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LESLIE CLIO
 
Lila Blues
Leslie Clio
Vermutlich war sogar Leslie Clio selbst überrascht, dass ihr gleich mit ihrem Debüt-Album, dem englischsprachig eingespielten "Gladys" 2013 ein Mega-Erfolg beschieden war, der sie außer auf die größten Bühnen der Republik auch in die Charts und nicht zuletzt in die Soundtracks diverser Film- und Fernsehproduktionen führte (oder umgekehrt). Denn es ist ja heutzutage fast schon die Ausnahme, dass Künstler aus unserem Land - wie nun mal die jetzt in Berlin lebende und arbeitende Hamburgerin Leslie Clio - sich noch an englischsprachige Popmusik wagen.
Leslie blieb sich da aber treu: 2015 folgte das zweite Album "Eureka" auf dem Fuß, das durchaus konsequent an "Gladys" anschloss, aber durch eine größere Dur-Freudigkeit auffiel. Scheinbar wurde das aber dann alles ein wenig zu viel für Leslie, denn es folgte zumindest eine konsequente Auszeit (um den Begriff "Burn Out" hier mal außen vorzulassen). Leslie verabschiedete sich nämlich von dem ganzen Trubel (und einem Großteil ihres Besitzes) und zog erst mal nach Hawaii, um dort vor allen Dingen wieder zu sich selbst zu finden. Schließlich fand sie aber nicht nur sich selbst, sondern auch wieder Inspirationen für neue Songs, die nun in Form des dritten Albums "Purple" vorliegen. Dieses klingt im Vergleich dann auch deutlich anders als die beiden Vorgängerwerke. Nicht nur, dass hier musikalisch ein neues Konzept im Vordergrund steht - es geht inhaltlich auch regelrecht düster zu - was vielleicht angesichts dessen, dass das Material auf Hawaii entstand zumindest mal erklärungsbedürftig ist. "Na weil es sich bei den Palmen und dem Hula Hula und der Ukulele um Klischees handelt, die man findet, wenn man abends nach Waikiki geht und die Tourismus-Szene mitmacht", erklärt Leslie, "aber Hawaii ist auch mehr als das. Ich meine: Berlin ist ja auch nicht nur Berghain. Es geht um Menschen und jeder Mensch hat ein Spektrum an Gefühlen, und jedes Gefühl kann auch an jedem Ort gefühlt werden. So würde ich das jetzt sagen - ich bin jedenfalls definitiv nicht happy happy hula hula durch Hawaii gerannt, sondern ich habe - ganz im Gegenteil - in einem Tal gewohnt, wo die Sonne schon um sieben Uhr unter ging und wo es dann auch dunkel wurde. Da kann man dann also auch der Trauer und den dunkleren Gefühlen Spielraum geben." War es denn geplant, die neue Scheibe düsterer anzulegen? "Nö - ich habe die Scheibe nicht gemacht, weil ich etwas bestimmtes ausdrücken wollte", überlegt Leslie, "als ich nach Hawaii ging, habe ich sogar kurzfristig erwogen, gar keine Musik mehr zu machen. Es war vielmehr so, dass ich, als ich schließlich genug Songs zusammen hatte, angefangen habe, diese zu produzieren. Die Idee war aber nicht, das ganze dunkler zu gestalten, sondern die Songs an sich waren da schon dunkler - was aber nicht geplant war." Was war denn stattdessen der Plan? "Die Grundidee meinst du?", fragt Leslie nach, "ich wollte mehr collagieren. In erster Linie habe ich das Album nur für mich gemacht. Es sind wenige andere Musiker beteiligt. In erster Linie habe ich das ganze für mich auf Hawaii und in Berlin zusammengebastelt." Gab es dafür Referenzen? "Ja, die Frank Ocean-Platte und die von Rihanna feiere ich deswegen, weil die sehr collagiert arbeiten - mit Breaks und Rhythmuswechseln und so. Das Kommerzielle und die Radiotauglichkeit und die Regeln, nach denen etwas zu funktionieren hat und dass man mitsingen können muss, treten dabei in den Hintergrund. Das hat mich bei meiner Platte auch überhaupt nicht interessiert. Das war so, dass ich mir überlegt hatte, eine Platte so zu machen, wie ich sie machen wollte. Dazu gehören auch die kleinen Samples, die ich mit eingebaut habe. Man hört so einfach viel mehr - es ist wie ein Spielplatz."
Das Witzige dabei ist, dass die Sache so rüberkommt, wie eine typische E-Pop-Scheibe - nur dass dieser Effekt oft mit organischen Mitteln erreicht wird. "Ja, ich wollte ja auch vor allem eine sehr organische Platte machen", erläutert Leslie, "es sollte so wenig wie möglich aus dem Computer kommen und ich habe auch so wenig wie möglich mit einem Computer gearbeitet. Wir haben in der Produktion ziemlich viele Boutique-Instrumente rumstehen gehabt - wie zum Beispiel ein echtes Mellotron. Das klingt dann immer noch irgendwie elektronisch, aber es ist dann doch sehr organisch." Was will uns denn der Titel des Albums - "Purple" - sagen? "Purpur steht ja für sehr viel", führt Leslie aus, "ich bin auf den Titel gekommen, weil ich einen Bericht über die Geschichte der Farben gelesen habe. Der war auf englisch und dann ging es irgendwann auch um die Farbe 'Purple'. Diese Farbe steht zum Beispiel für Royalty und es war super schwer da ranzukommen und deswegen war das auch eine seltene und teure Farbe. Da habe ich dann weiter zum Thema 'purple' gegoogelt. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist zum Beispiel 'The Color Purple' mit Whoopi Goldberg. Da geht es ja auch darum, wie die Farbe Lila eingesetzt wird und die Bedeutung der Farbe. Und da dachte ich mir - hm - das geht ja alles um Freiheit und Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Das ist ja auch irgendwie eine Mischung zwischen kühlem, klaren Blau und feurigem Rot - was irgendwie so ist, wie ich auch bin. Und dann gibt es da ja auch noch Prince mit 'Purple Rain'. Es hat also alles irgendwie gepasst. Manchmal ist es ja auch so, dass Sachen sofort klar sind - wie zum Beispiel, wenn man jemanden trifft und sich sagt: Das ist auf jeden Fall meine große Liebe. Und so war es dann auch klar, dass 'Purple' auf jeden Fall auch der Titel der Scheibe sein musste."

