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AZITA
 
Echos aus der Höhle
Azita
Azita Youssefi gehört sozusagen zur alten Garde der Chicagoer "No Wave"-Szene. Denn bereits Anfang der 90er Jahre gründete die Tochter iranischer Einwanderer - desillusioniert von einem unbefriedigendem Studium der visuellen Künste am Art Institute Of Chicago - die "spastic noise-rock"-Band The Scissor Girls. Später kamen dann noch Arbeiten mit Jim O'Rourke und das kurzlebige Bandprojekt Bride Of No-No hinzu, während sie dann ab Mitte der 90er begann, auch Solo-LPs zu veröffentlichen. Damit löste sich Azita dann von den Noise-orientierten, provokativ inszenierten No Wave Roots und wandte sich einer versöhnlicheren, songorientierten Ausdrucksweise zu, die bislang getragen wurde von ihren Klavierkompositionen. Während Azita nebenher auch stets als Musiklehrerin für Gesang und Klavier tätig war, kam es des Weiteren ab Mitte der Nuller-Jahre auch zu einer Zusammenarbeit mit dem Theater-Regisseur Brian Torrey Scott, für dessen Stücke sie die musikalische Aufbereitung übernahm. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entstanden Azita auch zwei Musik-Alben - darunter auch ihre letzte Veröffentlichung namens "Year" aus dem Jahre 2012. Etwas überraschend erschien nun - nach fast zehn Jahren Pause - ein neues Solo-Album namens "Glen Echo", mit dem sich Azita insofern neu positionierte, als dass sie sich hier erstmals der Gitarre als Lead-Instrument bediente und alle Instrumente selbst einspielte. Das führte dann zu einer unerwarteten Situation, aus der ihr der alte Kumpel David Berman (der inzwischen verstorbene Mastermind der Silver Jews) durch einen guten Ratschlag heraus half - wie sie uns berichtet...
"David war mir für 20 Jahre ein guter Freund", erklärt Azita, "in dem Silver-Jews-Video 'Random Rules' von 1998 spiele ich zum Beispiel Bass. Ich glaube es war bei einer Performance von David Grubs beim Drag City Label, wo ich ihm vom Stand meiner Arbeiten an meinem neuen Album erzählte und dabei berichtete, dass ich schon viel davon als Demo - aber ohne Drums - aufgenommen hatte." David empfahl ihr dann, doch einfach selbst Schlagzeug spielen zu lernen - was sie dann auch tat, denn sie hatte vor, für ihr neues Album alles selber einzuspielen. Was veranlasste sie denn dazu? "Ich habe schon seit meinem ersten Drag-City-Album 'Enantiodromia' von 2003 ausführliche Demos aufgenommen, während ich an meinen Alben arbeitete", führt sie aus, "diese habe ich dann dazu verwendet, den anderen Bandmitgliedern die Songs für das Studio oder Live-Auftritte beizubringen. Nachdem wir dann die Scheiben aufgenommen hatten, habe ich mir immer wieder mal die Demos angehört - und obwohl ich schon zufrieden war mit den fertigen Scheiben, hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas von den Demos verloren gegangen war. In dem Fall war das so, dass wir die meisten der neuen Songs schon live mit der Band gespielt hatten - basierend auf den Demos. Ich hatte mich an den Sound der Demos gewöhnt und wusste, dass es da einen gewissen Vibe gab, den ich nicht verlieren wollte, indem ich die Sachen neu mit der Band einspielen würde. Darum ging es auch in der Konversation mit David." In ihrem Video zu dem Song "If You Die" bringt Azita diese Situation insofern auf den Punkt, als dass sie sich selbst in vier Verkleidungen als Band inszeniert. "Ja, die Musiker sind alle ich", erklärt sie, "es gibt ja Dinge, die ich mit meiner Band live nie realisieren könnte - ich werde ja zum Beispiel niemals Drums spielen und singen oder Bass spielen. Das war also meine einzige Chance, sowas zu tun."
Warum gab es eigentlich die lange Veröffentlichungspause zwischen "Year" und "Glen Echo"? "Ich habe mich nie bewusst entschlossen, Scheiben aufzunehmen", berichtet Azita, "es ist nur meine Art, meine Interessen zu verfolgen, bis ich etwas gefunden habe, das ich wirklich machen will. Die meisten der neuen Songs hatte ich schon vor der 2016er Wahl geschrieben. Es hat dann eine Weile gedauert, alle die verschiedenen Teile aufzunehmen und dann hat es weitere Verzögerungen gegeben, indem wir Studiozeit in der Wilco-Loft besorgen mussten, wo die Scheibe gemischt wurde. Und dann hat natürlich die Pandemie die Sache um ein weiteres Jahr verzögert. In der Zwischenzeit habe ich ein paar kleiner Dinge gemacht - ein Song für eine Kompilation und ein Projekt mit Bobby Conn." (Das Projekt nennt sich "Baudelaire In A Box"). "Glen Echo" ist ein Ort, der für Azita eine bestimmte Bedeutung hat. "Ja, 'Glen Echo' ist ein nun stillgelegter Vergnügungspark in Maryland, wo ich die meisten meiner Grundschul- und Highschool-Jahre verbrachte. Ich war wieder dort, als ich meinen Kindheits-Hausstand auflöste und die Angelegenheiten meiner Mutter regelte, die Anfang 2016 verstorben war, als ich den Titel-Song schrieb. Es wurde mir aber erst sehr viel später - als ich die Scheibe masterte - klar, dass das das Titelstück werden würde. Wenn man die beiden Wörter 'Glen Echo' nach dem Wörterbuch analysiert, dann geht es dabei um eine versteckte, abgelegene Höhle, in der Echos existieren oder von dort zurückgeworfen werden."

