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MADDER ROSE
 
"Wir verdienen kein Geld, also machen wir Kunst!"
Madder Rose
Als eine der raffiniertesten und facettenreichsten Indierock-Bands der 90er schwammen Madder Rose schon damals mit viel Understatement gegen den Strom, eine Tugend, die sie sich auch auf ihrem wunderbaren Comebackalbum "To Be Beautiful" bewahrt haben. In traurig gestimmten Liedern über Verlust, Herzschmerz und Hoffnung betonen die Amerikaner auf ihrer ersten Platte seit 20 Jahren mit verträumten Melodien ihre gedämpft-minimalistische Seite und lassen Mary Lorsons zuckersüßen Gesang zumeist den Vortritt vor Billy Cotés krachig lärmender Gitarre, wenn sie mit herrlich reduzierten Akustiknummern, sanftem Elektronik-Einsatz und dezent-atmosphärischen Ambient-Elementen die Eckpfeiler ihres leider viel zu oft überhörten bisherigen Schaffens in ein neues Licht rücken. Mehr "The Velvet Underground" als "Loaded", könnte der LP-Untertitel nicht treffender sein: "Pretty Songs About Death, With Noise".
Werfen wir zunächst einen Blick zurück. Gegründet wurde die Band 1991, als Billy Coté eine weibliche Kollaborateurin für einige neu geschriebene Lieder suchte und ihm Ron Ward (später bei Speedball Baby) Mary Lorson vorstellte. Mit dem Bassisten Matt Verta-Ray entstanden zwei feine DIY-7"-Singles auf Indielabels, bevor das Quartett mit Drummer Rick Kubic (alias Johnny Kick) vervollständigt wurde und es plötzlich ganz schnell ging. Schon bald zeigte das altehrwürdige Majorlabel Atlantic Records Interesse, und die erste, von der Band selbst eher ungeliebte Madder-Rose-LP "Bring It Down" wurde nicht zuletzt ob der hypnotischen Single "Swim" 1993 zu einem Überraschungs-Hit in den Indiezirkeln von Großbritannien und Europa. Dort begeisterten die von The Velvet Underground, aber auch von My Bloody Valentine und Mazzy Star beeinflussten "pretty songs about drugs, with noise" (so die ursprüngliche, für den Untertitel der neuen LP überarbeitete Selbstbeschreibung der Band) all diejenigen, die zeitgleich auch Künstlern wie Lemonheads, Juliana Hatfield, Throwing Muses oder Buffalo Tom zu ungeahnten Höhenflügen verhalfen.

Der kaum ein Jahr später veröffentlichte Nachfolger "Panic On" wirbelte dann sogar so viel Staub auf, dass die Band beim Reading Festival 1994 Headliner auf der Zeltbühne war (und mit dem großartigen "Car Song" für eines der absoluten Highlights des ganzen Wochenendes sorgte). Anstatt weiter auf der Erfolgswelle zu surfen, veränderte die Band ihre klangliche Ausrichtung für die nächste Platte radikal - und bekam zu spüren, was es heißt, wenn ein Majorlabel das Interesse verliert. "Tragic Magic" erschien 1997 und war eine deutlich von Tricky und Dub beeinflusste Mood-Platte, die bei Plattenfirma, Kritikern und Fans gleichermaßen auf Ablehnung stieß, bis eine neue Version des Werks mit zwei zusätzlichen Songs und weniger Elektronik auf Cooking Vinyl zwei Jahre darauf wenigsten für etwas Wiedergutmachung sorgte. Cooking Vinyl veröffentlichte 1999 auch das für lange Zeit letzte Madder-Rose-Album, "Hello June Fool" das die Band atmosphärischer als zuvor, aber wieder interessierter an melodieseligem Indierock zeigte. Trotz freundlicher Kritiken konnten Madder Rose nicht an die kommerziellen Erfolge der Frühwerke anschließen und gingen schon bald darauf getrennte Wege. Coté und Lorson blieben nicht zuletzt wegen ihres gemeinsamen Sohnes verbunden und unterstützten sich in ihrer Homebase Ithaca im Norden des Staates New York gegenseitig bei ihren Solowerken oder nahmen zu zweit Filmmusiken in Angriff. Madder Rose aber schienen Geschichte zu sein - bis jetzt.

