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TRAVIS
 
Jedermann
Travis
"The Man Who" heißt das neue, zweite Album von Travis. Der Grund dafür ist komplex wie das theoretische Fundament, auf dem die vier Schotten ihr musikalisches Wirken fundieren. "Ich habe mal ein Theaterstück mit diesem Namen gesehen", erläutert Sänger und Songschreiber Fran, "es basierte auf dem Buch von Oliver Sacks, "Die Frau, die gegen Türen rannte". Es geht darin um behinderte Leute. Ich mag behinderte Leute, Außenseiter. Ich war stets auf der Seite derjenigen, die ausgesondert wurden, Abseits stehen, wie Ausschuß bei der Industrieproduktion. Außerdem mag ich es, Titel zu verwenden, die bereits bekannt sind, bereits in anderem Zusammenhang verwendet wurden. (Travis ist z.B. der Name des Harry Dean Stanton-Charakters in "Paris, Texas" von Wim Wenders). Und das Wortspiel ist doch prima: Der Mann, der alles sein könnte..." Das möchten Travis auch gerne sein: Die Band, die alles sein könnte. In England kamen sie deshalb bei der Presse nicht so gut weg. "Unsere ersten Kritiken waren vernichtend", berichtet Fran, "das waren keine Kritiken, sondern persönliche Angriffe. 'Travis, ihr seid gar nichts. Ihr seid so winzig.', lautete die Schlagzeile zu einem Live Review. Bis mir dann irgendwann klar wurde, daß das genau der Punkt war. Uns geht's nicht darum, uns irgendwie darzustellen, ein Image zu haben. Es geht schlicht um die Musik und hier möchten wir uns nicht festnageln lassen. Wir möchten uns auch nicht vorschreiben lassen, was wir zu sagen haben, und was nicht." Hierzu muß man wissen, daß Fran gerne redet. Nicht nur im Interview, sondern auch sonst und vor allem mit dem Publikum. Dabei können dann schon mal - für die englische Presse - verwirrende Diskrepanzen zutage treten.
Denn Fran redet so, wie ihm die Schnauze gewachsen ist. "Es kommt", so sagte er bei einem Konzert, "nicht darauf an, was man sagt, sondern daß man etwas sagt." Oder fragt. Ein Punkt, der ihm am Herzen liegt. "Auf dem neuen Album geht es eigentlich um zwei Themen. Zum einen darum, Fragen zu stellen: Warum? Wieso? Weshalb? Es ist wichtig, Fragen zu stellen. Viele Leute stellen keine Fragen, weil sie nicht als dumm gelten wollen. Aber du bist immer nur für einen Moment dumm, wenn Du Fragen stellst und somit zugibst, etwas nicht zu wissen. Wenn Du aber keine Fragen stellst, dann bleibst Du Dein Leben lang dumm. Das hat alles mit Verlegenheit zu tun. Ein kluger Kopf hat mal gesagt, die ganze menschliche Psychologie ließe sich auf das Wort 'Verlegenheit' reduzieren. Darum geht es mir. Tja, und dann ist da noch die andere Seite, das Akzeptieren der Umstände, so wie sie sind. Das ist das andere Thema der Platte." Es mag seltsam anmuten, daß eine so "winzige" Band wie Travis, die bisher vor allem durch 'gute Laune' Musik bekannt war, nun in Psychologie macht. Für Fran & Co. ist jedoch auch dieser Widerspruch keiner. Denn: Musikalisch haben sich Travis auf ihrem Zweitling weit aus dem Fenster gelehnt. Da gibt's keine fröhlichen "La-la-la"-Chöre mehr, keine Glam-Rock-Riffs, überhaupt keine Rocksongs mehr. Das Album ergeht sich in elegischen Balladen, eher in der Tradition von Singer-Songwritern. "Wir wollten unser musikalisches Spektrum erweitern", erklärt Bassist Dougie diesen doch im Zusammenhang mit der zweiten Platte überraschenden Prozeß, "wir haben auf der Tour zur letzten Platte 250 Shows in einem Jahr gespielt. Da kannst Du Dir vorstellen, daß wir nun genug haben vom 'abrocken'". "Es ist auch an der Zeit für diese Art von Musik", führt Fran das aus, "es gibt einfach auch Leute, die mal nicht herumhüpfen wollen, wenn sie zu einem Konzert gehen. Wir werden jedenfalls bei der nächsten Tour hauptsächlich Stücke der neuen Platte spielen. Mag sein, daß der eine oder andere dann eben geht, aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß für jeden der geht, 10 andere dazukommen. Das Schlüsselerlebnis war übrigens, als meine Mutter zu einem unserer Konzerte kam. Sie war früh da, und dachte, daß es eine gute Idee sei, sich direkt an die Bühne zu stellen, um einen guten Platz zu haben. Da ist sie natürlich genau in den Mosh Pit hereingeraten. Sie hatte nachher Fußabdrücke auf ihrer Bluse. Und da dachte ich mir: Das braucht's nicht." Sicherlich ein weiterer gefundener Sargnagel für die englische Presse.

