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OMD
 
Experimente müssen sein
OMD
In den frühen 80ern waren OMD die Speerspitze des Synth-Pop. Gemeinsam mit Acts wie The Human League, Depeche Mode und Gary Numan zeigten sie auf, wie man elektronische Experimente und poppige Eingängigkeit galant verbinden kann. Nach einigen Jahren gaben Andrew McCluskey und Paul Humphreys allerdings ihren Experimentierwillen zugunsten von mehr Pop-Appeal auf, was ihnen vor allem in den USA große Popularität bescherte. Nach einigen mageren Jahren 2005 wieder vereint, sinnieren die beiden Briten auf ihrem nun erscheinenden neuen Album "English Electric" darüber, warum sich die Zukunft nicht so entwickelt hat, wie sie sich das vor 30 Jahren erträumt hatten, und schlagen auch musikalisch den Bogen zurück in die frühen 80er, ohne deshalb altbacken zu klingen.
So unterstreichen OMD gleich mit mehreren Tracks von "English Electric" die Kontinuität ihres Schaffens. Der Track "Dresden" spiegelt McCluskeys anhaltende Faszination für das Thema Krieg wider, die ihn bereits seit dem frühen Single-Hit "Enola Gay" begleitet. Auch dieses Mal kontrastiert er das düstere Thema mit einer fröhlichen Popmelodie. "'Dresden' ist deshalb interessant, weil ich dem Track den Namen gab, noch bevor der Text geschrieben wurde", verrät der Bassist, inzwischen auch schon Mitte 50, bei Interview mit Gaesteliste.de. "Ich benutze Dresden als Metapher für Folter, Schmerz und Verlust. Vieles davon habe ich vor einigen Jahren am eigenen Leib erfahren. Sicherlich mögen es einige Menschen für geschmacklos halten, dass ich meine eigenen Probleme mit der Bombardierung Dresdens vergleiche, aber ich suchte einfach nach einem Weg, den Schmerz zu beschreiben, den ich fühlte. Das Thema Krieg hat ja schon immer eine große Anziehungskraft auf mich ausgeübt, deshalb habe ich so viele Songs darüber geschrieben."

Auch "Kissing The Machine" hat einen Bezug zur Vergangenheit, entstand der Song doch vor rund zwanzig Jahren gemeinsam mit Ex-Kraftwerker Karl Bartos, bevor er nun vollkommen umgekrempelt wurde. "Als sich 'English Electric' langsam entwickelte, kam mir der Gedanke, dass 'Kissing The Machine' eine gute Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft wäre, denn darum geht es uns ja auf dem neuen Album", sagt McCluskey. "Außerdem: Als wir damals 'Kissing The Machine' schrieben, hätten wir uns nicht träumen lassen, dass es eines Tages Internet-Dating-Sites geben würde, ganz abgesehen von der ganzen Pornografie im Netz. Es erschien einfach logisch, die Nummer mit aufs Album zu nehmen. Ich fragte Paul nach seiner Meinung und er war sofort angetan von der Idee. Er schlug vor, die Melodie beizubehalten, aber den Rest vollkommen neu umzugestalten, weil es doch ziemlich altmodisch klang. Das hat er dann getan, und als Sahnehäubchen hat er dann Claudia Brücken (Humphreys langjährige Partnerin und Ex-Sängerin von Propaganda) gefragt, ob sie der Maschine ihre Stimme leihen würde! Das ist schon ein tolles anglo-germanisches Quartett: Karl und ich als Songwriter, Paul als Produzent der neuen Version und Claudia als Stimme!"

Doch nicht nur bei den genannten Songs überzeugt "English Electric" durch die feine Balance zwischen eingängigem Pop und mutigen Experimenten. "Die Balance ist das Ergebnis eines langen Lernprozesses", glaubt McCluskey. "Auf unserem 1983er-Album 'Dazzle Ships' gab es zum Beispiel eine Menge Experimente, die wir in ihrer ursprünglichen Form veröffentlicht haben. Damals fanden viele Leute das Album deshalb schwer verdaulich, denn es fehlte einfach der melodische Zuckerguss, denn wir für gewöhnlich über unsere Songs gießen. Über die Jahre haben wir dann gelernt, dass es keinen Sinn ergibt, experimentell nur um des Experiments willen zu sein. Neun von zehn Ideen probierst du aus, nur um nachher zu sagen: 'Hm, das hat ja gar nicht funktioniert. Lasst uns das bloß niemandem vorspielen, das will eh niemand hören!' Manchmal hast du dagegen eine Idee, an der sich arbeiten lässt, und du fügst dies und das hinzu, bis es wirklich schön klingt. Trotzdem machst du dann Musik zu deinen eigenen Bedingungen. Sie muss nicht konventionell sein, sie muss zum Beispiel keinen Refrain oder keine Strophe haben. Manchmal steht auch ein Experiment am Anfang von etwas, das am Ende wunderbar musikalisch ist. Die Ideen sollten Experimente sein, aber sie müssen auch musikalisch funktionieren."

