GL.de: Sarah Beth, seit der Veröffentlichung deines ersten Albums, "At Weddings", sind vier Jahre vergangen. Was hat sich seitdem am meisten verändert?
Sarah Beth Tomberlin: Ich denke, der größte wahrnehmbare Unterschied für mich ist, wie beschäftigt ich bin. Auch mit "At Weddings" war ich schon beschäftigt, aber damals habe ich anfangs noch Vollzeit in einem Café gearbeitet. Dort musste ich irgendwann aufhören, weil ich die Arbeit nicht mit den vielen Tourneen vereinbaren konnte. Ich war in Louisville, Kentucky, heimisch, dann bin ich nach L.A. gezogen, und dann bin ich während der Pandemie nach Brooklyn gegangen. Das waren richtig große Veränderungen. Hinzu kommt, dass mein Terminplan komplett vollgestopft ist. Die Wochen vor dieser Tournee waren wirklich, wirklich, wirklich die arbeitsreichsten meines ganzen Lebens: die Proben, die viele Pressearbeit, für die ich sehr dankbar bin. Ich bin einfach wahnsinnig beschäftigt.
GL.de: Glaubt man dem Waschzettel deiner Plattenfirma, ist es das Thema der neuen Platte, "einen Altar für Gefühle zu schaffen." Wie ist das gemeint?
Sarah Beth Tomberlin: Es ist schon lustig, solch ein Interview für die offizielle Pressebiografie zu machen. Am Ende pflücken sie sich einfach irgendwelche Zitate heraus. Als ich das las, dachte ich: Ich kann mich nicht einmal erinnern, das gesagt zu haben, und nun ist es die zentrale Aussage zum Album! Aber um deine Frage zu beantworten: Ich denke, meine erste Platte dreht sich um eine Menge Fragen. Es geht darum, ein junger Mensch zu sein: Wow, da sind all diese Dinge, mit denen ich nichts anzufangen weiß. Textlich war ich damals verschlossener, aber jetzt, da ich älter bin - ich glaube, ich war 21 oder 22, als ich den Großteil der Songs des ersten Albums schrieb, jetzt bin ich 27 -, fühle ich mich viel wohler mit mir selbst. Ich fühle mich auch wohl mit der Vorstellung, dass ich manchmal zu Dingen Nein sagen muss, um Raum für mich zu behalten. Als ich jünger war, wollte ich stets alles für alle sein, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass das nicht geht, dass ich das nicht kann.
GL.de: Kurzgeschichten und Gedichte hast du schon geschrieben, bevor du dich ernsthaft der Musik zugewendet hast. Was war damals eigentlich der Auslöser für diesen Schwenk?
Sarah Beth Tomberlin: Ich habe mir schon immer Songs ausgedacht, aber lange Zeit habe ich sie nicht niedergeschrieben. All die Heimvideos meiner Familie zeigen mich, wie ich dasitze und für meine Schwestern singe oder Lieder erfinde. Da heißt es immer: "Sarah Beth singt ein Lied!" Songs zu erfinden und Songs zu schreiben, fühlte sich für mich allerdings nicht real an, bis ein Instrument ins Spiel kam. "Tornado" war der erste Song, den ich in meinem Leben geschrieben habe, den ich wirklich mochte und deshalb nicht verworfen habe. Der Übergang zum Songwriting bestand letztlich nur darin, mich hinzusetzen, um es zu tun. Das war keine große Sache. Ich hatte es schlichtweg zuvor nicht ausprobiert, ich hatte mir nicht wirklich Zeit genommen, es anzugehen, und letztlich passierte es eines Tages, kurz bevor ich zur Arbeit im Handyladen ging. Ich habe mich einfach ans Klavier gesetzt, den Song in 20 Minuten aufgenommen, und dann war er fertig! Ich dachte mir: Oh, das hat Spaß gemacht, das will ich noch mal machen!
GL.de: Du beschreibst dich selbst als Mensch, der vor allem auf die Texte Wert legt. Welche Rolle spielt für dich dann die Musik?
Sarah Beth Tomberlin: Die Musik spielt eine große Rolle, aber ich bin nun mal Autodidaktin. Viele ausgebildete Musiker können, wenn sie ein bestimmtes Gefühl ausdrücken wollen, ohne Umwege dorthin gelangen. Ich dagegen muss mich hinsetzen, zur Gitarre zu greifen und einfach anfangen zu spielen: Wow, ich mag diesen Akkordwechsel, ich mag dieses Gefühl - und dann beginnen die Worte zu fließen. Der Prozess ist irgendwie magisch für mich, aber das bedeutet nicht, dass ich das unbedingt beibehalten möchte. Ich glaube, ich bin von meiner ersten Platte zu dieser Platte immens gewachsen. So gerne ich mich auch auf mein Gehör verlasse, würde ich doch gerne Unterricht nehmen, um mich dadurch weiterzuentwickeln, allerdings hat mir bislang die Zeit dazu gefehlt. Alle meine Freunde, die Unterricht haben, raten mir aber, die Finger davon zu lassen und weiter auf mein Gehör zu vertrauen, ich solle das Ohr-Ding weitermachen. Die haben gut reden, die wissen ja schon alles (lacht)! Natürlich kann durch mehr formale Ausbildung auch etwas verloren gehen. Die Hörer spüren, wenn weniger Emotionen in deinem Tun stecken oder du versuchst, sie auszutricksen.
