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ELBOW
 
Zündender Ideenreichtum
Elbow
Fast vier Jahre ist es her, dass Elbow mit ihrem Album "The Seldom Seen Kid" der längst verdiente internationale Durchbruch gelang. Dieses Jahr schenkten sie ihren Fans mit "Build A Rockt Boys!" ein neues Album, das sich nicht in geringster Weise hinter seinem Vorgänger verstecken muss. Schaut man sich auch dessen Erfolgsgeschichte an, stellt sich die Frage, ob die beherzte Aufforderung des Titels den einzelnen Bandmitgliedern nicht schon im Vorfeld als persönliche Richtlinie für den folgenden Schnellstart in höhere Dimensionen diente. Eine weitere Nominierung für den angesehenen englischen Mercury Prize sowie regelmäßig ausverkaufte Shows sind weitere Indizien dafür, dass Elbow nicht mehr in der Bastelphase stecken, sondern schon lange mit einem auf höchster Stufe laufenden Antrieb mitten auf der Rakete Platz genommen haben und zielsicher das Steuer bedienen. Wir trafen Richard Jupp und Pete Turner in Berlin und sprachen mit ihnen über Höhenflüge, das Anknüpfen an Erfolge und ihren heimlich ausgeheckten Plan, sich auch in der Gastronomie ein festes Standbein aufzubauen.
Die Reaktionen auf das neue Album riefen vielerorts ganze Lobeshymnen, sowohl auf Fan- wie auch Kritikerseite, hervor. Ein Umstand, der die Band mehr als glücklich stimmte, aber keineswegs von ihnen vorausgesetzt wurde, wie Richard Jupp sagt: "Nach 'The Seldom Seen Kid' hatten viele Bedenken, wie es mit uns weitergehen würde. Wir hätten fünf Kopien von 'One Day Like This' oder 'Grounds For Divorce' schreiben können und hätten, was die Produktion angeht, noch größer werden können, aber das war nicht in unserem Interesse." Ein Punkt, den so mancher Künstler gerne für den weiter bestehenden Erfolg in Kauf genommen hätte, aber sich ganz und gar nicht mit der Vorstellung der Band aus Manchester deckte. "Das Album war schon einige Monate im Kasten, bevor wir anfingen Teile davon preiszugeben, so dass sich die Außenwelt ein Bild von den neuen Songs machen konnte. Wenn man mit seinem Kopf mittendrin steckt, dann kann man irgendwann einfach kein wirkliches Urteil mehr über seine eigene Arbeit fällen", berichtet Pete Turner über die nicht immer einfache Entstehungsphase, die ab und an eine bestimmte Distanz zu der eigenen Arbeit erforderte. "Es war gut, die Songs loszulassen. Wahrscheinlich hat dieses Teilen auch dazu beigetragen, dass die Leute die Platte so positiv aufgenommen haben. Viele Journalisten kamen auf uns zu und sagten uns, dass sie es zu schätzen wüssten, dass wir es uns nach 'The Seldom Seen Kid' eben nicht so einfach gemacht hätten, wie vielleicht angenommen. Wir sind also davongekommen. Wer weiß, wie es das nächste Mal für uns ausgehen wird...", sagt Turner und lacht (noch) entspannt.

