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SIMON JOYNER
 
Weniger ist mehr
Simon Joyner
Simon Joyner weiß, dass der beste Weg der eigene ist. Auch auf seinem fesselnden neuen Album, "Songs From A Stolen Guitar", hat der Ausnahme-Singer/Songwriter aus Omaha, Nebraska, der auf den Spuren von Bob Dylan, Leonard Cohen und Townes Van Zandt den Vergleich mit den ganz, ganz Großen seines Faches noch nie scheuen musste, seine künstlerische Vision kompromisslos im Blick. Bisweilen etwas spröde im Vortrag, aber stets eindrucksvoll poetisch in seiner Sicht der Dinge, zeichnet er mit alten wie neuen Mitstreitern an seiner Seite textlich bildgewaltig und musikalisch minimal die Zeit der Pandemie nach. Dunkel und eindringlich sind diese emotionsgeladenen Geschichten, diese scheinbar ungefilterten Einblicke in das Leben der nun endgültig von den Idealen des amerikanischen Traums im Stich gelassenen Loser und Loner, mit denen es Joyner gelingt, das bedrückende Gefühl der Isolation, die Kluft zwischen Einsamkeit und Alleinsein, nicht nur inhaltlich, sondern auch klanglich brillant zu illustrieren. Beim Treffen mit Gaesteliste.de am Rande seines Auftritts im niederländischen Nijmegen Anfang Mai spricht Joyner über die deprimierenden Auswirkungen des Lockdowns, neue Herausforderungen wie seinen Plattenladen Grapefruit Records in Omaha und den ungewohnten Entstehungsprozess der neuen Platte.

GL.de: Simon, Isolation ist ein zentrales Thema der neuen Lieder. Manche Menschen waren während der Pandemie durchaus froh, sich mal ein bisschen rausziehen und mehr für sich sein zu können. Dir ist es offenbar anders ergangen?

Simon Joyner: Ja, für mich war es schwieriger. Ich mag es nicht, von allem abgeschnitten zu sein. Die Dinge, die ich tue, wie Auftritte und das Spielen in einer Band, all diese Dinge geben mir etwas, das ich wirklich brauche. Ich bin nicht super gesellig, aber mir war nicht bewusst, wie sehr ich das brauche. Deshalb war die Isolation anfangs hart, aber immerhin konnte ich so mehr Zeit mit meiner Frau verbringen, und das war schon schön. Allerdings waren wir die ganze Zeit nur in unserem Haus, auf der Veranda, und irgendwann hatte ich das Gefühl: "Ich muss hier raus!"

GL.de: Tatsächlich bist auch du zuvor regelmäßig auf Reisen, auf Tournee gewesen. Hat die erzwungene Pause dein Verhältnis zur Live-Musik verändert?

Simon Joyner: Nun, ich bin immer davon ausgegangen, dass die Live-Musik irgendwann zurückkommen wird, ich dachte also immer, dass ich wieder auftreten und touren werde, dennoch hat mich die Pandemie dazu gebracht, meinen Fokus zu überdenken. Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, dass ihnen bewusst geworden ist, dass sie zu viel touren oder zu viele Shows besuchen, dass sie einfach immer unterwegs sind. Die Pandemie hat den Leuten klargemacht, dass sie sich übernommen haben. Ich denke, mir ging es da nicht anders, aber ich bin sowieso jemand, der ständig etwas machen muss. Deshalb habe ich auch während der letzten zwei Jahre viel gemacht, nur eben nicht vor Publikum auf der Bühne. Eine Zeit lang habe ich viel Energie in mein Label Grapefruit gesteckt, dann habe ich einen Plattenladen aufgemacht, ein Album geschrieben und es aufgenommen. Ich bin beschäftigt geblieben, aber jetzt, wo sich alles etwas normalisiert, werde ich versuchen, Qualität über Quantität zu stellen, ich will versuchen, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die wirklich zählen.

GL.de: Du hast gerade schon deinen Plattenladen in deiner Heimatstadt Omaha erwähnt, der wie dein Label Grapefruit Records heißt. Was hat dazu geführt, dass du dich - noch dazu in solch unsicheren Zeiten - auf dieses Abenteuer eingelassen hast?

Simon Joyner: Ich bin sehr impulsiv und im Grunde hatte ich einfach einen Lagerkoller, weil ich die ganze Zeit zu Hause war und kein kreatives Ventil hatte. Der Plattenladen war eine Möglichkeit, meine kreative Energie für eine Weile zu nutzen, und obwohl es verrückt war, den Laden zu eröffnen, hat es eigentlich ganz gut funktioniert. Ich habe eine Menge Geld hineingesteckt, ohne zu wissen, ob es erfolgreich sein würde oder nicht, aber ich brauchte sowieso einen Ort für das Grapefruit-Büro, um Bestände an Schallplatten und CDs zu lagern, die wir versenden, anstatt mein Haus dafür zu nutzen, denn dort war langsam kein Platz mehr. Ich habe also sowieso nach einem Raum gesucht und von da aus war es nicht mehr weit bis: Warum eröffnen wir nicht einfach einen Plattenladen? Falls wir etwas Geld damit machen, hilft uns das bei der Finanzierung des Büros. Und wir sind eh hier! Von da an ging es los, und es war wirklich ziemlich erfolgreich.

