"Eigentlich hab ich das Thema satt"
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An sich war Tom Liwa bereits auf dem Weg nach Südamerika - musikalisch zumindest. "Neues Album, neue Adresse, neue Lebenssituation", hieß es im Sommer 2010, und passend dazu gab's viele, viele neue Songs in seinem Live-Programm, die ganz anders klangen als das, was davor gekommen war: Textlich vager, musikalisch sperriger und nicht nur ob der Coverversionen von Caetano Velosos "Maria Bethania" und Santanas "Samba Pa Ti" in Richtung Lateinamerika deutend. Sogar einen Titel hatte der neue Songzyklus schon: "Nord über Südwest". Vergessen schienen die zwei hinreißend schönen vorangegangenen Platten, "Komm Jupiter" und "Eine Liebe ausschließlich", auf denen der Duisburger Singer/Songwriter sein damals turbulentes, nicht immer glückliches Privatleben berührend ehrlich vertont und dabei geradezu unerwartet klare Worte gefunden hatte. Obwohl er am Rande eines Konzertes im Frühling 2009 angedeutet hatte, dass die Erfahrungen dieses Lebensabschnitts womöglich noch für einen dritten Teil, praktisch das Ende einer Trilogie zum Thema Liebe, würde herhalten können, kam bald danach der künstlerische U-Turn. Doch bevor "Nord über Südwest" fertiggestellt war, gab es einen erneuten Bruch in Liwas Privatleben, eine weitere Trennung. Die verarbeitet er nun, die Ukulele statt der Gitarre unter dem Arm, auf seinem ausgezeichneten neuen Album "Goldrausch" und knüpft damit an genau die Stärken an, für die seine letzten beiden Platten auch an dieser Stelle in den höchsten Tönen gelobt wurden. Ende März trafen wir Tom vor seinem Konzert im Bochumer Bahnhof Langendreer, und obwohl er sich die Mütze, die er anschließend auch beim Konzert trug, sogar im Backstageraum tief ins Gesicht gezogen hatte, präsentierte er sich als Gesprächspartner ungemein aufgeräumt. So sehr sogar, dass er mit einem rund zehnminütigen Monolog loslegte, der Zwischenrufe unsererseits zu aktuellen Album praktisch überflüssig machte. Dass wir anschließend doch noch ein paar Fragen hatten, störte dann eher, weshalb wir an dieser Stelle auf ihren Abdruck verzichten und euch Liwa und seine Gedanken zu "Goldrausch" pur präsentieren.
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Der leidende Künstler
"Der absolute Tiefpunkt, wenn man das so sagen kann, war kurz nach dem Zeitpunkt, als die Songs geschrieben wurden. Von da an wurde eigentlich alles nur permanent besser - und nun siehst du den glücklichsten Menschen des Planeten vor dir. Ich hab damit wieder unfreiwillig das Klischee des leidenden Künstlers bestätigt, das ist mir klar, wobei dieses Mal die Absicht, genau das nicht zu tun, dem Ganzen immanent war. Als ich die Sachen schrieb, war mir wichtig, keine larmoyante Platte zu schreiben, sondern auf einer Metaebene darüber nachzudenken, was so eine Trennungsplatte sein kann: Was für welche gibt's und welche gibt's nicht, welche Perspektiven werden gerne ausgespart? Als die Platte dann fertig war, ist mir aufgefallen, dass die weibliche Perspektive fehlt, und zwar komplett. Aber das war vielleicht auch nicht meine Aufgabe, die dann auch noch da draufzutun. Ich glaube allerdings, dass ich eine Menge verschiedener Möglichkeiten, aus männlicher Sicht eine Trennung zu sehen und an bestimmten Zeitpunkten verschieden zu bewerten, auf der Platte eingefangen habe."