Wenn man so viele Jahre im Musikgeschäft verbracht hat, wie viel Zeit wird dann tatsächlich noch für Dinge wie Tour-Proben und dergleichen aufgebracht? Immerhin ist die Band den professionellen Umgang mit solchen Business-Standards gewohnt und steckt ausgedehnte Touren mit links in die Tasche. Wird akribisch an einzelnen Schritten gefeilt oder sind alle Mitglieder so auf einander eingestellt, dass es keinerlei großer Planung bedarf? "Es ist ein sehr fließender Prozess für uns, der ohne große Sprünge oder Unterbrechungen vor sich geht. Wir sind keine Band, die nach einem vorgefertigte Rhythmus arbeitet, in dem wir zum Beispiel zuerst Songs schreiben, sie aufnehmen und danach mit Tour-Proben beginnen. Meistens ist es so, dass alles mehr oder weniger gleichzeitig passiert. Wir nehmen unsere Ideen sofort auf und setzen sie dann in einer Live-Atmosphäre um, damit wir ihnen noch einmal eine neue Perspektive geben können. Die Arbeit mit unserem Tontechniker ist uns ebenfalls sehr wichtig dabei, denn wir sind immer bemüht, einen möglichst weichen Übergang zwischen den Albumaufnahmen und dem Geschehen auf der Bühne zu erreichen, ohne jedoch zu viele Kompromisse wie Backingtracks oder ähnliches machen zu müssen. Einige Monate bevor eine Tour startet, setzen wir uns dann mit dem Produktionsleiter sowie den Lichttechnikern usw. zusammen, um ein Konzept zu erarbeiten. Bei den Arena-Konzerten in England wollten wir zum Beispiel so einen intimen Rahmen wie möglich schaffen, auch wenn der eigentliche Rahmen um so vieles größer war", sagt Jupp. Dass auf Tour keine Show wie die andere ist, bekräftigt Turner: "Ich weiß noch, dass wir nach den Arena-Shows beim Coachella Festival gespielt haben und das nach der langen Tour wie eine ganz andere Welt auf uns wirkte. Es ist nun einmal so, dass sich die Arenen nach der Zeit alle anfangen zu ähneln und plötzlich findest du dich dann mitten in der Wüste wieder, hast, wie bei Festivals üblich, keine Möglichkeit einen Soundcheck zu machen und auf einmal ist da wieder diese Aufregung, die sich über alles legt und das Spielen selbst so spannend macht. Mir persönlich sind Club-Shows aber am liebsten, weil ich den engen Kontakt zum Publikum mag und diese Art von Konzerten immer eine ganz besondere Stimmung mit sich bringt." Ein Gefühl, das auch dem Elbow-Schlagzeuger Jupp nicht fremd ist und so machen Abend in ein besonderes Licht rückt: "Diese Unmittelbarkeit, die sich dadurch ergibt, macht es umso reizvoller jeden Abend auf die Bühne zu gehen."

Wer die Band einmal live erlebt hat, der wird mit einem zustimmenden Kopfnicken deren Auszeichnungen für "Beste Live Band" und die allgemeine Würdigung ihrer Bühnenqualitäten ohne mit der Wimper zu zucken absegnen. Elbow selbst wissen diese Form der Anerkennung zu schätzen und sprechen ihr im direkten Vergleich mit Songwriter-Preisen gerade in der heutigen Zeit mit allgemein sinkenden Albumverkäufen einen hohen Stellenwert zu: "Es bedeutet uns sehr viel, wenn die Leute zu unseren Shows kommen und es auf sich nehmen, eine Konzertkarte zu kaufen, nur weil sie uns sehen wollen. Gerade jetzt, wo das finanzielle Klima nicht das beste ist und es wirklich nicht immer leicht ist, genügend Mittel für solche Dinge aufzutreiben, die letztendlich zur Unterhaltung dienen. Wenn du in einer Band bist und auf Tour gehst, wollen die Leute eine gute Zeit bei deinen Konzerten haben und ihren Alltag vergessen. Das ist uns natürlich bewusst. Das Touren ist zwar mittlerweile zu unserem Alltag und zu etwas völlig Normalem geworden, aber wir haben trotzdem noch sehr viel Respekt davor. Schon allein aus dem Grund, weil wir genau wissen, wie viel harte Arbeit damit verbunden ist, damit so eine Show überhaupt funktioniert und, weil es eben nicht selbstverständlich ist, dass man sich eine Karte leisten kann", betont Jupp. Und was ist die beste Zutat für eine reibungslose Tour? "Unsere Crew! Sie arbeitet teilweise schon etliche Jahre mit uns zusammen und ist wie eine Art Familie für uns geworden. Es gibt da keine Trennung zwischen uns als Band oder den ganzen Helfern, die involviert sind. Wir sind eine Einheit und die Crew macht einen fantastischen Job", schwärmt Jupp von den vielen fleissigen Helfern, die hinter den Kulissen tätig sind. Auch Elbow-Bassist Turner hat nur lobende Worte für die Crew übrig: "Wir kennen uns schon wirklich lange, was hilfreich sein kann, wenn man eine Weile lang aufeinander angewiesen ist, wie beim ständigen Reisen von Ort zu Ort. Jeder hat auch mal einen schlechten Tag und dann ist es gut zu wissen, bekannte Gesichter um sich zu haben. Wenn wir weg von zu Hause und unseren Familien getrennt sind, ist somit immer eine Art Ersatzfamilie für uns da, was es sehr viel einfacher macht, mit der Situation umzugehen. Umso schöner ist es dann, wenn wir auf Tour sind und man anhand der Reaktionen des Publikums deutlich sehen kann, dass sich die Arbeit gelohnt hat. Mit der Zeit bekommt man ein sehr gutes Gespür dafür, welche Bedeutung bestimmte Songs für die Fans haben. Ich mag es, wenn ich die verschiedenen Reaktionen auf die jeweiligen Songs in den Gesichtern der Leute ablesen kann."