GL.de: Gab es andere Plattenläden, die dir als leuchtendes Beispiel gedient haben, oder wie bist du die Sache angegangen? Du hast eben bereits in anderem Zusammenhang schon von "Qualität statt Quantität" gesprochen.

Simon Joyner: Am liebsten sind mir Plattenläden, in denen man zwei Stunden verbringen und sich jede Platte ansehen kann. Ich wollte einen kuratierten Laden, der meinen Geschmack widerspiegelt. Es soll dort nur Platten geben, die ich in einem Laden gerne sehen möchte, und keine, die mir peinlich wären, wenn jemand, den ich wirklich respektiere, hereinkommen und sie sehen würde. Also habe ich gemeinsam mit Mike, der mein Geschäftspartner beim Laden ist, entschieden, dass wir nur Sachen anbieten, die wir selbst kaufen würden, das Zeug, das wir sehen wollen, wenn wir selbst in einen Laden gehen. Das war unser Startpunkt. Wir bestellen auch Sachen für Leute, die die gerade angesagte Indie-Rock-Band wollen, auch wenn das keine Band ist, die ich auf Lager haben möchte. Die kann man bei uns dann bestellen und abholen, aber die Sachen werden nicht im Regal stehen. Ich denke, es macht das Geschäft überschaubarer, wenn es kuratiert ist, im Vergleich zu den Geschäften, die versuchen, alle Menschen zufriedenzustellen. Da herrscht zu viel Durcheinander und es ist wirklich schwierig, die guten Sachen zu finden, weil man sich durch so viele Platten wühlen muss, die nur dort sind, um die Rechnungen zu bezahlen. Wir dagegen sind ein Nischenladen, bei dem die Leute wissen, dass sie auch mal was riskieren können, weil sie unserem Geschmack vertrauen, weil sie erkennen, dass die Platten, die wir anbieten, mit Absicht ausgewählt wurden.
GL.de: Wenden wir uns deinem neuen Album zu. Deine letzte LP, "Pocket Moon", war betont persönlich gehalten, die Lieder auf "Songs From A Stolen Guitar" klingen dagegen bisweilen so, als ginge es mehr um das Geschichtenerzählen als das Verarbeiten eigener Emotionen. Darf man das so sagen?

Simon Joyner: Ich denke, das ist eine gute Einschätzung. Zu Beginn der Pandemie war ich ziemlich deprimiert, wie viele andere auch. Ich fühlte mich ziemlich hoffnungslos, und ich konnte nicht einmal Gitarre spielen oder irgendetwas schreiben. Für eine Weile hatte ich einfach keine Lust, irgendetwas zu tun, und es war schwierig, wieder reinzukommen. Also begann ich mit einer Art Schreibübungen, bei denen ich einfach frei schrieb und dann ein Bild oder eine Idee aufgriff und daraus Songs baute. Das Kniffelige daran war, dass ich mir bestimmte Szenarien ausgenacht hatte, zum Beispiel, dass eine Frau eine miese Beziehung hinter sich lässt, aber letztlich ist diese Art von Perspektivwechsel nichts anderes als ein prima Weg, Dinge aus dem eigenen Leben in die Geschichte einzubringen, ohne dass es zu offensichtlich ist. Das passiert eigentlich immer, wenn ich schreibe. Ich kann nicht wirklich anders, als mich auf mein eigenes Leben zu beziehen. Dennoch würde ich sagen, dass die neuen Songs weniger "offen" persönlich, eher "Zwischen den Zeilen" persönlich.

GL.de: Für gewöhnlich ist bei den Aufnahmen deiner Platten viel Spontaneität, viel kollaborativer Gemeinschaftssinn im Spiel. Dieses Mal zwangen dich die Umstände dazu, neue Wege zu gehen, denn fast alle Mitstreiter spielten ihre Beiträge separat und an verschiedenen Orten ein. Hast du ihnen dafür Anweisungen gegeben oder auch hier auf glückliche Fügungen gehofft?

