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COURTNEY MARIE ANDREWS
 
"Mein Herz wollte, dass ich diese Lieder schreibe"
Courtney Marie Andrews
Gebrochene Herzen sind schon in Tausenden von Songs zum Thema gemacht worden. Ganz besonders ergreifend sind diese Lieder zumeist dann, wenn sie mehr sind als reine Fiktion, wenn ein Künstler sie nicht nur singt, sondern wirklich gelebt hat. Auf ihrem famosen neuen, inzwischen bereits achten Album, "Old Flowers", erzählt Courtney Marie Andrews ohne Umschweife oder große Metaphern von einer großen Liebe und ihrem traurigen Ende nach fast zehn Jahren. Ihren Schmerz übersetzt die 29-jährige Amerikanerin ohne einen Hauch von Kitsch in wundervoll intime Songs, die anders als auf dem Vorgänger "May Your Kindness Remain" keine üppigen Arrangements brauchen, um ihre volle emotionale Wirkung zu entfalten, und die natürliche Schönheit von Courtneys einnehmender Stimme ganz in den Fokus rücken. Das Ergebnis ist die ergreifendste, ja, die beste Americana-Platte des Jahres.
"May Your Kindness Remain" war das Album, das Courtney Marie Andrews machen wollte, "Old Flowers" dagegen ist das Album, das die inzwischen in Nashville heimische Singer/Songwriterin machen musste. Das Schreiben und Aufnehmen der neuen Lieder stellte für sie einen wichtigen Teil ihrer Krisenbewältigung, ihrer Trauerarbeit dar. Dieser kathartische Prozess, in dem sie gewissermaßen Therapeutin und Patientin zugleich war, ermöglichte es ihr, sich über ihre Gedanken und Gefühle klarzuwerden und dieses für sie über lange Jahre so immens prägende Kapitel ihres Lebens abzuschließen. Den Weg dorthin beschrieb sie vor einigen Wochen bei unserem atlantiküberspannenden Telefoninterview.
GL.de: Courtney, Herzschmerz ist nicht zuletzt in der weiten Welt des Americana seit jeher ein beliebtes Thema. Hattest du das im Hinterkopf, als du begonnen hast, deine eigene Trennung in deinen Liedern zu verarbeiten?

Courtney: Natürlich ist mir bewusst, dass es zuvor schon viele Trennungs-Songs gegeben hat, aber ich bin nicht nur ein anderer Mensch mit einer eigenen Stimme, mein Herz wollte einfach, dass ich diese Lieder schreibe, und ich war nicht in der Verfassung, dagegenzuhalten. Es werden auch wieder Zeiten kommen, in denen ich mich neuen Themen widmen und neue Ideen erkunden werde, aber im Moment wollte und musste ich genau diese Platte machen.

GL.de: Gerade mit deiner wachsenden Popularität im Hinterkopf - hast du dir beim Schreiben Gedanken darüber gemacht, wie viele deiner innersten Gefühle du preisgeben möchtest?

Courtney: Als ich anfing, die Songs zu schreiben, habe ich schon darüber nachgedacht, aber dann wurde mir schnell klar, dass mich das nur davon abhielt, kreativ zu sein. Wenn du dich zu sehr auf die Erwartungshaltung deines Publikums konzentrierst, kann der Schuss schnell nach hinten losgehen. Das Beste, was du als Künstler machen kannst, ist, auf deine eigene Stimme zu hören, denn wenn du etwas aus den falschen Gründen tust, wirst du es irgendwann bereuen. Ich wollte diese Platte haben, um diese Phase meines Lebens mit etwas festzuhalten, das nachhallt, anstatt einfach nur eine große Leere zurückzulassen, weil mein Tun durch die Aussicht auf Erfolg oder Anerkennung angetrieben war.

GL.de: In einem Interview zu deinem vorletzten Album, "Honest Life", hast du erwähnt, dass du dich eher als Übersetzerin der Gefühle anderer betrachtest und dass man nicht jede Situation, die man als Singer/Songwriter beschreibt, auch selbst durchlebt haben muss. Im Lichte der betont autobiografischen neuen Platte - siehst du das heute noch genauso?

Courtney: Ich war fast noch ein Kind, als ich diese Aussage getroffen habe. Ich denke, speziell viele Frauen hatten in der Vergangenheit Angst, sich in ihren Liedern selbst zu offenbaren, weil traditionell die Meinung vorherrschte, dass das alles ist, zu dem Frauen in der Lage sind. Als Storyteller ist es mir wichtig, die Geschichten anderer zu erzählen, aber dabei auch immer auf meine eigenen Erfahrungen zurückzugreifen. Auf "Honest Life" handelten die meisten Songs von anderen Menschen, aber selbst da steckte auch immer wieder etwas aus meinem eigenen Leben drin - ob ich das damals zugeben wollte oder nicht (lacht).