Immerhin: Der Wandel von der bloßen Rockkapelle hin zur abgeklärten Songwriter-Combo hat Travis sichtlich gut getan. Es gab auf der Vorab-CD einen Track, der die Zeile enthielt 'I Don't Really Wanna Rock' - im Gegensatz zu 'All I Want Do Do Is Rock' vom ersten Album. "Wir haben das Stück rausgenommen und durch ein anderes ersetzt", erklärt Fran, "das wäre ein wenig zu plump gewesen. Wenn Du Dir die Platte anhörts, dann merkst Du ja, daß wir nicht rocken. Die Leute sind ja nicht blöd." Inhaltlich gibt es auf "The Man Who" eine Menge zu entdecken. Neben den o.a. Themen sind dies vor allen Dingen verblüffende Wortspielereien - "push turns to shovel" heißt einer (von: push turns to shove) oder "pillars turn to butter" (s.u.). Auch hier offenbart sich eine der unscheinbaren Widersprüchlichkeiten von Travis, bzw. in diesem Falle Fran: "Ich liebe Worte", schwärmt er, "ich liebe es, mit Worten zu spielen. Meine Art Songs zu schreiben ist schon ziemlich eigenartig. Ich kann's auch nicht genau beschreiben, aber wenn Du mich beobachten könntest, würdest Du verrückt werden und dich fragen: "Wie macht der das". Wenn ich Texte schreibe, lasse ich erst mal alles raus. Später ergibt sich daraus vielleicht sowas wie eine Struktur. Indem z.B. Gegensätze gegeneinandergestellt oder Reihungen gesucht und gefunden werden. Eyerybody, Everywhere und Everything oder sowas. Und ich liebe Wortspielereien und Verdrehungen. "Pillars turn to butter" enstand z.B. aus "Caterpillars turn to butterflies" - das habe ich in einem Vers nicht unterbringen können, und da habe ich es einfach abgekürzt - wodurch sich eine vollkommen neue Bedeutung ergab. Sowas liebe ich. Wie gesagt, ich liebe Wörter, ich liebe Reime, ich liebe Gedichte. Das merkwürdige ist, daß ich keine Bücher mag. Ich bin vielleicht ein wenig legasthenisch oder sowas, jedenfalls kann ich mich nicht auf ein Buch konzentieren. Da gibt's soviele Wörter. 2000 Seiten mit Wörtern, wo kommen die alle her? Das mag ich nicht. Da lese ich lieber ein Gedicht. Das ist der Inhalt eines Buches in 10 Zeilen. Sowas mag ich: Mit wenig Worten viel aussagen." Fran schreibt auch die Musik zu seinen Songs. Das läßt natürlich die Frage aufkommen, was denn die anderen noch machen. "Wir sind eine Band", nimmt Dougie die Schärfe aus der Diskussion, "wir haben auch mal Songs zusammen geschrieben. Das hat aber nicht so richtig geklappt. Seit Fran die Stücke schreibt, haben wir eine Linie drin. Er kommt dann mit den Tracks und wir erarbeiten dann die Struktur zusammen." So dürfen wir also gespannt sein, auf die nächste Travis Tour im besinnlichen Rahmen, mit vielen Geschichten, Wortspielereien, Wörtern und auch ein wenig Musik...

Ein Gruß per MP3-Datei von Travis (113KB, gezipped)

Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Travis
Aktueller Tonträger:
The Man Who
(Independiente/Sony Music)
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