GL.de: Auch wenn die Arrangements auf "I Don't Know Who Needs To Hear This…" spürbar weniger spartanisch sind als in der Vergangenheit, bestechen die Aufnahmen doch weiterhin durch ihren oft herrlich beiläufigen, informellen Charakter. War das ein konkretes Ziel oder einer der glücklichen Zufälle, die dich überall auf deinem Weg zu begleiten scheinen?
Sarah Beth Tomberlin: Ich glaube, ich wusste von Anfang an, dass ich den Sound in puncto Instrumentierung erweitern wollte, gleichzeitig war mir aber auch wichtig, dass die Seele des Songs erhalten bleibt. Philip Weinrobe, der die Platte mit mir co-produziert hat, war sehr bedacht darauf, genau auf diesen Aspekt zu achten. Das gilt sogar für einen Song wie "Easy", mit dem das Album beginnt. Ich wusste, dass es kein Gitarrensong werden sollte, weil ich wollte, dass er ein bisschen mehr Mysterium und Tiefe hat. Vor allem sollte er wirklich dramatisch sein, und deshalb schwebten mir von Anfang an Synthesizer und ein paar andere klangliche Elemente vor. Trotzdem habe ich ihn zuerst auf der Gitarre gespielt und wir haben uns darauf bezogen, und ich bin wirklich stolz darauf, dass dieses Spannungselement erhalten geblieben ist. Ich denke, wir haben alle ganz genau hingehört, denn das ist genau Phils Ding. Wir sind wirklich gute Freunde, denn er wohnt nur ein paar Straßen weiter, und bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir viel darüber geredet, den Kern der Songs beizubehalten, und ich glaube, das ist uns gelungen.
GL.de: Vor einigen Jahren hast du in einem Interview gesagt, die Songs auf "At Weddings" seien von der "grauen Nichtigkeit" deiner alten Heimat Illinois inspiriert worden. Die letzten Jahre hast du in Los Angeles und Brooklyn verbracht - zwei fraglos sehr unterschiedliche Orte. Wie hat sich das auf die neuen Lieder niedergeschlagen?
Sarah Beth Tomberlin: Ich denke, das hat Spuren in der Instrumentierung hinterlassen. Bei einem Song wie "Tap" habe ich immer wieder gesagt, dass er wie eine Szene in einem Film sein soll, in der man jemand beim Laufen zusieht und all diese Farben und Gebäude vorbeiziehen, dann aber die Szenerie wechselt und man plötzlich im Wald von Ästen umgeben ist. Also sind wir raus in den Garten, denn ich wollte wirklich, dass dieses Erd-Element erhalten bleibt. Die Stadt war natürlich auch eine Kulisse, aber bei diesem Song vermisste ich das Land, während ich gleichzeitig versuchte, Wege zu finden, mich der Natur der Stadt anzunähern. New York hatte also auf jeden Fall Einfluss, sogar auf einen Song wie "Happy Accident". Der ist sehr sludgy, sehr grungy, und genau dieses 90er-Jahre-Feeling habe ich angestrebt. Ich denke, wir haben es auch tatsächlich eingefangen! Ganz allgemein war New York ein größerer Einfluss als Los Angeles. Ich liebe L.A., aber ich muss nicht dort leben. Das war nichts für mich, dort ist mr alles zu unecht (lacht).
GL.de: Lass uns sein wenig über deine Herangehensweise an die Texte sprechen. In "Easy" gibt es die Zeilen "I always keep it quiet / I'll sit up on the shelf / No real desire spoken / And I deny myself." Sind das ausgeklügelte Lebensweisheiten, die du in Töne gießt, oder spontane Eingebungen im kreativen Prozess, deren ganze Tragweite dir erst später bewusst wird?
Sarah Beth Tomberlin: Die meiste Zeit sitze ich einfach da und spiele Gitarre. Ich beginne mit einer Zeile, die ich vielleicht aufgeschrieben habe, oder sie kommt einfach aus dem Stegreif, während ich darauf warte, dass etwas passiert. Den Song "Easy" habe ich auf diese Weise in fünf Minuten geschrieben. Das ist ein fünfminütiger Song, bei dem ich einfach bei der iPhone-Voicemail auf Aufnahme gedrückt habe, bevor ich angefangen habe, einfach zu klimpern, um zu schauen, was sich gut anfühlt. Dabei ist der Song einfach herausgepurzelt! Das war ein absolut magischer Moment! Wow, das ist echt ein ganzes Lied!
