GL.de: Ella Williams alias Squirrel Flower hat kürzlich in einem Interview erwähnt, dass sie sich einen Bühnennahmen gesucht hat, weil er wie ein Schutzschild wirkt. Hast du aus ähnlichen Gründen den Namen Mini Trees für dein Soloprojekt angenommen?
Lexi Vega: Ja, ich denke, das kann man so sagen. Ich mache aus meinem wirklichen Namen ja kein Geheimnis, aber trotzdem gefiel mir der Gedanke, so etwas mehr Abstand zu schaffen. Mein Privatleben ist mir wichtig und ein Projektname ist da einfach hilfreich. Ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, meinen eigenen Namen zu verwenden, aber mir gefiel nicht, wie er sich anhört… Das Witzige an der Sache ist, dass ich von Mini Trees immer im Plural spreche und mir selbst nicht ganz sicher bin, warum ich das tue. Manchmal, zum Beispiel wenn wir live spielen, stimmt das ja auch - "Wir sind glücklich, hier spielen zu dürfen" -, aber oft sage ich auch: "Wir arbeiten gerade an etwas", wenn es letztlich nur ich allein bin (lacht).
GL.de: Deine erste LP steht in den Startlöchern. Was ist die größte Veränderung seit deinen ersten Gehversuchen als Mini Trees?
Lexi Vega: Als ich angefangen habe, war ich viel zögerlicher und unsicherer in Bezug auf die Musik, die ich schrieb und veröffentlichte. Ganz lange habe ich die Sachen unter Verschluss gehalten. Ein Grund, warum es so lange gedauert hat, bis ich mich überhaupt an ein eigenes Projekt herangewagt habe, war sicherlich eine gewisse Nervosität. Ich habe mich einfach nicht getraut, meine Sachen zu teilen und mich den Rückmeldungen der Leute auszusetzen. Ich bin immer noch stolz auf die Songs, die ich gemacht habe, als ich gerade anfing, aber verglichen mit jetzt gibt es da schon große Unterschiede - zumindest für mich. Ich habe das Gefühl, dass ich damals immer auf Nummer sicher gegangen bin. Gerade was den Gesang angeht, waren meine frühen Lieder stets einfach. Ich habe nie richtig geschmettert und mich nie der Herausforderung gestellt, die Bandbreite zu vergrößern. Es war alles sehr sicher. Über die Jahre habe ich mehr geschrieben und bin selbstbewusster geworden, und das hat mir dabei geholfen, mich mehr zu fordern, neue Dinge auszuprobieren und Songs zu schreiben, mit denen ich ein wenig über den Tellerrand schaue.
GL.de: Auf welchem Weg bist du zu diesem Punkt gekommen?
Lexi Vega: Meine erste Single ist nicht von vielen Menschen wahrgenommen worden, trotzdem hat mir die Veröffentlichung die Chance gegeben, zu erfahren, wie es sich anfühlt, etwas zu teilen, das persönlicher und verletzlicher ist. Ich war geradezu überrascht, wie sehr ich das genossen habe, Feedback zu erhalten, doch die echte Initialzündung war unser erstes Konzert. Zu dem Zeitpunkt hatte ich sieben Songs geschrieben, die "Steady Me"-EP und die Single, die vorausgegangen war, und das war unser Set. Das war das erste Mal, dass ich bei einem Konzert nicht Schlagzeug gespielt habe - in den Bands, mit denen ich zuvor gespielt habe, war ich immer nur die Schlagzeugerin - und ich wusste überhaupt nicht, wie sich das anfühlen würde oder ob ich mich dabei wohlfühlen würde, als Frontperson in ein Mikro zu sprechen. Es war nur ein kleiner Auftritt, aber da wurde mir klar: Ja, ich mag das hier wirklich, das fühlt sich gut an, das fühlt sich richtig an! Von dem Punkt an habe ich mich entschieden, mich dieser Sache voll und ganz zu widmen. Wir fingen an, jede Menge Konzerte zu spielen und mehr Songs zu schreiben, und seitdem läuft das Ganze in immer schnellerem Tempo weiter.
GL.de: Du gehörst zu einer Generation Musikerinnen und Musiker, deren Songs sehr persönlich und inhaltsorientiert sind. Statt Sex, Drugs and Rock'n'Roll sind heute oft Selbstfindung und Selbstheilung die wichtigsten Gründe, eine Band ins Leben zu rufen. Gilt das für dich auch?
