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ALICE PHOEBE LOU
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Berlin Blues revisited
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Der Jahresplan von Alice Phoebe Lou lässt sich auch von einer Pandemie nicht durcheinander bringen. Regelmäßig verbringt sie den Jahresanfang im heimatlichen Südafrika - zum einen, um sich dort von den Touren und der Routinearbeit als Musikerin im Kreise der Familie zu erholen, zum anderen aber auch, um dort gegebenenfalls mit Freunden an neuer Musik zu arbeiten - und so alle zwei, drei Jahre auch, um von dort aus Promotion für ein neues Album zu machen, das sie dann im Vorjahr in ihrer Wahlheimat Deutschland fertiggestellt hat. Das war auch in diesem Jahr so, als es daran ging, das dritte Album "Glow" vorzustellen. Das Besondere war dann dieses Mal allerdings, dass Alice danach ja aus einem Risikogebiet zurück nach Deutschland reisen würde - und insofern nach ihrer Rückkehr mit einer Quarantäne-Phase zu rechnen hatte. Bei all dem ist "Glow" aber keineswegs ein klassisches Lockdown-Album geworden, denn anstatt sich etwa thematisch mit der irritierenden Alltagsrealität auseinanderzusetzen, erforschte Alice auf ihrem neuen Werk erstmalig die vielfältigen Aspekte der Liebe. Ein Thema also, bei dem sie sich bislang eher zurückgehalten hatte.
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Heißt das also, dass sich Alice als Songwriterin neu aufgestellt hat? "Ja, denn früher fehlte mir das Selbstbewusstsein in dieser Form aufzutreten, weil ich nie richtig gelernt hatte, wie man Songs schreibt. Ich habe früher immer sehr instinktiv gearbeitet und hatte stets das Gefühl, dass ich mich irgendwie selbst zensieren müsste und das ich darauf achten müsste, konventioneller zu arbeiten, damit es den Menschen auch gefallen könnte. Ich bin aber jetzt an einem Punkt angekommen, an dem ich realisiert habe, dass meine Stärke als Songwriterin nicht darin besteht, zu versuchen, Songs wie andere - oder Songs nach musiktheoretischen Gesichtspunkten zu schreiben, sondern darin, in der Lage zu sein, Songs zu schreiben, die andere etwas fühlen lassen können." Und das geht mit dem Thema Liebe sicherlich am Besten. Nun ist das aber keine Art von idealisierter "Traumtänzer-Liebe", über die Alice hier singt. Stattdessen scheint sich Alice gar nicht so sicher zu sein, über die Funktion und die Mechanismen der Liebe. In etwa so, wie das bei Songs wie "I'm Not In Love" von 10CC oder "Je t'aime moi non plus" von Serge Gainsbourg (wo sich die Protagonisten bezüglich der Liebe auch nicht so ganz sicher sind) der Fall ist. "Da hast du was erkannt", lacht Alice, "ursprünglich wollte ich mich ja gar nicht mit Liebesliedern beschäftigen. Ich hatte irgendwie Angst vor Liebesliedern - auch weil ich dachte, das wäre zu typisch, einfach über das Thema Liebe zu singen. Dann geriet ich aber in eine persönliche Situation, in der ich sogar sehr verliebt war - aber andererseits gab es da auch Herzschmerz und es war auch ganz schön verwirrend und überhaupt nicht einfach für mich. Da realisierte ich aber, dass - wenn ich Liebeslieder schreiben wollte - ich diese besser nicht über oder für eine bestimmte Person schreiben sollte, sondern über die Art, wie ich mich in den betreffenden Situationen fühlte. Es ging also darum, die verschiedenen Phasen des Prozesses zu analysieren und die Art und Weise, wie ich mich dabei gefühlt habe." Und wie funktionierte das für Alice? "Es ging um diese Gefühle von Hingabe und Herzschmerz, von Sehnen und Verlangen. Ich habe mir also wirklich Mühe gegeben, genau diese Gefühle anzuzapfen und so ehrlich und mit so wenig Ego wie möglich darüber zu berichten. Nur so fühlen sich die Songs dann authentisch an - und nicht wie Klischees oder wie jeder Song, den du jemals schon mal gehört hast. Du triffst also den Nagel auf den Kopf, wenn du sagst, dass die Person, die die Songs schreibt, sich unsicher ist, Höhen und Tiefen durchlebt. Es gab Tage, da dachte ich mir, dass ich alleine zurecht kommen könnte, und Tage an denen ich eine Sehnsucht wie sonst noch nie verspürte. Dieses Album leitet dich also hoffentlich durch all diese Phasen und Ebenen dieser Erfahrung." Mal direkt gefragt: War das vielleicht auch die Zeit, in der Alice beschloss, sich die Haare zu rasieren? "Ja, ganz genau", bestätigt Alice, "das gehörte mit zum Paket. Der Moment, an dem ich mir die Haare rasierte, war für mich eine Art Erlösung. Und das hat sich wirklich, wirklich gut angefühlt. Der Song 'Dirty Mouth' handelt zum Beispiel davon, wie ich mich wieder unabhängig und selbstbewusst fühlte, nachdem ich mir den Kopf rasiert hatte."
