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RYLEY WALKER
 
Hauptsache mit Leidenschaft
Ryley Walker
Wie macht der Typ das bloß? Erst letztes Jahr veröffentlichte Ryley Walker seine allenthalben in den höchsten Tönen gelobte LP "Primrose Hill", und jetzt legt der 27-jährige amerikanische Gitarrenvirtuose mit "Golden Sings That Have Been Sung" ein Album nach, das hörbar ambitionierter, aber mindestens genauso umwerfend ist und in der britischen Presse schon vor Veröffentlichung (aber völlig zu Recht) als einer der musikalischen Meilensteine des Jahres gehandelt wird. Kein Zweifel, in kürzester Zeit hat Ryley es vom unbekümmerten, Couch-surfenden, Finger-pickenden Geheimtipp des psychedelisch umspülten Folk-Rock auf den Spuren von John Martyn, Bert Jansch und Tim Buckley zu einem heimlichen Superstar jenseits aller Genres geschafft, der nach wie vor offen zu seinen Einflüssen steht, inzwischen aber keinen Vergleich mehr zu scheuen braucht.
"Die neue Platte ist ehrlicher und echter, und ich denke, ich habe nun gewissermaßen meine eigene Stimme gefunden", erklärt Ryley, als er uns Ende Juni in Berlin Rede und Antwort steht. "Ich schreibe meine Songs inzwischen viel mehr aus meiner eigenen Perspektive, deshalb ist die neue Platte viel selbstbewusster." Sie klingt nicht nur reifer, sondern oft auch noch offener und freigeistiger als die vorherigen, ohne dass die Songs deshalb ziellos umherdriften würden. Im Gegenteil: Nie klang Walker leidenschaftlicher und fokussierter. Gelernt hat er sein Handwerk in der Experimental-Szene seiner Heimatstadt Chicago, wo er schon als Teenager mit lokalen Legenden wie Dan Bitney von Tortoise jammte, wenngleich er auch schon damals ein Interesse für den filigranen Folk hegte. "Angefangen habe ich damit, Gitarre im Stile John Faheys zu spielen, aber erst nach der Ermunterung durch all meine Freunde aus der Experimental-Noise-Szene, habe ich mich mehr in diese Richtung bewegt. Ohne sie hätte ich das alles nicht machen können."

Nachdem Walkers 2013er-Debüt "All Kinds Of You" und "Primrose Hill" eher Verbeugungen vor seinen Helden des Folk-Jazz der 70er-Jahre waren, ist "Golden Sings That Have Been Sung" nun in gewisser Weise die erste wirkliche Ryley Walker-Platte. Eine Beschreibung, die den sympathischen Strubbelkopf sichtlich freut, hat er doch dieses Mal deutlich mehr investiert. "Für "Primrose Hill" haben wir nicht viel Zeit gebraucht", erinnert er sich. "Viel länger als ein paar Tage hat es nicht gedauert. Dieses Mal haben wir uns zwei Wochen lang mit den Aufnahmen beschäftigt. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, uns richtig zu entspannen und auch mal durchzuschnaufen. Dadurch konnten wir uns viel mehr auf die kleinen Details stürzen." Zur Seite stand ihm dabei sein Wunschproduzent, Wilco-Multiinstrumentalist LeRoy Bach, doch auch die Musiker trugen ihren Teil dazu bei, dass "Golden Sings That Have Been Sung" nun viel mehr komponiert denn nur gejammt ist, wenngleich auch die neue Platte die Art willkommener Freigeistigkeit umgibt, die auch Künstler wie Mark Eitzel oder Mark Kozelek seit Jahren aus der grauen Masse ähnlich Inspirierter herausstechen lässt. "Die vielen Auftritte der letzten Monate haben uns zu besseren Musikern gemacht und wir haben untereinander nun eine viel engere Beziehung", ist Ryley überzeugt. "Zudem sind wir mit uns selbst viel mehr im Reinen. Die gewonnene Erfahrung, das regelmäßige Proben und das ständige Unterwegssein haben sich ohne Zweifel auf die neuen Songs niedergeschlagen."

