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PINEGROVE
 
Herausforderungen im Quadrat
Pinegrove
Alles neu bei Pinegrove? Seit der Veröffentlichung ihres hochgelobten letzten Albums "Marigold" sind gerade einmal zwei Jahre verstrichen, trotzdem scheint es so, als habe seitdem nicht nur die Corona-Pandemie das Leben der ursprünglich aus Montclair, New Jersey, stammenden Band auf den Kopf gestellt. Nach dem Auszug aus dem Amperland getauften Haus in Upstate New York, das Mastermind Evan Stephens Hall und den Seinen lange als Heim und kreativer Hotspot gedient hatte, entstand ihr neues, inzwischen fünftes Album, "11:11", erstmals in einem echten Tonstudio und erstmals auch mit externer Hilfe - Death-Cab-For-Cutie-Gründungsmitglied Chris Walla - beim Mixing. Das Resultat dieser Veränderungen ist ein herrlich dynamisches Album, auf dem Hall gemeinsam mit seinen Mitstreitern Zack Levine, Sam Skinner, Megan Benavente, Joshua F. Marré (und einigen Gästen) weniger auf Hochglanz setzt als noch zuletzt und so den musikalischen Schwerpunkt behutsam, aber doch merklich verschiebt, ohne dabei das Terrain von Emo-Rock, Indie-Country und Americana zu verlassen, auf dem sich Pinegrove schon immer zu Hause gefühlt haben. Textlich trägt Hall derweil sein politisches Gewissen auf der Zunge, wenn er sich Klimawandel, Umweltzerstörung, sich in Lügen verstrickende Politiker und andere brennende Themen der herausfordernden Zeiten, in denen wir leben, in Songs vorknöpft, die bisweilen warnender Appell und sinnstiftender Trostspender zugleich sind. Mitte Dezember hatte Gaesteliste.de die Gelegenheit, mit dem smarten Pinegrove-Vordenker per Videochat über all diese Neuerungen zu sprechen.
GL.de: Evan, die ersten Veröffentlichungen von Pinegrove liegen inzwischen zehn Jahre zurück. Was sind die wichtigsten Lektionen, die du seitdem gelernt hast?

Evan Stephens Hall: Oh Gott, es gibt immer jede Menge zu lernen, ganz egal, ob es darum geht, wie man als Band besser spielt, wie man auf der Bühne eine vernünftige Lautstärke hinbekommt oder wie man besser in ein Mikrofon singt. Dann gibt es natürlich auch Fragen zum Führungsstil. Was sind die Best Practices, die wir als Gruppe von Leuten umsetzen wollen? Es gibt Fragen zu Management und Zeitmanagement und solche Sachen. Man lernt außerordentlich viel in einer Band, besonders, wenn man eine Weile mit den gleichen Leuten in einer Band ist. Natürlich hatten Pinegrove einige Besetzungswechsel über die Jahre, denn ich respektiere die Bemühungen meiner Mitstreiter, sich selbst kreativ zu verwirklichen. Es ist einfach schwierig, jemanden, der selbst Songwriter ist, zu bitten, alles stehen und liegen zu lassen und mit dir auf verrückte Reise zu gehen. Ich denke, in dieser Hinsicht haben wir auch gelernt, wie man mit gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Ermunterung besser verhandelt. In einer Band zu sein, ist letztlich einer Beziehung ähnlich, allerdings gibt es mehr Dynamik.

GL.de: In der Tat seid ihr bislang eine eingeschworen DIY-Gemeinschaft gewesen, die bisweilen sogar unter einem Dach gewohnt hat. Für "11:11" habt ihr jetzt dennoch zu ersten Mal auf Hilfe von außerhalb zurückgegriffen. Wie passt Chris Walla ins Bild?

Evan Stephens Hall: Tatsächlich kam die Idee zuerst von unserem Manager oder von unserem Label, allerdings sind wir als Band immer daran interessiert, neue Dinge auszuprobieren, und vor allem, da "Marigold" meiner Meinung nach so etwas wie die beste Version eines bestimmten Sounds darstellt. Ich bin wirklich stolz darauf, wie das Album klingt, und ich denke, Sam hat beim Mix unglaubliche Arbeit geleistet, aber so stolz wir auch waren, sagten wir uns doch: Lasst uns etwas anderes versuchen! In gewisser Weise war das ein bisschen riskant, aber ich denke, es hat gut funktioniert. Vom ersten Moment an hat Chris uns das Gefühl gegeben, alte Freunde zu sein, und es ist wirklich unglaublich, dass er das getan hat. Wir können ihm gar nicht genug dafür danken! Death Cab ist eine unserer Lieblingsbands, und seit ich die Gelegenheit hatte, Chris ein bisschen zu den Produktionen ihrer Platten auszuquetschen, weiß ich, dass viele der Momente, die mich besonders ansprechen, Beiträge von ihm waren, wenngleich ich die Musikalität und das Songwriting der anderen Bandmitglieder natürlich auch schätze.
GL.de: Mit den Liedern der neuen Platte hoffst du, mehr Gemeinschaftssinn zu stiften. Um mal den Advokaten des Teufels zu spielen: Ist das in unserer immer mehr auseinanderdriftenden Gesellschaft noch ein realistisches Ziel oder inzwischen fast nur noch eine Utopie?

