Wahrheit, auch wenn's wehtut
|
Es ist noch gar nicht so lange her, da veröffentlichte Tom Liwa Glanztaten praktisch im Jahrestakt. Seine Soloalben "Komm Jupiter", "Eine Liebe ausschließlich" und "Goldrausch" erschienen in schneller Folge und waren vom inneren Drang des Duisburger Ausnahme-Singer/Songwriters gekennzeichnet, die Irrungen und Wirrungen seines Privatlebens durch Musik zu verarbeiten. Am Ende dieses Prozesses erschien 2012 dann "Ich liebe Menschen wir ihr" seiner Band Flowerpornoes, doch obwohl das Quartett auf dem Album gefestigt und gut wie schon lange nicht mehr klang, zog Liwa danach die Reißleine. Uneins mit den Praktiken des modernen Musikbusiness, dachte er ernsthaft darüber nach, überhaupt keine Platten mehr zu machen. Inzwischen hat er es sich glücklicherweise anders überlegt und gemeinsam mit den Flowerpornoes vor wenigen Wochen das ausgezeichnete Album "Umsonst & draußen" bei Grand Hotel Van Cleef veröffentlicht, das einmal mehr vollgestopft ist mit den feinsinnigen Beobachtungen, für die der "beste Singer/Songwriter Deutschlands" (Rolling Stone) nun schon seit drei Jahrzehnten bekannt ist.
|
Nachdem seine letzte Platte erschienen war, hatte Liwa die Nase voll. Es mögen vor allem die geschäftlichen Aspekte gewesen sein, die ihm besonders gegen den Strich gingen, aber für eine Weile schrieb er auch keine neuen Lieder mehr. "Ich hatte das Gefühl, dass es keinen Sinn macht, mich zu äußern, denn ich wollte ja raus - und man kann nicht raus, wenn man mitten im Spiel ist", sinniert er bei unserem Treffen vor seinem Konzert in der Düsseldorfer Buchhandlung BiBaBuZe wenige Tage vor Weihnachten. "Das ist wie bei einer Schachfigur: Auch wenn du ihr ein kleines rotes Hütchen aufsetzt, ist sie immer noch ein Läufer." Dass er nun doch wieder mit einer neuen Platte im Gepäck kreuz und quer durchs Land reist, verdanken wir nicht zuletzt Birgit Quentmeier, Markus Steinebach und Giuseppe Mautone - den Flowerpornoes. "Bei meiner Entscheidung, wieder Platten zu machen, hat die Band eine große Rolle gespielt", verrät der 54-Jährige. "Wenn man mit anderen Menschen zusammenarbeitet und zusammenlebt, ist das ja immer auch ein Ding von Verantwortung, und diese Verantwortung ist etwas sehr Schönes, wenn man das, was man tut, aus Liebe macht. Das ist etwas, das mir erst total spät klar geworden ist: dass ich auch für die was kaputtmachen würde, wenn ich sagen würde, die Band gibt es jetzt einfach nicht mehr."
Natürlich haben die Flowerpornoes schon vorher lange Auszeiten eingelegt - zwischen ihrem Meisterwerk "Ich & ich" und dem etwas unausgegorenen Comeback-Werk "Wie oft musst du gegen eine Wand laufen, bis der Himmel sich auftut" lagen immerhin zwölf Jahre -, aber der Kontakt zwischen den alten Freunden und Weggefährten war nie abgerissen. "Lange Zeit war es der Name, der die Band zusammengehalten hat", gesteht Liwa. "Rückblickend kann ich heute sagen, dass es Birgit, Markus und ich sind, die die Band ausmachen, da wir im Grunde seit 1977/78 irgendwie zusammen Musik machen, auch wenn es damals noch gar nicht Flowerpornoes hieß. Mittlerweile hab ich schon das Gefühl, dass wir uns lieben und wahrscheinlich auch zusammen Musik machen werden, bis wir uns einer nach dem anderen von diesem Planeten verabschieden. Das ist ein schönes Gefühl." Im gleichen Atemzug ist er auch voll des Lobes für Schlagzeuger Mautone, der die drei Veteranen seit einigen Jahren unterstützt: "Er ergänzt uns auf die Art, wie wir uns das immer schon gewünscht haben, da wir jetzt die Musik machen können, die wir schon immer machen wollten."
