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SARAH LEE GUTHRIE & JOHNNY IRION
 
Erfüllt von Positivität
Sarah Lee Guthrie & Johnny Irion
Sarah Lee Guthrie und Johnny Irion wissen nur zu genau, was es heißt, als Zwerge auf den Schultern von Riesen zu stehen. Er zählt mit John Steinbeck einen der berühmtesten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zu seinen Vorfahren, sie ist durch Großvater Woody und Vater Arlo Guthrie gleich doppelt vorbelastet. Dennoch haben die beiden, seit sie sich in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre in Los Angeles kennen und lieben lernten, unermüdlich daran gearbeitet, sich eine künstlerische Existenz abseits der großen Namen aufzubauen. Seit 15 Jahren sind die verheiratet, seit 13 Jahren sind sie auch musikalisch unzertrennlich und werden vor allem für ihre wunderbar intimen Live-Auftritte viel geliebt, mit denen sie große Singer/Songwriter-Kunst in zumeist gewollt kleinem Rahmen präsentieren. 2005 erschien ihr wunderbares erstes gemeinsames, Americana-gefärbtes Album "Exploration", sechs Jahre später folgte das mehr in Richtung psychedelisch angehauchten 60s-Pop deutende Zweitwerk "Bright Examples", und aktuell sind die zwei liebenswerten Amerikaner mit ihrem unter freundlicher Mithilfe von Wilco entstandenen dritten Album "Wassaic Way" auch in Deutschland auf Tour. Wir trafen sie vor ihrem feinen Auftritt in Mönchengladbach.
Sarah Lee Guthrie & Johnny Irion
"Wassaic Way" markiert den vorläufigen Höhepunkt im Schaffen von Sarah Lee und Johnny. Maßgeblich dazu beigetragen haben Jeff Tweedy und Pat Sansone von Wilco, die das Album in sechsmonatiger Kleinarbeit co-produzierten und bei Arrangements und Songwriting behilflich waren. Entstanden ist so eine Platte, die besser denn je die Stärken der beiden Protagonisten herausarbeitet - und das will einiges heißen. Schließlich standen dem Duo zuvor Mitstreiter wie die Jayhawks und Son Volt (bei "Exploration") sowie Vetiver und der von seiner Zusammenarbeit mit den Pernice Brothers und Chris Robinson bekannte Produzent Thom Monahan (bei "Bright Examples") zur Seite. "Ich denke, Jeff und Pat haben ganz generell das Beste aus uns als Studiokünstler herausgekitzelt", umreißt der 45-jährige Johnny die Rolle der beiden Produzenten. "Ich finde zum Beispiel, dass unsere Stimmen noch nie besser geklungen haben. Außerdem sind die einzelnen Parts der Songs dieses Mal mit viel mehr Bedacht entstanden, nachdem die vorangegangenen Platten ja sehr schnell und praktisch live im Studio eingespielt worden waren." Sarah Lee, 35, schlägt in die gleiche Kerbe, wenn sie sagt: "Jeff hat einfach dafür gesorgt, dass unsere Talente an den richtigen Stellen zum Einsatz kommen. Zum Beispiel hat Johnny eine sehr flexible Pop-Stimme, mit der man viel machen kann. Auch meine Stimme hat dieses Pop-Element, ich kann aber gleichzeitig auch sehr sinnlich singen. Jeff war es wichtig, genau das einzufangen. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist 'Lowest Ebb', mit Johnnys rasantem Gesang zu Beginn. Ursprünglich sollte ich das singen, aber ich hab es einfach nicht hinbekommen. Also hat Jeff gefragt: 'Welchen Teil kannst du denn singen? Aha, den Refrain!' Er hat also dafür gesorgt, dass wir auch mal abwechselnd singen, anstatt immer nur miteinander zu harmonieren. Er wollte das herausarbeiten, was nur ich kann, aber Johnny nicht, und umgekehrt. Außerdem hat er uns gemeinsam mit Pat immens beim Songwriting unterstützt, indem er uns geholfen hat, die Songs, die wir ihm vorgestellt haben, zu verbessern - Jeff mehr textlich und Pat mehr musikalisch."