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Wie hat Alice denn die Pandemie soweit verarbeitet? "Nun, ich hatte 2019 das geschäftigste Jahr meines Lebens", gesteht sie, "ich bin unglaublich viel 'on the road' gewesen. 2020 sollte also eigentlich etwas ruhiger werden. Dann passierte aber die Pandemie. Ich lebe ja alleine in Berlin - was schon ziemlich intensiv ist, denn ich war ja zuvor ja immer so viel unterwegs gewesen, dass es sich nie anfühlte, als wäre ich wirklich alleine. Jetzt aber fühlte ich mich plötzlich einsam. Ich habe es aber auch irgendwie genossen, in Ruhe an meiner Musik arbeiten zu können. Das Album klingt also so, wie es klingt, eben weil ich zu der Zeit alleine in Berlin wohnte." Das ist insofern witzig, weil es einen frühen APL-Song namens "Berlin Blues" gibt, der genau dieses Thema im Prinzip vorwegnahm. Die neuen Songs sind aber doch nicht alle in dieser Zeit entstanden, oder? "Die meisten schon", zögert Alice, "bis auf den Song 'Driveby', der ursprünglich gar nicht auf der Scheibe sein sollte. Es ist nämlich ein älterer Song von mir. Irgendwie war das dann aber eine sentimentale Sache, weil David Parry - ein guter Freund von mir, der aus Kanada anreiste, um meine Scheibe zu produzieren - meinte, dass ihn dieser Song, den ich live schon öfter gespielt hatte, ihn an einen gemeinsamen, verstorbenen Freund aus seiner Band 'Loving' erinnere, mit der wir öfter auf Tour waren." Okay - die anderen Songs entstanden dann aber während der Lockdown-Phase. Ist das vielleicht der Grund, warum die neuen Songs überhaupt persönlicher ausgefallen sind, als jene, die Phoebe bislang schrieb? "Ja - ich denke schon, dass mich diese Zeit dazu gebracht hat, mich diesen persönlichen Dingen gegenüber zu öffnen", erinnert sich Alice, "das hat sicher auch damit zu tun, dass ich mir eine neue Technik überlegt habe. Ich habe nämlich die Aufnahmetaste gedrückt und dann dann den ersten Satz gesungen, der mir in den Sinn kam, ohne darüber allzuviel nachzudenken und ohne das Ganze dann nachher allzusehr zu editieren." Das erinnert an die assoziative Technik der Beatniks um Allen Ginsberg. "Das mag sein - damit habe ich mich aber gar nicht bewusst beschäftigt - das war aber tatsächlich die Art, in der ich gearbeitet habe", meint Alice, "mir ging es darum, gar nicht darüber nachdenken zu müssen, dass das, was so entstand vielleicht kindisch, naiv, zu persönlich oder verletzlich sein könnte - so lange es nur ehrlich wäre."
Witziger Weise klingt nun gerade diese dritte Studio-Scheibe von Alice endlich so, wie sie sich bei ihren Live-Konzerten mit ihrer Band präsentiert - die bislang immer sehr viel lebhafter ausfielen, als ihre zurückhaltend inszenierten, atmosphärischen Studio-Produktionen. "Auf dem neuen Album passt halt alles sehr viel besser zusammen", räumt Alice ein, "denn in der Vergangenheit habe ich ja viel auf der Straße gespielt und en passant Songs geschrieben und gesammelt - aber ich habe nie versucht, ein Album zu machen. Bei dem letzten Album 'Paper Castles' war das ja so, dass wir die Songs zunächst aufgenommen haben - und diese dann eigentlich erst bei den Live-Shows auf der Bühne weiterentwickelt und ausgearbeitet haben. Das habe ich aber auch erlaubt, weil ich die Songs nicht immer wieder auf dieselbe Weise spielen wollte. Aber auf der neuen Scheibe habe ich die Songs zunächst nur auf der Gitarre oder dem Omnichord oder was immer aufgenommen - aber wir haben dann im Studio gleich diesen Prozess angestoßen, die Songs gemeinsam zu entwickeln. Das war dann ganz ähnlich, wie die Art, wie wir uns auf Live-Shows vorbereiten. Wir haben dann die Songs zu viert aufgenommen - das fühlte sich alles sehr lebendig und unmittelbar an. Es wurde auch nichts neu aufgenommen oder hinzugefügt oder editiert." Dabei entstanden bestimmt auch First Takes, oder? Zumindest hört sich das bei Songs wie bei dem großartigen "Velvet Mood" so an. "Das war tatsächlich ein First Take", bestätigt Alice, "wir haben absolut nichts hinzugefügt. Das ist insofern interessant, als das ich mich bei diesem Song gar nicht so sicher fühlte, denn ich wusste gar nicht, wie der Song funktionieren könnte. Ich habe dann einfach mal versucht, ihn alleine zu spielen. Wir haben einen Take aufgenommen - und es dann einfach so belassen." Das macht die Sache authentischer und ehrlicher, richtig? "Auf jeden Fall", pflichtet Alice bei, "es war aber nicht nur authentischer, sondern auch bestimmter. Ich wusste, was ich wollte und habe es einfach gemacht. Dazu brauchte ich keine Regieanweisung der anderen im Raum und wir mussten auch nicht lange darüber diskutieren. Wir haben das auch speziell bei den Vokal-Spuren so gemacht, denn normalerweise sagt ein Produzent ja oft, dass man es noch mal versuchen sollte und dann noch mal und dann sucht man sich die beste Version aus. Ich mag das aber nicht, weil man so besser in die Stimmung kommt, wenn man es nicht immer wieder wiederholt. Das klingt dann alles unmittelbarer. Und wenn ich damit auf Tour gehe, klingen die Sachen auch frischer, als wenn ich zuvor monatelang versucht hätte, den richtigen Sound, den richtigen Mix und den richtigen Ton zu finden."