Während die meisten Reunions der Indierock-Helden der 90er heute zustande kommen, weil den Musikern das Geld ausgeht, ging die Initiative im Falle von Madder Rose vom englischen Liebhaberlabel Trome Records aus, das die Band um eine neue LP bat. "Wir hatten schon kein Geld mehr, als wir damals noch in der Band waren!", scherzt Coté, bevor er seine Freude über die unerwartete Einladung zum Ausdruck bringt. "Ich war superglücklich über die Chance, wieder ein Album zu machen. Mary und ich hatten gerade angefangen, gemeinsam an einigen Songs zu arbeiten, und das war gewissermaßen ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie Madder Rose 2019 klingen könnten. 'To Be Beautiful' war der erste Song, den wir in Angriff nahmen, und der Ansatz schien uns vielversprechend. Ganz abgesehen davon: Ich werde immer die Gelegenheit nutzen, etwas Kreatives zu tun, besonders wenn ich es auf irgendeine Weise mit der Welt teilen kann." Doch nicht nur Coté und Lorson waren schnell für ein Madder-Rose-Comeback zu haben, und deshalb sind mit Schlagzeuger Johnny Kick, Bassist Matt Verta-Ray und dessen zeitweiligem Nachfolger Chris Giammalvo tatsächlich sämtliche Mitglieder der Band auch an der neuen Platte beteiligt. "Ich denke, jeder von uns war begeistert von der Vorstellung, eine weitere Platte machen zu können - wenngleich vermutlich aus unterschiedlichen Gründen", sagt Coté. "Ich bin froh, dass wir die komplette Band zurückholen konnten. Wir dachten uns alle: Warum nicht? Was könnte zu diesem Zeitpunkt schiefgehen? Ich denke, im Herzen sind wir alle Menschen, die gerne etwas Kreatives machen, was ein Grund dafür war, dass fünf sehr unterschiedliche Menschen auf diese Weise zusammenkommen konnten."

Klar ist, dass Madder Rose trotz des neuen Albums heute nicht mehr das Hauptanliegen der fünf Musiker ist, denn für alle hat sich das Rad der Zeit in den letzten zwei Jahrzehnten gewaltig weitergedreht. Doch nicht nur arbeitstechnisch, sondern auch auf rein persönlicher, auf zwischenmenschlicher Ebene gibt es eine Menge Unterschiede zu früher. "Wir leben nicht mehr alle in derselben Stadt, daher besteht der größte Unterschied darin, dass wir nicht mehr gemeinsam Songarrangements im selben Raum ausarbeiten können", erklärt Coté. "Dabei kann man gerade auf diesem Wege die Arrangements am besten abstimmen - oder natürlich live. Das ist wirklich schade, soll sich in Zukunft aber für mindestens ein paar Tage ändern, wenn wir uns zu fünft für weitere Aufnahmen im Hed NY, dem Studio von Matt, in New York treffen. Was die zwischenmenschlichen Beziehungen betrifft, glaube ich, dass wir heute ein bisschen netter zueinander sind (und meistens stimmt das auch). Ich denke jedoch, dass es selten eine Gruppensituation gibt, weder künstlerisch noch anderweitig, in der alle völlig zufrieden damit sind, wie sie im endgültigen Projekt dargestellt werden. Das ist wahrscheinlich die wahre Natur der Zusammenarbeit."

