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ANNA MITCHELL
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Musik als Kommunikation
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Die irische Songwriterin Anna Mitchell aus Cork dürfte hierzulande zunächst ein Mal als Keyboarderin/Sängerin von John Blek & The Rats ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten sein. Aber nicht nur ihr Kollege, Freund und Mentor John Blek ist ein Fan Annas: Auch der amerikanische Songwriter Simone Felice war von den vielfältigen Talenten Annas so angetan, dass er sie zunächst ein Mal auf Tour mit sich nahm - und sie dann für eine CD-Produktion mit ihm und den Felice-Brothers in die legendären Applehead-Studios nach Woodstock, New York, einzuladen. Das soll aber alles nicht bedeuten, dass Anna nur aus der zweiten Reihe agiert: Bereits 2015 veröffentlichte sie ihr Debüt-Album "Down To The Bone" und überraschte dort mit einem vielseitigen musikalischen Programm zwischen Folk-, Country- und Americana-Elementen und vor allen Dingen einer starken Präsenz als Songwriterin und Interpretin. Dieser Eindruck verstärkt sich nochmals mit dem nun vorliegenden, zweiten Album, das Anna bewusst ohne eigenen Titel als musikalische Visitenkarte präsentiert. Obwohl das Album wieder im heimatlichen Cork entstand, kommen hier doch verstärkt Americana-Elemente zum Tragen, da die neuen Songs teilweise unter dem Eindruck des o.a. USA-Aufenthaltes entstanden sind. Freilich ist das alles nur eine logische Entwicklung für Anna, wie sich anhand ihres musikalischen Lebenslaufes nachvollziehen lässt.
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"Ich habe schon als kleines Kind gelernt, Klavier zu spielen", berichtet Anna, "und ich habe zu Hause viel gesungen - weil meine Mutter selbst eine gute Sängerin und Klavierspielerin ist. Ich bin dann mit ABBA und Helen Reddy, und Linda Ronstadt aufgewachsen. Ich habe dann auch in der Schule gesungen - und Sonntags in einer lokalen Bar beim sogenannten 'Sing-Song'; einer irischen Tradition, bei der jeder mitsingen muss. Im Alter zwischen 10 und 12 habe ich jede Woche einen neuen Song gelernt, den ich dann auf dem 'Sing-Song' vorgetragen habe. So habe ich gelernt, Songs zu kopieren. Die älteren Leute in der Bar haben mir dann CDs gegeben, die ich mir anhören sollte, und als ich dann Alben von Tom Waits bekommen habe, hat das wirklich alles für mich verändert. So kam es, dass ich nach der Schule drei Jahre lang Musik und die irische Sprache auf der Universität von Cork studiert habe. Während des College-Aufenthaltes habe ich in Cover-Bands Rock und Soul gespielt. Ich habe damals schon ein wenig geschrieben und als ich etwa 20 war, sah mich John Blek - von John Blek & The Rats - bei einer Singer-/Songwriter-Session in Cork und er bat mich, mich seiner Band anzuschließen. Das war dann wohl der Zeitpunkt, wo alles so richtig los ging. Und 2015 veröffentlichte ich dann mein erstes Album und spielte auch eine Menge auf Tour - wobei ich sehr viel Glück hatte."