|
Vermutlich auch deshalb ist "Umsonst & draußen" das umfassendste Album geworden, das Liwa in seiner langen Karriere aufgenommen hat und das von stillen Momenten bis zu wuchtigem Gitarrenkrach alles einschließt. Es ist Album, auf dem solistische Momente nur mit Banjo und Gitarre an Liwas Alleingänge erinnern, die Band ihrem Vordenker mit oft bemerkenswerter Leichtigkeit zu seinen Singer/Songwriter-Wurzeln folgt, aber auch freigeistig über den Tellerrand schaut und nicht nur bei gleich drei Versionen des Songs "Kuya" beweist, wie wandlungsfähig sie ist. Gleichzeitig gibt es auch textlich eine etwas andere Perspektive als auf den vorangegangenen Platten. Waren Liwa seine letzten Solo-Veröffentlichungen "eher so rausgerutscht", wie er selbst zugibt, hat die neue Platte einen ganz anderen roten Faden. Sicher, mit Liedern wie "Ophelia", das laut Liwa von den Kollateralschäden seiner ersten Ehe handelt, gibt es hier persönliche Stücke, das wiederkehrende Thema ist aber die Auseinandersetzung, nein, die Abrechnung mit seinen alten musikalischen Idolen. In "Jahre des Verrats" geht es Bob Dylan an den Kragen, mit "Falsch bei Neil Young" nimmt Liwa mit viel Humor die Diskrepanz zwischen den Aussagen und dem Tun des alten kanadischen Haudegens aufs Korn, und bei "Wir sind die Beatles" wird die Legende von John, Paul, George und Ringo demontiert.
Die Auswahl der Protagonisten dieser Lieder beschreibt Liwa als sowohl strategisch wie emotional. "Ich hab einfach geguckt, wer mir wann am meisten bedeutet hat, denn da, wo es wehtut, ist immer die meiste Wahrheit", erklärt er. "Mit Bob Dylan zum Beispiel habe ich mich jahrelang beschäftigt. Er hat - für einen Künstler - eine sehr große Rolle in meinem Leben gespielt. Dass mein Vater in meinem Leben eine große Rolle hatte und meine Kinder, ist nicht verwunderlich, aber wenn jemand, den ich fünf, sechs Mal auf irgendeiner Bühne gesehen habe und der Platten macht, eine so große Rolle in meinem Leben spielt wie er, dann kann man sich schon mal fragen, warum das so ist. Die strategische Sicht ist: Wenn ich den Leuten, die mir tatsächlich zuhören, etwas Negatives über das Popgeschäft sagen möchte, dann kann ich keine Songs über Miley Cyrus schreiben, denn dafür bekäme ich nur Schulterklopfen. Es ging mir eher darum, den Leuten, die Neil Young und mich super finden, klarzumachen, wo zwischen mir und Neil Young eine Grenze verläuft, dass es da Dinge gibt, bei denen ich nicht mitgehe, oder einfach nur, dass mir etwas verdächtig ist. Das sind ja vielmehr die Themen. Viel präziser kann man ja über Menschen, mit denen man persönlich keinen Kontakt hat, gar nicht reden."
Liwa geht es also nicht darum, den Musikern persönlich an den Karren zu fahren. Viel mehr als die Personen selbst thematisiert er das öffentliche Bild eines Bob Dylan, eines Neil Young oder der Beatles. "Bei den real existierenden Personen gibt es ja auch einen Rahmen der Würde, über den ich zumindest nachdenken muss, wenn ich mich zu jemandem äußere. In diesem Zusammenhang komme ich dann immer an den Punkt, an dem ich denke: Das, was mir an denen nicht gefällt, ist vermutlich ein Produkt ihrer Geschichte, irgendwelcher Muster, die sie abgearbeitet haben oder auch nicht. Vermutlich bekommt es keinem gut, in einer breiten Öffentlichkeit als eine unglaublich bedeutende Person wahrgenommen zu werden, weil das natürlich Einfluss auf deine Persönlichkeit hat. Selbst ich merke das ja, wenn ich zehn Tage mit der Band unterwegs bin und jeden Abend Applaus kriege und dann zu meiner Freundin nach Hause komme und dort keinen Beifall kriege. Das ist einfach ein Unterschied. Da knallt man schon auf den Boden. Was es mit einem macht, von der Presse jahrzehntelang für den Messias gehalten zu werden, kann ich überhaupt nicht ermessen. Also kann ich eher etwas über das System sagen, Menschen überhaupt so eine Rolle zuzuschreiben, als über die Personen selbst. Ich kann sagen, dass es ein sehr komisches System ist, weil es aus Menschen noch seltsamere Menschen macht, als sie eh schon sind. Das gilt für das Publikum genauso. Allein die Tatsache, dass die Leute herumlaufen und irgendjemand anders für sie wahnsinnig groß ist - das macht die anderen natürlich auch sehr klein." Trotzdem ist es Liwa mit Dylan ja auch selbst passiert. "Man kann aber natürlich überlegen, ob eine Welt denkbar wäre, in der so etwas nicht passiert und was dann anders wäre", sagt er. "Nicht, um hinzugehen und die Welt dahingehend zu ändern, dass so etwas nicht mehr passiert - das wäre für die 30 Jahre, die ich noch hab, ein zu heftiges und zu großes Programm - , sondern eher im Sinne von Science-Fiction: aufzeigen, was noch denkbar wäre, um dadurch dann einen anderen Blick auf die eigene Beziehung zu diesem Ding zu kriegen."
