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GORDI
 
Musik aus dem Wespennest
Gordi
Die Australierin Sophie Payten a.k.a. Gordi hat Glück gehabt, dass sie ihre zweite LP "Our Two Skins" gerade eben noch vor der Corona-Krise fertig bekommen hat, denn die Bedingungen, unter denen das Album entstand, hätten in Zeiten von Social-Distancing, Home-Office und Reisewarnungen keine Chancen gehabt. Der Song "Aeroplane Bathroom" etwa entstand auf einem interkontinentalen Langstreckenflug und für die Produktion des Albums zog sie sich mit ihren Kollaborateuren Chris Messina und Zach Hanson (die sie von ihrer gemeinsamen Arbeit für Bon Iver kannte) in ein kleines Homespun-Studio zurück, in dem es weder WiFi noch Handy-Empfang gab, wo dann die neuen Songs gemeinsam ausgearbeitet wurden. Das Interessante an der ganzen Geschichte ist dann aber, dass die neuen Songs dann keineswegs den auf Sophies Debütalbum "Reservoir" eingeschlagenen Weg des Big-Indie-Pop weiter verfolgen, sondern - ganz im Gegenteil - weitestgehend als intime Fingerübungen in Sachen Solitüde und Zurückhaltung realisiert wurden, die den gegenwärtig omnipräsenten Isolationsgedanken stimmungsmäßig Vortrieb leisten. Will meinen: "Our Two Skins" steckt eigentlich voller Widersprüche.
Wie kommt Sophie mit der Corona-Krise zu recht? "Nun, in Australien sind wir eigentlich ganz gut dran, was die Infektionen betrifft. Wir sorgen uns allerdings um eine zweite Infektionswelle. Ich sitze jetzt gerade in Melbourne im Lockdown fest. Ich habe eine medizinische Ausbildung und habe das ganze letzte Jahr als Ärztin gearbeitet. Gerade Ende Januar hatte ich den den Job eigentlich hingeschmissen, weil ich ein ganzes Jahr mit Touren geplant hatte. Und dann kam die erste Corona-Welle. Deswegen habe ich meinen Namen jetzt auch wieder in die nationale Datenbank für professionelle Helfer eingetragen. Wenn die Situation sich also verschlechtern sollte, würde ich in einer Klinik aushelfen können." Das ist natürlich sehr löblich. Allerdings stellt sich dann gleich die Frage, wie Sophie es fertig gebracht hat, neben ihrer Tätigkeit als Ärztin überhaupt eine neue Scheibe fertigzustellen? "Nun, wir haben in Australien zum Glück vier Wochen Urlaub im Jahr", lacht Sophie, "im April/Mai letzten Jahres habe ich diesen Urlaub dann für die Aufnahmen genutzt, während ich die neuen Songs Ende 2017 geschrieben habe. Mir war klar, dass ich die Aufnahmen zusammen mit meinen Freunden Chris Messina und Zach Hanson in Australien machen wollte, da ich mich nicht um Jetlags und solche Sachen sorgen wollte. Wir haben dann die Scheibe in vier wundervollen Wochen rausgehauen. Ich bin dann am Tag danach gleich wieder arbeiten gegangen und habe mir die Mixe dann nebenher angehört."
Gordi
Dazu muss man noch wissen, dass Sophie sich ein besonderes Konzept für diese Scheibe ausgesucht hatten: Freiwillig reduzierten Sophie, Chris und Zach auf jeweils fünf Instrumente und/oder technische Geräte, die sie bei den Aufnahmen in Sophies Heimatort Canowindra in der australischen Provinz verwenden wollten. Das bedingt ja sicherlich, dass sich Sophie vorher schon Gedanken darüber gemacht hatte, wie die Songs nachher klingen sollten? "Das kommt natürlich auf den Song an", schränkt Sophie ein, "für die meisten Songs wie 'Aeroplane Bathroom' oder 'Radiator' hatte ich zuvor schon ausgearbeitete Demos gemacht, die wir dann auch verwendeten. Wenn aber etwa die Effekte nicht passten, haben wir diese weggenommen, durch Verstärker gejagt oder neue erzeugt. Eine der Sachen, die wir verwendet hatten, war diese alte Stereo-Anlage mit einem Wespennest drin, das wir in der Hütte gefunden hatten, in der sonst Schafe geschoren werden und durch die wir dann die Aufnahmen jagten, um ihnen diesen schmirgeligen Sound zu erzeugen. Andere Songs wie 'Extraordinary Life' oder 'Unready' haben wir hingegen vom Grund her neu eingespielt. Wir haben mit Instrumenten und Effekten herumgespielt und die Sachen Schicht für Schicht aufgebaut." Aber warum ist dieses neue Album denn so vollkommen unterschiedlich vom letzten? "Ich bin 2018 viel mit einem Künstler namens Sean Carey getourt und hatte auch ein Stipendium in New York, wo ich jede Woche mit anderen Musikern gespielt habe. Das hat mich beides auf das zurückgeworfen, worum es mir bei meiner Musik am meisten geht. Es hat meine Musikalität zurück gebracht. Bei meinem ersten Album ging es um die Zeit im Studio - bei dem neuen Album sollte es aber mehr um Gefühle gehen. Damit meine ich nicht die Emotionalität der Texte, sondern das Gefühl des Musizierens und der Instrumentierung. Die Scheibe sollte wie der Raum klingen, in dem sie entstanden war. Es konnte also nicht um programmierte Samples oder Elektronik gehen, sondern um live gespielte, organische Instrumente. Auch die Platzierung der Mikrophone - etwa in der Küche neben dem Raum, wo die Drums eingespielt wurden - war dabei ausschlaggebend, denn dadurch konnte die Atmosphäre eingefangen werden." Das alles führte dann zu einem eher sparsamen, intimen Sound, oder? "Ja, mein erstes Album verfolgte eher einen maximalistischen Ansatz. Dieses Mal ging es um Minimalismus nach dem Prinzip 'Weniger ist mehr'. Das ist die Situation, in der sich mein Kopf zur Zeit befindet."
