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HEATHER NOVA
 
Hexensschuss - eine Tafelrunde mit Heather Nova
Heather Nova
Heather Nova gab sich anläßlich ihres wunderschön gelungenen neuen Albums "Siren" die Ehre und empfing ein hochkarätig besetztes Gremium von Vertretern international renommierter Lokalzeitungen und weltweit operierender Fanzines. Nur um das mal lobend zu erwähnen: Nötig hätte sie sowas eigentlich nicht mehr. Egal: Da der Terminplan recht dicht gedrängt war und Viertelstunden-Smalltalks ja nun wirklich nicht der Renner sind, machte sie den Vorschlag, einen Round-Table zu besetzen und sich dann eine Stunde lang zwanglos zu unterhalten. Gesagt getan. Was sie denn so lange getrieben habe zwischen den Platten, wollte ich wissen?
Heather: So lange war das doch gar nicht (aufmuckendes Murren in der Runde). Nun, ich habe ja fast zwei Jahre getourt. Dann war ich natürlich ziemlich müde. Ich habe ein wenig frei genommen und einen Segeltörn mit meiner Familie gemacht, auf dem Boot, auf dem ich aufgewachsen bin.

Wir erinnern uns: Heather hatte das Glück, auf den Bermudas aufzuwachsen. Sie selbst sieht sich immer noch als Inselmensch, obwohl sie in London wohnt. Aus dieser Konstellation ergeben sich ganz witzige Umstände. Ihre erste Single heißt "London Rain" und enthält die Zeile "Nothing Falls Like London Rain." Was denn an Regen so toll sei, fragte ich sie. Worauf sie antwortete, daß, wenn man auf einer sonnigen Insel lebe, Londoner Regen schon eine tolle Abwechslung sei. (Davon abgesehen geht es in dem Song um eine Long-Term Relationship und handelt davon, wie knuddelig es doch ist, wenn du mit jemanden lange genug zusammenlebst, daß er dich wirklich gut kennt - vielleicht noch besser als deine Eltern.)

H: Insel-Leute sind schon ein ganz eigener Schlag. Ich fühle mich immer auf Inseln viel wohler. Vielleicht liegt es daran, daß du immer den Horizont sehen kannst. Du hast dieses Gefühl der Freiheit, der Möglichkeiten. Insel-Leute sind z.B. auch ständig auf Reisen. Ich denke, daß das Inseldasein einen gewaltigen Einfluß auf meine Musik hat, aber ich versuche immer noch herauszubekommen in welcher Weise. Es passiert unbewußt. Es ist eine Art Magie.

Deshalb auch der Segeltörn?

H: Wenn Du auf Tour immer mit einer großen Anzahl Leute zusammen bist, ist es wichtig, einen gewissen Abstand zu gewinnen. Der Törn war irgendwie entgiftend. Wir haben ziemlich einfach gelebt. Es ist schön auch mal was zu machen, was dich mit den Elementen in Berührung bringt und ein gewisses Risiko beinhaltet.

Ah ja, das erinnerte mich an den viktorianischen Schriftsteller Thomas Hardy (Tess), dessen vergleichsweise realitätsbezogenes Frauenbild weiland für gehörig Aufruhr sorgte. Kern seiner Weltanschauung war, daß Frauen per se eine engere Beziehung zur Natur haben als Männer. Das paßt zufällig ganz gut hierher. Es sollte jedoch wesentlich dicker kommen. Nach allgemeinen Ausführungen darüber, daß sie immer und überall Stücke schriebe und natürlich auch solche Trips als Inspirationsquelle hernehme, frug einer der Kollegen nach der Stimmung des Albums, die zugegebenermaßen ziemlich sommerlich ist.

H: Da hat mich schon mal jemand drauf angesprochen. Aber lustigerweise habe ich das meiste Zeug im Winter geschrieben. Ich denke aber, daß unsere Psyche ziemlich vom Wetter, der Umgebung und den Elementen beeinflußt wird. Wir sind doch im Grunde genommen alle Tiere und wir werden davon beinflußt.

Dann ging's los: Eine Kollegin fragte Heather, warum sie das Album "Siren" genannt habe.

H: Weißt Du, das ist ganz interessant. Singen ist so eine ursprüngliche Sache. Weil es physisch von tief in dir kommt. Manchmal fühlt es sich aber auch so an, als käme es aus vergangenen Zeiten. Es ist wie die Stimme von vielen Leuten. Es ist schwierig zu beschreiben. Meine Interpretation von "Sirene" entspricht nicht der klassischen, von Männern geprägten, mythologischen Vorstellung von jemandem, der Seefahrer verführt und in den Tod lockt. Ich habe mir immer vorgestellt, daß Sirenen Wesen sind, die einfach herumhängen und gerne singen.