In Zeiten überdimensionaler Pop-Shows und der stetigen Suche nach ausgefalleneren Konzepten wird es für Bands, die auf handgemachte Musik setzen, mitunter schwierig, daneben zu bestehen, so dass der Einwand erhoben werden darf, ob man heutzutage überhaupt nur noch mit Musik und ohne eine großangelegte Show überzeugen kann? Turner beäugt dieses Phänomen mit einem kritischen Auge: "Ich habe im Laufe der Zeit einige Bands gesehen, die es mit ihren Shows in meinen Augen wirklich übertreiben und in visueller Hinsicht viel zu viel Aufwand betreiben, so dass am Ende sogar das eigentliche musikalische Erlebnis neben der Optik verblasst. Wir haben zwar auch große Arena-Shows gespielt, aber haben bei der Konzeption immer darauf geachtet, nicht von der Musik selbst abzulenken. Außerdem haben wir mit Guy einen Frontmann, der automatisch die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht und im Mittelpunkt steht. Darum ist es auch völlig in unserem Sinne Songs, wie zum Beispiel 'Great Expectations', relativ simpel zu halten und Guy den Rest machen zu lassen, ohne dass Licht und Visuals das Ganze überschatten. Wir nehmen die Musik sehr ernst." Zustimmung erfährt er in diesem Fall auch von seinem Bandkollegen Jupp: "Guy ist als Sänger so gut, dass er dementsprechend auch im richtigen Kontext und vor allem im passenden Rahmen gehört werden sollte. Hätten wir eine riesige Lichtshow, würde das alles kaputt machen. Die Leute lieben es bei unseren Konzerten die Texte mitzusingen und konzentrieren sich gerne darauf. Das wäre nicht möglich, wenn die Augen und Ohren einer ständigen Dauerbelastung aus Lichtblitzen o.ä. ausgesetzt sind. Es ist so schön, wenn das Publikum gerade die ruhigen Stücke ganz aufmerksam in sich aufnimmt. Ich glaube auch, dass Guys Kommentare und Anekdoten zwischen den einzelnen Songs einen erheblichen Teil dazu beitragen, dass die Menschen sich so wohl bei unseren Konzerten fühlen. Er kann das Publikum immer auf eine so angenehme Weise in die Show mit einbeziehen, so dass sich alle als Teil des Abends fühlen. Das ist wunderbar. Wir wollen nicht einfach nur unsere Songs abspulen, sondern gemeinsam mit allen einen schönen Abend haben."