Wann hat Bob Dylan Liwa denn als "einen der freiwillig Verwirrten", wie es in "Jahre des Verrats" heißt, verloren? "Das war, als er immer granteliger wurde und ich das Gefühl hatte, dass textlich von ihm nur noch Negativität kommt", erinnert sich der Ruhrpott-Troubadour. "Dadurch habe ich dann auch einen anderen Blick auf seine alten Sachen gekriegt. Es sind ja nur sehr wenige Geschichten und Anekdoten von Dylan bekannt, die von Herzensgüte geprägt sind, was für mich bei real existierenden Personen echt ein Kriterium ist. Jemand, der andere gegeneinander ausspielt und je nach Tageslaune mit der Pferdepeitsche herumläuft und jahrelang nachweislich kein besonders treuer Ehemann war und dann, wenn die Frau abhaut, den Spieß umdreht und eine unglaublich leidende 'Blood On The Tracks'-Platte macht - wenn ich mir das im Freundeskreis ansehen müsste, würde ich hingehen und der Person den Kopf waschen."
|
Trotzdem darf man sich zumindest einbilden, dass Dylans Einfluss auf Liwa bis heute nachwirkt. Wenn Dylan der Erste war, der vor 50 Jahren auf "Blonde On Blonde" eine komplette Seite eines Doppelalbums mit einem einzigen Lied füllte und dies "Sad-Eyed Lady Of The Lowlands" nannte, und Liwa es ihm nun gleichtut und sein Stück "Hochmoor" betitelt, dann mag man nicht an Zufall glauben. War es aber, beteuert der Autor: "Das ist kein Zitat, sondern einfach das Hochmoor in Traunstein, wo ich, als ich keinen festen Wohnsitz hatte, eine Zeit lang bei Freunden in einem Bauwagen gelebt habe. Dieses Moor habe ich einfach total geliebt. Das ist eine Welt ganz für sich, da ist keine Zivilisation mehr und man muss kleine Steinchen an den Wegesrand legen, damit man wieder den Weg raus findet. Anders als in dem Asterix-Heft, gibt es da aber keinen Zenturio, der alle Steinchen einsammelt, sondern man findet auch wirklich wieder raus. Das ist 'Hochmoor'. Aber natürlich hat es mir total gefallen, damit eine ganze Plattenseite zu füllen, mit all den Improvisationen, die wir live auch immer sehr gerne machen. Das ist ja auch so eine kleine Obsession von mir, dass ich uns immer mehr als eine legendäre Psychedelic-Band gesehen habe als als Singer/Songwriter-Band."
Dass er damit womöglich gar nicht so falsch liegt, beweisen auch die Reaktionen auf die jüngsten Konzerte. Derzeit scheint es nämlich völlig egal zu sein, ob die Flowerpornoes ihre neuen Hits spielen oder ihre alten. "Ja, ich hatte schon das Gefühl, dass es für den Großteil des Publikums wichtiger war, den Style der Band zu hören als bestimmte Songs", freut sich Liwa. "Ich habe es bei den letzten Konzerten viel weniger als früher erlebt, dass die Leute nach Songs gerufen haben - und das fand ich eigentlich ganz angenehm."
|
Weitere Infos:
www.tomliwa.de
www.facebook.com/TomLiwaMusik
|
Interview: -Carsten Wohlfeld- Fotos: -Pressefreigabe-
|
Aktueller Tonträger: Umsonst & draußen (Grand Hotel van Cleef/Indigo)
|
|
|
|