Ende der 90er verschwanden Madder Rose eher heimlich still und leise anstatt mit einem großen Knall von der internationalen Bühne. Das Gefühl, dass es nach all den Jahren noch Unerledigtes von damals aufzuarbeiten gab, hatte Coté dennoch nicht. "Ich glaube, 1999 war für uns alles erledigt", sagt er. "Da die meisten von uns jedoch auf die eine oder andere Weise auch weiterhin ein kreatives Leben geführt haben, schien es angesichts der Gelegenheit eine natürliche Sache zu sein, es noch einmal zusammen zu versuchen. Wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, die richtigen Songs zu haben, oder sie gezwungen geklungen hätten, wäre ich nie auf die Idee gekommen, weiterzumachen. Zwischenmenschlich sind wir immer noch, wer wir sind. Ich würde gerne denken, dass man mit dem Alter klüger wird und das Empathie und Freundlichkeit mit sich bringt, aber wer zum Teufel kann das wirklich sagen? Als Matt die Band verließ, war unsere Beziehung ziemlich beschädigt. Bevor es die Band gab, haben wir jeden Tag rumgehangen, aber aus verschiedenen Gründen war Madder Rose unser Verhängnis. Zu meinem großen Glück konnten wir uns wieder zusammenraufen."

Nach so langer Pause hat eine Band in der Regel zwei Optionen: Sie kann versuchen, dort anzuknüpfen, wo sie aufgehört hat, und so tun, als sei nichts passiert, oder sie malt ein realistisches Bild von den Veränderungen der Zwischenzeit. Madder Rose haben sich mit "To Be Beautiful" für Letzteres entschieden. "Diese Platte soll uns so darzustellen, wie wir jetzt sind", bestätigt Coté. "Ein großer Teil meines Schreibens wird immer wie Madder Rose klingen, daher war es nicht schwer, eine Richtung zu finden. Die Songs, die Mary mitbrachte, ergänzten die Stimmung, die ich hervorrufen wollte, und betonte sie, sodass schnell klar wurde, wie diese Platte klingen würde. Wir haben beide über den Tod nachgedacht, sowohl spezifisch als auch allgemein, und er lieferte uns den Untertitel des Albums, 'Pretty Songs About Death, With Noise'. Ich sah dies als großartige Chance an, ein Album machen zu können, das ein völlig einheitliches Thema hatte, nicht so sehr in erzählerischer Hinsicht, aber in puncto Gefühl und Atmosphäre. Ich hasse Alben mit ein oder zwei Titeln, die nicht mit zum Rest passen wollen. Dies war unsere Chance, ein wohlüberlegtes Kunstwerk zu schaffen. Wir verdienen kein Geld, also machen wir Kunst!"

Trotz dieser Herangehensweise und einem tatsächlich oft spürbar veränderten Sound gibt es viele Anknüpfungspunkte an das Wirken der Band in den 90er-Jahren - von der DIY-Produktion der ersten Singles über das selbst gestaltete Artwork der frühen Alben und Singles bis hin zum atmosphärisch geprägten Sound der letzten Werke - und sogar Adam Lasus, der die Band als Tontechniker bei ihren ersten Aufnahmen begleitete, mischte wieder mit. Ein Konzept als solches war das allerdings nur teilweise. "In Bezug auf die Musik war es völlig organisch", erklärt Coté. "Ich schreibe verschiedene Arten von Musik (wie man auf meiner Instrumental-Single auf Polytechnic Youth in Großbritannien hören kann), aber mir ist klar, was ein Madder-Rose-Song ist und was nicht. Marys (manchmal unterbewertete) Lieder dienen normalerweise dazu, einen Ausgleich zu meinen zu schaffen, und wenn wir sorgfältig auswählen, entsteht ein interessantes Ganzes. Es ist schwer, zwei verschiedene Autoren in einer Band zu haben, aber auch hier geht es darum, Songs auszuwählen, die gut zusammenpassen. Adam Lasus und Chris leben in L.A. nahe beieinander und sind über Mary in Kontakt geblieben, so kam die erneute Zusammenarbeit zustande. Ich war froh, dass Adam involviert war - er ist ein toller Kerl! Ich wollte, dass das Artwork das der früheren Platten widerspiegelt, und ich mache sowieso gerne Kunst. Vielleicht hilft mir Matt beim nächsten Album mit der Gestaltung, so wie er es auch beim ersten getan hat."