Das Waschen der privaten Wäsche
"Die Platte ist in einer Zeit entstanden, die eigentlich so etwas wie eine vorläufige Trennung war: Das blöde Wort 'Beziehungspause'. Das ging nicht von mir aus, ich wollte diese Pause nicht, aber ich habe sie als etwas Konstruktives verstanden. Eigentlich ging's mit der Ukulele genau so los, dass ich... ich wollte mich nicht ablenken von den Problemen, die es da gab, von dem Beziehungsscheiß, ich wollte da rein, ich wollte mir das genau angucken. Deshalb hatte ich mir überlegt, dass ich mich nicht ablenken wollte, in diesen damals vereinbarten drei Wochen, in denen wir nicht miteinander gesprochen haben. Was wollte ich also in der Zeit tun? Ich hab erst mal einen Studiotermin gemacht, auch deswegen, weil ich der Frau, von der ich mich da gerade trennte, der Mutter meines viertes Kindes, meines jüngsten Sohnes, zwei Jahre vorher eine Ukulele zu Weihnachten geschenkt hatte, eine Flying-V-Ukulele. Obwohl ich gar nicht damit gerechnet hatte, hat sie angefangen, total süße kleine Songs damit zu schreiben. Die waren immer irgendwie im Raum und sie hat dazu auch kleine Videos gedreht. Im Hinterkopf hatten wir immer den Plan, das Zeug irgendwann mal richtig aufzunehmen. Ich hatte dann das Gefühl, dass unsere Pause die richtige Zeit ist, mich damit zu beschäftigen, weil ich ihr durch die Songs einerseits nah sei konnte, ihr das aber andererseits auch überhaupt nicht mitteilen musste. So hab ich angefangen, ihre Songs ein bisschen zu arrangieren und mit der Ukulele aufzunehmen. Dadurch hab ich mich dann richtig in die Ukulele verliebt, und durch die Beschäftigung damit kamen plötzlich Songs."
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Kreative Schübe
"Früher hab ich ja im Monat einen Song geschrieben, also permanent, aber seit einiger Zeit ist es so, dass ich in Zeitfenstern schreibe. Manchmal schreibe ich ein halbes Jahr gar nicht, und dann plötzlich geht's los und ich weiß gar nicht, wie mir geschieht. Das war auch in diesem Fall so. Das ist meistens so, dass da zwei, drei Songs sind, und dann merke ich schon: Okay, da kommt ein Album. Dann fange ich an, strategisch zu denken, und frage mich, was ich noch brauche, was für ein Song noch fehlt und wie ich von da aus weitergehe. Die Inspiration kommt allerdings plötzlich und in einem Schub. Tatsächlich sind da innerhalb von zehn Tagen diese zwölf Songs entstanden. Ein bisschen war natürlich der Hintergedanke, ihr diese Songs auf die Türschwelle zu legen, wie ein Kater das mit einer toten Maus macht und damit bei Menschen auch meistens nicht so einen Erfolg hat, und so war es dann auch (lacht). Es kam zur endgültigen Trennung, aber ich hatte diese Songs, dieses Album, also habe ich angefangen aufzunehmen und mich dann immer weiter auch von dieser Trennung entfernt, also auch von dem, was in den Songs drinsteckt. Das ging eigentlich sehr schnell."
Kater mit Ukulele
"Aufgenommen habe ich die Platte auch sehr schnell, in drei oder vier Sessions. Eigentlich sollte es eine Platte nur mit Ukulele und Cello werden, aber dann hatte ich das Gefühl, dass etwas Geklapper nicht schaden könnte. Bei einem Konzert in Darmstadt habe ich dann mit Nosie Katzmann, den ich schon von früher kannte, zusammen auf derselben Bühne gespielt, und der hatte eine Percussionistin dabei, die das absolute Highlight des Abends war und ihn arschcool begleitet hat, obwohl ich vorher mitgekriegt hatte, dass sie überhaupt nicht geprobt hatten. Sie war total dezent und großartig, also hab ich mir ihre Telefonnummer besorgt und sie auch noch draufspielen lassen. Dann kam Peter Herrmann mit dem (Kontra-)Bass auch noch dazu, eigentlich nur deswegen, weil die Leute in Dortmund, bei denen ich den ersten Teil aufgenommen hatte, nach Schweden in Urlaub gefahren sind und ich dort nicht weiter aufnehmen konnte. Als ich dann bei Peter Herrmann in Gießen war, war klar, dass er auch noch Bass würde spielen müssen. Also wurde daraus eine Bandplatte."