Bislang stand für Walker stets die Musik im Vordergrund, die Texte waren derweil oft nicht mehr als ein unbedeutendes Anhängsel. Das änderte sich, als er Ende letzten Jahres von seiner Mammuttournee in seine alte Heimatstadt zurückkehrte und sich an das Schreiben neuer Songs machte. "Ein großes Ziel war für mich, dass die Texte auf der neuen Platte eine größere Rolle spielen, und ich bin sehr glücklich mit dem, was dabei herausgekommen ist", gesteht er. Erstmals schrieb er Texte abseits der Musik, anstatt beides zu verbinden. "Das hat mir die Möglichkeit gegeben, einen separaten Fokus auf die Worte zulegen", erklärt er. Der Grund für die neue Herangehensweise ist denkbar simpel. "Ich war auf den vorherigen Platten einfach nie zufrieden mit den Texten. Ich wollte, dass sie dieses Mal nicht nur eine Hommage sind, sondern viel persönlicher. Man sollte sich wirklich darin wiederfinden können. An diese Art ungemeine Ehrlichkeit hatte ich mich zuvor noch nie herangetraut."

Nachdem er zuvor immer betont hatte, wie schwer ihm das Texten fällt, war er dieses Mal richtig überrascht, wie leicht die Worte aufs Papier flossen. "Ich denke, ich hatte einfach eine Glückssträhne", sagt er bescheiden. "Sobald ich in der richtigen Stimmung war, fiel es mir sehr leicht, einfach ehrlich zu sein und die Texte zu schreiben." Dass er diese Texte in den kommenden Wochen und Monaten nun auch allabendlich vor Publikum singen muss, war ihm während des Schreibens durchaus bewusst. "Natürlich kann es sich bisweilen etwas seltsam anfühlen, sich einem Haufen Fremden auf diese Weise zu offenbaren, aber wenn ich damit bei den Zuhörern ähnliche Gefühle auslösen kann wie bei mir selbst, dann habe ich meinen Job gut gemacht", glaubt er. "Das ist viel besser, als einfach nur irgendwelchen Blödsinn runterzurasseln."

200 Konzerte hat Walker nach der Veröffentlichung von "Primrose Hill" solo und mit seiner Band absolviert und so seinen Ruf manifestiert als einer der letzten wahren Barden alter Schule, der keine eigene Wohnung hat und unterwegs daheim ist. Folglich kann er es kaum erwarten, mit der neuen Platte im Gepäck endlich wieder auf Welttournee zu gehen. Im November und Dezember kommt er auch wieder zurück nach Deutschland. "Ich habe viele Ängste und immer mal wieder Anflüge von Depressionen, aber rund um den Globus reisen zu können, macht mich sehr glücklich", verrät er. "Ich bin einfach verrückt nach dem Troubadour-Lifestyle! Für andere Leute ist das Stress, mich dagegen treibt es an. Das Herumreisen, jeden Abend tolle Leute treffen und ein gutes Sandwich, das macht mich froh!" Auch wenn er zugibt, dass die Konzerte in Südamerika diesen Sommer eine große Sache für ihn waren, und er sich wünscht, eines Tages in Japan auf Tournee gehen zu können - wo er auftritt, ist für ihn letztlich zweitrangig. Wichtig ist ihm vor allem die Interaktion mit den Menschen. "Ich habe in großen Theatern genauso gespielt wie in ranzigen Kellern, wo die Heroinnadeln noch herumlagen", erinnert er sich. "Solange die Leute nett sind, spielt das alles keine Rolle. Die Anlage kann scheiße klingen, das Essen und das Bier können fürchterlich sein, aber wenn die Menschen, die den Laden führen, mit Leidenschaft bei der Sache sind, ist alles gut. Diese Leidenschaft will ich dann auch sofort zurückgeben, das Ganze ist schließlich ein Nehmen und Geben!"

Apropos Reisen: Wenn wir Ryley in eine Zeitmaschine setzen würden - welcher (musikalischen) Ära würde er dann einen Besuch abstatten? "Oh Mann, das ist aber eine schwierige Frage!", antwortet er. "Ich denke, ich wäre gerne zu der Zeit in Köln oder Berlin gewesen, als Bands wie Can oder Cluster ihre ersten Auftritte hatten, und ich hätte auch total gerne Neu! zu ihren besten Zeiten live gesehen. Genauso gerne wäre ich aber auch in New York gewesen, als Charles Mingus oder John Coltrane dort unterwegs waren. Die dortige Jazz-Szene der frühen 60er muss unglaublich gewesen sein!"

Weitere Infos:
ryleywalker.com
www.facebook.com/ryleywalkerjams
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Tom Sheehan-
Ryley Walker
Aktueller Tonträger:
Golden Sings That Have Been Sung
(Dead Oceans/Cargo)
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