Inhaltlich gehen viele der neuen Songs fast als Blues-Songs durch - nicht musikalisch, aber vom Thema und vom Feeling her. War das als roter Faden so angelegt? "Im besten Fall spielen sich ja bei jeder Scheibe die Sachen auf einer bestimmten Zeitschiene ab", überlegt Leslie, "und spiegeln so die Phase eines Künstlers wider. Bei den neuen Songs gibt es jetzt nichts, was vor Hawaii war. Alles, was mir eingefallen ist, hat sich dort abgespielt und da sind dann natürlich auch ein, zwei Geschichten, an denen sich alles reibt. Und das war dann der rote Faden - es sind alles Sachen, die mit passiert sind. Und ja, tatsächlich haben einige der neuen Songs ein Blues-Thema." Gilt das dann auch für den Song "Darkness Is The Filler"? "Ja, denn zu diesem Zeitpunkt war ich einfach ausgebrannt und einfach nur leer. Ich bin abends mit dem Kopfhörer stundenlang durch diesen Dschungel gelaufen und habe mir da schon gedacht, dass ich mich einfach auf dieses Gefühl der Dunkelheit eingelassen hatte und dann gemerkt habe, dass mich das dann irgendwie auffüllte. Das war dann auch der erste Song, den ich geschrieben habe." Das heißt dann also, dass die Songs autobiographisch angelegt sind? "Ja, total - sogar was die Reihenfolge betrifft", verrät Leslie, "'Lies Are Gold', als Einleitung sagt zum Beispiel aus, wo ich jetzt stehe. Das geht in Richtung Selbstbestimmung oder sexueller Revolution oder seine Frau stehen - das hat immer etwas Königliches, Erhabenes wie ich finde. Und dann fängt die Platte eigentlich erst an mit 'And I'm Leaving', wo dann erzählt wird, dass ich hier nichts mehr zu finden habe und ich dann nach Hawaii gehe - so in Richtung 'verbrannte Erde' und 'ich hau' jetzt ab'." Wie sieht es denn momentan mit der verbrannten Erde aus - ist diese wieder halbwegs fruchtbar? "Ähem", zögert Leslie, "ich bin jetzt nicht mehr da, wo ich vor zwei Jahren war. Es ist jetzt ein Kapitel abgeschlossen. Die Erde von damals interessiert mich gar nicht mehr. Ich bin halt einfach weiter gegangen. Mittlerweile lebe ich wieder in Berlin - aber ich habe jetzt definitiv ein anderes Leben als vor zwei Jahren."

