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Interview-Archiv

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CHRIS ECKMAN
 
Der ruhende Geist
Chris Eckman
Eigentlich hatte Chris Eckman als Mit-Betreiber des Glitterbeat Weltmusik-Labels auch während der Pandemie genug zu tun. Aber dann reizte es ihn doch irgendwann, nach längerer Zeit wieder mal zur Gitarre zu greifen und seiner eigentlichen Berufung als Songwriter nachzugehen. Dabei entstand eher beiläufig eine introvertiert ausgeführte Songsammlung, mit der sich Chris den Luxus leisten konnte, in einem inneren Monolog seinen Blick von der aktuellen slowenischen Heimat mit der notwendigen Distanz auf die weiche Unterseite und die eher dystopischen Aspekte der USA zu richten. Obwohl er diese Songs dann eigentlich eher für sich selbst machte, entschied er sich schließlich dazu, diese in Form vertonter gar nicht mal so kurzer Kurzgeschichten dann doch unter dem Titel "Where The Spirit Rests" auf einem Album zusammenzufassen. Die Frage, die sich da eigentlich aufdrängt, ist die, warum er das tat.
"Weil ich auf der praktischen Ebene einfach Zeit für so etwas hatte", meint Chris, "ich hatte mit dem Schreiben der Stücke allerdings schon vor dem Lockdown angefangen. Die Aktivitäten brachen dann ja nach und nach im März, April und hier im Mai zusammen - und da hatte ich dann langsam alles zusammen. Es ist also nicht so, dass die neuen Songs meine Erfahrungen während der Pandemie zusammenfassten, sondern eher so, dass ich Zeit hatte, eine bestimmte Art von Songs zu schreiben, denn ich befand mich da in einer Phase, die nachdenklicher ausgerichtet war, als die gesamten vier Jahre vorher." Bedeutet das, dass die neuen Songs mehr auf Chris' Gedanken basieren und weniger von den Werken von Autoren oder Poeten beeinflusst sind, als seine letzten Arbeiten "Novi Svet", "The Last Side of The Mountain" und "Harney County"? "Hm", überlegt Chris - offensichtlich überrascht von dieser Frage, "ich meine - ich zitiere ja sogar Dichter in den neuen Songs. Ich weiß also nicht so recht. Vermutlich ist es in dem Sinne richtig, als dass ich in den letzten Jahren immer Notizbücher benutzt habe, in denen ich Ideen, Zitate - auch von Poeten -, Dinge, die ich gelesen hatte und so etwas notierte. Das hat natürlich die Idee für Konzepte für Scheiben beeinflusst. Dieses Mal war das aber ganz anders. Ich hatte so lange keine akustische Gitarre mehr gespielt, dass ich mir schon lange vorgenommen hatte, das wieder mal zu machen und jetzt eben dazu kam. Anstatt mich also wie üblich hinzusetzen und mir erst mal mühsam Zeile auf Zeile zu überlegen, schrieb ich auf ein Mal Texte in großen Blöcken und gleichzeitig die Musik dazu. So arbeite ich normalerweise nicht. Da gab es kein großes Konzept, sondern das quoll alles aus aus meinem Unterbewusstsein hervor - auch wenn ich gar nicht so genau weiß, was ein Unterbewusstsein ist - und ich zensierte das dann auch weniger als gewöhnlich."