Das klingt alles sehr rund, einleuchtend und schlüssig. Allerdings landete Anna Mitchell bei all dem musikalisch nicht etwa beim naheliegenden Irish-Folk oder klassischem irischen Songwriting, sondern bei einer Gemengelage, in der sich amerikanische und europäische Einflüsse zu einer letztlich recht eigenen Melange verquicken. Freilich ist auch das wieder ganz einfach erklärt. "Ich bin mit Simone Felice in den USA getourt, der mich eigens eingeladen hatte", führt Anna aus, "der hat mich dann auch eingeladen, mit ihm und den Felice Brothers zusammen eine LP-Produktion live im Studio einzuspielen." Dabei handelt es sich um das Projekt "From The Violent Banks Of The Kaaterskill" - das indes im offiziellen Katalog von Simone Felice gar nicht aufzutauchen scheint. "Nein, er hat diese CD auch nur bei Shows dabei", erklärt Anna, "ich habe selbst auch nur ein einziges Exemplar. Wir haben das Material live vor 60 oder 70 Leuten an drei Abenden im Appleseed-Studio von Rick Danko eingespielt - ungefähr eine Meile vom Big Pink entfernt." War dieses Projekt dann vielleicht auch musikalisch prägend für die neue Scheibe Annas? "Ja, denn tatsächlich schrieb ich einige der neuen Songs, als ich in Amerika war - speziell eben in Woodstock, denn dort hatte ich eine Menge Zeit für mich", berichtet Anna, "die Gegend alleine ist schon sehr inspirierend, denn viel jener Musik, die ich mir gerne anhörte, als ich aufwuchs, entstand hier."
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Auf dem neuen Album singt Anna nicht mehr ausschließlich über sich selbst - wie auf dem Debüt - sondern erzählt Geschichten diverser Charaktere ab, die sie als Songwriterin beobachtet. Hat sie dabei bewusst über den eigenen, persönlichen Tellerrand geschaut "Als Inspiration, meinst du?", fragt Anna, "ja, dem würde ich zustimmen. Es ist aber so, dass es keine reinen fiktionalen Songs auf der neuen Scheibe gibt. Alle Songs handeln von Leuten, die ich getroffen habe oder sogar gut kenne." Gibt es da konkrete Beispiele? "Ja, der erste Song, 'All These Things' zum Beispiel, ist ein sehr persönlicher Song, der aber nicht von mir selbst, sondern von dieser Freundin handelt, die in einer Beziehung mit jemanden ist, der an Depressionen leidet", führt Anna aus, "in dem Song gibt es dann zum Beispiel zwei Stimmen: Eine davon ist eher positiv und aufbauend - und das ist meine Perspektive, wobei ich mir vorstelle, wie es wäre, eine solche Person zu sein. Ich würde übrigens den betreffenden Personen deshalb niemals sagen, dass es in den Songs um sie geht - weil ich ja nicht wirklich wissen kann, wie es in ihnen aussieht, und mir dieses nur vorstelle." Und worum geht es in dem Song "Radio Waves"? "Das ist ein Song der davon handelt, deine Musik im Radio zu hören. Wenn Musiker unter sich sind, dann reden sie viel über dieses Thema. Auch darüber, was die Musikindustrie heute ausmacht, wie sich alles geändert hat und eben darüber, dass man ja eigentlich nur seine Musik machen möchte, damit die Leute diese hören können - wofür es notwendig ist, dass sie im Radio gespielt wird." Und dann gibt es da noch den Blues-Rocker "Dog Track". "Ja, das ist eine eher spitzfindige Geschichte um eine Beziehung - entweder eine Freundschaft oder eine Liebesbeziehung - in der eine Person die andere dominiert", verrät Anna, "der 'dog' ist dann die einschüchternde Persönlichkeit in dieser Beziehung."
