Ganz sicher nicht niedlich
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Eigentlich müsste Tift Merritt längst ein großer Star sein. Dummerweise folgt die schöne Amerikanerin lieber ihrem Herzen als dem Ruf des Geldes und ist deshalb gerade hierzulande trotz eines halben Dutzends großartiger Schreiben in den letzten zehn Jahren und trotz einer Grammy-Nominierung in der Königsdisziplin "Album of the year" immer noch ein gut gehütetes Geheimnis. Dabei zählt ihre Stimme mit zum Schönsten, was dem Country-Genre seit Patsy Cline passiert ist, wie der Kollege Ullrich Maurer an dieser Stelle zu Recht bereits vor Jahren erkannte. "Schon lange hat man keine Sängerin mehr vernommen, die sich dermaßen gut in die Songs hineindenken kann", schrieb er damals weiter. "Da stimmt wirklich jeder Schlenker, jeder Seufzer, jedes Hauchen." Kein Wunder, denn der Dame, die aus North Carolina stammt und jetzt in New York heimisch ist, ist es wirklich ernst mit ihrer Kunst. Als wir die 38-Jährige vor ihrem feinen Auftritt in der Haldern Pop Bar zu einem kurzen Gespräch treffen, lacht sie zwar viel, beginnt aber auch auffällig viele Sätze mit: "Ich denke, es ist wichtig..."
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Ein bisschen müde ist die Gute bei unserem Interview. Daran sind nicht nur die Auswirkungen des Jetlags schuld, sondern auch die Tatsache, dass Tift in den letzten Monaten unermüdlich auf Reisen war. Kunststück, schließlich gilt es dieser Tage für sie, gleich zwei völlig unterschiedliche Platten vorzustellen: ihr fünftes Soloalbum, "Travelling Alone", das letztes Jahr passenderweise auf dem Roots-Label Yep Roc erschien, und "Night", ihre brandneue Kollaboration mit der klassischen Pianistin Simone Dinnerstein, die von der Klassikabteilung des Branchenriesen Sony auf den Markt gebracht wird. "Ich denke, es ist wichtig, als Musikerin alles Erdenkliche zu machen", erklärt sie den Spagat zwischen den Welten. "Natürlich bedeutet das, dass man viel proben muss, aber vor allem muss man ein gutes Ohr für die Dinge haben, und viele Verschiedenes zu machen, zwingt dich erst recht, gut zuzuhören."
Mit "Travelling Alone" setzt Tift zwar den herrlich altmodisch countryesken Weg fort, den sie seit ihrem wunderbaren Debüt "Bramble Rose" im Jahre 2002 beschreitet, allerdings tut sie das dieses Mal mit anderen Mitteln. Statt auf eine ausgefuchste Studioproduktion und die Hilfe ihrer langjährigen Mitstreiter - darunter ihr Ehemann Zeke Hutchins, der inzwischen für Sharon Van Etten am Schlagzeug sitzt - zurückzugreifen, versammelte sie eine echte All-Star-Band um sich und nahm die Platte ohne finanzielle Rückendeckung eines Labels innerhalb kürzester Zeit mit Genre-Großmeister Tucker Martine am Mischpult auf. Andrew Bird, John Convertino, Marc Ribot und Eric Heyman sind nur einige der Mitstreiter auf "Travelling Alone", doch trotz der Starbesetzung ist das Album musikalisch stets wunderbar unaufdringlich, ohne deshalb Spannung oder Intensität einzubüßen. Ein Erfolgsrezept hat Tift nach eigener Aussage allerding nicht: "Am Ende des Tages versuche ich einfach, mein Leben zu verstehen", sagt sie schulterzuckend. Doch vermutlich ist es genau das, was so an ihrer Musik fasziniert. Die ungeschminkte Ehrlichkeit einer Suchenden, die nie irgendwo wirklich ankommt. "Ich habe einfach nicht besonders viel Zeit, mich zu verstecken", sagt sie über ihren direkten Schreibstil. "Ich möchte als Künstlerin durchaus unbequeme Themen angehen. Ich denke, das ist wichtig. Das, was ich mache, ist ganz sicher nicht niedlich, aber das soll es auch nicht sein."
