"Musik ist meine Berufung - ob mir das nun gefällt oder nicht", sagt Katie im Gaesteliste.de-Interview und spielt damit lachend auf die Unvereinbarkeit von Kunst und Kommerz an. "Sobald du irgendetwas, das dir Freude bereitet, mit Kapitalismus zusammenwirfst, ist es vergiftet. Trotzdem glaube ich, dass gerade derzeit die Musik ein wichtiges Werkzeug ist, das den Menschen dabei hilft, mit sich und anderen in Verbindung zu bleiben. In der letzten Zeit habe auch ich mich immer dann der Musik zugewendet, wenn ich mich verletzlich gefühlt habe, und so hat sie eine wichtige Aufgabe übernommen."
Inzwischen ist es genau zehn Jahre her, dass Katie bei einem Auftritt beim SXSW-Festival in Austin, Texas, entdeckt und kurz darauf vom englischen Renommierlabel Domino unter Vertrag genommen wurde. "Ich kann nicht glauben, dass das wirklich schon zehn Jahre her ist", gesteht sie. "Die Zeit vergeht so schnell! Damals hatte ich auf jeden Fall noch ganz viel zu lernen. Naiv zu sein hatte sicher auch seine guten Seiten, denn du machst einfach, ohne genau zu wissen, was du tust. Bevor ich unter Vertrag genommen wurde, unternahm ich einige kleine DIY-Tourneen, veröffentlichte meine ersten Demos und kannte keine Scham. Ich schrieb die Chefs von Plattenfirmen persönlich an und nahm mit allem und jedem Kontakt auf. Das würde ich heute sicher nicht mehr tun."
Jetzt fühlt sich Katie viel weniger naiv und hat gleichzeitig viel mehr Kontrolle über ihr Tun. "Wenn ich damals im Studio etwas ausprobieren wollte und der Tontechniker sagte: 'So geht das aber nicht!', dann fehlten mir die sprachlichen Mittel, um mit ihm zu diskutieren", erinnert sie sich. "Wenn ich nun mit einem Produzenten im Studio bin, kann ich genau beschreiben, was ich will oder was mir nicht gefällt: "Der Bass ist okay, aber er hat zu viel Midrange und das verschleiert den Sound.' Jetzt habe ich mehr Werkzeuge, um in einem kollaborativen Prozess meinen Standpunkt klarzumachen. Das hat bei der neuen Platte definitiv eine große Rolle spielt.
Schließlich stand die Arbeit an "HiRUDiN" ganz im Zeichen neuer Wegbeleiter - privat wie professionell. "Ich hatte ein Team um mich herum aufgebaut, das mich viele Jahre in kreativen Belangen unterstützt hat, aber irgendwann wurde mir bewusst, dass dieses Team nun nicht mehr das richtige war", sagt Katie. "Also entschloss ich mich, die Reißleine zu ziehen und wieder ganz von vorn anzufangen. Natürlich war das zunächst ein wenig furchteinflößend, es hat mir aber auch die Möglichkeit gegeben, völlig neue Mitstreiter zu finden." Dabei war eine große Bandbreite an Input von Beginn an das Ziel. "Ich wusste, dass ich mit möglichst vielen Musikern kollaborieren wollte und mit außenstehenden Produzenten zusammenarbeiten wollte, auch wenn ich zunächst gar nicht wusste, wie ich das anstellen sollte", erzählt Katie. Also buchte sie blindlings möglichst viele Sessions mit ihren Wunschkandidaten - und war begeistert von den Ergebnissen. "Es hat eine Weile gedauert, bis sich die besten Mitstreiter herausschälten, aber schon auf dem Weg dorthin hatte ich jede Menge Spaß", erinnert sie sich.
Nachdem ihre letzte LP komplett am Computer entstanden war, legte sie dieses Mal besonderen Wert auf eine organische Basis. "Ich höre viel akustisch eingespielte Musik, etwa von Joan Armatrading, hatte viel Freude am letzten Album von Mount Kimbie, das in elektronischer Clubmusik verwurzelt ist, aber trotzdem mit Live-Bass und Schlagzeug entstanden ist, und fühlte mich auch von Mica Levi oder von der Jazzband Sons Of Kemet sehr inspiriert", sagt Katie über ihre Einflüsse. Erst im Anschluss an die Live-Sessions verpasste sie den Songs einen elektronischen Touch. "Nach den Aufnahmen mit all den Musikern und außenstehenden Produzenten hatte ich unglaublich viel Material, aus dem ich auswählen konnte", erinnert sie sich. "Zuvor hatte ich immer nur die Soft-Synths zur Auswahl, dieses Mal stand mir dieser Wust an handgemachten Sounds zur Verfügung, die ich dann zusammenfügen und manipulieren konnte. Manche Leute geben ein Wahnsinnsgeld für Sample-Bibliotheken aus, ich dagegen hatte die Chance, all diese fantastischen Musiker bitten zu können, Material für mich aufzunehmen, das ich dann weiterbearbeiten konnte. All das zusammenzufügen, war ein Riesenspaß!"