War die Musik bei diesem Prozess Hilfsmittel oder notwendig? "Immer notwendig", antwortet Leslie wie aus der Pistole geschossen. Nachdem die Sache dann klar war, konnte sich Leslie dann ja auch mit frohem Mut der neuen musikalischen Umsetzung widmen. Wie funktioniert denn das angesprochene Patchwork-Verfahren? "Das bedeutet, dass die Songs nicht mehr im Studio eingespielt wurden, sondern dass ich die Stücke aus verschiedenen Elementen selbst zusammengesetzt habe. Dabei pflückt man dann die verschiedenen Demos zuweilen ganz schön auseinander. Man schaut sich dann die verschiedenen Templates und Elemente an und schaut, was am Besten zusammen passt. Da findet man dann zum Beispiel eine bestimmte Gesangslinie, die aber noch nicht ausformuliert ist und findet dann einen Platz dafür in der Produktion, bei der dann noch dieses und jenes hinzukommt und man dann so richtig auf die Pauke hauen kann. Oder man sagt, dass man sowieso schon so viele Instrumentalteile in den Songs hat, dass man dann eine eigentlich einplante Partie radikal wegkürzt. Ich finde dieses Vorgehen sehr spannend." Was fasziniert Leslie Clio denn selbst musikalisch? "Das shiftet auch gerade so ein bisschen", überlegt sie, "früher, als ich als Sängerin angefangen habe, haben mich immer an Texten und Stimme interessiert - mein Leben lang. Stimmen wie Aretha Franklin und Sam Cooke waren für mich immer als Stimmen interessant, da ich als 12-jähriges Mädchen natürlich noch nicht darauf geachtet habe, was da der Bass macht oder was die Produktion aussagt. Ich habe nämlich keine musikalische Familie gehabt - und so war immer die Stimme ausschlaggebend. Danach, als ich angefangen habe Songs zu schreiben, habe ich auch mal so auf die Struktur und die Form geachtet. Da ich in den letzten zwei Jahren aber auch sehr in Richtung Produktion gegangen bin und auch sehr viel selbst produziere, achte ich heutzutage natürlich auch darauf, welche Instrumente zum Einsatz kommen. Das ist einfach mein Weg. Ich bin aber eine Pop-Sängerin und -Songwriterin - deswegen achte ich, wenn ich im Radio irgend etwasrichtig geil finde, zuallererst immer noch auf die Stimme und auf eine zugängliche Melodie - und erst dann auf die produktionstechnischen Details."

Auf der Scheibe gibt es abschließend ein Duett mit dem Senkrechtstarter Drangsal. Wie kam es denn dazu? "Ich hatte diesen Song 'Bad Habit' geschrieben, den ich als Duett visualisiert hatte", erklärt Leslie, "mein Management steht mit Max ganz gut in Kontakt und da haben wir uns dann irgendwann getroffen und dann festgestellt, dass die Vibes stimmten." Gibt es noch eine bestimmte musikalische Vision für Leslie Clio, die im bisherigen Paket noch nicht enthalten ist? "Das ergibt sich meistens on the go", meint Leslie, "meistens habe ich 1.000 Dinge auf meinem Zettel. Irgendwann möchte einfach mal ein Cover-Album machen. Ich möchte mehr kollaborieren. Ich möchte noch mehr in Richtung Blues gehen - aber das anders kombinieren. Denn ich denke - jetzt und heute - nicht, dass ich mit der nächsten Scheibe wieder eine 380-Grad-Wanderung unternehmen und mich neu aufstellen werde, denn ich denke, dass ich mich in der neuen Scheibe stilistisch ganz gut gefunden habe. Ich würde aber gerne mit dem Team, mit dem ich jetzt arbeite, weiter machen." Mit "Purple" ist Leslie Clio etwas sehr bemerkenswertes gelungen: Ein Statement der musikalischen Selbstbestimmung, das sich - ohne Rücksicht auf einen möglichen kommerziellen Aspekt - den Zwängen und Notwendigkeiten der Business-Regeln auf kreative Art und Weise widersetzt. Das ist für eine Künstlerin, die es sich angesichts ihrer bisherigen musikalischen Laufbahn eigentlich relativ einfach hätte machen können - indem sie weiter gemacht hätte, wie bisher - ein ebenso mutiger wie beachtenswerter Schritt.

Weitere Infos:
www.leslieclio.com
www.facebook.com/LeslieClio
www.instagram.com/lesliecliofficial
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Leslie Clio
Aktueller Tonträger:
Purple
(Embassy Of Music/Warner Music)
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