GL.de: Shana, ob deiner verschiedenen kreativen Standbeine sei eingangs die Frage erlaubt: Siehst du dich eigentlich selbst als Musikerin, oder wäre Künstlerin das bessere Wort?
Shana: Ich sehe mich schon in erster Linie als Musikerin, denn in den letzten zehn Jahren habe ich mein Hauptaugenmerk stets auf die Musik gerichtet. Alles andere schiebe ich dazwischen, wenn ich mal nicht auf Tournee bin.
GL.de: War das von Anfang an dein Bestreben?
Shana: Nun, meine Eltern sind ja beide Musiker, deshalb war für mich irgendwie immer klar, dass ich auch diesen Weg einschlagen würde. Ich habe nie ernsthaft daran gedacht, etwas anderes zu machen. Ich habe das Gefühl, dass ich bislang durchs Leben gestolpert bin, ohne mir dabei über langfristige Pläne echte Gedanken zu machen. Angefangen habe ich mit der Musik bereits zu Schulzeiten. In der Highschool war ich in einer fürchterlichen Schulband, aber dort wurde ich bereits nach einem Konzert rausgeworfen. Danach habe ich dann erst wieder in Bands gespielt, als ich im Anschluss ans College nach Seattle umgezogen bin. Dort habe ich dann mit The Curious Mystery zwei Platten auf K Records veröffentlicht, und dann fing es mit La Luz an. Die Zeit seitdem ist sehr schnell vergangen. Viele meiner Erinnerungen sind ziemlich verschleiert, nicht zuletzt, weil ich permanent unterwegs war (lacht).
GL.de: Bereust du rückblickend manchmal, dass du nicht mehr Zeit hattest, durchzuatmen und das alles besser auf dich wirken zu lassen?
Shana: Nein, ich würde nichts anders machen, wenn ich noch einmal die Chance hätte. In gewisser Weise war die Musik für mich ein Mittel zum Zweck, denn ich liebe das Reisen, ich liebe das Unterwegssein. Ich habe diesen Lebensstil immer in einem romantischen Licht gesehen. Selbst jetzt, wo ich schwanger bin und weiß, dass sich vieles ändern wird, kann ich mir nicht vorstellen, das aufzugeben.
GL.de: Du hast kürzlich in einem Interview gesagt, dass du immer Bücher mit auf Tour nimmst, sie aber am Ende nie liest, sondern eher ziellos durch die Stadt streifst und auf die Show am Abend wartest…
Shana: Es stimmt schon, all die vielen Stunden auf Tour können dir schon verschwendet vorkommen. Allerdings habe ich mich in letzter Zeit auf Tournee vielen Tagträumen hingegeben, und solange ich nicht die ganze Zeit an meinem Telefon rumspiele, fühlt sich das Ganze schon wie ein produktiver Tag an, weil ich auf die ein oder andere Art in meinem Kopf etwas Kreatives tue, wenn ich nicht auf Instagram bin (lacht).
GL.de: Wirklich bemerkenswert an deinem neuen Soloalbum ist, dass es sich nie wie die Art von Sideproject anhört, nach dem sich viele Soloausflüge von Musikern erfolgreicher Bands anhören. Darf man sagen, dass La Luz und deine Solosachen tatsächlich gleich wichtig für dich sind?
Shana: Ja, ich denke, das kann man so sagen. Mehr noch: Wenn ich mich auf das ein oder andere konzentriere, dann stürze ich mich vollkommen darauf. Das gilt für die Zeiten, in denen La Luz im Fokus stehen genauso wie für meine Solosachen. Manchmal fällt es mir schwer, umzuschalten, weil die beiden Projekte so unterschiedlich sind. Mit La Luz aufzutreten und Solokonzerte zu absolvieren, sind praktisch zwei völlig verschiedene Jobs, weil ich in vollkommen anderen Welten unterwegs bin.
GL.de: Trotzdem ist es dir scheinbar mühelos gelungen, erst mit "Floating Features" von La Luz und jetzt auch als Solistin mit "Night Of The Worm Moon" einen gewaltigen Satz nach vorn zu machen. In beiden Fällen klingen die Platten viel absichtsvoller als alles, was zuvor kam. Siehst du das ähnlich?
Shana: Auf jeden Fall. In beiden Fällen liegt das sicherlich daran, dass die Musik mit viel stärkerer Intention, mit mehr Entschlossenheit entstanden ist. Ich habe in beiden Fällen sehr viel Zeit in die Platten investiert und gleichzeitig bin ich entspannter, weil ich inzwischen viel besser weiß, was die beiden Projekte repräsentieren. Ganz allgemein bin ich das, was man als "slow learner" bezeichnet (lacht). Deshalb habe ich bei jedem Album das Gefühl, dass ich meinen kreativen Zielen langsam, aber sicher ein Stückchen näher komme. Allerdings stimme ich dir vollkommen zu, die letzten beiden Platten sehe auch ich als einen deutlichen Schritt nach vorn.
