GL.de: Katie, du hast bereits vor zehn Jahren deine erste EP veröffentlicht. Was hat sich seitdem verändert?
Katie Malco: Ich bin jetzt viel überzeugter von der Musik, die ich mache. Gleichzeitig bin ich an einem Punkt angekommen, an dem es mir wichtiger als alles andere ist, unverfälscht zu sein und mich ehrlich und aufrichtig auszudrücken. Allein das hinzubekommen bedeutet für mich, dass ich stolz auf das sein kann, was ich veröffentliche. Vor zehn Jahren war ich jung, war ziemlich verängstigt ob der Situationen, in denen ich mich befand, und war einigen der Dinge, von denen die Songs auf dem Album handeln, viel zu nahe, um sie wirklich verstehen oder artikulieren zu können.
GL.de: Du warst schnell auf einem guten Weg, hast die "The Slow Parade"-EP mit Iain Archer aufgenommen und gerade auch für die EP "Tearing Ventricles", gute, wenn nicht gar überschwängliche Kritiken bekommen. Dann war es lange still um dich. Was ist passiert?
Katie Malco: Ich habe eine Zeit durchgemacht, in der ich viel Selbstvertrauen verloren habe und nicht wirklich an mich als Musikerin oder Songwriterin geglaubt habe. Obwohl ich es damals nicht als solche identifiziert oder erkannt habe, hatte ich einige Phasen der Depression, die mich davon abgehalten haben, Shows zu spielen oder in irgendeiner Weise vor Leuten stehen zu wollen. Ich mochte nicht einmal die Musik, die ich bis zu diesem Zeitpunkt gemacht hatte, und es fällt mir immer noch schwer, sie zu hören. Deshalb kann ich auch nichts davon live spielen.
GL.de: Der Wunsch nach ständiger Veränderung ist unter Musikern heutzutage weit verbreitet. Oft distanzieren sich die Künstler dann auch gleich komplett von ihrer Vergangenheit. Du dagegen hast für "Failures" an vielen Songs festgehalten, die bereits vor sieben, acht Jahren Teil deines Live-Programms waren, und zeichnest mit ihnen deinen bisherigen Weg nach. Hast du je daran gedacht, für die LP ganz von vorn anzufangen?
Katie Malco: Nein, ich habe nie darüber nachgedacht. Wenn ich mich danach gerichtet hätte, was in der Musikindustrie als wünschenswert angesehen wird, hätte ich es wahrscheinlich tun sollen. Es ist wirklich schwer, sich als Songwriter vor den Augen der Menschen zu entwickeln, und ich denke, die meisten Künstler springen von Projekt zu Projekt, um dies zu umgehen und ihr Frühwerk von ihrem jetzigen Ich abzukoppeln. Ich habe das nie getan, weil es sich für mich nicht ehrlich anfühlen würde. Ich hatte das Gefühl, ich schuldete es Katie Malco, ihre Geschichte zu erzählen und diese Platte zu veröffentlichen. Es ist ein sinnloses Pflichtgefühl gegenüber der Person, die ich einmal war, aber aus meiner Sicht hätte alles andere der Bedeutung der Platte Schaden zugefügt.
GL.de: Mit "Failures" schlägst du klanglich einen Weg ein, der sich deutlich sowohl von deinen Frühwerken in Bandbesetzung als auch von der allein am Klavier eingespielten EP "Tearing Ventricles" unterscheidet. Wie kam es dazu?
Katie Malco: Ich bin ein paar Jahre lang durch Großbritannien und Europa getingelt und habe diese Songs allein gespielt. Sie existieren in dieser Form und haben dann eine andere Art von Power, die mir sehr gut gefällt. Ich liebe es, sie allein live zu spielen. Aber nachdem ich zuvor sehr reduzierte Musik veröffentlicht hatte, wollte ich die Songs auf "Failures" so mächtig klingen lassen wie in meinem Kopf. Ich wollte nicht, dass das Album übermäßig produziert und glattpoliert klingt, deshalb habe ich es selbst gemeinsam mit einem Bassisten und einem Schlagzeuger, Stephen Davidson und Andy Jenkin aufgenommen. Mein Freund Jamie Field hat es gemischt, er hat auch "Tearing Ventricles" aufgenommen und gemischt. Ich habe alle Instrumente außer Bass und Schlagzeug auf der Platte gespielt - und wir haben beschlossen, alles so einfach wie möglich zu halten. Wir hätten andere Musiker einbeziehen und mit einem Produzenten in ein schickes Studio gehen können, aber ich wollte das einfach nicht. Zu Beginn der Aufnahme war ich mir noch nicht einmal sicher, was ich bei einigen Songs machen wollte. Einige von ihnen nahmen erst Gestalt an, als wir aufnahmen.
GL.de: Du hast deine Kollaborateure gerade schon angesprochen. Was hast du dir von ihrem Mitwirken versprochen?