Lexi Vega: Ja! Bei so ziemlich allen Liedern, die ich bislang geschrieben habe, ging es darum, Gefühle und Erfahrungen zu verarbeiten. Das mag sich in der Zukunft ändern. Ich kann mir gut vorstellen, dass dann nicht mehr alles eng mit persönlichen Dingen verbunden ist, aber im Moment ist das noch so. Das fühlte sich einfach natürlich an, denn zumeist fühle ich mich zum Schreiben inspiriert, wenn ich mir zu etwas Gedanken mache oder schwierige Zeiten durchzustehen habe und ein kreatives Ventil benötige. In letzter Zeit habe ich aber mehr und mehr gemerkt, dass ich wachsen und das ein Stück weit hinter mir lassen möchte. Ich möchte nicht die Art leidender Künstlerin sein, die nur dann kreativ ist, wenn sie depressiv ist (lacht). Das wäre nicht nur ungesund für mich, es ist auch einfach nicht wahr. Schreiben kannst du auch, wenn es dir wirklich gut geht! Doch so persönlich meine Songs bislang auch gewesen sind: Es ist mir schon immer wichtig gewesen, dass meine Texte nicht zu spezifisch und damit nachempfindbar sind. Ich möchte, dass die Leute die Lieder hören und sie mit ihren eigenen Erfahrungen verknüpfen können. Das ist etwas, von dem ich selbst als Hörerin verletzlich klingender Lieder profitiert habe, und deshalb möchte ich das nun anderen Menschen mit meinen Liedern auch anbieten.
GL.de: So persönlich und bisweilen düster deine Texte auch sind: Die Musik ist häufig geradezu sonnig. War das zunächst Zufall oder steckte von vornherein Absicht dahinter?
Lexi Vega: Ein bisschen Absicht steckte schon dahinter, aber letztlich bin ich da doch auch etwas reingerutscht. Auf der neuen Platte gibt es das Lied "Doomsday", das musikalisch einer der vergnüglichsten Songs ist, die ich je geschrieben habe, und ihn mit der Band zu spielen, ist ein Riesenspaß, weil er so tanzbar und temporeich ist. Textlich dagegen geht es darum, während der Pandemie total angsterfüllt zu sein und sich auszumalen, wen man alles wegen COVID verlieren könnte, also richtig finstere, morbide Gedanken (lacht). Da wurde mir klar: Das Lied darf musikalisch nicht langsam und düster sein. Alle sind wegen der Pandemie gestresst, das wäre einfach too much, da muss mehr Freude rein. Gleichzeitig hat das dazu geführt, dass ich mich damit gewissermaßen über meine eigenen Ängste lustig mache. Der Kontrast ist zugegebenermaßen ein bisschen albern, aber ich wollte, dass der Song auf seltsame Weise verspielt klingt (lacht).
GL.de: Auch der LP-Titel "Always In Motion" spielt mit dem Konzept der Dualität, denn so wichtig es ist, in Bewegung zu bleiben und sich zu entwickeln, so anstrengend kann es ja auch sein, nie mal stillstehen zu können oder zu dürfen. Siehst du das als etwas Gutes, oder hast du dich noch nicht entschieden?
Lexi Vega: Dass das Ganze manchmal hoffnungsvoll, aber manchmal auch angsteinflößend sein kann, eben weil die Zukunft unbekannt ist, war der Grund, warum ich dem Album den Titel gegeben habe. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich wohl sagen, dass das letztlich etwas Gutes ist, so schwer es manchmal auch ist. Es anders wahrzunehmen, ist allerdings auch müßig, weil man es ja nicht ändern kann. Wenn ich mir die wichtigen Bezugspersonen in meinem Leben anschaue, etwa meine Mutter oder meine Großmutter - sie akzeptieren Veränderung auf solch würdevolle Weise, und das ist etwas, auf das ich auch hinarbeiten möchte. Ich würde mich gerne wohlfühlen bei dem Gedanken, dass es im Leben immer vorwärts geht und dass das Älterwerden neue Herausforderungen, aber auch viel Schönes - mehr Selbstvertrauen und ein besseres Verständnis, wer du selbst bist - mit sich bringt. In der Hinsicht ist es sicher etwas Gutes. Während der Pandemie hat mir diese Perspektive geholfen, denn auch wenn es sich bisweilen so anfühlt, als würde uns COVID ewig beschäftigten, gibt es doch Grund zur Annahme, dass wir darüber hinwegkommen, indem wir uns anpassen, und das hat mir geholfen, mich bei Laune zu halten. Gleichzeitig möchte ein Teil von mir aber auch für immer ein Kind ohne echte Verpflichtungen sein, und ich möchte nicht, dass sich bestimmte Beziehungen in meinem Leben verändern. Das ist die Seite, mit der ich mich manchmal schwertue.
GL.de: Wonach suchst du beim Songwriting? Brauchen speziell deine Texte etwas Bestimmtes, ohne das sie sich nicht vollendet anfühlen?