Zustande gekommen war die Kollaboration nach einer Tournee, die Sarah Lee und Johnny gemeinsam mit dem Wilco-Sideproject The Autumn Defense unternommen hatten. Eines Tages war Tweedy im Publikum und war so angetan, dass er die beiden zunächst zum von Wilco kuratierten Solid Sound Festival in Massachusetts einlud und sich später auch bereit erklärte, "Wassaic Way" zu produzieren. Dass er vor 15 Jahren bei der "Mermaid Avenue"-Platte bereits ausgiebigen Kontakt mit der Welt der Guthries hatte, spielte laut Sarah Lee keine große Rolle. "Die Verbindung Jeffs zur Guthrie-Familie durch die 'Mermaid Avenue' war nur das Sahnehäubchen", sagt sie bestimmt. "Der Kuchen an sich war aber die Tatsache, dass wir schon immer große Fans von Wilco gewesen sind."

Kein Wunder also, dass sich die zwei vollends in die Hände ihrer Produzenten begaben. Tweedy und Sansone wählten nicht nur die Songs aus, die "Wassaic Way" formen sollten - Sarah Lee und Johnny hatten ihnen ursprünglich weit mehr als die letztlich erschienenen 11 geschickt -, sie hatten auch bei der Ausgestaltung freie Hand. "Bei jeder unserer Platten sind wir ja gewissermaßen Mitglieder der Bands geworden, die uns geholfen haben, sie aufzunehmen", erklärt Johnny. "Bei der ersten waren das die Jayhawks und Son Volt, bei der zweiten waren es Vetiver. Das bedeutet bisweilen auch, dass du schon beim Songwriting darauf hinarbeitest, dass die Songs so gut sind, dass sich die Musiker später im Studio darin wiederfinden können und du mit ihnen verschmelzen kannst - und wenn die Band Wilco heißt, ist das schon ziemlich cool! Das hilft dir, noch mal eine Schippe draufzulegen."

Weil die Produzenten so frei in ihrer Wahl der Mittel waren, blieben auch ein paar Ideen von Sarah Lee und Johnny auf der Strecke. "Ich hätte gedacht, dass die Platte vielleicht etwas krachiger ausfallen würde", gesteht Johnny, "aber letztlich sind die Songs, die Jeff und Pat ausgewählt haben, perfekt umgesetzt worden. Es gab einen Song, bei dem ich in meinem Kopf schon genau das Nels Cline-typische, schräge Gitarrenzeug hören konnte - und das Stück hat es am Ende gar nicht in die Endauswahl geschafft! Das soll nicht heißen, dass ich mich beschwere, im Gegenteil. Am ersten Tag im Studio haben wir 'Wherever She Is Its Spring' aufgenommen und Jeff hat elektrische Gitarre gespielt. Damit ist mein größter Traum gleich zu Beginn in Erfüllung gegangen. Wir lieben es, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, die wir bewundern und die uns antreiben und damit weiterbringen."