GL.de: Bei La Luz sind nach drei Platten die Rahmenbedingungen inzwischen klarer abgesteckt. Solo dagegen fängst du stets mit einer leeren Leinwand an. Ist das eine Herausforderung, der du dich gerne stellst, oder ist der Gedanke an die Unendlichkeit der Möglichkeiten im ersten Moment auch mal angsteinflößend?
Shana: Nein, absolut nicht! Ich liebe es, mit nichts und ohne Erwartungshaltung anzufangen, ein Projekt dann irgendwann zu beenden und aus dem Weg zu räumen, um wieder etwas Neues zu beginnen. Das ist vermutlich auch genau das, was mich am Auf-Tour-Sein so reizt: Du machst ständig neue Erfahrungen und es wird nie langweilig. Vielleicht auch deshalb habe ich nie Angst vor der leeren Leinwand gehabt.
GL.de: Wenn du davon sprichst, Alben "aus dem Weg zu räumen": Fällt es dir schwer, den Absprung zu finden, weil du am liebsten ewig an einer Platte arbeiten würdest, oder weißt du intuitiv, wann du es gut sein lassen musst?
Shana: Ich habe nie Probleme damit, den Punkt zu finden, an dem ein Album für mich vollendet ist, vermutlich, weil ich einfach keine Perfektionistin bin. Mir gefällt das Gefühl, eine Platte fertig zu haben, deshalb ziehe ich die Aufnahmen nie sonderlich in die Länge. Ich mag den Songwritingprozess, darauf verwende ich die meiste Zeit, die Aufnahmen dagegen versuche ich immer möglichst knapp zu halten. Ich glaube nicht, dass ich je Sessions hatte, die länger als zwei Wochen gedauert haben, und meistens war es eher nur eine. Sobald die Songs geschrieben sind, gilt für mich, dass der erste zumeist auch der beste Gedanke ist. Das hilft auch, mehr Energie in die Aufnahmen zu bekommen. So gerne ich die Lieder beim Schreiben bis ins Kleinste ausarbeite, ist es mir bei der Performance doch sehr wichtig, dass keine Langeweile aufkommt.
GL.de: War der Wunsch nach einer kurzen Session auch der Grund, dass dich auf "Night Of The Worm Night" viele der gleichen Musiker begleiten, die schon auf deinem 2011er-Solodebüt "Oh Man, Cover The Ground" dabei waren?
Shana: Ja! Ich bin zurück nach Seattle, um die Platte aufzunehmen, und das geschah vor allem deshalb, weil es dort so viele großartige Musiker gibt, die ich zudem schon über zehn Jahre kenne. Diese Leute sind auf musikalische Weise schon sehr lange mit mir verbunden, und deshalb funktioniert unsere Zusammenarbeit viel per Gedankenübertragung: Sie wussten bereits, was ich wollte, ohne dass ich es groß erklären musste. Vor den Aufnahmen gab es keine großen Proben. Wir haben uns einfach zusammengesetzt und angefangen aufzunehmen - mit Raum für Improvisationen der Musiker, und mir gefällt die Vorstellung, dass das Album eine gewisse lockere Atmosphäre hat.
GL.de: Dennoch hat das Album ein sehr klares Sounddesign. Was du gerade gesagt hast, klingt fast so, als sei dabei viel dem Zufall überlassen gewesen?
Shana: Ich denke, viel davon hängt mit der Instrumentierung zusammen, und die habe ich sehr bewusst gewählt - die Synthesizer und Orgeln von Will (Sprott) genauso wie die Pedal Steel oder die Tatsache, dass Abbie (Blackwell, die frühere La-Luz-Bassistin) Kontrabass spielt. Das sind alles Instrumente, denen eine gewisse Entrücktheit innewohnt, eine gewisse Luftigkeit, außerdem gibt es ja nur sehr wenig Schlagzeug. Diese Palette an Instrumenten war einfach das, was ich für diese Songs "hörte".
GL.de: Das Album hat eine wunderbar meditative Qualität, beim Hören kann man leicht Zeit und Raum vergessen. Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass der Sound betont zeitlos ist. Ist dir das bei "Night Of The Worm Moon" besonders wichtig gewesen?