Lexi Vega: Das ist eine gute Frage. Ich nähere mich dem Texten ohne perfektionistischen Anspruch, denn die Texte sind für mich der komplizierte Teil des Songwritings. Ich weiß, wie ich bin, und wenn ich beim Texten perfektionistisch wäre, würde ich nie etwas fertigbekommen. Trotzdem denke ich selbst bei den Liedern der neuen Platte manchmal: Ich wünschte, ich hätte das anders ausgedrückt. Letztlich geht es aber darum, meine Gedanken zu dem Zeitpunkt, an dem der Text entsteht, auf eine Art und Weise einzufangen, mit der ich mich wohlfühle. Ich schreibe die Musik stets zuerst und murmele mir zur Gesangsmelodie, die ich in meinem Kopf höre, nur etwas zusammen, damit ich sie nicht vergesse. Wenn ich dann später zu dem Lied zurückkehre, sind die Texte auch immer eine Reaktion darauf, welche Gefühle die Musik in mir auslöst. Die Herausforderung dabei ist natürlich, dass ich Zeilen schreiben muss, die auf die Musik passen.
GL.de: Du hast klare Vorstellungen von der Musik, die du gerne machen möchtest, trotzdem hast du dir mit deinem Produzenten Jon Joseph auch einen starken Partner ausgesucht, der dich von Anfang an auf deinem Weg begleitet hat. Was macht eure Kollaboration aus?
Lexi Vega: Ich bin sehr glücklich, dass wir uns gefunden haben, denn Jon hat von Beginn an verstanden, was für eine Art von Musik ich machen will, selbst zu Zeiten, als ich nur meine Lo-Fi-Schlafzimmer-Demos vorzuweisen hatte. Allerdings hat sich die Zusammenarbeit über die Jahre auch verändert. Wie ich eingangs erwähnt habe: Anfangs war ich noch sehr zögerlich, und wenn ich ein Lied zeigte, sagte ich immer so etwas wie: "Hier ist mein Song, wenn dir etwas daran nicht gefällt, kannst du natürlich alles verändern, was du willst." Er war aber immer auf meiner Seite und sorgte so dafür, dass ich selbstbewusster in Bezug auf meine Lieder wurde. Manchmal machte er aber auch sehr konkrete Verbesserungsvorschläge, für die ich sehr dankbar war, weil ich nie von allein darauf gekommen wäre. Er hilft mir dabei, meine Songs stärker aufzubrechen, da ich selbst einen Hang zu Wiederholungen habe. Er denkt wie ein Jazzmusiker und ist immer darauf aus, einen Song weiterzuentwickeln und ihm hier und da kleine Überraschungen hinzuzufügen. Sein Zutun hat mir geholfen, meine Lieder in verschiedene Richtungen zu bugsieren. Manchmal gibt es natürlich auch Situationen, in denen ich sage: "Oh, das ist mir jetzt etwas zu schräg!", aber in den meisten Fällen bin ich für seinen Input sehr dankbar. Ich bin selbst keine Produzentin, weil ich mich mit diesen Sachen nie wirklich beschäftigt habe, Jon dagegen ist ganz in seinem Element, wenn es darum geht, Klänge oder Klangfarben im Studio einzufangen. Damit hat er auf jeden Fall geholfen, den Mini-Trees-Sound zu formen.
GL.de: Über "Otherwise", den letzten Song der LP, hast du gesagt, dass dir ein offenes Ende des Albums wichtig war. Spielt das darauf an, dass du die Musik als Langzeitprojekt oder vielleicht sogar als lebenslange Verpflichtung siehst, oder wie kam es dazu?
Lexi Vega: Natürlich habe ich für Mini Trees langfristige Pläne, nicht zuletzt deshalb, weil ich nichts wüsste, was ich sonst tun sollte (lacht)! Ich habe das Musikmachen schon immer geliebt und ich glaube nicht, dass ich damit aufhören werde. Auf persönlicher Ebene oder wenn ich an die Themen denke, die ich auf der Platte anschneide, war mir ein offenes Ende wichtig, weil ich stets versuche, die Dinge unvoreingenommen anzugehen. Ich habe kein unumstößliches Fazit, da ich das Gefühl habe, dass ich ständig wachse und mich verändere. Das galt speziell für die Zeit, in der die Songs entstanden sind: Ich wusste wirklich nicht, was die Zukunft bringt oder woran ich noch glauben soll. Bisweilen führt das zu Spannungen, aber es macht sich auch ein Gefühl der Akzeptanz bereit. Es kann gut sein, dass das nächste Jahr viele Veränderungen für mich breithält und dass sich dabei auch meine Sicht der Welt verändert, und deshalb habe ich mir gesagt: Ich muss nicht wissen, wie ich dieses Album abschließe, ich kann auch einfach offen sein, für was auch immer als Nächstes kommt!
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