Auch deshalb bauen OMD soundtechnisch heute auf ihren alten Errungenschaften auf, setzen sich aber gleichzeitig mit allen erdenklichen neuen musikalischen Trends auseinander - ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen. "Wir haben uns die technischen Möglichkeiten und neuen Trends sehr genau angeschaut, aber wir müssen sie auf eine Art und Weise einsetzen, die zu uns passt", sagt McCluskey. "Ganz ehrlich, wenn OMD versuchen würden, ein Dubstep- oder Glitch-Album aufzunehmen, würde das einfach nicht funktionieren. Wir würden lediglich die Sprache von jemand anders adoptieren und würden damit uns selbst musikalisch verleugnen. Allerdings adaptieren wir bestimmte moderne Elemente, schließlich wollen wir nicht nur ein nostalgisches Abziehbild unserer Vergangenheit sein. Wir machen heute Platten, weil wir denken, dass wir noch etwas zu sagen haben. Wir wollen kein Tributact für unsere eigene Band sein."

So haben die zwei Musiker zwar hochgerüstete Studios, in denen sie nach modernsten Maßstäben produzieren können, allerdings sind sie sich der Fallen der modernen digitalen Musikwelt stets bewusst. McCluskey erinnert sich noch gut an die Zeit, als die technischen Möglichkeiten plötzlich größer waren als der kreative Horizont der Musiker. "Das hat in den 90ern angefangen", sagt er rückblickend. "Als die digitalen Schnittstellen für Keyboards eingeführt wurden, konnte man mehr als ein Instrument den gleichen Part spielen lassen: 'Oh, ich mag diesen Sound! Diese hier sind aber auch hübsch! Warum lassen wir nicht alle fünf gleichzeitig laufen?' Plötzlich musste man sich nicht mehr für einen Sound entscheiden, und das brachte große Probleme mit sich. Das andere Problem war die Synchronisation von Bandmaschinen, die es erlaubte, mehr als 24 Kanäle zu benutzen. Damit wurden uns die 'redaktionellen Entscheidungen' abgenommen, die wir früher zu treffen hatten. Wenn damals jemand sagte: 'Ich habe da eine Idee', musste erst einmal geprüft werden, ob sie wirklich gut war, denn womöglich musstest du eine der bereits aufgenommenen Spuren wieder löschen, um sie zu verwirklichen. Heute kannst du alles gleichzeitig haben, aber natürlich ist mehr nicht immer besser!" Doch McCluskey hat auch eine Lösung für dieses Dilemma parat. "Heute muss man einfach gnadenloser sein, wenn es darum geht, Entscheidungen zu fällen", ist er sich sicher und fügt lachend hinzu: "Früher brauchte man das nicht, weil man einfach keine weiteren Optionen hatte!"

Dass OMD nach mageren Jahren in den 90ern inzwischen wieder en vogue sind, wundert McCluskey indes nicht. "In den 90ern war der Rock'n'Roll wieder auf dem Vormarsch. Intelligenz spielte nur noch eine untergeordnete Rolle", erinnert er sich. "Doch inzwischen gibt es eine neue Generation von Menschen, denen es gefällt, Konzepte und Intellekt mit Energie, Emotionen und Melodien zu verbinden. Irgendwann ist diesen Menschen dann aufgefallen, dass es eine Band gibt, die genau das schon vor 30 Jahren gemacht hat. Das waren wir!"
Weitere Infos:
www.omd.uk.com
www.facebook.com/omdofficial
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Pressefreigabe-
OMD
Aktueller Tonträger:
English Electric
(BMG/Rough Trade)
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