"Ich weiß jetzt definitiv, wie man auf Tour geht!", erwiderte Heather Woods Broderick im vergangenen Jahr auf unsere Frage nach der wichtigsten Lektion, die sie in all den Jahren als Musikerin für andere gelernt hat. Doch welche Qualitäten schätzt sie selbst eigentlich besonders an Live-Konzerten? "Ich finde es inspirierend, wenn Musiker ihr ganzes Selbst, Fehler inklusive, im Live-Kontext ausdrücken. Natürlich schätze ich auch ausgefeilte und perfektionierte Fertigkeiten, aber ein gewisses Maß an Menschlichkeit ist mir wichtig. Bei größeren Produktionen gefällt mir besonders, wie Licht- und Bühnendesign in die Performance einfließen. Das ist etwas, auf das ich selbst hinarbeite, denn ich denke, dass Ambiente beeinflusst mein Erleben bei einer Live-Show zutiefst."
Gerade in letzter Zeit macht sich selbst bei Künstlern, die ohne groß durchgeplante Show auf kleineren Bühnen auftreten, oft bemerkbar, dass Konzerte heute das Brot- und Butter-Geschäft für viele Musiker sind. Nicht selten geht das zu Lasten der Spontaneität, zu Lasten der besonderen Momente, die aus guten Auftritten unvergessliche machen. "Ich denke, das ist von Fall zu Fall verschieden, aber ich stimme zu, dass Spontaneität wichtig für eine Performance ist", sagt Broderick über die Herangehensweise an ihre eigenen Shows. "Es muss nicht immer eine drastische stilistische Veränderung sein oder eine vollkommen umgekrempelte Setlist, aber manchmal reicht schon etwas ganz Simples, das den Abend oder den Auftritt einzigartig macht: ein Gefühl, das - aus Sicht der Künstler wie auch aus der des Publikums - schneller bei kleineren, eher intimen Konzerten zu erreichen ist." Im Februar und März hat sie nun auf ihrer Gastspielreise durch Deutschland und den Rest Europas viele Gelegenheiten, nach besonderen Momenten zu suchen. "Ich denke, dass wir zu Beginn unserer bevorstehenden Tournee erst einmal mit einer festen Setlist in einen Flow kommen, aber ich freue mich schon darauf, neue Songs ins Programm aufzunehmen und einige Solonummern zu spielen, um ein wenig Abwechslung zu haben", verrät sie. "Die Veranstaltungsorte, in denen wir spielen werden, variieren in Größe und Art, und wir werden uns den unterschiedlichen Räumen anpassen. Ich bin gespannt, was Spontaneität alles bewirken kann."
Anders als bei ihren Support-Konzerten für Sharon Van Etten, Lisa Hannigan oder Alela Diane in der Vergangenheit wird Broderick die kommende Tournee nicht allein bestreiten. Andrew Carlson und Dean Anshutz heißen die beiden Musiker, die sie an Bass und Schlagzeug begleiten werden und sich dabei - auch wenn Brodericks Name auf dem Poster steht - durchaus selbst einbringen dürfen. "Ich schätze mich sehr glücklich, eine verlässliche Gemeinschaft von Freunden und Musikern gefunden zu haben, die meine Musik mögen und mit mir touren möchten", sagt Broderick über ihre Mitstreiter. "Im Allgemeinen denke ich, dass ich für die Interpretation der Leute ziemlich offen bin, und obwohl die Live-Versionen der Songs definitiv ähnlich wie die Studiofassungen klingen, sind sie mit Sicherheit nicht genau gleich." Eines hatten die verschiedenen Besetzungen der Vergangenheit dabei für Broderick stets gemein: die Freude, zu sehen, wie ihre Songs zum Leben erweckt werden. "Mein größtes Ziel ist es, das von mir beabsichtigte Gefühl zu vermitteln, aber die genauen Werkzeuge, mit denen ich das mache, sind für mich nicht so wichtig", sagt sie bestimmt. "Andrew Carlson hat mit mir an der aktuellen Platte gearbeitet und spielt mit mir, seit ich [das 2015er-Vorgängerwerk] 'Glider' rausgebracht habe. Er ist ein äußerst wertvolles und wichtiges Mitglied der Show. Dean Anshutz kam letztes Jahr an Bord und spielte Schlagzeug bei der US-Tour im November. Es hat wirklich Spaß gemacht, ihn dabeizuhaben, und er hat viel zur Show beigetragen. Er ist eine so positive Kraft und ein sehr talentierter Musiker." Auf der Bühne präsentiert Broderick die im Studio behutsam aufgeschichteten Lieder in behutsam entschlackten Versionen, die etwas spartanischer, aber nie unvollkommen wirken. Dabei reduziert sie die Lieder erst auf ihren essenziellen Kern, um sie dann bis zum in der Triobesetzung größtmöglichen Maße wieder aufzubauen. "Dabei treten viele glückliche Zufälle und Überraschungen zutage", erklärt sie. "Das ist ein Prozess, der mir eine Menge Freude bereitet."