Evan Stephens Hall: Wir scheinen in einer ziemlich schwierigen Lage zu sein, aber der erste Schritt besteht darin, das zumindest anzuerkennen. Zum Beispiel gibt es in Europa eine Vielzahl öffentlicher Versorgungsunternehmen. Das ist sehr klug, davon könnten sich die Vereinigten Staaten etwas abschauen. Ich kann mir vorstellen, dass der Staat New York das übernimmt und dann der Nordosten, dann schließt sich vielleicht Kalifornien an, und dann könnte es plötzlich so sein wie damals bei der gleichgeschlechtlichen Ehe, die zuerst nur in einem Staat erlaubt war, dann in mehreren Staaten, und dann hat sich die öffentliche Meinung irgendwie verschoben. Das würde ich bei anderen Themen auch gerne sehen und ich denke, es gibt Grund zu der Annahme, dass wir uns organisieren können, um dieses konkrete Ziel zu erreichen. Ich möchte allerdings auch noch einen Vorbehalt äußern. Ich bin ein Bürger, der eine Meinung vertritt, ich bin kein Politiker. Allerdings sollte jede einzelne Person in den USA und in der Tat in der ganzen Welt ob des starken US-Einflusses die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu dem zu äußern, was vor sich geht. Denn diese Entscheidungen werden jeden betreffen, und die Machthaber wollen die Leute glauben machen, man müsse ein Experte sein, um sich einzumischen, aber das ist genau das Exklusivitätsmodell, das die Dominanz der herrschenden Klassen aufrechterhält.

GL.de: Auch das Thema Umweltzerstörung ist ein Thema des neuen Albums, deshalb passt es ganz hervorragend, dass die Plattenhülle dieses Mal in Grüntönen gehalten ist. All eure bisherigen Cover waren auf bestimmte Farben abgestimmt, aber als du angefangen hast, diese Idee umzusetzen, konntest du ja noch nicht ahnen, dass zehn Jahre später plötzlich grün auch inhaltlich perfekt passen würde. Wie kam es dazu?

Evan Stephens Hall: Das ist eine großartige Frage, weil ich dazu ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern kann. Ich bin kein regelmäßiger Besucher des Pinegrove-Reddit, aber manchmal leiten mir Freunde ein paar dort geäußerte Gedanken weiter. Dort erwähnte jemand, dass "Cardinal" rot war, "Marigold" gelb, "Sky Light" blau und dass doch jetzt bestimmt grün folgen müsste. Das hat ein Feuer in mir entfacht, und ich dachte mir: Warum nicht? Es war noch früh im Schreibprozess, als ich gerade überlegte, welche Motive den Zusammenhalt für das Album bilden würden, und dieser Vorschlag war eine echte Inspiration, eine Herausforderung, die ich angenommen habe.

GL.de: Du hast zu den einzelnen Songs Linernotes verfasst, bei denen uns einige Begriffe ins Auge gesprungen sind. Du erwähnst dein Interesse an einfachen Mustern und Formen. Ist dieser Wunsch nach mehr Simplizität etwas, was dich schon länger begleitet, oder Teil der Neuerungen im Rahmen von "11:11"?

Evan Stephens Hall: Ich denke, das war von Anfang an eine Art Leitbild, ähnlich wie mein Interesse an den Grundfarben, denn ich finde es wirklich erstaunlich, dass jede Farbe der Welt in diese wenigen Farbtöne destilliert werden kann. Das Quadrat [er spielt auf das Covermotiv des neuen Albums an] ist eine sehr simple geometrische Form. Ich finde, dass eine der Aufgaben eines Künstlers oder zumindest eine meiner Aufgaben als Künstler darin besteht, all diese chaotischen kakophonischen Reize in etwas herunterzubrechen, das etwas kleiner und ein bisschen besser verdaulich ist. Das ist ein Grund, warum ich das Quadrat mag. Es ist ein Rahmen, den du festlegst. Wenn du etwas Bestimmtem einen Rahmen hinzufügst, dann bedeutet das, dass du zu einigen Dingen Ja sagst und zu anderen Nein. Es ist prima, sich künstliche Räume zu schaffen, in denen das möglich ist. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Linien des Quadrats handgemalt sind, will heißen: Ich versuche innerhalb des Rahmens zu bleiben, aber manchmal gelingt es mir nicht, weil ich auch nur ein Mensch bin.

GL.de: Ein anderer Begriff, den du in deinen Linernotes erwähnst, ist "Erneuerung”. Sich verändern zu wollen und das tatsächlich erfolgreich umzusetzen, sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe. Ist es euch schwergefallen, mit all den Neuerungen - Studio, Produzent, Sound - umzugehen?

Evan Stephens Hall: Ich frage mich, ob das vielleicht eher ein unvermeidlicher Prozess ist, denn niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, niemand kann zweimal dieselben Tränen weinen. Ich bin jetzt ein bisschen älter und habe wirklich kein Interesse daran, noch einmal eine Platte wie "Cardinal" zu machen. Ich habe kein Interesse daran, zu etwas zurückzukehren, es sei denn, ich habe etwas Neues dazu zu sagen.
Weitere Infos:
pinegroveband.com
www.facebook.com/Pinegroveband
twitter.com/pinegroveband
www.instagram.com/pinegroveband
pinegrove.bandcamp.com
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Christa Joyner Moody-
Pinegrove
Aktueller Tonträger:
11:11
(Rough Trade Records/Beggars Group/Indigo)
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