Katie Malco: Es kann sehr schwierig sein, sich allein auf sein eigenes Bauchgefühl zu verlassen, wenn es darum geht, die eigene Musik aufzunehmen. Es war von unschätzbarem Wert, zwei Leute dabeizuhaben, denen ich vertraute, um meine Ideen zu spiegeln und Feedback zu bekommen, wann etwas gut (oder schlecht!) klingt. Ich bin es nicht gewohnt, Teil einer Band zu sein, und ich übernehme die volle Kontrolle, wenn es darum geht, zu entscheiden, wie die Dinge klingen und wer was bei den Songs spielen soll, aber Andy und Stephen haben das vollkommen verstanden. Ich denke, viele Musiker würden sich unter diesen Voraussetzungen schwertun, aber sie waren großartig. Wir drei hören viel ähnliche Musik, und Stephen ist auch ein brillanter Songwriter, den ich sehr bewundere. Zwischen uns herrscht blindes Verständnis, wenn es darum geht, gemeinsam Musik zu machen.
GL.de: Das Album erscheint auf 6131 Records, wo u.a. auch das erste Album von Julien Baker erschienen ist, mit der du 2016 auf Tournee in Großbritannien warst. Kam die Verbindung so zustande?
Katie Malco: Ich kannte Sean [Rhorer, Miteigentümer von 6131 Records und Bakers Manager] schon über andere Bands des Labels und deshalb fragte er mich, ob ich Julien auf ihrer ersten Tournee begleiten wolle. Wir saßen alle zusammen im gleichen Auto, waren also die ganze Zeit dicht beisammen, und das hat uns zu viel engeren Freunden gemacht. Sean hatte Interesse, das Album zu hören, sobald es fertig war, obwohl ich damals noch gar keinen klar abgesteckten Zeitrahmen hatte. Aber er hat mich immer wieder gedrängt, ihm Sachen zu schicken, und das war ein Ansporn für mich, die Platte fertigzustellen. Dafür schulde ich ihm was!
GL.de: Außer mit Julien Baker hast du über die Jahre auch mit vielen anderen Größen wie Jenny Lewis, Bob Mould, Dawes oder Kevin Devine die Bühne geteilt. Was waren die wichtigsten Lektionen, die du dabei lernen konntest?
Katie Malco: Es lehrt dich in erster Linie, der bestmögliche Performer zu sein. Erst als ich mit größeren Bands getourt bin, wurde mir klar, dass ihr gesamtes Set normalerweise bis ins kleinste Detail einstudiert und geplant ist und nichts wirklich schiefgeht. Bei kleineren Shows habe ich mich einfach auf die Bühne gestellt und auf das Beste gehofft - und ganz oft ist alles Mögliche schiefgelaufen! Mit dieser Herangehensweise kannst du aber keine ausverkaufte Show vor über 1500 Leuten spielen, ohne dass dein Scheitern vorprogrammiert ist. Ich glaube, ich erwecke immer den Eindruck, dass nichts geplant ist, besonders, wenn ich mit dem Publikum spreche, aber heutzutage plane ich normalerweise jeden Teil meiner Show akribisch. In dem Moment, in dem ich auf der Bühne stehe und die Stimmung im Saal spüre, ist das zumeist alles Makulatur, aber es ist gut zu wissen, ein Backup zu haben, auch wenn ich nie darauf zurückkommen muss.
GL.de: Deine Musik vereint niederschmetternde Traurigkeit und hoffnungsvolle Entschlossenheit. Suchst du aktiv nach dieser Verbindung oder spiegelt das einfach wider, wer du bist?
Katie Malco: Ich denke, es ist Letzteres. Ich bin immer innerlich zerrissen und ich denke, das kann man oft spüren. Ich versuche nicht wirklich, aktiv etwas zu tun, wenn ich mich hinsetze und schreibe - normalerweise geht es mir darum, die bösen Geister zu vertreiben, und was passiert, passiert. Manchmal feile ich später noch etwas daran, aber in 99% der Fälle ist das, was ich innerhalb einer Stunde in meinem Wohnzimmer auf meiner alten Akustikgitarre geschrieben habe, so ziemlich die endgültige Version des eigentlichen Songs, den man hört, wenn ich live spiele.
GL.de: Deine Texte klingen deutlich reflektierter als die vieler ähnlich inspirierter Künstler. Während andere sich damit begnügen, ihre Probleme in ihren Liedern zu beschreiben, scheinen deine Songs die Lösung oft gleich schon mitzuliefern… Darf man das so sagen?