Elbow
Im Awards abräumen ist die Band mittlerweile erprobt, doch wie steht es um andere preisverdächtige Fähigkeiten, die im Auge der Öffentlichkeit und neben der Musik bisher keine Rolle gespielt und dementsprechend überhaupt keine Würdigung erfahren haben? Die Nachfrage nach weiteren Talenten entpuppt sich schnell als Aufhänger für eine Debatte um gastronomische Werte und persönliche kulinarische Highlights. So sprechen beide mit Bewunderung von ihren Kochkünsten, die sich von einem preisverdächtigen Chili con Carne (Turner) über ein vorzügliches Roast-Chicken (Jupp) erstrecken. "Ich finde, ich habe mindestens einen Michelin-Stern dafür verdient", ereifert sich der Grill-Experte, der nicht nur Drumsticks, sondern allem Anschein nach auch den Kochlöffel mit Bravour schwingen kann. Eine Restaurant-Eröffnung im großen Stil ist aber dennoch in weiter Ferne und steht erst einmal nicht auf dem Karriereplan der beiden Musiker. "Noch ist nichts geplant, aber wir haben ja noch unser eigenes Bier! Wir könnten dem Ganzen ja eine Küchenausstattung hinzufügen", sagt Turner. Selbst die Idee für die Vermarktung eines Pfannen-Sets bahnt sich im Zuge der Debatte an und wird zur allgemeinen Erheiterung mit wohlwollenden Worten untermauert. Der Promo-Gag, die Album-Veröffentlichung von "Build A Rocket Boys!" mit einer eigenen Bier-Marke zu zelebrieren, hat offensichtlich angeschlagen und das Marketing-Gen in den Engländern geweckt. Was zunächst jedoch nach einer kurzlebigen Aktion aussah, ist im Laufe der Zeit zu einem viel größeren Unterfangen mutiert, wie Turner berichtet: "Wir wurden von der englischen Robinsons Brauerei angesprochen, ob wir nicht Lust hätten, unser eigenes Bier herzustellen und wir fanden die Idee klasse. Es war eine nette Möglichkeit, das neue Album auf eine eher unkonventionelle Art zu promoten. Zuerst gab es nur eine sehr limitierte Auflage des Bieres und es war als Spaß gedacht. Mittlerweile verkaufen wir jedoch um die 1.000 Flaschen pro Woche, so dass die Marke sogar schon von einer großen Supermarktkette vertrieben wird. Alle, die jetzt denken, wir würden dabei einen riesen Profit für uns rausschlagen, denen sei gesagt, dass wir einen Teil davon Oxfam zukommen lassen, was die Sache natürlich doppelt so schön macht."

Es gab also zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Bedenken, die eigene Musik mit einem alkoholischen Getränk zu bewerben? Die Frage erntet von Seiten Turners ein entschiedenes: "Niemals! Um Gottes willen... wir trinken doch selbst gerne und bereuen nichts! Du kannst dich also völlig betrinken und trotzdem noch etwas Gutes damit tun. Herrlich, oder? Wir könnten auch eine eigene Wurst-Linie herausbringen, in der die Würste die Form von Buchstaben haben. Stell dir das mal vor, der Elbow-Schriftzug in Wurstform!" Vielleicht heben sie sich das nächste kulinarische Experiment dann doch lieber für das kommende Jahr auf und können ihren Erfindergeist zumindest vorübergehend etwas drosseln. Apropos Jahresende - eine Zeit, die die beiden Elbow-Mitglieder mit gemischten Gefühlen betrachten oder ziehen sie dann doch eine durchweg positive Bilanz unter das Jahr 2011? "Es war ein wirklich sehr gutes Jahr für uns als Band. Komischerweise fühlt es sich so an, als ob das letzte Album schon viel länger draußen wäre und nicht erst seit dem Frühjahr. Vermutlich, weil wir so viel unterwegs waren. Wir sind nie länger als drei Wochen am Stück unterwegs, weil wir das unseren Familien nicht zumuten wollen. Drei Wochen wären wirklich das Maximum für uns", sagt Turner. Eine Meinung, die auch Jupp ohne Zögern teilt: "Ich kann auch nur mit einem positiven Gefühl auf die letzten Monate zurückblicken und freue mich auf die Weihnachtszeit, wenn wir mit unseren Familien zusammen sein werden. Nächstes Jahr geht es dann schon wieder weiter. Ich spiele lieber jeden Abend, wenn wir auf Tour sind, als dass ich mir einen freien Tag zwischendurch gönne. So ein fauler Tag mit einer Massage oder ein paar Filmen ist zwar nicht schlecht, aber ist zum Teil auch eine Verschwendung." Eine hohe Arbeitsmoral im Hause Elbow darf also auch für 2012 erwartet werden und wird, ob in musikalischer Hinsicht oder dann doch bezüglich der Koch-Ambitionen, sicherlich in jedem Fall belohnt werden.

Weitere Infos:
www.elbow.co.uk
www.myspace.com/elbowmusic
Interview: -Annett Bonkowski-
Fotos: -Pressefreigaben-
Elbow
Aktueller Tonträger:
Build A Rocket Boys!
(Fiction/Universal)
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