Ganz abgesehen davon hat sich auch Cotés Vorstellung davon, was für ihn persönlich beim Songwriting wichtig ist, über die Jahre nicht grundlegend gewandelt. "Das Gleiche, was mich schon als Kind begeistert hat, begeistert mich auch jetzt: eine schöne, erhebende (oder bedrückende) Melodie mit einem interessanten Arrangement", verrät er. "Natürlich interessiert man sich irgendwann auch für andere Dinge, man hört Balam Acab oder Nicolas Jaar und erntet jede Menge faszinierende Ideen, aber für mich wird 'The Love You Save' von The Jackson Five mit seiner perfekten, hochfliegenden Melodie und Begleitung immer der heilige Gral sein."

Schon vor der offiziellen Veröffentlichung bekam die neue LP allenthalben glänzende Kritiken nicht zuletzt von vielen alten journalistischen Wegbeleitern der Band aus den alten Tagen, als bedürfte es überhaupt noch eines Beweises, wie sehr Madder Rose ihre kleine, aber feine Anhängerschaft damals nachhaltig berührt haben. Auch die Vinyl-Erstauflage war bereits vor der Auslieferung vergriffen - sehr zur Freude, aber auch Verwunderung Cotés. "Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie das Feedback ausfallen würde oder ob es überhaupt Resonanz geben würde", gesteht er. "Ich befürchtete eher, dass das Label auf kistenweise Platten sitzenbleibt. Als wir die Aufnahmen beendet hatten, wurde mir klar, dass die Platte ziemlich cool war, aber ich habe mich auch schon vorher geirrt ("Tragic Magic"). Sie klingt nicht nach einer Bullshit-Rock-Platte oder nach einer beschisseneren Version unserer frühen Platten, also war ich erst hoffnungsvoll, dann sehr erleichtert und schließlich sehr dankbar, dass sie gut aufgenommen wurde und Trome sein Produkt ausverkauft hat." Deshalb ist inzwischen auch eine Fortsetzung nicht nur denkbar, sondern eigentlich längst beschlossene Sache. "Mary und ich haben angefangen, einige Demos zu machen, und werden sie bald an die anderen in der Band senden", sagt Coté. "Ich würde wirklich gerne eine weitere Platte machen, und derzeit sieht es ganz danach aus. Wenn es nach meinem Willen geht, wird diese Platte eher gitarrenorientiert sein. Die Songs, die wir bisher haben, deuten darauf hin. Auch einige Konzerte sind nicht ausgeschlossen."

Ansporn ist für Coté dabei nicht zuletzt das positive Feedback auf das "kleine Comeback" der Band. "Es macht mich glücklich zu wissen, dass es zumindest einige Leute gibt, die unsere Aufnahmen hören. Es ist eine Freude zu sehen, dass Leute aus der ganzen Welt unsere Sachen streamen und dass wir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben", sagt er. "Im Allgemeinen macht es mich am glücklichsten, wenn ich ein Lied beginne und merke, dass es das melodische Ding hat, nach dem ich suche. Ich spüre immer ganz genau, wenn ich an dem Punkt ankomme, und das sind dann transzendente drei Sekunden! Im Moment stehen uns für das nächste Album immer noch alle Möglichkeiten offen, und vielleicht wird ja die beste Platte der Welt daraus! Eine gute Idee zu haben, aber noch nicht zu wissen, was daraus wird - das ist ein aufregender Moment! Irgendwann holt dich dann natürlich die Realität ein, aber bis dahin..."

Weitere Infos:
www.madderroseband.com
www.facebook.com/madderroseband
store.tromerecords.com/album/to-be-beautiful
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Madder Rose
Aktueller Tonträger:
To Be Beautiful
(Trome Records/Import)
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