Katie Malco: Vielen Dank! Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht. Ich schreibe oft Texte in mein Handy, wenn ich spazieren gehe, in einem Zug bin, am See in der Nähe meines Hauses sitze oder ich nicht schlafen kann. Oft sind es nur die Gedankengänge in meinem Kopf - ein Art Bewusstseinsstrom. Ich denke mir dann nie: "Ich möchte ein Lied über diese Sache oder diese Person schreiben." Ich fange einfach an zu schreiben und arbeite damit etwas auf, das mich gerade stört. Die Lieder spiegeln ehrlich und wahrhaftig die Dinge wider, die in meinem Kopf umherschwirren.
GL.de: Oft hören wir in Interviews von Künstlern: "Ich bin eigentlich ziemlich glücklich, ich schreibe einfach nur traurige Songs." Wie ist das bei dir? Wie groß ist der Abstand zwischen Katie Malco, der Songwriterin, und Katie Malco, dem Menschen?
Katie Malco: Um ehrlich zu sein, gibt es da keine Trennung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals wirklich ein glücklicher Mensch gewesen bin (außer als ich ein kleines Kind war, vielleicht haha)! Ich erinnere mich, dass ich vor ein paar Jahren mit einem Künstler auf Tour war, der genau das in Interviews gesagt hat, und das verwirrte mich ziemlich, weil ich nicht verstehen konnte, warum jemand traurige Musik schreiben will, der gar nicht traurig ist. Da wurde mir wirklich klar, dass das bei mir anders ist. Für mich ist es ein täglicher Kampf, Frieden und Glück zu finden, anstatt allgemein glücklich zu sein und Lieder nur zu schreiben, um gelegentliche Traurigkeit auszudrücken. Ich bin mir sicher, dass das ziemlich dramatisch klingt, aber inzwischen bin an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich damit umgehen kann. Es reicht mir, wenn mich Dinge zum Lachen bringen oder wenn ich selbst versuche, andere zum Lachen zu bringen, aber einem Glücksempfinden entspringt das leider nicht.
GL.de: Wonach suchst du heute in einem Song und wie hat sich das über die Jahre verändert?
Katie Malco: Schwierige Frage… Ich denke, alles, wonach ich suche, ist das "gewisse Etwas", das mich etwas fühlen lässt, oder was auch immer es ist, das einen Song auf seine eigene Weise großartig macht. Ich liebe zum Beispiel Slipknot, und was ich in einem ihrer Songs suche, ist etwas völlig anderes als das, wonach ich in einem Song von Four Tet oder Sharon Van Etten suchen würde. Es ist eine magische Sache, die dich überrascht und dich fesselt Die Magie liegt in der Tatsache, dass man sie nicht genau bestimmen kann.
GL.de: Nicht wenige der Songs auf "Failures" beschäftigen sich mit bedrückenden Themen wie Missbrauch, Tod oder Flucht in den Alkohol. Wie gelingt es dir, nichts zurückzuhalten, um die emotionale Wucht nicht zu verlieren oder gleichzeitig sicherzustellen, dass es nicht zu deprimierend ist, die Lieder Abend für Abend auf der Bühne zu singen?
Katie Malco: Ich glaube nicht, dass es mir gelingt, diese Balance zu finden, denn es gibt keine Schutzschicht. Ich stehe oft auf der Bühne, höre die Worte, die ich singe, und beobachte, wie sie von den Gesichtern der Zuschauer abprallen, und spüre, wie die brutale Ehrlichkeit der Texte zu mir zurückgespiegelt wird. In diesen Momenten frage ich mich, warum um alles in der Welt ich das tue.
GL.de: Die COVID-19-Pandemie hat dir einen Strich durch deine Tourneepläne gemacht. Auch wenn der Lockdown für dich zu keinem schlechteren Zeitpunkt hätte kommen können: Kannst du der Situation inzwischen etwas Gutes abgewinnen?
Katie Malco: Der Vorteil ist, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben in der Lage war, herauszuzoomen, um das Gesamtbild zu betrachten. Ich habe versucht herauszufinden, was mich glücklich macht und was mich weiterhin glücklich machen wird, um genau dem eine zentralere Rolle in meinem Leben einzuräumen, wenn das alles vorbei ist (falls es jemals vorbei ist). Das einzige Problem ist, dass ich erkannt habe, dass es wohl das Auf-Tournee-Sein ist, was mich glücklich macht, ich muss mich also noch eine Weile gedulden!
GL.de: Letzte Frage: Was macht dich gerade als Musikerin besonders glücklich?
Katie Malco: Ich bin froh, dass ich dieses Album, auf dem ich seit Ewigkeiten sitze, nun endlich loslassen kann und es seine Wirkung entfaltet, wie auch immer die aussieht. Ich bin sehr glücklich und zufrieden, was es bereits bis jetzt erreicht hat. Das ist ein schönes Gefühl, weil ich anfangs unglaublich unsicher war, als ich die ersten Lieder daraus veröffentlicht habe. Das Album hat meine Erwartungen schon jetzt übertroffen, und selbst wenn jetzt nichts weiter passiert, wäre ich immer noch sehr stolz.