Sarah Lee Guthrie & Johnny Irion
Veröffentlicht haben die zwei das neue Album erstmals komplett in Eigenregie. Stolz unterstreichen sie, dass sie davon schon jetzt, neun Monate nach der Veröffentlichung, annähernd so viele Exemplare verkauft haben wie von ihrem bisherigen Bestseller "Exploration", der unterstützt von kompetenten Labels wie New West und Blue Rose und noch dazu in einer Zeit erschienen ist, in der die Plattenverkäufe allgemein noch höher waren. Dass ohne viel Publicity die Sichtbarkeit ihrer neuesten Veröffentlichung gerade in Europa bislang nicht besonders hoch war, haben die zwei billigend in Kauf genommen. Dass allerdings der Gaesteliste.de-Vertreter von der noch bis Anfang Mai laufenden Deutschland-Gastspielreise, die im August mit weiteren Auftritten im deutschsprachigen Raum fortgesetzt werden soll, erst erfuhr, als die beiden ein Foto von ihrer Abreise am Flughafen bei Facebook posteten, war natürlich dennoch nicht vollends in ihrem Sinne. "Herzlich willkommen bei Route 8 Records!", witzelt Johnny. "Ich werde nach dem Interview unserer Promotion-Abteilung mal gehörig auf die Finger klopfen!" - "Oh je!", spielt Sarah Lee die Besorgte. "Das bedeutet wohl, dass ich Probleme kriege!" Ohne Manager, ohne Labelkontakt im Rücken stemmen die beiden die komplette Arbeit zu zweit, wissend, dass ein Plattenvertrag nicht vor schlechter Promotion schützt, sie unter dem Strich aber viel Geld kostet. "Wir müssten dann den Gewinn mit einem Label teilen, dabei sind wir die beiden, die hier draußen sind, hart arbeiten, herumfahren, spielen und nach den Konzerten die CDs für 15 Euro pro Stück verkaufen", erklärt Sarah Lee. "Dafür einem Label am Ende acht Euro pro Verkauf abzugeben, ergibt für mich einfach keinen Sinn. Letztlich haben wir einfach entschieden, dass wir nach Europa kommen und es wie immer machen: Unsere Fans durch unsere Shows gewinnen. Das scheint der einzig sichere Weg zu sein, denn die Musikindustrie hat nie besonders viel für uns getan, weil wir immer etwas unterhalb des Radars geflogen sind."

Dass es den beiden so leichtfällt, mit ihren umwerfenden Live-Konzerten die Menschen im Handumdrehen zu begeistern, liegt nicht nur an ihren ausgezeichneten Songs, sondern auch an ihrer so ungemein herzlichen, unverstellt positiven Art, mit der sie sich auf der Bühne präsentieren. "Genau das ist unser Ruin", meint Johnny, und Sarah Lee schüttet sich aus vor Lachen. "Wir sollten total abgebrüht sein, hundsgemein zu allen sein und andere Künstler wüst beschimpfen - dann kämen wir vielleicht auch mal auf ein Magazincover!" Die positive Grundeinstellung kommt natürlich nicht von ungefähr. "Alles, was wir tun, basiert auf Güte und Freundlichkeit", erklärt Sarah Lee. "Es gibt keine Faser in meinem Körper, die gemein zu jemandem sein könnte. Dieser Wesenszug fehlt mir komplett. Bei Johnny ist das ähnlich. Als ich ihn kennenlernte, kam eine Bekannte von ihm zu mir und sagte: 'Er ist der netteste Mensch, den du dir denken kannst. Du hast so ein Glück!' Das habe ich nie vergessen, denn es stimmt. Er ist ein unglaublich freundlicher Typ. Ich selbst bin in einem Aschram aufgewachsen und habe so schon früh gelernt, dass man nett zu wirklich allen Menschen sein soll." Johnny dagegen haben eher abschreckende Beispiele auf den rechten Weg geführt: "Ich habe viel dadurch gelernt, dass mich Musiker umgeben haben, die das komplette Gegenteil von dem waren, was Sarah Lee gerade beschrieben hat. Sie glaubten, die ganze Welt habe sich gegen sie verschworen, oder haben sich als Primadonnen aufgespielt. Nichts gegen Ryan Adams, inzwischen scheint es ja ganz gut für ihn zu laufen, aber es gab definitiv Phasen, in denen niemand mit ihm im gleichen Raum sein wollte. Wenn du dann mal einen Nachmittag mit Pete Seeger verbringst, Ramblin' Jack siehst, wie er im hohen Alter noch in seinen Wagen steigt und zu Konzerten fährt, oder du mitbekommst, wie Sarah Lees Vater die Dinge angeht, dann weißt du, welches die richtigen Vorbilder sind, denn mein Ziel ist es, auch mit 70 noch auf der Bühne zu stehen."