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Noch etwas anderes: Kurz nachdem Alice im Dezember letzten Jahres die erste Single "Dusk" des neuen Albums veröffentlicht hatte, gab es als nächstes Lebenszeichen ein überraschendes Video auf Alices Facebook-Seite auf. Hier präsentierte sie nämlich mit ihren Jungs nicht etwa einen weiteren eigenen neuen Song - sondern ein Cover der Paul McCartney-Nummer "Deep Blue Feeling". Das Interessante dabei war dabei, dass dieses ein Song von Sir Pauls drittem Solo-Album ist - das aber erst eine Woche später veröffentlicht werden sollte. Was ist denn da passiert? "Also zunächst mal bin ich ein großer Fan von Paul McCartney und den Beatles", erklärt Alice, "speziell die seltsameren und psychedelischeren Alben waren über meine Eltern und deren Plattensammlung ein großer Einfluss in meinem Leben. Was hier passiert ist, ist dass Paul die neue Scheibe für sich selbst im Lockdown als Heimarbeit angefertigt hatte. Anstatt aber Singles zu veröffentlichen, um eine Kampagne für die Scheibe zu starten, was er nicht wollte, da die Fans das Ganze als Album erfahren sollten - entschlossen er und seine Plattenfirma, den Fans einen Blick auf die neuen Songs in Form von Coverversionen anderer Musiker - durch die Art, wie sie diese Songs sehen - zu ermöglichen. Sie haben dann für jeden Song einen Künstler ausgesucht, der dann diesen einen Song vorab bekam, um diese zu interpretieren. Ich habe dann 'Deep Blue Feeling' bekommen - worüber ich ziemlich glücklich war, denn ich denke, es ist ein sehr interessanter Song. Das war natürlich eine große Ehre für mich." Schön, dass sich etablierte Künstler noch so sehr für die Musik interessieren, dass sie sie nicht als Produkt begreifen. "Ja, ich fand das war eine sehr interessante Art, das Album zu präsentieren", fügt Alice hinzu, "ich mag auch das Album sehr. Es ist ja oft so, dass die neuen Scheiben, Künstler die schon so lange im Geschäft sind, oft nicht mehr den Charme älterer Veröffentlichungen haben. Mal abgesehen von Leonard Cohen oder David Bowie gibt es selten mal neue Scheiben alteingesessener Künstler, die so relevant sind und auch neue Ideen präsentieren wie diese Paul McCartney-Scheibe. Speziell auch, weil diese so unerwartet rauskam und in der einfachen Art, wie sie produziert ist." Es ist ja immer schön, wenn Musiker(innen) durchblicken lassen, dass sie ihren Beruf insofern als Berufung auffassen, als dass sie sich über das eigene Wirken hinaus auch immer als Fans outen. Das ist im Falle von Alice Phoebe Lou natürlich auch so. Zum Glück führt es aber nicht dazu, dass sie sich bemüht, irgendetwas zu emulieren, sondern stattdessen unbeirrbar ihren eigenen Weg geht - wenn auch stets in eine leicht andere Richtung.
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Weitere Infos:
alicephoebelou.com
www.facebook.com/alicephoebeloumusic www.youtube.com/watch?v=aFBmmgM8Sng www.facebook.com/alicephoebeloumusic/videos/426365981723073/ www.youtube.com/watch?v=5v4yK2Ae9Sw
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Interview: -Ullrich Maurer- Fotos: -Andrea Rojas-
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Aktueller Tonträger: Glow (Motor Music/edel)
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