Die Stimmung der neuen Songs - und auch der erzählenden Charaktere - ist ja zumindest gedämpft (wenn nicht sogar schlimmeres). Haben diese Charaktere bereits aufgegeben - oder akzeptieren sie ihr Schicksal auf stoische Weise? "Es ist eher Stoizismus", überlegt Chris, "sie versuchen irgendwie herauszufinden, was gerade passiert. In dem Song 'Northern Lights' gibt es eine Zeile, die heißt 'damned if we do but damned if we don't' - und am Ende spinnt der Typ fantastische Ideen darüber, wie er aus seiner gegenwärtigen Situation auf eine andere Ebene gelangen könnte. Ich denke nicht, dass es da ein Gefühl der Statik gibt, ein Gefühl, dass man schon am Ende der Welt angekommen sei. Ich denke, es geht eher darum, Dinge abzuwägen und auszuloten, welche Optionen man noch haben und was man als Nächstes versuchen könnte." Wirkliche Antworten finden die Jungs aber nicht notwendigerweise, oder? "Nein - das ist eher ein philosophischer Ansatz", pflichtet Chris bei, "ich stimme dir zu: Eine Antwort findet niemand so richtig. Manchmal ist es aber eben so, dass die richtigen Fragen zu stellen das Einzige ist, was wir tun können."
Chris Eckman
Einige der Charaktere auf der neuen Scheibe grübeln über den Begriff "Heimat" nach - ohne zu einem Schluss zu kommen. Was betrachtet denn Chris heutzutage eigentlich als Heimat? "Nun, ich habe natürlich ein physisches Zuhause", schmunzelt er, "es gibt da diesen Roman 'Ekel' von Jean Paul Sartre, der diese Zeile enthält, die sich bei mir festgesetzt hat. Der Erzähler sagt, dass sich nach zwei Wochen jeder Ort gleich anfühle - weil wir im Grunde genommen immer wir selbst sind. Wir können Wurzeln schlagen, wir können davonlaufen oder auf unglaubliche Reisen gehen - aber wir nehmen unser 'Selbst' immer mit uns. Nicht, dass das jedermann so sieht - aber am Ende geht es darum, das zu erkennen und mit dieser Ausgeglichenheit unsere Heimat in uns selbst zu finden." Ein Hintergrund für die Frage nach Chris' Heimat ist die Perspektive, die er in dem Song "Drinking In America" einnimmt - in dem sich sein Protagonist desillusioniert über den Zustand von Chris' ursprünglicher Heimat nihilistisch herumpöbelnd ins Koma säuft. "Also im letzten Frühjahr wurden mir dieser ganze Wahnsinn und die ganze Irrationalität in den USA einfach zu viel und ich dachte mir, dass das nun das Ende meiner Toleranz sei", meint Chris, "natürlich liegen mir die Menschen in den USA schon noch sehr am Herzen - aber ich kann mich nicht mehr mit der Idee von Amerika identifizieren. Ich habe mal gesagt, dass dieses Stück sozusagen mein Trennungs-Song mit Amerika sei. Damit meine ich aber nicht die Menschen, sondern Amerika als Idee. Das mythische Amerika, an das viele glauben, hat sich nämlich als Sackgasse entlarvt." Und was ist mit der gegenwärtigen Situation - nach Trump? "Nun es ist schon besser - aber das war ja nicht schwer zu erreichen", zögert Chris, "es ist also eine Wendung zum Besseren, aber es hat alles seine Limitationen. Gerade jetzt hat man ja gesehen, dass die Biden-Regierung mit ihrer Reaktion auf die Situation in Israel wieder dem alten Drehbuch folgt." Immerhin werden ja jetzt wieder die positiven und nicht die negativen Aspekte betont. "Ja, das stimmt", überlegt Chris, "ich denke, man versucht etwas aufzubauen und die Menschen, die zu lange ignoriert wurden, wieder einzubeziehen. Lass uns mal hoffen, dass das so weiter geht."
Das Interessante auf der musikalischen Ebene ist, dass es Chris gar nicht darum gegangen zu sein scheint, Elemente anzuhäufen, sondern dass er - ganz im Gegenteil - danach gesucht haben musste, was er weglassen oder herausnehmen könnte, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu erreichen. "Ja, das stimmt", meint er, "ich bin jetzt nicht so arrogant, dass ich dem Hörer zuwinken wollte, um ihn darauf hinzuweisen, worauf er besonders zu achten habe - aber in dem Fall sind die Texte so wichtig, dass ich das Gefühl hatte, dass sie auf eine Weise eingerahmt werden müssten, die Raum bot. Die Texte durften auf keinen Fall in einem Haufen Geräusche begraben werden. Ich dachte mir auch, dass die Songs auf eine gewisse Weise skaliert wurden - weil ich diese ja zu Hause geschrieben hatte. Als es darum ging, sie aufzunehmen habe ich mich einfach dazu entschieden, sie so zu singen, wie ich sie geschrieben hatte - und nicht etwa in der Art eines Rocksängers. Ich musste mir dann nur Leute suchen, die das verstanden." Dazu gehörte ja auch, dass Chris das Album nicht selbst produzierte, sondern den Elektronik-Spezialisten Alastair McNeill bat, ihn diesbezüglich zu unterstützen. Alastair spielte zuletzt Gitarre für Roísín Murphy, hat ein eigenes Bandprojekt namens Yila und lebt seit kurzem - wie Chris ja selber auch - in Ljubljana. "Ja, das war meine Entscheidung", pflichtet Chris bei, "ich war so nah dran an den Stücken, dass ich jemand anderen die Verantwortung für die Produktion überlassen wollte. Ich brauchte weniger eine Unterstützung in dieser Hinsicht, sondern ich wollte einfach nicht die Verantwortung übernehmen. Alle Songs wurden live eingespielt, so dass alles für mich eine Art Aufführung war - und alleine mich darauf zu konzentrieren, war mir dann genug." Dabei muss Alastair McNeill Chris Eckman sehr gut verstanden haben, denn die Balance zwischen der Musik und den Stimmen ist stets zu Gunsten letzterer deutlich zurückgefahren. "Ja, er hat mich sofort verstanden. Er kommt aus einem ganz anderen Umfeld und hat noch nie an einer Scheibe wie dieser gearbeitet", beschreibt Chris das Prozedere, "er musste also erst mal herausfinden, wie sein Ansatz sein könnte. Wir haben dann ein paar Biere getrunken und dann hat er es gleich verstanden. Es ist ganz gut, wenn man jemanden wie ihn an Bord hat, der mit einem Blick von außen auf die Sache schaut."

Neben einigen elektronischen Drones von Alastair McNeill finden sich Beiträge von Chris' Kumpels auf der Scheibe: Seiner slowenischen Rhythmusgruppe Blaž Celarec und Žiga Golob, der Geigerin Catherine Graindorge, Chris Cacavas' E-Piano, Jon Hyde und dem Pedal-Steel-Komponisten Chuck Johnson. Dabei ging es aber - wie angedeutet - nicht darum, Chris' Songs im Bandkontext auszufüllen, sondern das im Titel des Albums angesprochene Verharren des Geistes der von Chris skizzierten Charaktere in angemessener Weise atmosphärisch zu bereichern, so dass am Ende ein in sich geschlossenes Stimmungsbild entstand.
Weitere Infos:
www.chriseckman.net
www.facebook.com/chris.eckman.9
chriseckman.bandcamp.com
www.instagram.com/eckman.chris
www.youtube.com/watch?v=jgBRVmc9kFM
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Jaka Babnik-
Chris Eckman
Aktueller Tonträger:
Where The Spirit Rests
(Glitterhouse/Indigo)
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