Auf eine Frage, warum sie denn nicht über politische Sachen schriebe, antwortete sie:

H: Es geht nicht darum, daß ich mich sowas nicht traue, aber es ist eine ganz andere Art Songs zu schreiben. Mehr eine Kopf-Sache. Was mich wirklich dazu treibt, Songs zu schreiben, ist wenn du etwas fühlst, was du anders nicht beschreiben kannst und das dann irgendwie musikalisch auszudrücken.

Ganz schön widersprüchlich - andererseits aber auch nicht. Musik ist für Heather Teil eines spirituellen Weltbildes. Chinesische Heilkunde fasziniert sie zum Beispiel, da diese versuche, die Ursachen der Krankheiten herauszufinden, und nicht an den Symptomen herumzudoktern. Institutionalisierte Religion lehnt sie ab, weil diese ja immer vorgibt, Antworten zu haben auf alle Fragen.

Skeptisch sähe ich aus, meint sie, ob ich denn nicht so von dem überzeugt sei, was sie sage? Beflissentlich beeile ich mich, ihr zuzustimmen, gehe noch einen Schritt weiter und behaupte gar, daß viele unserer Probleme generell darauf zurückzuführen seien, daß zu viele Leute glauben, daß sie wüßten, was sie täten, weil sie Antworten auf Fragen haben, die keiner gestellt habe - was aber zugegebenerweise nicht der Punkt war.

Heather Nova
Egal: Musik ist für Heather eine Art mystischer Kraft, die sich auf sie überträgt. Sie formuliert das als eine Art kollektives, hereditäres, geschlechtsspezifisches, welches sich über die Generationen von Frau zu Frau überträgt, sodaß alle Frauen untereinander eine gewisse Verbundenheit fühlten, die Männern nun vollkommen abginge. Insofern sei Musik auch etwas ungemein Ursprüngliches. Da gibt es z.B. den Song "I'm The Girl", der im Gegensatz zu den anderen Tracks, die doch eher immer verschiedene Facetten des Liebeslebens beleuchtet, ein Statement macht: Heather als Beispielhafter Prototyp ihres Geschlechts schlechthin. Hierin kommt auch die Schlüsselzeile vor: "I Know Secrets, I've Never Been Told" - was auf diese mystische Kollektivbeziehung hinweist. Als dann eine Kollegin allerdings geheime Botschaften Heathers an die Frauenskolleginnen vermutet, erschrickt diese gar und fragt, ob denn das so aufgefaßt würde.

Nein, nein, meine ich, man könne ja sehr wohl seinen Nutzen aus der Sache ziehe, indem man durch die Texte ja ein wenig wisse, wie sie denn denke (auch als Prototyp und so) - aber: Ob das denn wirklich so tiefgreifend sei, wollte ich wissen, immerhin sei es doch bloß Musik und ob die Texte denn nicht nur ein Mittel seien, den Song fertigzustellen.

"Ganz im Gegenteil", weist sie diese Vermutung entrüstet zurück, "die Texte sind für mich das wichtigste überhaupt. Die Musik kommt fast von selbst. Ich denke z.B. nie großartig über Melodien nach - irgendwie habe ich eine natürliche Fähigkeit dazu. Aber an den Texten feile ich wochenlang herum. Ich spiele mit den Worten, achte darauf, wie sie klingen, versuche die optimale Wendung zu finden. Das ist echt harte Arbeit."

Nun gut. Musikalisch ist "Siren" ein wenig lockerer als "Oyster". Heather besteht darauf, daß es rockiger sei (was verständlich wird, wenn man ihre aktuellen Live-Shows gesehen hat). Es spielen ein paar Freunde darauf: Der Drummer von Killing Joke, der Bassist von Raissa und ihre langjährige Cello-Partnerin Nadia, die jetzt live auch Keyboards spielt.

Im Sommer spielt Heather wieder mal auf ein paar Festivals, auf denen sie sich offensichtlich ganz wohl fühlt. Und überhaupt soll "Siren" genauso intensiv live supportet werden, wie "Oyster". Was gäbe es noch zu erwähnen? Daß Heather eine Scheinriesin ist vielleicht (jemand, der stetig kleiner wirkt, je näher man ihm kommt), daß sie Scorseses' "Kundun"-Film ganz toll findet. Und daß sie Glück hat, in unseren Tagen zu leben. Früher hätte man sie aufgrund ihrer esoterischen Reflexionen gewiß des Hexentums bezichtigt...

[Erstveröffentlichung in Gästeliste #1, August 1998]

Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
Siren
(Zomba)
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