Doch auch wenn die langfristigen Pläne des Duos bereits stehen: Kurzfristig befinden sich die zwei derzeit in einer ungewissen Zeit des Übergangs. "Wir haben schon so viel gemacht: Neben unseren Studioalben haben wir Live-Platten herausgebracht, Veröffentlichungen mit der ganzen Familie, wir haben mit meinem Vater gespielt und waren bei Woodys Hundertjahrfeier dabei. In gewisser Weise haben wir praktisch alles gemacht, was uns je vorgeschwebt hatte, deshalb ist es jetzt an der Zeit für uns, darüber nachzudenken, wie es für uns weitergeht, ohne dass wir dabei durchdrehen, denn natürlich ist es für uns schon ein ständiger Kampf", erklärt Sarah Lee. "Dennoch ist es unglaublich, dass wir nach all den Jahren immer noch dabei sind, wenn man das Level bedenkt, auf dem wir uns bewegen. Manchmal kann das schon ziemlich entmutigend sein, aber oft ist es auch wunderschön, weil wir sehr intime Konzerte spielen können und der Austausch, der dabei mit dem Publikum stattfindet, sehr herzlich ist. Deshalb sind wir auf der einen Seite sehr dankbar dafür, dass wir weiterhin in vielen kleinen Städten spielen können, in denen uns so viel Wärme entgegengebracht wird, auf der anderen Seite fragen wir uns natürlich auch manchmal: Sind wir wirklich sechs Stunden für die paar Mäuse gefahren?" - "Das Ganze ist harte Arbeit und wir denken gerade darüber nach, was wir besser machen könnten", verdeutlicht Johnny. Schließlich sind die zwei nicht nur Musiker, sondern auch Eltern von zwei kleinen Töchtern, die inzwischen alt genug sind, nicht mehr zwangsläufig mit Mama und Papa durch die Weltgeschichte reisen zu müssen. "Vor einigen Jahren hieß es noch: 'Kommt Kinder, wir gehen auf Tour und ihr müsst mit!'", erinnert sich Sarah Lee. "Das war natürlich auch etwas ganz Tolles, aber Olivia, unsere älteste Tochter, ist jetzt in einem Alter, in dem es in der Schule etwas anspruchsvoller wird, und außerdem möchte sie bei Theateraufführungen mitwirken und Sport machen. Dafür muss sie einfach vor Ort sein. Eine unserer Fragen ist deshalb, wie wir es schaffen, unsere Karriere weiterzuführen, aber gleichzeitig auch noch ein intaktes Familienleben zu haben. Wird es uns gelingen, weniger unterwegs zu sein und trotzdem genug Geld zu verdienen? Ich bin mir da noch nicht sicher. Gleichzeitig haben wir unser Hauptquartier für eine Weile von Massachusetts nach Kalifornien verlegt, weil wir sehen wollen, was sich dort für Möglichkeiten für uns ergeben. Schließlich werden dort viele Filme gemacht, und dafür Musik zu schreiben würde uns auch sehr reizen."

Dass die beiden eine Lösung finden werden, scheint außer Frage zu stehen. Dafür ist ihnen ihr Tun einfach viel zu wichtig. "Es gibt eine Menge verschiedener Gründe für Musik. Wir sind davon überzeugt, dass Musik etwas bewirken kann", fasst Sarah Lee das ungeschriebene Manifest des Duos zusammen. "Sie kann Menschen verändern, sie kann heilen und uns zusammenbringen. Das ist das, was wir von Woody oder Pete Seeger lernen können: Songs können wirklich etwas verändern. Viele Leute machen Musik, wenn es ihnen schlecht geht, andere, um die Menschen zum Tanzen zu bringen. Unsere Musik dagegen soll die Herzen der Menschen mit Positivität erfüllen. Das ist noch nicht einmal ein erklärtes Ziel - das ist einfach das, was wir sind!"

Weitere Infos:
www.sarahleeandjohnny.com
www.facebook.com/SarahLeeandJohnny
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Sarah Lee Guthrie & Johnny Irion
Aktueller Tonträger:
Wassaic Way
(Rte 8 Records/Cargo)
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