Gleichzeitig spielt Sophie ja bekennendermaßen gerne mit einer ganzen Reihe verschiedener Musiker zusammen. Neben Bon Iver arbeitete Sophie etwa mit Troye Sivan, Sam Smith, Julien Baker und Jonsi. "Ja klar", bestätigt sie, "man bekommt so eine Einsicht in den Prozess, den andere anwenden. Ich spiele eine Piano-Sequenz vermutlich ganz anders als andere das tun würden. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten. Es ergeben sich auf diese Weise auch wundervolle Freundschaften, denn Musiker tendieren dazu, ähnlich zu denken und sind auch meist echte Gefühlsmenschen - was einerseits zu einer gewissen Kameraderie führt, aber auch die Weise ändert, über die man selbst vielleicht über dieses und jenes denkt und dir auch viele kreative Möglichkeiten aufzeigt. Ich werde das jedenfalls machen, so lange ich kann." Sophies Ansatz beim Schreiben von Songs ist ein ganz interessanter. So wählt sie sich äußerst banale Details wie Heizkörper, Sandwiches oder Toiletten als Startpunkt, um von dort aus ihre Geschichten in Schwung zu bringen. "Insbesondere dann, wenn man eine universelle Botschaft vermitteln will, ist es besser, mit kleinen Details anzufangen", bestätigt Sophie diese Vermutung, "so handelt etwa der Song 'Sandwiches' vom Tod meiner Großmutter. Ich wollte aber kein großes, tragisches Opus für eine Beerdigung schreiben. Ich vergegenwärtigte mir also immer wieder die Situation und erinnerte mich darum, dass meine Mutter Sandwiches gemacht hatte, die dann am Tag der Beerdigung herumgereicht wurden, bevor wir uns zu einem gemeinsamen Mal zusammensetzten und uns dann an meine Großmutter erinnerten. Dieses Detail war für mich, was die Situation als sie verstarb ausmachte. Anstatt also sozusagen das Offensichtliche auszusprechen, bemühe ich mich die Geschichte auf diese Weise in einer subtilen Weise zu vermitteln. Ich möchte lieber jemanden anregen, nachzudenken, als die Sachen wie auf dem Präsentierteller auszubuchstabieren." Und wie erreicht man das technisch? "Man muss sich als Songwriter schon Mühe geben, eine Sprache zu verwenden, die man im normalen Leben nicht verwendet, die aufhorchen lässt und in der Kombination mit der Musik ein Nostalgiegefühl hervorruft, das den Hörer berührt." Das heißt dann aber vermutlich auch, dass Sophie zu jenen Musikern gehört, die ihre Musik als Therapeutikum einsetzen, richtig? "Definitiv", stimmt Sophie zu, "speziell bei dieser Scheibe. Immer wenn sich mein Leben in irgendeiner Weise verändert, muss ich darüber schreiben, um diese Veränderungen zu verarbeiten, um dann erkennen zu können, wie es weiter gehen könnte." Geht es dabei darum, Antworten zu finden - oder nur darum, bestimmte Prozesse zu verarbeiten? "Ich denke beides", überlegt Sophie, "manchmal schreibe ich selbst Zeilen und stelle erst danach fest, dass mich so und so gefühlt habe. Ich denke, das hilft mir, mich selbst zu verstehen." Und ist Sophie mit dem Ergebnis ihrer Autotherapie zufrieden? "Ja, in der Tat", bestätigt Sophie, "das ist eine für mich sehr bedeutsame Scheibe geworden. Als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, ging es mir darum, schlüssig zu handeln und den Klang und den Prozess des Aufnehmens zu dokumentieren und den Hörer dabei mitzunehmen. Alle Entscheidungen, die wir getroffen haben, haben mit dieser Prämisse zu tun - und insofern war das Ganze dann auch kein Problem für uns."

Und wie geht es weiter mit der Musik von Gordi? Wird es bei dem "Weniger ist mehr"-Ansatz bleiben? "Ich bin mir nicht sicher", zögert Sophie, "ich schreibe schon eifrig an neuen Songs und denke, dass ich am Jahresende genug Material für ein weiteres Album beisammen haben werde, aber ich möchte mir noch keine Gedanken darüber machen, wie das Ganze klingen soll, weil ich mich davon nicht zu sehr einschränken lassen will und stattdessen lieber erst mal die Songs schreiben und anschauen möchte, bevor ich überlege, wie ich die Sache umsetzen könnte."

Weitere Infos:
gordi.bandcamp.com
www.facebook.com/music.Gordi
www.gordimusic.com
www.instagram.com/gordimusic
twitter.com/GordiMusic
linktr.ee/gordimusic
www.youtube.com/watch?v=PMHpIObtUYI
www.youtube.com/watch?v=sBUDAmDf-DY
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Jess Gleeson-
Gordi
Aktueller Tonträger:
Our Two Skins
(Jagjaguwar/Cargo)
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