Um es gleich vorweg zu nehmen, die neue Platte ist ein seltsames, ja fast schon rätselhaftes Album geworden. Ein Zeichen zum Aufbruch, der Versuch, alte Zelte abzubrechen und neue Ziele anzustreben. Ein kompliziertes Unterfangen, das einige Neuerungen (bzw. Probleme) für Band und Publikum mit sich bringt. Klar, auch ihre alten Sachen hatten schon diesen eigentümlichen Siebziger-Jahre-Groove, aber zu dem Retro-Disco-Feeling gesellt sich dieses Mal auch noch eine gesunde Portion Elektronik. Die Sterne führen auf der neuen Platte mehr denn je Musikstile zusammen, die sich angeblich ausschliessen, um mit Alleskönner Thies Mynther (Superpunk, Stella, ex-Regierung) an den Reglern Pop in Deutschland anders und weltoffener neu zu definieren.
Oder eben auch anderswo, schließlich waren Die Sterne letzten Sommer in den Vereinigten Staaten und Mexiko auf Tournee. Einige Shows - organisiert vom Goethe-Institut - fanden witzigerweise in Schulen statt. Hamburger Schule einmal ganz anders! Es sei schon ein bizarres Szenario gewesen, erinnern sich die vier, wenn um 10 Uhr morgens 300 Schüler mit Bussen zum Sterne-Konzert gekarrt wurden. "Ich hab' jetzt ein Zahnspangentrauma", witzelt Bassist Thomas Wenzel und weiß, daß nur die restlichen Auftritte in kleinen Bars und Clubs mit den Shows hierzulande zu vergleichen sind - mit denen vor fünf Jahren! Wenn sie jetzt auf dem neuen Album tanzbarer und ein Stück weit elektronischer geworden sind, mag dem ein oder anderen die gesteigerte Lust am Experiment einmal mehr zu Lasten der Message gehen. Kolossale-Jugend- und Brüllen-Vordenker Kristof Schreuf attackierte die Sterne ja schon vor zwei Jahren heftigst, weil das Quartett angeblich seine Popularität zu wenig für (politische) Meinungsmache einsetzte. "Das ist immer eine Gratwanderung", sinniert Frank Spilker. "Ich kann noch nicht einmal sagen, daß Kristof mit dieser Aussage völlig falsch liegt. Aber es ist noch kein gangbarer Weg gefunden worden, mit radikalem Gedankengut eine breite Öffentlichkeit zu erreichen."
Will heißen: Würden die Sterne in ihren Texten mit politischen Parolen kommen, wäre das Teenie-MTVIVA-Publikum sofort wieder futsch. "Wir sind eben keine explizit politische Band", meint Christoph. "Aber durch das, was wir in Interviews sagen und wie wir uns im persönlichen Leben verhalten, würde ich uns nicht besonders angepaßt nennen."
Auch musikalisch stand dieses Mal die Freiheit im Vordergrund. Obwohl sie sich ihr Imperial Studio erst nach und nach eingerichtet haben und deshalb nicht von Beginn an auf eine perfekte sitzende Technik bauen konnten, waren die Möglichkeiten des eigenen Studios eine neue Erfahrung für die Band. Schließlich hatten Die Sterne bisher all ihre Platten im renommierten Soundgarden Studio mit Chris von Rautenkranz als Produzent aufgenommen hatte. "Wir hatten mehr Zeit und haben mehr an den Stücken herumgebastelt. Wir konnten Sachen ausprobieren, die in einem Mietstudio viel zu teuer geworden wären. Die Songs sind so besser zu Ende gedacht", findet Frank Spilker. Etwas Ähnliches könnten Blumfeld anführen, wenn man sie danach fragt, warum sie denn für ihre letzte LP "Old Nobody" eine vierjährige Schaffenspause benötigt haben. Daß bei den Sternen diese Gefahr perfektionistischer Langatmigkeit nicht besteht, versichert ein breit grinsender Frank Wenzel: "Der Unterschied zwischen uns und Blumfeld ist, daß wir nicht den Anspruch erheben, unfehlbar zu sein!"