Miles Davis - Bitches Brew (1970)
Lee [Pardini], unser Keyboarder, ist Jazzmusiker und ebenso mein Bruder. Ich besitze diese Fähigkeiten leider überhaupt nicht. Manchmal setze ich mich hin und versuche, die Akkordfolgen der Jazz-Songs zu verstehen. Ich kann sie mir dann zwar aneignen, aber mir gelingt es nie, sie zu verinnerlichen. Dennoch haben mir die beiden den Einstieg bereitet: "Hör dir mal Ornette Coleman an, beschäftige dich mal mit Wayne Shorter, kennst du diese Miles-Davis-Platten?" Das Miles-Davis-Album, das mich am meisten beeindruckt hat, ist "Bitches Brew". Vielleicht ist es noch nicht einmal mein Favorit unter seinen Platten, aber es geht mir einfach nicht aus dem Kopf, weil es solch ein wunderbares Beispiel dafür ist, wie ausdrucksstark Musik sein kann. In Interviews hat Miles zugegeben, dass er selbst nicht genau wusste, was er da tat. Trotzdem klingt die Platte bewusst durchkomponiert, obwohl sie bisweilen atonal ist - da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht. Manchmal wechselt der Akkord zwanzig Minuten lang nicht und trotzdem passiert wahnsinnig viel, oder sie wechseln von einer Tonart zur anderen, und all das gibt mir das Gefühl, dass ich nie gelernt habe, richtig großartige Musik zu machen. Die Platte hat mich daran erinnert, dass man sich nicht zu fest an bestimmte Regeln und vorgefasste Meinungen klammern sollte.
Nick Cave And The Bad Seeds - Dig, Lazarus, Dig!!! (2008)
Ich liebe das Album, vielleicht auch, weil es eines der letzten war, bevor ihn persönliche Tragödien heimgesucht haben. Ich mag allerdings auch seine letzten Platten, und überhaupt gefallen mir seine späteren Werke besser. Ich höre mir seine frühen Sachen an und hoffe, dass ich eine Verbindung spüre, aber sie ist einfach nicht da. Vielleicht liegt das daran, dass mir der Punk-Background fehlt? Ich mag sie, aber nicht annähernd so sehr wie seine letzten Alben. "Dig, Lazarus, Dig!!!" ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wozu er in erster Linie als Texter, aber auch als Performer in der Lage ist. Anfangs habe ich Nick Cave vorschnell abgetan - du hörst die Texte und denkst: Naja, er mag halt Tom Waits! Oder du siehst ihn auf der Bühne: Aha, er findet Mick Jagger toll! -, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Langsam, aber sicher ist er zu einem meiner Lieblings-Singer/Songwriter geworden, ganz einfach, weil er so einzigartig und so furchtlos ist. In den letzten Jahrzehnten ist es in Mode gekommen, immer stärker ironisch zu sein und Gefühle zu verschleiern. Nimm nur mal Jeff Tweedy. Ich liebe seine Musik, aber seine Songs werden mit der Zeit immer abstrakter. Nick Cave dagegen gelingt es, Ernsthaftigkeit, Direktheit und Emotionalität unglaublich cool klingen zu lassen.
Los Lobos - Kiko (1992)
Die Platte habe ich letztens nach langer Zeit zum ersten Mal wieder gehört, nachdem ich früher geradezu besessen davon war. Die Songs sind herrlich simpel und die Texte spielen für mich keine große Rolle - nicht, dass sie schlecht wären, aber sie besitzen für mich keine besondere Anziehungskraft -, aber die Produktion! Die Art, wie sie Kompression bei den Percussions einsetzen, dieser völlig wilde Gitarrensound und die Harmonien im Hintergrund - manchmal klingt das für mich etwa so, als würde jemand die Tugenden von Fleetwood Macs "Tusk" auf ein lateinamerikanisches Album anwenden. Es ist allerdings nicht so, dass ich Musik heute ausschließlich mit den Ohren eines Musikers höre. Nimm nur mal die Beatles: Das Gesamtbild ist so wunderschön und perfekt, dass es mir bisweilen schwerfällt zu ergründen, warum genau ich ein Lied mag. Bei Warren Zevon, der einer meiner liebsten Singer/Songwriter ist, klingen die Songs oft fürchterlich, weil die Produktion und die Performance so schlecht sind. Aber wenn du dir eine Gitarre schnappst und die Lieder nur für dich selbst singst, dann wird dir sofort klar, dass all seine Songs Spitzenklasse sind. Es gibt also durchaus Situationen, in denen ich mich als Hörer den Songs eher wie ein Chirurg nähere, aber das kann ich an- und ausschalten. Bei Los Lobos und "Kiko" steht für mich in der Tat der Sound im Vordergrund und damit die Frage: Wie zum Teufel haben sie das bloß hinbekommen?