Inzwischen lebt Katie wieder in ihrer alten Heimatstadt Toronto, Kontur angenommen hat "HiRUDiN" allerdings in Spanien, wenngleich das letztlich eher auf ihr nomadisches Leben zurückzuführen war. Doch welche Rolle spielen für sie die Orte, an denen sie lebt und arbeitet? "Über genau dieses Thema habe ich kürzlich mit meinem Therapeuten gesprochen", gesteht sie lachend. "Ich war ja praktisch zehn Jahre lang ununterbrochen auf Tour und habe manchmal Probleme zu begreifen, wo ich eigentlich lebe. Lange Zeit war mir das gleichgültig und ich dachte einfach: In Ordnung, du hast einfach nicht die Art von Wurzeln, die andere Menschen haben, zumal ich ja überall arbeiten und Songs schreiben kann. So bin ich für die letzte Platte sechs Monate in Mexiko gelandet, und das war super! Als dann die neue Platte anstand, war ich mit jemand in London zusammen, deshalb war ich zuerst viel dort, und weil diese Person dann für eine Künstlerresidenz nach Spanien ging, bin ich einfach mit. Das war also eher Zufall, ich habe mir nie das Ziel gesetzt, Songs in der spanischen Pampa zu schreiben."
Dabei legt Katie heute viel mehr Wert auf ihre Texte als noch zu Beginn ihrer Karriere. "Als ich anfing, waren mir die Texte überhaupt nicht wichtig. Ich habe mir nie viel Mühe damit gegeben und auch nie richtig hingehört", sagt sie. "Die Hälfte der Texte meiner ersten Platte ergibt überhaupt keinen Sinn! Ich habe einfach irgendwelche Worte ins Mikro gebrabbelt. Für das zweite Album habe ich mir dann Hilfe beim Texten geholt, und bei der dritten habe ich sie wieder selbst geschrieben, mich dabei aber vor allem politischen Themen und der Welt da draußen gewidmet." Erst auf "HiRUDiN" stehen nun betont persönlichen Themen im Vordergrund. Nicht zuletzt deshalb ist ihr Gesang so prominent im Mix vertreten wie nie zuvor. Für Katie ist das ein Verdienst von David Wrench, der das Album abgemischt hat. Aufgenommen hat sie die Gesangsspuren, wie schon in der Vergangenheit, aber auch dieses Mal allein. "Das tue ich, weil die meisten Tontechniker den Hang haben, die Gesangsspuren zu stark zu komprimieren", verrät sie. "Das treibt mich in den Wahnsinn, und deshalb habe ich David gleich zu Beginn klipp und klar gesagt: 'Lass die Finger davon! Ich möchte, dass die Stimme nach mir klingt!' Er hat die Gesangsspuren kaum angefasst, aber er hat einen Weg gefunden, sie komplett in den Vordergrund zu stellen., was mir sehr gefällt. Für die Zukunft kann ich mir allerdings vorstellen, meine Stimme noch stärker zu verfremden."
Apropos Zukunft: Wegen der Coronavirus-Pandemie liegen auch die Austra-Tourneepläne derzeit auf Eis. Erst im November soll es ein Konzert in Berlin geben. So richtig böse ist Katie deswegen aber nicht. "Wenn ich ehrlich bin: Dieses Jahr war für mich auch schon vor dem Ausbruch der Pandemie eine absolute Katastrophe", gesteht sie. "Ich machte eine weitere schmerzhafte Trennung durch, die nichts mit der zu tun hat, von der ich auf der Platte singe, und gleich im Anschluss daran musste ich mich in die Promotion für das Album stürzen. Das war ein ziemlicher Kampf, und deshalb finde ich es gerade nicht schlimm, dass wegen des Virus eine Menge der geplanten Promoaktivitäten ausfallen. Dass ich jetzt daheim sein kann, ein wenig Pause habe und mich ein wenig sammeln kann, kommt mir ganz gelegen." Sie hat sogar schon Muße gefunden, spontan neue Pläne zu schmieden. "Die gewonnene Zeit möchte ich nutzen, um an neuer Musik zu arbeiten, was ziemlich spannend ist, denn normalerweise würde ich ja jetzt erst mal zwei Jahre auf Tour unterwegs sein." Sie hält kurz inne und fügt lachend hinzu: "Es kann natürlich sein, dass nichts dabei herumkommt außer Beklemmung und Paranoia. Wir werden sehen!"