) seinen Schrecken. "Es ist tröstlich, wenn bei diesem Lied jemand mitspielt. Dass es dort diesen leichten, fast beschwingten Rhythmus im Hintergrund gibt, macht es erträglicher. Es geht bei dem Lied um die Frage, wie man mit jemandem umgeht, der traumatisiert wurde. Der Sänger hat mit einer Frau zu tun, der etwas Schlimmes passiert ist - es wird nicht genau gesagt was, vielleicht wurde sie geschlagen, vielleicht wurde sie missbraucht. Das ist aber auch nicht der Punkt, der Punkt ist, dass das ihrs ist. Man kann da nicht wirklich eindringen. Man kann lediglich versuchen zu koexistieren. Man kann sich dieser schlimmen Sache bewusst sein, aber man kann sie nicht abschütteln. Aber trotzdem muss man mit jemand leben, der das nicht abschütteln kann."
In einer Reihe Lieder gibt es derweil Anspielungen auf konkrete Orte. "Was soll ich sagen? Ich bin einfach besessen von Deutschland", sagt Bernd mit einem Augenzwinkern, bevor er zu einer ernsthafteren Erklärung ausholt: "Ich habe immer das Gefühl, dass es Liedern guttut, wenn sie geografisch geerdet sind. Man muss das allerdings verantwortungsbewusst tun. Es gibt dieses unglaublich populäre Lied namens 'Brandenburg': Das hat drei Millionen YouTube-Klicks oder so. Das ist ein eher lustiges Lied von einem Typen, der am Klavier sitzt: 'Es ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt, was soll man auch machen mit 17, 18 in Brandenburg' und so weiter. Das ist eine Schmähung dieser Region. Darüber können sich nur Leute amüsieren, die nicht dort wohnen. Das finde ich ein bisschen schäbig. Man kann doch nicht alle Menschen diffamieren, die dort wohnen! Man muss sich auch Geografie verdienen und dem Ort gerecht werden." So drückt Bernd bei "Teil der lebendigen Stadtteilkultur" auf unnachahmliche Art das Unbehagen aus, das ihn überkommt, wenn er durchs Hamburger Schanzenviertel läuft. Überraschender dagegen ist das Lied "Die Slums von Eppendorf", mit dem er die Doppelmoral der Neureichen aufs Korn nimmt, die Range Rover fahren, aber noch einen spritsparenden Zweitwagen besitzen und in luxussanierten Altbauten hocken. Wie passt das zum gerade Gesagten? Bernd lacht und sagt kurz und knapp: "Ich finde, ich werde Eppendorf gerecht!"