GL.de: Über deine letzte LP, "May Your Kindness Remain", hast du gesagt, dass du die Rock-Songs während des Tages und die Balladen spät am Abend aufgenommen hast. Die neue Platte dagegen klingt, als sei sie ausschließlich abends und nachts entstanden...

Courtney (lachend): Lustig, dass du das sagst! Es stimmt, wir haben dieses Mal immer erst ziemlich spät am Tag angefangen aufzunehmen. Vor eins waren wir selten im Studio, und die Aufnahmen, die auf die Platte gekommen sind, entstanden wirklich nachts - und bei Kerzenlicht. Diese Lieder sind ein sehr intimes Gespräch mit jemandem, und in der Regel hat man diese Gespräche nun mal abends und nachts.

GL.de: Ist das Gefühl der Intimität, das du transportieren wolltest, auch der Grund, warum du dieses Mal bei den Aufnahmen nur auf ganz wenige Mitstreiter - der von seiner Arbeit mit Big Thief und Bon Iver bekannte Produzent Andrew Sarlo, Multiinstrumentalist Matthew Davidson alias Twain und Big-Thief-Drummer James Krivchenia - zurückgegriffen hast, nachdem auf dem Vorgänger bei praktisch jedem Lied ein vielköpfiges Ensemble, Backingsängerinnen inklusive, zu hören war?

Courtney: Ja! Ich wollte die in den Songs thematisierte Verletzlichkeit betonen - und das geht nun mal nicht, wenn ein ganzer Gospelchor hinter dir steht (lacht). Mir war schon sehr früh im Prozess klar, dass diese Songs leise, vertraulich und intim sein sollten. Deshalb war es mir dieses Mal besonders wichtig, Mitstreiter zu finden, die sich in meine Herangehensweise einfühlen konnten. James und Matt ist das gelungen. Sie verstanden intuitiv, was die Songs ausmacht, und waren deshalb in der Lage, ihnen wirklich etwas hinzuzufügen.

GL.de: Ist die Vermutung richtig, dass du Matt vorgeschlagen hast und Andrew James ins Spiel gebracht hat?

Courtney: Tatsächlich kamen beide Vorschläge von Andrew. Aber sobald er Matt erwähnte, wusste ich, dass das genau die richtige Wahl war. Ich bin ein großer Fan von Matts Arbeit und schätze ihn auch persönlich sehr. Wir waren des Öfteren zusammen auf Tour und er hat auch in meiner Band gespielt. Er beherrscht so ziemlich jedes Instrument und war auch deshalb eine perfekte Wahl. Ich bin sehr glücklich, dass er eine so wichtige Rolle auf diesem Album spielt. James war ebenfalls ein Vorschlag von Andrew, aber ich war von der Art, wie er bei Big Thief Schlagzeug spielt, schon immer sehr begeistert. Ich hatte für die Platte verschiedene Produzenten im Sinn, und Andrew war lediglich der erste, mit dem ich einen Probelauf gestartet habe. Dabei wurde mir aber sofort klar, dass er genau der Richtige für dieses Album war und ich mich mit keinem der weiteren Kandidaten mehr treffen musste. Andrew nimmt die Songs und den ganzen Prozess unglaublich ernst. Dabei geht er sehr intuitiv vor, und das hat ihn zu einer echten Bereicherung gemacht.

GL.de: Die neuen Songs klingen so, als würden sie allesamt auch solo perfekt funktionieren. Wann im Prozess war klar, was und wieviel Instrumentierung hinzugefügt wird?

Courtney: Die ursprüngliche Idee war, bei allen Songs mit so wenig wie möglich auszukommen. Aber wenn du tolle Musiker an deiner Seite hast, dann fliegen bei den Aufnahmen schnell die kreativen Funken. Letzten Endes haben wir aber vieles auch wieder rausgenommen, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Ich habe mich bei den Aufnahmen sehr einsam und verletzlich gefühlt. Manchmal war ich beim Singen fast den Tränen nah, weil ich mit diesen Songs eine bestimmte Person anspreche. Mein Kummer liegt in den Texten und in meiner Stimme.

GL.de: Es stimmt also: Aus großem Leid erwächst große Kunst?

Courtney: Auf jeden Fall. Allerdings heißt das nicht, dass man ständig leiden muss, um gute Platten zu machen. Sobald du einmal Leid am eigenen Körper erfahren hast, kannst du als Künstler immer wieder aus diesem Quell der Emotionen schöpfen. Das Gefühl mag im Laufe deines Lebens mal stärker, mal weniger stark sein, aber es verschwindet nie ganz. Für einen Künstler ist es wichtig, diese Emotionen wachzuhalten: Genau daraus resultieren die eindringlichsten Performances.

Weitere Infos:
www.courtneymarieandrews.com
facebook.com/CourtneyMarieAndrews
twitter.com/courtneymamusic
www.instagram.com/courtneymarieandrews
courtneymarieandrews.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Alexia Viscius-
Courtney Marie Andrews
Aktueller Tonträger:
Old Flowers
(Loose/Rough Trade)
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