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AMANDA PALMER
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Wenn die Songs im Radio falsch weitergehen
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Drei Tage ist Amanda Palmer Mitte Juni zu Gast in Berlin, trotzdem kann die als Sängerin und Pianistin der Dresden Dolls bekannt gewordene Musikerin all die Interviewwünsche kaum befriedigen. Seitdem sie via Kickstarter sage und schreibe 1,2 Millionen Dollar eingenommen hat, um ihr neues Album "Theatre Is Evil" zu finanzieren, und damit einen Crowdfunding-Weltrekord aufstellte, ist das Interesse an ihrer Person riesig. Fakt ist: So einfallsreich und erfolgreich wie das aus Boston stammende Allroundtalent nutzt sonst kaum jemand die Möglichkeiten des Web 2.0. Schließlich können sich fast 650 000 Twitter-Follower nicht irren, oder? Fast scheint es so, als sei Amanda unbesiegbar und überhaupt einfach die Größte!
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"Ich glaube nicht, dass ich unbesiegbar bin - und ich bin schon gar nicht die Größte. Das waren die Beatles", erwidert Amanda geradezu unerwartet bescheiden. Trotzdem ist sie natürlich stolz auf das von ihr Erreichte, vor allem darauf, dass sie Schritt für Schritt die Erfolgsleiter hinaufgeklettert ist und nicht ein glücklicher Hit-Song oder gar eine in der Werbung platzierte Nummer den plötzlichen Durchbruch gebracht hat. "Es war von Anfang an kontinuierliche, beständige Arbeit", sagt sie, "aber ich denke, das ist einer der Gründe, warum meine Fans mich so respektieren. Weder mit den Dresden Dolls noch solo hat sich meine Anhängerschaft durch einen Erfolg über Nacht gewandelt. Es lief immer alles über Mundpropaganda. Das Beste, was einem Künstler passieren kann, ist, dass er und seine Zuhörerschaft auf organische Weise wachsen. Wenn es dagegen schnell und gewissermaßen zufällig passiert, ist die Gefahr groß, dass er Probleme bekommt, das Erreichte aufrechtzuerhalten."
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Allein wäre Amanda auf dem Level des Erfolgs, das sie inzwischen erreicht hat, aber dennoch verloren. "Wichtig ist ein gutes Team zur Unterstützung", erklärt sie. "Diese Mannschaft habe ich sehr sorgfältig und bewusst ausgewählt. Es sind Menschen, die wissen, was sie tun, die in der Lage sind, hart zu arbeiten, und mir nur widersprechen, wenn es wirklich essenziell ist. Abgesehen davon sind sie vor allem dazu da, meine Idee hinaus in die Welt zu tragen und alles zu organisieren. An diesen Punkt zu gelangen, war nicht einfach. Ich hatte eine Menge Teams, mit denen es überhaupt nicht geklappt hat. Ich habe also auf die harte Tour gelernt, was eine gute Mannschaft ausmacht."
Das perfekte Umfeld ist also das heimliche Erfolgsgeheimnis des neuen Albums. "Musikalisch macht Amanda - zwischen Genie und Wahnsinn - natürlich dort weiter, wo sie mit ihrer letzten Solo-Scheibe und dem Evelyn Evelyn-Projekt aufhörte - nur nicht mehr ganz so spinnert und asketisch inszeniert", bescheinigte der Kollege Ullrich Maurer "Theatre Is Evil" an dieser Stelle bereits. Ein bisschen hört sich das Album so an, als habe die Künstlerin einen Feuerwerkskörper unter ihrer bisherigen Karriere angezündet und die niederregnenden Teile neu zusammengesetzt. Amanda gefällt die Metapher zwar, aber die Wahrheit ist weniger spektakulär: "Mit Ausnahme der echten Konzept-Platte wie der Radiohead-EP und dem Evelyn Evelyn-Album fanden sich auf meinen Platten immer einfach die besten Songs wieder, die ich zum jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung hatte - das war auch dieses Mal nicht anders", erklärt sie. "Dies sind einfach die besten Stücke, die ich in den letzten vier Jahren geschrieben habe." So groß das abgedeckte musikalische Spektrum auch ist, verfolgte Amanda doch mit jedem Stück ein gewisses Konzept. "Jeder Song stellt besondere Anforderungen", erklärt sie. "Für gewöhnlich ist es so, dass ein Song, sobald ich die erste Idee dazu habe, sofort weiß, wie er später werden will. Die Grundidee oder die erste Zeile geben in der Regel den Weg vor, egal, ob es eine Herzschmerz-Nummer oder ein offenherzig-verrückter Popsong ist. Von da an folge ich einfach dem Pfad, den der Song vorgibt."