Wonach sucht denn die Songwriterin Anna Mitchell in einem Song? "Das kommt darauf an", zögert Anna, "im Moment suche ich wohl nach eher groove-orientierten Songs. Zuvor habe ich eher Melodie-orientierte Songs auf dem Klavier geschrieben und mir dann überlegt, welche Klangfarben ich dann noch drüber legen könnte - Pedal Steel, Geige oder so etwas. Nun ist das so, dass ich nur schlecht Gitarre spielen kann - aber ich habe herausgefunden, dass ich auf der Gitarre leichter Grooves und Rhythmen schreiben kann. Das ist also das, was mich im Moment an einem guten Song interessiert. Und dann braucht ein guter Song noch einen starken Text. Man braucht irgendein Thema. Man kann nicht einfach auf einem Groove herumreiten, wenn man einen gefunden hat." Und wenn man auf einem anderen Instrument spielt, dann gibt das ja auch neue Ideen. "Genau", bestätigt Anna, "und es verändert die Perspektive in Bezug auf Akkorde. Ich bin da in Bezug auf die Gitarre ja ziemlich limitiert, was Akkorde angeht und dadurch gerate ich nicht in die Gefahr, die Sachen zu verkomplizieren - während diese Gefahr auf dem Klavier ziemlich groß ist." Was ist heutzutage eigentlich die Herausforderung als Songwriter die eigene Identität zu finden - insbesondere, wenn man "konventionelle" (also nicht experimentelle) Musik spielt. "Die eigene Identität - hm", überlegt Anna, "ich denke, du musst versuchen, deine Geschichte rüberzubringen - ohne dass es klingt als versuche man jemand anderes zu sein. Das ist ziemlich schwer, da es ja so ziemlich alles schon gegeben hat. Und dann noch etwas: Für mich ist es wichtig, Songs zu haben, die alleine - ohne großes Arrangement - funktionieren. Zum Beispiel, wenn ich alleine oder im Duo auftrete und keine ganze Band bei mir habe. Ich versuche also nicht allzuviel auf die Songs draufzupacken, damit sie funktionieren - damit ich sie nachher auch alleine spielen kann." Ist es schwerer einen einfachen als einen voll orchestrierten Song zu schreiben? "Auf eine gewisse Art ja", meint Anna, "wenn man im Studio ist, sind die Möglichkeiten schließlich unbegrenzt. Besonders für mich, die ich in Cork lebe, wo so viele talentierte Musiker sind. Man kann jederzeit jemanden finden, der eine Trompete, eine Pedal Steel Gitarre oder eine Geige spielt. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, dass man die Songs nachher aber ja auch noch reproduzieren können muss. Es ist am Ende also gar nicht wirklich schwerer einen einfachen Song zu schreiben als einen komplizierten - es ist nur anders." Und wie erreicht man diese Ziele? "Ich habe versucht, bei den Aufnahmen so viel wie möglich live einzuspielen", beschreibt Anna den Prozess, "Drums, Bass, Gitarre, Keyboards und teilweise sogar die Stimme sind in einem Rutsch eingespielt worden. Das ergibt schon im Studio ein gutes Band-Gefühl. Wenn wir das dann nachher live spielen, dann klingt es genauso."
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Was ist Anna Mitchell beim Live-Auftritt denn generell am Wichtigsten? "Generell würde ich sagen, dass ich nicht wirklich nervös bin, wenn ich auftrete - es sei denn, ich habe nicht genug geübt; was dann mein Fehler ist", führt Anna aus, "ich kann mich dann darauf konzentrieren, das Gefühl des Songs mit dem Klang der Stimme rüberzubringen. Ich muss also immer so gut singen, wie ich kann. Ich bin dann immer gleich verärgert, wenn ich das nicht kann, weil ich z.B. erkältet bin oder so etwas. Auf der Bühne will ich dann auch Spaß haben und mit der Band gute Vibes verbreiten, die dann vom Publikum auch zurückkommen. Mein Haupt-Augenmerk lege ich also darauf. Sehr gut zu singen und eine Verbindung zum Publikum herzustellen. Es ist unglaublich wichtig, eine Verbindung zum Publikum herzustellen. Man kann technisch noch so perfekt sein - wenn man keine Verbindung zum Publikum herstellen kann, weil jeder in seiner eigenen Welt ist, dann nützt das gar nichts. In der Musik geht es um Kommunikation - und ohne die geht es nicht. Ich möchte nicht mit meiner Musik angeben - es geht schließlich nicht alleine um die Technik."
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Weitere Infos:
www.facebook.com/AnnaMitchellmusic
www.tonetoaster.com/annamitchell.html annamitchellmusic.com
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Ullrich Maurer-
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Aktueller Tonträger: Anna Mitchell (Tonetoaster/Alive)
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