Shana: Ich denke, eine gewisse Zeitlosigkeit ist mir ganz allgemein wichtig, bei allen Platten, die ich mache, und es war etwas, nach dem ich auch mit der neuen Platte gestrebt habe. Es ist auch toll zu hören, dass du Zeit und Raum beim Hören vergessen hast. Das zu erreichen, war mir definitiv wichtig, denn als ich die Songs schrieb, war es ein Hauptanliegen für mich, der Zeit zu entkommen.
GL.de: Auch mit den Texten baust du dir eine Art eigenes, alternatives Universum auf. Ist das einfach dem "Nicht von dieser Welt"-Gefühl von Los Angeles geschuldet, das viele Songs merklich inspiriert hat, oder ist das teilweise auch eine Flucht vor der gerade in den USA immer absurder werdenden alltäglichen Realität?
Shana (lachend): Es ist beides! In den USA - und sicher auch sonst wo auf der Welt - passieren derzeit so viele Dinge, dass es leicht passieren kann, dass man sich hilflos und hoffnungslos fühlt. Deshalb die Realitätsflucht. Allerdings war es für mich nicht nur L.A., sondern auch die lange Zeit auf Tournee, die zu meinem Gefühl der Orientierungslosigkeit beigetragen hat, das nun das Gefühl der Platte ausmacht.
GL.de: Du hast die Texte des neuen Albums als deine bisher surrealistischsten, aber auch persönlichsten bezeichnet. War dir die persönliche Note besonders wichtig, weil sie bei La Luz weniger im Vordergrund steht?
Shana: Auch die Texte bei La Luz sind ja auf die ein oder andere Art aus meinem Leben gegriffen, aber dort steht eher das Herstellen einer Verbindung zu anderen Menschen im Vordergrund und weniger das Nachdenken darüber, wo ich im Leben stehe, oder das tiefe Graben in meiner Psyche. Weil ich dieses Mal beim Schreiben weniger Gedanken hatte wie "Oh, hier könnte ein Keyboard-Solo passen" oder "Wie soll das Schlagzeug an dieser Stelle wohl klingen?", konnte ich mich stärker darauf konzentrieren, was ich textlich ausdrücken wollte.
GL.de: Vielleicht noch beeindruckender als die Themen der Lieder an sich ist der Einfallsreichtum, mit dem du dir immer wieder neue Perspektiven suchst, um so bisweilen auf den ersten Blick recht banalen Themen eine neue Wendung zu geben, während sich so viele andere Songwriter heute damit begnügen, ihr Tagebuch zu vertonen. Was ist die Inspiration dahinter?
Shana: Mein Lieblingstexter ist Ray Davies von den Kinks. Bei ihm hat man das Gefühl, dass jeder einzelne Song aus einer komplett neuen Perspektive geschrieben ist. Wann immer ich mal eine Schreibblockade habe, höre ich mir The Kinks an, um mich außerhalb des Tagebuchs neu inspirieren zu lassen.
GL.de: Nach all den Jahren bist du also immer noch stark von der Musik anderer beeinflusst?
Shana: Auf jeden Fall! Aber selbst wenn ich versuche, etwas zu imitieren, komme ich dem Original nie sonderlich nah. Am Ende klinge ich trotzdem wie ich selbst, deshalb habe ich es nie als gefährlich erachtet, mich von anderen Musikern beeinflussen zu lassen. Das ist fast ein bisschen wie ein "blind contour drawing", das ist eine Zeichenübung, bei der man die Konturen von etwas zeichnet, ohne dabei aufs Blatt zu schauen. In den meisten Fällen sieht das Endergebnis überhaupt nicht wie das aus, was du ursprünglich darstellen wolltest. Das ist auch bei Musik eine prima Herangehensweise.
GL.de: Apropos neue Ideen: Du arbeitest bereits an einer weiteren Solo-Platte?
Shana: Ja, geplant ist, sie vor der Geburt des Babys fertig zu haben. Ich muss sehen, wie das klappt, aber die Idee im Moment ist, mich dabei ausschließlich auf Gitarre und Gesang zu beschränken. Kann sein, dass ich im letzten Moment schwach werde und noch weitere Instrumente hinzufügen will, aber derzeit ist das der Plan. Ich weiß nicht, ob dieses Ziel meine Herangehensweise verändert, aber während ich für gewöhnlich sofort einige abstrakte Ideen habe wie "Oh, hier müssen Streicher hin" oder "Dieses Lied geht nicht ohne Bass", versuche ich mich dieses Mal auf das zu beschränken, was allein mit Gitarre und Stimme funktioniert.
GL.de: Eine letzte Frage noch: Was macht dich als Musikerin derzeit besonders glücklich?
Shana: Ich lebe inzwischen auf dem Land, und draußen Gitarre zu spielen und dabei in die kalifornische Hügellandschaft zu starren, ohne andere Menschen zu sehen, das macht mich momentan richtig glücklich!