Doch so groß die Freude über die ausführliche Europatournee auch ist: In unserem letzten Interview sprach Broderick auch über die Probleme, die sie hatte, nach jahrelangem Unterwegssein wieder in einem Leben abseits der Autobahnen, Hotels und schummerigen Kaschemmen Fuß zu fassen. Ist Broderick ihre Rückkehr auf die Live-Bühne - 2019 spielte sie nicht nur mit ihrem Solo-Trio, sondern auch in der Band von Sharon Van Etten - im Wissen um die möglichen Konsequenzen anders angegangen? "Das habe ich in der Tat getan", erwidert sie. "Die Zeit abseits der Tourneen hat mich eine Menge gelehrt. Inzwischen betrachte ich die Tourneen definitiv als Job. Ich habe gelernt, dass ausreichend Schlaf das Wichtigste ist, um gesund zu bleiben - körperlich und mental. Lange habe ich nicht mehr als vier oder fünf Stunden pro Nacht geschlafen. Als ich mich entschloss, 2019 wieder viel unterwegs zu sein, habe ich mir selbst versprochen, dass ich mir so oft wie irgend möglich eine volle Mütze Schlaf gönne, so oft wie möglich trainiere, so gesund wie möglich esse und für mich gangbare Grenzen ziehe. Ich hatte sogar einen speziellen Kräutertee, den mir mein Akupunkteur verschrieben hatte, um mir beim Finden der Grenzen zu helfen - in puncto Immunität genauso wie beim Zwischenmenschlichen. Mein Ziel war, 'zur Arbeit zu gehen' und zwischen den Tourneen die Dinge zu genießen, die mir in meinem Leben abseits von Musik und Tourneen wichtig sind."
Trotz dieser gesunden Portion Realismus weiß Broderick aber auch, dass es schlechtere Wege gibt, sein Leben zu verbringen und seine Brötchen zu verdienen. Die Entstehungsgeschichte ihrer letzten LP sei ihr vorgekommen wie ein Märchen, sagte sie unlängst sogar in einem Interview. Deshalb sei abschließend die Frage erlaubt: Lebt Heather Woods Broderick den Traum bereits - oder hat sie noch Träume? "Ich habe für die Zukunft noch viele Träume und Hoffnungen", antwortet sie. "Sie reichen über mein Leben und die Musik hinaus, aber ich hoffe, dass ich langfristig weiter Musik machen kann. Ich habe immer davon geträumt, für Theater, Tanz und/oder Film zu schreiben, und ich hoffe, dass ich die Möglichkeit habe, mein Tätigkeitsfeld und meine Kollaborationen auszuweiten und in diesen Bereichen zu arbeiten." Sie hält kurz inne und fügt lachend hinzu: "Außerdem hätte ich gerne einen Hund, eine Katze … und vielleicht ein Zwergkaninchen."
Live-Session bei
Paste.