Simon Joyner: Ich habe Anweisungen gegeben, meistens waren sie aber ziemlich allgemein. Sie dienten lediglich dazu, den Musikern eine Vorstellung davon gegeben, was ich vorhabe. Manchmal war das etwas Beschreibendes wie: "Stell dir mal vor...", damit sie in die richtige Stimmung kommen für das, was ich mir erhoffte, aber manchmal habe ich ihnen auch freie Hand gelassen. Da wir nicht im selben Raum waren und alles separat aufgenommen wurde, konnte ich später immer noch alles entfernen, was mir nicht gefiel. Tatsächlich haben die Songs oft erst Form angenommen, als ich sie mit der Unterstützung von Michael Krassner abgemischt habe. Wir haben viele Entscheidungen getroffen, zum Beispiel haben die Drums vielleicht die ganze Zeit gespielt, aber wir haben sie herausgezogen, bis der richtige Zeitpunkt für ihren Einsatz gekommen war. Einige Anweisungen, die ich gegeben habe, enthielten Analogien zu anderen Liedern. Bei David Nance wählte ich Songs aus, mit denen er vertraut war und sagte: "Vielleicht etwas in der Richtung wie die Gitarren bei dieser Nummer, aber letztlich mach, was du willst!" Er hat viele Aufnahmen mit verschiedenen Stilen und verschiedenen Instrumenten gemacht, sodass wir beim Abmischen eine große Auswahl hatten, was sehr schön war. Es ist immer wirklich cool, wenn jemand einfach ohne Druck hinzufügen kann, was er will. Weil wir zumeist nicht an einem Ort aufgenommen haben und die Leute in ihrer eigenen Umgebung gearbeitet haben, konnten sie die Aufnahmen einfach so angehen, wie sie wollten.

GL.de: Das ist tatsächlich das genaue Gegenteil von dem, wie du bisher deine Platten aufgenommen hast. Auch wenn die Umstände nichts anderes zuließen: Ist es dir leichtgefallen, dich darauf einzulassen?

Simon Joyner: Nein, es war wirklich hart. Ich habe noch nie eine Platte auf diese Art und Weise gemacht, allerdings war es schön, den Editierungsprozess zu haben, bei dem wir am Ende einige der Arrangements selbst ausgearbeitet haben. Zum Beispiel hat der Musiker, der Orgel und Klavier gespielt hat, einfach auf allen Songs die ganze Zeit gespielt, und ich wusste sofort: "Das ist zu viel Orgel für diese Platte!" Dann sind wir die Lieder durchgegangen und haben einfach die Stellen gefunden, an denen es passte, und weil er bei jedem Song die ganze Zeit gespielt hatte, hatten wir alle Möglichkeiten. Das Ganze war ein wirklich viel stärker skulpturaler Prozess als jemals zuvor.

GL.de: Es ging also eher ums Reduzieren als ums Hinzufügen?

Simon Joyner: Ja! Die Platte hätte sehr voll klingen können, aber ich wusste von Beginn an, dass sie so reduziert wie möglich sein sollte. Eine der einzigen wirklich spezifischen Anweisungen, die ich den Musikern gab, war für Ryan Jewell, den Schlagzeuger. Ich bat ihn, auf der Platte überhaupt keine Becken und kein traditionelles Schlagzeug, also kein Rock'n'Roll-Schlagzeug, zu verwenden. Das fand er wirklich aufregend. Er benutzte alle möglichen verschiedenen Percussion-Instrumente, und jedes Mal, wenn er normalerweise ein Becken benutzt hätte, suchte er sich etwas anderes für diesen Akzent, und ich denke, das lässt das Album in puncto Percussion wirklich einzigartig klingen und sorgt dafür, dass alles klein und reduziert bleibt.

GL.de: Hast du fast 30 Jahre nach deinen ersten Platten inzwischen das Gefühl, besser zu verstehen, wo du mit deiner Musik, deinen Platten hinwillst, oder legst du anfangs immer noch mit einer völlig leeren Leinwand los und alles ist möglich?

Simon Joyner: Mein Hauptinteresse galt schon immer der Story, dem narrativen Element, und das diktiert dann, dass der Songwriting-Prozess viel Bearbeitung beinhalten wird. Die Texte werden wichtig sein, und die Musik ist das Terrain, auf dem mehr Variationen passieren werden. Obwohl ich mir sicher bin, dass sich mein Songwriting im Laufe der Jahre stark verändert hat, gibt es eine Kontinuität in meinem Tun. Manchmal können die Musiker, die mitwirken, für radikale Unterschiede sorgen, was immer sehr überraschend und cool ist. Einige meiner Platten sind etwas chaotischere, lautere Rockplatten wie "Ghosts" oder "Skeleton Blues", bei denen es mehr um die Bandpräsentation geht, und andere sind eher reduziert, es kommt also immer darauf an. Bei den neuen Songs war es mir wichtig, dass sie die Isolation der Geschichten widerspiegeln, also versuchte ich, sie klanglich sogar noch weiter als auf "Pocket Moon" zu reduzieren. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass auf dem nächsten Album die Zusammenarbeit mit der Band wieder in den Mittelpunkt rückt. Ich denke, dass immer noch alles möglich ist.
Weitere Infos:
www.instagram.com/simonjoynermusic
bbislandmusic.com/simon-joyner/
simonjoyner.bandcamp.com
en.wikipedia.org/wiki/Simon_Joyner
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Sara Adkisson Joyner-
Simon Joyner
Aktueller Tonträger:
Songs From A Stolen Guitar
(BB*Island/Grapefruit Records/Cargo)
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