Gibt es eigentlich ein Leitmotiv auf dem neuen Album? "Das würde ich nicht sagen", überlegt Azita, "ich mag es eigentlich nicht, für meine Scheiben eine Bedeutung auszusprechen - deswegen verwende ich die Worte meines Freundes und großartigen Poeten Brett Ralph, der sagte, es gehe um 'ein wiederkehrendes Thema des Überwältigt-Seins und der Entfremdung durch soziale und politische Kräfte'. Der Hauptdarsteller in fast allen Songs ist überwältigt und versucht, etwas abzuwenden." Manchmal geht es aber auch gar nicht um konkrete Hauptdarsteller, oder? "Ja, in dem Song 'If You Die' geht es nicht wirklich um eine Person, sondern um eine Serie von Bildern und Attitüden. Und in dem Song 'Bruxism' geht es nicht darum, dass ich unter dem Phänomen des Zähneknirschens leide, sondern eher um die Beschreibung einer Art von Furcht oder der Reaktion auf Furcht." Wie geht Azita ihr Songwriting und speziell die Arbeit an den Texten an? Auf der neuen Scheibe verzichtet sie ja zum Beispiel auf das Klavier. "Ich schreibe manche Sachen auf dem Klavier - auch wenn sie als Gitarrensongs enden - oder umgekehrt", erläutert sie, "das ist aber wirklich nicht wichtig. Es gibt sowieso so viele Möglichkeiten, dass das Song-Schreibem jedes Mal total anders ist. Und meine Texte gehe ich sehr bestimmt und vorsichtig an. Es ist mir unmöglich das anders zu beantworten, als dass es für mich das allerschwerste ist und dass ich es sehr ernst nehme." Geht es dabei nicht öfter um den Stream-Of-Consciousness-Ansatz? "Grundsätzlich würde ich sagen, dass das nicht so ist"; zögert Azita, "andererseits gibt es viele Arten des Brainstorming, die ich verwende, die auch Anteile enthält, die man als Stream-Of-Consciousness nennen könnte." Funktioniert das vielleicht wie die Ginsberg-Methode, bei der ungefilterte Assoziationen aneinandergereiht werden oder wie "instant Composing"? "Diese Technik kenne ich sehr wohl - und ich wünschte, da wäre irgend so etwas wie 'instant' beim Texte-Schreiben", führt Azita aus, "aber was das unmöglich macht, ist die Notwendigkeit, Silben den Tönen und der Phrasierung anpassen zu müssen."
Wie sieht Azita die Sozialen Medien und deren Funktion, die sie in dem Song "Online-Life" anspricht? "Das hat sich ja für die meisten von uns zur gebräuchlichsten Methode entwickelt, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten und darüber hinaus Informationen zu bekommen und Ideen auszutauschen. Und das ist heutzutage ja unausweichlich stärker als zu der Zeit, als ich den Song vor der Pandemie schrieb. Es ist zum Beispiel ja auch nicht klar, ob man seine Online-Leben überhaupt jemals wieder auslöschen kann." Wie hat sich Azita denn mit der Pandemie arrangiert? "Ich hatte ja insofern Glück, als dass ich es gewohnt war, all meine Zeit zu Hause zu verbringen und an meiner Musik zu arbeiten", meint Azita, "es hat sich für mich also nicht viel geändert. Ich hatte gehofft, 2020 mehr Shows sehen zu können und mit mehr Leuten zusammenarbeiten zu können - das hat sich dann wohl nicht ergeben. Aber es war nicht schwierig sich darauf einzustellen, weil ich so auch gelebt hatte, als ich an meiner Scheibe arbeitete. Die neue Scheibe habe ich im November 2019 gemastered und sie war auf dem Weg zum Presswerk, als die Pandemie ausgebrochen ist. Der ursprünglich geplante Veröffentlichungstermin war für Juni 2020 angedacht gewesen." Was war Azita denn am Wichtigsten bei dem "Glen Echo"-Projekt? "Die Songs so real wie möglich zu machen, ohne sie dabei durch Fehler bei den Texten oder der Produktion zu verkorksen. Die einzige große Herausforderung war dabei für mich - wie stets - die Texte. Ich arbeite ständig an meiner Musik - und ich hoffe, dass das in Zukunft gleichermaßen der Fall sein wird."
Weitere Infos:
azita.bandcamp.com
www.dragcity.com/artists/azita
azita.info
www.facebook.com/AZITAMUSIC
www.instagram.com/theeazita
www.youtube.com/watch?v=JWINsegCl08
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Thomas Comerford-
Azita
Aktueller Tonträger:
Glen Echo
(Drag City/Indigo)
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