"Ich bin echt sehr zufrieden mit der Platte und finde, wir sind dort angekommen, wo wir hinwollten. Das ist ja nicht immer so", sagt Julian Müller über das neue Blackberries-Album, und es fällt leicht, ihm zuzustimmen. Innerhalb kürzester Zeit eingespielt, fängt die Band auf "Vorwärts Rückwärts" besser als je zuvor die Wucht ihrer Live-Auftritte ein, ohne dass die Melodien oder der Raum für Spontaneität zu kurz kommen würden. "Dieses Mal war es sehr leicht", sagt Müller über den Entstehungsprozess der neuen LP. "Zuvor haben wir vielleicht manchmal zu viel überlegt, weil wir dies oder das wollten und verschiedene Leute verschiedene Vorstellungen hatten. Dieses Mal mussten wir uns mit solchen Sachen nicht wirklich aufhalten. Das Besondere war sicherlich, dass alles so schnell und reibungslos ging, dass wir sehr schnell Songs hatten, die wir alle total gut fanden, obwohl sie auf ganz verschiedene Arten entstanden sind. Diesen Spirit, auch von der Tour zum letzten Album 'Disturbia' - Wir sind alle zufrieden, wir wollen alle dasselbe -, haben wir dann genutzt und die Platte live im Studio mit wenig Overdubs eingespielt."
Mehr als zuvor atmet die Platte deshalb den Geist der Live-Konzerte der Blackberries, aber das ist nicht die einzige spürbare Entwicklung. Hatte man bei den ersten Werken "Music For The Night" aus dem Jahre 2012 und dem vier Jahre später erschienenen Nachfolger "Greenwich Mean Time" bisweilen das Gefühl, der Band reiche es, sich an den Ideen ihrer Vorbilder von gestern und vorgestern festzuhalten, wagten die vier Musiker schon auf der 2018 erschienenen LP "Disturbia" den Schritt in die Selbstständigkeit. Als "Werk einer Band, die sich und ihren Weg gefunden hat", haben wir die Platte damals in unserer Plattenkritik beschrieben, ein Eindruck, der sich nun auf "Vorwärts Rückwärts" noch verstärkt. Selbstbewusst verfolgen die Blackberries den einmal eingeschlagenen Weg unbeirrt weiter, halten gleichzeitig aber auch rechts und links des Pfades nach Neuerungen Ausschau, wenn sie bisweilen die Fühler in Richtung Pop oder Soul ausstrecken, oder wie Müller es ausdrückt: "Für die neue Platte haben wir all die guten Aspekte, die wir hoffentlich auch schon vorher hatten, genommen und haben sie zusammengefügt."
Tatsächlich klingen die Blackberries in musikalischer Hinsicht auf "Vorwärts Rückwärts" so befreit wie nie zuvor. Gerade bei den experimentierfreudigen, ausufernden Instrumentalparts klingt das Quartett auf dem neuen Album spürbar intuitiver, auch wenn Müller das etwas differenzierter sieht. "Eigentlich haben wir schon immer auf eine gewisse Art und Weise das gemacht, was wir wollten, und uns wenig darum geschert, was Erfolg haben könnte, weil das ja am Ende eh nie klappt", erklärt er - eine bewusste Entscheidung war das nicht. "Weil es mit den Songs dieses Mal so schnell ging, haben wir gar nicht groß darüber nachgedacht, wie sie zusammenpassen. Wir haben uns eher gedacht: Durch den Stil, den wir haben, wird es am Ende schon zusammenhalten." Dazu passt auch folgende Anekdote von Müller: "Zur ersten Single, 'After The War', schrieb jemand online etwas im Sinne von: 'Toller neuer Song im typischen Blackberries-Stil', und ich dachte mir: Eigentlich finde ich diese Nummer gar nicht so typisch für uns, sie ist ein bisschen poppiger, ein bisschen mehr Soul. Trotzdem war das ein total schönes Kompliment, dass jemand einen Song, der eigentlich ein bisschen anders ist für uns, trotzdem als typisch Blackberries beschreibt. Das zeigt, dass es da mal abgesehen vom reinen Stil eine gewisse Substanz gibt, die es besonders macht."
Mit "Vorwärts Rückwärts" stellen sich die vier Musiker aber nicht nur musikalisch breiter auf, sie werden auch politischer. Der gerade schon erwähnte Song "After The War", obwohl lange vor dem Ukraine-Krieg entstanden, ist nun leider aktueller denn je, und auch mit ihren Gedanken zu Klimawandel und Umweltzerstörung ("The Moor") und dem Gefühl der Überforderung in der rastlosen modernen Welt ("Vorwärts") spiegeln die Blackberries unser aller Gegenwart wider. "Auch ich bin in den letzten Jahren viel wacher geworden für bestimmte Dinge, über die man sich vorher nicht so viele Gedanken gemacht hat", sagt Müller. Die Beschäftigung mit den brennenden Problemen der Gegenwart, ganz egal, ob es um Umwelt und kriegerische Konflikte oder um sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität geht, ist für Müller alternativlos, auch wenn das bedeutet, dass viele der neuen Blackberries-Songs unerwartet düster daherkommen. "Wir müssen uns überlegen, wie wir leben wollen", sagt Müller, "denn so wie jetzt kann es ja anscheinend nicht weitergehen."
Trotzdem geht es den Blackberries nicht um den erhobenen Zeigefinger - "Kunst muss nicht politisch sein, aber die Texte spiegeln eben auch die Gegenwart, in der wir leben, wider", erklärte Keyboarder Joscha Justinski unlängst dem Magazin Kultur.West -, denn natürlich sind sie sich ihrer eigenen Rolle durchaus bewusst. In der Vergangenheit sind die vier Musiker gleich mehrfach für Tourneen um den halben Globus gereist, und natürlich betrachtet Müller auch das inzwischen mit gemischten Gefühlen. "Auf der Platte singst du davon, dass die Welt wahrscheinlich untergeht, wenn du so weitermachst, und dann setzt du dich in den Tourbus, um vor fünfeinhalb Leuten am anderen Ende von Deutschland zu spielen", sagt er selbstkritisch. "Irgendwie ist das ein Lebensgefühl, ein Stück Freiheit, aber auch da muss man sich immer fragen: Die eigene Freiheit, die man sich nimmt, was richtet die an und wo hört die auf oder sollte die vielleicht auch irgendwie aufhören?" Allerdings ist er auch davon überzeugt, dass die Kunst, die Musik von der Erweiterung des Horizonts und der Verarbeitung neuer Einflüsse lebt. "Dass wir in China, in Kanada und in den USA gespielt haben, hat total viel mit uns gemacht. Vorher habe ich immer gedacht, dass ich nicht unbedingt nach Amerika muss, aber zum ersten Mal dort zu sein, war auf eine gewisse Art und Weise mindblowing. Allein im Flugzeug zu sitzen und zu sehen, dass wir gerade über Memphis fliegen - jede Stadt ist ein Song."
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