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Inzwischen weiß die 36-jährige Amerikanerin auch, wann sie am kreativsten ist. Ihre stärksten Songs entstehen zumeist direkt im Anschluss an eine Tournee, wenn sie sich zu Hause entspannen kann: "Die besten Ideen kommen mir, wenn ich Auto fahre oder allein Spaziergänge mache, in Situationen, in denen ich wirklich die Seele baumeln lassen kann." Das ist auf Tournee natürlich praktisch unmöglich. Zwar tut sie sich etwas schwer, den Songwriting-Prozess in die richtigen Worte zu fassen, versucht es aber dennoch: "Sobald ich die Grundidee zu einem Song habe, folge ich einfach meiner Intuition, ohne sie zu hinterfragen. Manchmal höre ich im Radio das Intro eines Songs und weiß sofort, wie er weitergehen würde, wenn er meinem Gehirn entsprungen wäre. Das nutze ich gerne als Inspirationsquelle: Ich höre etwas im Radio, schalte nach ein paar Sekunden ab und führe den Song so weiter, wie es mir in den Sinn kommt, weil ich weiß, dass er im Radio nicht so weitergeht, wie ich das gern hätte."
Um ihrer neuen Band, dem Grand Theft Orchestra, und ihrem Produzenten John Congleton zu erklären, was in ihrem Kopf vorgeht, bediente sie sich der Platten ihrer alten Helden. "Ich habe meinem Produzenten und meiner Band einige Platten in die Hand gedrückt und gesagt: 'Hört Euch 'Violator' von Depeche Mode an, My Bloody Valentine oder die Swans. Dann wisst ihr, was wir soundtechnisch vorhaben!'" Was Amanda vorschwebte, war ein Wall of Sound aus mitreißenden Gitarren und flirrenden Synths, und wenngleich sich natürlich auch einige balladeske Klavier-Momente auf "Theatre Is Evil" befinden, ist es genau dieses Klangbild, das das Album beherrscht. Vor allem Congleton brauchte aber gar nicht allzu viele Hilfestellungen, wie Amanda zugibt: "Wir sind gleichaltrig und sprechen die gleiche Sprache. Ich habe ihm zum Beispiel das Klavier-Demo von 'Smile' vorgespielt und gesagt, dass ich dabei an 'Love Of Life' von den Swans und My Bloody Valentine denke, und er sagte nur: 'Sprich nicht weiter, ich weiß bereits, was du willst!' Dann habe ich ihm die Ukulele-Version von 'The Killing Type' geschickt und nur gesagt: 'The Cars, Gary Numan, ...' und er antwortete sofort: 'Ja, alles klar, ich weiß, was zu tun ist!'"
Mit der Musik allein begnügt sich Amanda allerdings bekanntlich schon länger nicht mehr. Parallel zu ihrem dreitätigen Berlin-Besuch und dem umjubelten Auftritt im Roten Salon gab es im Platoon auch noch eine Pop-up-Ausstellung (siehe Foto-Galerie), für die sie 30 befreundete Künstler bat, mit ihren Songs korrespondierende Kunstwerke zu erschaffen. Die Vermutung, dass sie damit reine Musikfans für die bildende Kunst begeistern will, weist sie aber von sich. "Das ist lediglich ein netter Nebeneffekt", sagt sie abschließend. "Ich bin ein Mittler, kein Pädagoge!"
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Weitere Infos:
www.amandapalmer.net
twitter.com/amandapalmer www.facebook.com/amandapalmer
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Shervin Lainez-
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Aktueller Tonträger: Theatre Is Evil (Cooking Vinyl/Indigo)
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