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Distanz zum Herzblut
"Bei den Aufnahmen war ich dann schon distanzierter. Da war ich schon ein gutes Stück weit weg von dem Herzblut, das Auslöser für die Platte gewesen war. Zum ersten Mal in meinem Leben war es so, dass ich mich am Ende dieser Liebesgeschichte nicht Hals über Kopf in irgendwas anderes reinmonövriert habe, mir eine Erfüllungsgehilfin gesucht habe oder irgendwas, um mir zu beweisen, dass das Leben weitergeht, sondern hab halt einfach durchgezogen, meinen Kram gemacht und in mir aufgeräumt. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass die Sache für mich gegessen ist. Ich will nicht zurück, alles ist für mich okay, ich kann jetzt erst mal nur mit meinen Kindern leben - und mal sehen, was irgendwann passiert. Ich hatte wirklich abgeschlossen. Das war ungefähr der Zeitpunkt, an dem wir das Cover gemacht haben, wodurch das dann auch schon fröhlicher ist und mit dem Bild von dem chinesischen Autofriedhof auf dem Innencover eine totale Distanz hat. In der Phase ist dann auch das Booklet entstanden, was noch mal einen ganz anderen Style hat und auch ironisch mit der ganzen Sache umgeht. Da ist ja so Gekritzel und da gibt es ja Frauennamen mit Telefonnummern daneben. Das sieht schon nach Neuorientierung aus. Außerdem gibt es - das kann man, glaube ich, gar nicht richtig erkennen - eine skizzierte Kontaktanzeige, in der drinsteht: Er, 50, sucht nach schwerer Enttäuschung Sie ab 25. So ein total mieses Ding, was ich dann wieder durchgekritzelt hab und was dann irgendwie ins Booklet reinkam: noch mehr Abstand. Dann habe ich mich Ende Oktober auf total unerwartete Art und Weise noch mal ganz wundervoll verliebt, in tatsächlich wieder eine sehr junge Frau - insofern bin ich im Muster geblieben -, das war auch noch einmal ein ziemliches Märchen, wie das passiert ist. Irgendwann wurde dann ein Video zu 'Dein Wille geschehe' gedreht, was den Endpunkt des Abstandnehmens markierte: Ich mach ein Feuer, und das ist im Zeitraffer das komplette Feuer, also rasend schnell, was dann vom Titel der Platte, 'Goldrausch', noch einen Bezug zu Chaplin bildet, aber es gibt eine Stelle in dem Video, die verlangsamt ist, und da lege ich einen Stapel Briefe ins Feuer, um noch einmal endgültig die Geschichte abzuschließen. Vor ein paar Monaten hätte ich noch gedacht, ich würde heulend auf der Bühne sitzen, wenn ich diese Songs spiele, aber jetzt spiele ich sie als Interpret. Ich bin auf einem ganz anderen Level. Ich bin nicht mehr der Tom Liwa, der diese Songs geschrieben hat, sondern Tom Greiner, der sie jetzt singt, und fühle mich gut damit. Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem sich auf ganz erstaunliche Art und Weise Dinge in meinem Leben manifestieren, und auch zu den beiden Müttern meiner Kinder ist das Verhältnis derzeit so entspannt und herzlich, wie ich das lange nicht für möglich gehalten hatte."
Ende einer Trilogie
"Natürlich gibt es eine Kontinuität bei den letzten drei Platten, allein deshalb, weil ich sagen muss, dass dies die dritte hintereinander ist, die ich nicht vorhatte zu machen, die mich einfach überrascht hat. Mit manchen Menschen ist das genauso, es war alles nicht absehbar, was da passieren würde. Es war alles sehr unberechenbar. Es gab während der Zeit mehrere Platten, die nicht veröffentlicht wurden. Es gab auch eine fast fertige Flowerpornoes-Platte, die für 'Komm Jupiter' ins Regal gewandert ist, 'Nord über Südwest', die für 'Goldrausch' ins Regal gewandert ist, und zwischendurch gab es auch Songs. Da gab es einfach sehr viel zwischendurch. Ich kann meine Karriere nicht strategisch planen, ich muss gucken, was da passiert. Aber ich denke, dass die Entscheidungen in der Zukunft weniger auf einer rational-emotionalen Ebene getroffen werden, sondern eher auf einer mythischen. Keine Ahnung, ich hoffe nicht, dass es noch einmal dazu kommt, dass eine Platte wie 'Goldrausch' gemacht werden muss, denn eigentlich hab ich das Thema auch satt, ich hab es total satt, Beziehungslieder zu schreiben. Ich würde mich gerne anderen Themen widmen (lacht)."
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Weitere Infos:
www.tomliwa.de
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Pressefreigaben-
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Aktueller Tonträger: Goldrausch (GIM/Intergroove)
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