Joni Mitchell - Night Ride Home (1991)
Das ist eine Platte, die mich vor einigen Jahren wirklich überrascht hat, weil ich sie zuvor nie gehört hatte. Es wird oft davon gesprochen, wie Joni nach ihren 80er-Jahre-Exkursionen wieder zu ihrem ursprünglichen Sound zurückgekehrt ist. Den meisten kommt da "Turbulent Indigo" in den Sinn, weil sie dafür einen Grammy bekommen hat. Für mich dagegen ist erst "Night Ride Home" ihre wirkliche Rückkehr - und die bessere Platte: die Qualität des Songwritings, der Fluss des Albums, der Klang, die Performance. Das soll nicht heißen, dass ich "Turbulent Indigo" für schlecht halte - Joni ist die Beste und wir vergleichen hier eine großartige Platte mit der anderen -, aber ich bevorzuge "Night Ride Home". Das Tolle daran, diese Platte spät zu entdecken, war, dass ich nicht wusste, dass es noch mehr Joni-Musik gab, die ich genauso toll finde wie "Hejira" oder "Hissing Of Summer Lawns". Ich frage mich oft, was sie dazu bewegt hat, sich ihrem alten Sound wieder anzunähern, nachdem sie sich jahrelang aggressiv dagegen gewehrt hatte. Es stimmt, dass viele Künstler in den 80ern vom Weg abgekommen sind, aber auch wenn du Jonis Lieder dieser Phase auf ihr Grundgerüst reduzierst, sind sie einfach nicht so gut wie das, was sie zuvor gemacht hat. Anders dagegen bei Bob Dylan. Seine Platten in den 80ern klangen viel scheußlicher als die von Joni, aber wenn du die Produktion weglässt, verbergen sich dahinter immer noch großartige Songs.
The Rolling Stones - Some Girls (1978)
Vor einer Weile habe ich Keith Richards' Autobiografie "Life" gelesen und fand es faszinierend, seine Perspektive kennenzulernen, auch wenn sicherlich viel daran geschraubt wurde, um ihn gut aussehen zu lassen. Während ich das Buch las, habe ich mir parallel all die Platten angehört, und es war eine Freude, noch einmal in das Gesamtwerk der Stones einzutauchen. Viele Alben habe ich danach in einem völlig neuen Licht gesehen - zuvor war mir "Goats Head Soup" nie wichtig gewesen und plötzlich liebte ich das Album! -, aber die Platte, die mich am stärksten beeindruckte, war "Some Girls". Ich habe das Album immer gemocht, aber erst jetzt wurde mir bewusst, dass praktisch alle Lieder - Strophen und Refrain - mit nur zwei Akkorden auskommen. Einige Songs weichen davon ab, aber nicht viele. Für mich war das ein wertvoller Einblick in die Arbeitsweise der Stones, nicht zuletzt, weil Keith in dem Buch ja immer wieder davon spricht, dass die Lieder erst im Studio aus dem Nichts entstehen. Diese Platte ist ein tolles Beispiel dafür, wie gut das funktioniert. Die Riffs sind sich oft sehr ähnlich, oder früheren Stones-Songs sehr ähnlich, und trotzdem sind sie stets etwas ganz Eigenes. Die Platte hat mich viel darüber nachdenken lassen, was die Magie einer Rock'n'Roll-Band ausmacht.
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