GL.de: Neu ist auch, dass du mit den Songs auf "I Don't Know Who Needs To Hear This" öfter die Brücke vom Persönlichen zu gesellschaftlichen Kommentaren schlägst und es stärker darauf anlegst, neue Perspektiven einzunehmen...
Sarah Beth Tomberlin: Wenn ich mir die Songs auf "At Weddings" anhöre, kommen sie mir wie Gedichte vor. Ich habe das Gefühl, dass es viel Geheimnisvolles und viel Dualität gibt, und ich liebe das an Gedichten, wenn man nicht weiß, ob die Person über Gott, einen Baum oder vielleicht ihren Vater spricht... (lacht) Als ich 13 oder 14 war, hatte Sylvia Plath großen Einfluss auf mich, heute dagegen bin ich besser darin, der Sache auf den Grund zu gehen, sobald ich weiß, was ich sage. Denn wenn ich Gitarre spiele und es einfach fließt, weiß ich nicht wirklich, wovon ich spreche. Ich habe das Gefühl, dass ich nun leichter zum Kern meiner Absichten vorstoße. Der Prozess erscheint mir inzwischen weniger mysteriös. Auf der Tournee im Anschluss an "At Weddings" habe ich manchmal beim Spielen eines Songs gemerkt: Oh, das habe ich gemeint! Die Songs offenbarten sich mir, je mehr ich sie spielte, das war ziemlich verrückt! Bei den neuen Liedern habe ich das Gefühl, dass ich schon ein bisschen länger mit ihnen gelebt hatte, bevor ich andere Leute in diesen Kosmos einladen musste. Das hat mir gut gefallen.
GL.de: Im Titelsong der neuen Platte heißt es: "We left behind some pain / to get to the magic thing." Darf man daraus ableiten, dass du Leid und Schmerz für das Brot der Künstler hälst?
Sarah Beth Tomberlin: Ich denke nicht, dass es gut ist, sich absichtlich Schmerzen und Leid zuzufügen, aber ich denke, dass in meinem Leben das meiste Wachstum aus einem Gefühl des Unbehagens resultiert. Das fordert dich heraus, und entweder lässt du es einfach über dich ergehen, oder du stehst und auf startest einen neuen Versuch, und das führt dazu, dass du eine andere Sichtweise bekommst. Deshalb glaube ich nicht an den "leidenden Künstler", zumal es auch Leute gibt, die es darauf anlegen, ihr Leben zu zerstören, um es interessanter erscheinen zu lassen, oder weil sie glauben, dass das zu interessanterer Kunst führt. Interessant ist das aber eigentlich nie. Die Dinge, die ich erlebt habe, waren nur Zufall. Es war den Umständen geschuldet, so in etwa: "Whoa! Ich muss herausfinden, wie ich das auf die Reihe kriege, wie ich es verstehen, überwinden und daran wachsen kann. Insofern können mit etwas Abstand, gewissermaßen aus der Luftansicht, aus Leiden und Schmerz durchaus auch schöne Dinge entstehen. Natürlich ist es schwer, wenn man noch mittendrin steckt, aber wenn man herauszoomen kann … Davon habe ich in letzter Zeit viel gesprochen, und manchmal denke ich, dass ich wie eine Kamera bin, die hineinzoomt und dann wieder herauszoomt. Das ist das Bild, das mir in den Sinn kommt, und auf diese Weise können aus schlechten Dingen gute werden.
GL.de: Letzte Frage: Was macht dich als Musikerin derzeit besonders glücklich?
Sarah Beth Tomberlin: Die neuen Songs zu spielen! Kurz bevor ich nach Europa kam, habe ich allerdings auch mit der Band geprobt, die ich für die Konzerte in den USA zusammengestellt habe und die ich hoffentlich irgendwann auch hierher mitbringen kann. Ich habe gerade ein paar aufregende Tour-Neuigkeiten erhalten, die ich leider noch nicht teilen kann, aber ich denke, wir werden im Herbst zurück in Europa sein. Die Band besteht nur aus drei Leuten, denn die Platte ist sehr elementar, aber nicht riesig, und ich habe lange gebraucht, um Leute für die Band zu finden, die wirklich zuhören und sich einfühlen können, und sie machen ihre Sache großartig! Ich genieße es wirklich, solo zu spielen, und ich habe nicht oft das Gefühl, dass mir ohne Band etwas fehlt, aber in Begleitung zu spielen ist neu für mich und hat sehr viel Spaß gemacht. Außerdem haben wir auch Bläser dabei, es ist also alles vertrackt und besonders, ohne dass ich das Gefühl habe, die Songs seien überladen. Genau das macht mich sehr glücklich!
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