Das wirft natürlich die Frage auf, wie erfolgreich diese songgewordene Sinnsuche ist. Hilft Tift die Musik wirklich, sich selbst besser zu verstehen? "Ich bin davon überzeugt, dass meine Arbeit mir voraus ist", sagt sie. "In gewisser Weise macht sie den Weg frei." Das, was in ihrem Unterbewusstsein herumspukt und in die Songs einfließt, bestimmt anschließend die Richtung, in die sie sich weiterbewegt. "Ich wünsche, das wäre anders, denn natürlich würde ich beim Schreiben auch gerne mal die Perspektive wechseln, aber am Ende des Tages ist es doch so: Wenn die Dinge, von denen ich singe, mich nicht berühren, wie sollen die Songs da andere Menschen erreichen?" Doch nicht nur bei ihren eigenen Platten, auch wenn es um die Musik anderer Künstler geht, verlässt sich Tift lieber auf das eigene Gespür, anstatt gängigen Trends zu folgen. "Ich ertappe mich oft dabei, dass ich Musik besonders mag, die nach den gleichen Prinzipien funktioniert wie meine eigene. Ich bevorzuge einen sehr warmen, natürlichen Sound, während es heute unglaublich viel Musik gibt, bei denen die Höhen besonders betont werden. Ich wünschte, das würde mich nicht so sehr stören, dann hätte ich beim Musikhören eine viel größere Auswahl!", sagt sie und schüttet sich aus vor Lachen.
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Dabei ist Tift vom musikalischen Scheuklappenblick natürlich weit entfernt. Das unterstreicht auch ihr neues Album "Night", auf dem sie gemeinsam mit Simone Dinnerstein in unbekannten Gewässern segelt. Doch wie genau geht man eine solch ungewöhnliche Kollaboration an? "Angefangen hat es damit, dass ich entschieden Nein zu dem Projekt gesagt habe, weil einfach viel zu viel schiefgehen konnte!", erinnert sich Tift lachend. "Letztlich habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir eine Band zusammenstellen und so versuchen, eine gemeinsame musikalische Sprache zu finden. Das war eine echte Herausforderung, weil ich nicht nach Noten spiele, Simone aber ausschließlich vom Blatt spielt. Es hat auch sehr lange gedauert, aber letztlich haben wir es über ein gemeinsames Konzert doch geschafft, und am Ende des Projekts hat Simone dann ihre Noten weggeworfen. Das fand ich unglaublich aufregend!" Dass Tift im Gegenzug eine klassische Musikausbildung in Angriff nimmt, steht allerdings nicht zur Debatte. "Nein, denn ich bin davon überzeugt, dass zu viel Exaktheit das Leben aus allem presst. Ich denke zwar schon, dass man viel proben sollte, aber letztlich bin ich doch davon überzeugt, dass Feeling wichtiger ist als technische Perfektion. Allerdings müssen natürlich schon ein paar Dinge exakt sein, damit Feeling überhaupt erst entstehen kann."
Auf "Night" stehen Kompositionen von Purcell und Schubert bruchlos neben Stücken von Leonard Cohen, Johnny Nash und Tift selbst. Das Herzstück des Albums ist derweil Billie Holidays "Don't Explain", das auch schon Nina Simone grandios interpretierte. "Ninas Version ist unglaublich, oder?", fragt Tift rhetorisch. "Deshalb fand ich es auch zunächst ein wenig beängstigend, mich an diesen Song zu wagen. Das war aber nicht nur für mich als Sängerin eine große Sache, sondern auch für Simone am Flügel. Schließlich war Nina Simone nicht nur eine göttliche Blues-Sängerin, sondern auch eine klassisch ausgebildete Pianistin. Aber genau deshalb war der Song im Kontext unseres Projektes auch eine so gute Wahl. Wir hätten ihn auch nicht veröffentlicht, wenn wir nicht davon überzeugt gewesen wären, dass wir eine wirklich eigene Version aufgenommen hätten. Dass uns das gelungen ist, hat mich sehr stolz gemacht."
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Weitere Infos:
www.tiftmerritt.com
www.tiftmerritt.net
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Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Pressefreigabe-
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Aktueller Tonträger: Travelling Alone (Yep Roc/Cargo)
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